BADENWÜRTTEMBERG VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT BADEN-WÜRTTEMBERG 1996 Rechtsextremismus - Linksextremismus - Ausländerextremismus Terrorismus - Spionageabwehr Herausgeber: Innenministerium Baden-Württemberg Dorotheenstraße 6, 70173 Stuttgart Juli 1997 Gestaltung und Satz: Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg Taubenheimstraße 85A, 70372 Stuttgart Druck: Schwäbische Druckerei Rotenwaldstraße 158, 70197 Stuttgart Nachdruck nur mit Genehmigung des Herausgebers ISSN 0720-3381 Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier VORWORT Die Arbeit des Verfassungsschutzes ist Ausdruck des Selbstbehauptungswillens unserer freiheitlichen Demokratie. Die wehrhafte Demokratie braucht Bürger, die über die Gefahren unterrichtet sind, die unserem Staat durch Extremisten aller Schattierungen drohen. Der vorliegende Verfassungsschutzbericht soll dazu einen Beitrag leisten, indem er über Hintergründe und Zielsetzungen des Extremismus und über die Aktivitäten fremder Nachrichtendienste informiert. Die Zahl der rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Straftaten ist im vergangenen Jahr zwar zurückgegangen. Dennoch zeigt die Zunahme der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten und das Anwachsen des gewaltbereiten rechtsextremistischen Personenpotentials, wie leicht rechtsextremistisches Gedankengut den Nährboden für gewalttätige Exzesse bilden kann. Die Zahl der linksextremistisch motivierten Straftaten hat 1996 gegenüber dem Vorjahr - besonders im Zusammenhang mit den "CASTOR"-Transporten - zugenommen. Linksextremisten nutzen verstärkt Veranstaltungen und Aktionen von Bürgerinnen und Bürgern, die keine Nähe zu extremistischen Grundpositionen haben und haben wollen, als Plattform für ihre Zwecke aus. Die politisch motivierten Straftaten von Ausländern sind 1996 abermals gestiegen. Damit einhergehend ist auch das Mitgliederpotential extremistischer Ausländerorganisationen angewachsen. Hier gilt es, die weitere Entwicklung besonders aufmerksam zu beobachten, damit Konflikte, die ihren Ursprung im Ausland haben, nicht gewaltsam in unserem Bundesland fortgesetzt werden. Bei dem vorliegenden Verfassungsschutzbericht wurde die graphische Gestaltung aus Kostengründen durch das Landesamt für Verfassungsschutz selbst vorgenommen; der Bericht enthält aber selbstverständlich alle notwendigen Sachinformationen und Schaubilder. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg haben auch im vergangenen Jahr ihre nicht immer einfache Aufgabe engagiert erfüllt. Dafür danke ich allen herzlich. Dr. Thomas Schäuble MdL Innenminister des Landes Baden-Württemberg INHALTSVERZEICHNIS SEITE A. VERFASSUNGSSCHUTZ BADEN-WÜRTTEMBERG 8 1. Gesetzliche Grundlagen 8 2. Aufbau und Organisation 8 3. Aufgaben des Verfassungsschutzes 10 4. Methoden des Verfassungsschutzes 11 5. Kontrolle 12 6. Verfassungsschutz durch Aufklärung 13 7. Scientology-Organisation 16 Zulässigkeit der Beobachtung 16 Vertrauliches Telefon zur SC 20 B. RECHTSEXTREMISMUS 22 1. Allgemeiner Überblick 22 2. Gewalttaten mit erwiesenem oder vermutetem 26 rechtsextremistischem Hintergrund Häufigkeit und Zielrichtung rechtsextremistisch be26 einflußter Gewalt Größe der rechtsextremistisch beeinflußten Gewalt37 szene Rechtsextremistische Skinheads 37 Rechtsextremistischer Terrorismus 44 3. Bundesweite neonazistische Aktivitäten 45 Bundesweit operierende neonazistische Gruppen 45 "Hilfsorganisation für nationale politische Gefange45 ne und deren Angehörige e. V." (HNG) "Internationales Hilfskommitee für nationale politi46 sehe Verfolgte und deren Angehörige e. V." (IHV) "Freiheitlicher Volks Block" (FVB) 48 Projekte und Veranstaltungen mit überregionaler Be50 deutung Neonazistische Personenzusammenschlüsse und 58 Einzelaktivisten in Baden-Württemberg 4. Rechtsextremistische Parteien 64 "Die Republikaner" (REP) 64 "Deutsche Volksunion" (DVU) 74 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 80 "Junge Nationaldemokraten" (JN) 88 "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) 95 5. "Gesellschaft für Freie Publizistik" (GFP) 99 6. Organisationsunabhängige rechtsextremistische 100 Verlage und Propagandatätigkeiten "GRABERT-Verlag" / "Hohenrain-Verlag" 100 Neuartige Propagandatätigkeiten von Rechtsextre102 misten Rechtsextremistische Einflußnahme auf die Esoterik103 szene 7. Nutzung der neuen Medien durch Rechtsextremi105 sten Mailbox-System THULE-Netz 105 Internet 108 8. Internationale Verflechtungen des Rechtsextre110 mismus 9. "Revisionisten" 112 10. Neue Strategien im Bereich des intellektuellen 115 Rechtsextremismus 11. Erscheinungsformen der sogenannten Neuen 117 Rechten C. LINKSEXTREMISMUS 120 1. Allgemeiner Überblick 120 2. Straftaten mit erwiesenem oder vermutetem links124 extremistischem Hintergrund 3. Linksextremistischer Terrorismus 126 "Rote Armee Fraktion" (RAF) 126 RAF-Kommandoebene 126 R AF-Inhaftierte 128 "Antiimperialistische Zelle" (AIZ) 130 "Revolutionäre Zellen" (RZ) 131 4. Autonome und sonstige Anarchisten 131 Autonome Gruppen 131 Anarchistische Gruppen 136 5. Marxisten - Leninisten und sonstige revolutionäre 137 Marxisten "Deutsche Kommunistische Partei " (DKP) und Um137 feld "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) 141 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" 145 (MLPD) Sonstige Organisationen 147 D. SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 150 1. Allgemeiner Überblick 150 2. Kurden 151 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 151 3. Türken (ohne Kurden) 163 Allgemeines 163 Linksextremisten 164 Türkische islamistische Vereinigungen 169 Extrem-nationalistische Organisationen 173 4. Araber 174 Palästinenser 174 Arabische Islamisten 176 5. Staatsangehörige aus dem ehemaligen Jugoslawien 178 6. Iraner 180 7. Sikhs 181 8. Tamilen 183 E. SPIONAGEABWEHR 186 1. Allgemeiner Überblick 186 2. Einzelerkenntnisse 189 Nachrichtendienste der Russischen Föderation 189 SWR 191 GRU 192 FSB 192 FAPSI 193 Weitere Nachrichtendienste der GUS und anderer 194 Staaten Osteuropas Chinesische Nachrichtendienste 195 Nachrichtendienste des Nahen und Mittleren Ostens 195 ANHANG 198 Gruppenund Organisationsregister 198 Personenverzeichnis 203 Gesetz über den Verfassungsschutz in Baden-Würt206 temberg (Landesverfassungsschutzgesetz - LVSG) A. VERFASSUNGSSCHUTZ BADEN-WÜRTTEMBERG Der Verfassungsschutz beobachtet verfassungsfeindliche Bestrebungen. Er informiert die politisch Verantwortlichen frühzeitig über davon ausgehende Gefahren. Hierdurch versetzt er die zuständigen staatlichen Stellen in die Lage, verfassungsfeindliche Kräfte rechtzeitig und angemessen zu bekämpfen. 1. Gesetzliche Grundlagen Die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes sind gesetzlich genau festgelegt. Das (Bundes-)"Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz" ist Rechtsgrundlage für das Bundesamt für Verfassungsschutz. Der Bundesgesetzgeber hat in diesem Gesetz das Mindestmaß der von Bund und Ländern auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes gemeinsam zu erfüllenden Aufgaben umschrieben. Seit 30. Dezember 1990 gilt eine Neufassung des Bundesverfassungsschutzgesetzes (G. v. 20. Dezember 1990, BGB1.I S. 2970). Neben diesem Bundesgesetz bestehen in allen Bundesländern eigene Verfassungsschutzgesetze, in denen Aufgaben und Befugnisse der jeweiligen Landesbehörde gesetzlich geregelt sind. Für BadenWürttemberg gilt das "Gesetz über den Verfassungsschutz in Baden-Württemberg", das am 1. Januar 1992 in einer Neufassung (G. v. 22. Oktober 1991, GBl. S. 639) in Kraft getreten ist. Darüber hinaus finden sich in zahlreichen Bundesund Landesgesetzen Rechtsvorschriften, die die Verfassungsschutzbehörden zu beachten haben. 2. Aufbau und Organisation Entsprechend dem föderativen Aufbau der Bundesrepublik Deutsch- Verfassungsschutz Baden-Württemberg PRÄSIDENT Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeil Abteilung i 2 3 4 5 Zentralabteilung NachrichtenbeNachrichtenbeSpionageabwehr Unterstützende Verwaltung schaffung/ schaffung/ Geheimund Dienste Grundsatzfragen -auswertung -auswertung Sabotageschutz AusländerRechts-, Linksextremismus, extremismus, -terrorismus -terrorismus land hat jedes Bundesland eine eigene Verfassungsschutzbehörde. Als Zentralstelle fungiert das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln. Das Bundesamt hat gegenüber den Landesbehörden zwar kein allgemeines Weisungsrecht, arbeitet mit ihnen jedoch eng zusammen. Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg in Stuttgart wird von einem Präsidenten geleitet. Es gliedert sich in fünf Abteilungen, die teilweise zum 1. Januar 1997 umstrukturiert wurden. Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg ist dem Innenministerium unmittelbar unterstellt; ihm obliegt die Aufsicht über die Rechtund Zweckmäßigkeit der Aufgabenerfüllung. Zudem hat das Innenministerium über den ordnungsgemäßen Dienstbetrieb zu wachen (Dienstaufsicht). Der Personalbestand des Landesamts für Verfassungsschutz BadenWürttemberg ist im Haushaltsplan des Landes öffentlich ausgewiesen. Danach waren dem Amt für das Jahr 1996 insgesamt 345 Stellen für Beamte, Angestellte und Arbeiter zugewiesen (1995: 345 Stellen), wofür Personalausgaben von 22,7 Milionen DM veranschlagt waren. Von den ursprünglich vorgesehenen Sachausgaben in Höhe von 5,6 Millionen DM konnte aufgrund der allgemeinen Haushaltssituation letztlich nur über 4,8 Millionen DM verfügt wer- 9 den. Der Verfassungsschutz blieb allerdingsebenso wie die Polizei - von weiteren Einsparauflagen verschont. 3. Aufgaben des Verfassungsschutzes Die Aufgaben des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg sind im Landesverfassungsschutzgesetz (LVSG) geregelt. Danach hat die Behörde im wesentlichen den Auftrag, bestimmte als "Bestrebungen" bezeichnete Verhaltensweisen zu beobachten. Hierbei geht es dem Verfassungsschutz in erster Linie um Aktivitäten von Organisationen. Dabei müssen allerdings zwangsläufig auch die handelnden Personen, die Mitglieder dieser Organisationen sind oder deren Aktivitäten unterstützen, erfaßt werden. Der Begriff der verfassungsfeindlichen "Bestrebung" bedeutet, daß ein aktives zielgerichtetes Handeln gegen unsere Verfassung oder gegen auswärtige Belange erkennbar sein muß. Eine wertneutrale oder kritische Haltung dem Staat gegenüber kann niemals Gegenstand der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden sein. Im einzelnen sind folgende Aufgabenfelder zu unterscheiden: J Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind Bei tatsächlichen Anhaltspunkten für den Verdacht, daß eine Organisation unsere Staatsordnung durch ein linksoder rechtsextremistisches Staatsgebilde ersetzen oder durch terroristische Gewalt beseitigen will, übernimmt der Verfassungsschutz die Beobachtung dieser Vereinigung. Er gibt seine Erkenntnisse an die Regierung und an andere staatliche Stellen weiter. Q Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden Eine Gefährdung auswärtiger Belange liegt beispielsweise vor, wenn linksoder rechtsextremistische Ausländerorganisationen ihr Heimatland von deutschem Boden aus mit Gewalt bekämpfen und dadurch unseren Staat möglicherweise in außenpolitische Konflikte und Zwangssituationen manövrieren. 10 Verfassungsschutz Baden-Württemberg * Weiter ist es Aufgabe des Verfassungsschutzes, sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht zu erkennen (Spionageabwehr). Die strafrechtliche Verfolgung der Spionage obliegt der Justiz und der Polizei. * Eine bloß mitwirkende Funktion hat das Landesamt für Verfassungsschutz beim vorbeugenden personellen und materiellen Geheimschutz. Der Verfassungsschutz unterstützt hierbei Behörden und außerbehördliche Stellen bei der Überprüfung von Geheimnisträgern und Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätig sind, und berät sie, wie Verschlußsachen durch technische oder organisatorische Sicherheitsmaßnahmen geschützt werden können. 4. Methoden des Verfassungsschutzes Zur Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags ist der Verfassungsschutz darauf angewiesen, Informationen zu beschaffen, auszuwerten und zu speichern. Diese Nachrichten werden zum weit überwiegenden Teil offen beschafft, also so, wie sie jeder andere auch sammeln könnte. Die Mitarbeiter der Behörde werten Zeitungen und Zeitschriften, Flugblätter, Programme, Broschüren und sonstiges Material extremistischer Organisationen aus und besuchen anlaßbezogen auch deren öffentliche Veranstaltungen. Teilweise reichen die auf diese Art und Weise erlangten Erkenntnisse jedoch nicht aus, um einen objektiven und vollständigen Überblick über verfassungsfeindliche Aktivitäten oder das Tätigwerden gegnerischer Nachrichtendienste zu erhalten. Um auch an solche "Bestrebungen" heranzukommen, bedient sich der Verfassungsschutz nachrichtendienstlicher Mittel. Hierzu ist er nach dem Landesverfassungsschutzgesetz ausdrücklich befugt. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln gehören: * das Anwerben und Führen von Vertrauensleuten (V-Leuten) * die Observation verdächtiger Personen 11 * das geheime Fotografieren sowie * sonstige Maßnahmen, mit denen verdeckt werden soll, daß der Verfassungsschutz Beobachtungen vornimmt (Tarnmittel). Darüber hinaus darf der Verfassungsschutz ausnahmsweise und nur unter ganz engen, gesetzlich normierten Voraussetzungen den BriefPostund Fernmeldeverkehr überwachen (Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses - G 10 -). Polizeiliche Befugnisse stehen dem Verfassungsschutz nicht zu. Verfassungsschutz und Polizeibehörden sind in der Bundesrepublik Deutschland voneinander getrennt. Deshalb dürfen die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes keinerlei Zwangsmaßnahmen (Festnahmen, Vorladungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen) durchführen. Verfassungsschutzbehörden dürfen auch keiner polizeilichen Dienststelle angegliedert werden. Diese organisatorische Trennung von Polizei und Verfassungsschutz soll sicherstellen, daß sich der Verfassungsschutz auch nicht ersatzweise polizeilicher Möglichkeiten bedient, um eigene Aufgaben wahrzunehmen. Erscheint aufgrund der dem Verfassungsschutz vorliegenden Informationen ein polizeiliches Eingreifen erforderlich, so wird die zuständige Polizeidienststelle von den Beobachtungen unterrichtet. Diese entscheidet dann selbständig, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind. Diese Aufteilung der Aufgaben und Zuständigkeiten zwischen Nachrichtendienst und Polizei hat sich in jahrzehntelanger Praxis bewährt. 5. Kontrolle Um sicherzustellen, daß die Verfassungsschutzbehörden den ihnen vorgegebenen gesetzlichen Rahmen beachten, wurde eine vielschichtige Kontrolle eingerichtet. Diese Kontrolle wird - neben entsprechenden innerbehördlichen Maßnahmen und der Rechtsund Fachaufsicht durch das Innenministerium - in erster Linie vom Parla12 Verfassungsschutz Baden-Württemberg ment, aber auch von den Gerichten, dem Landesbeauftragten für den Datenschutz, dem Rechnungshof und der Öffentlichkeit ausgeübt. Die parlamentarische Kontrolle obliegt nach SS 16 Landesverfassungsschutzgesetz dem Ständigen Ausschuß des Landtags von Baden-Württemberg, dem Mitglieder aller Fraktionen angehören. Ihm ist halbjährlich sowie auf Verlangen des Ausschusses und aus besonderem Anlaß zu berichten. Für die Wahrnehmung der spezifischen parlamentarischen Kontrolle über die Durchführung des "Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses" (G 10) ist ein Gremium bestellt, das aus fünf Abgeordneten des Landtags besteht. Über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen entscheidet eine unabhängige Kommission, die aus drei ebenfalls vom Landtag bestellten Persönlichkeiten besteht. 6. Verfassungsschutz durch Aufklärung Der Schutz unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung kann dauerhaft nur durch eine geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus gesichert werden. Dem Verfassungsschutz kommt dabei wesentliche Bedeutung zu. Seine Tätigkeit gewährleistet, daß Regierung und Parlament, aber auch die Bürger über Aktivitäten und Absichten verfassungsfeindlicher Parteien und Organisationen informiert werden. In Baden-Württemberg werden die Aufgaben des "Verfassungsschutzes durch Aufklärung" vom Landesamt für Verfassungsschutz mit Unterstützung des Referats "Verfassungsschutz" im Innenministerium wahrgenommen. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit können kostenlos Informationsbroschüren zur Verfügung gestellt werden (bitte beiliegende Postkarte ausfüllen) und nach Einzelabsprache auch Referenten zu Vorträgen und Diskussionen über Themen des politischen Extremismus, der Spionageabwehr und anderen Themen des Verfassungsschutzes angefordert werden. Unter dem Slogan "FAIRSTÄNDNIS - Menschenwürde achten - Gegen Fremdenhaß" beteiligten sich das Innenministerium und das 13 gemeinsame Landesamt für Verfassungsschutz auch 1996 an der gemeinsamen Kampagne Kampagne von Bund und Ländern gegen Gewalt und Fremdenvon Bund feindlichkeit. Im Rahmen der Aufklärungskampagne wurden in und LänBaden-Württemberg u.a. das Jugendmagazin "basta - Nein zur Gedern gegen walt" und das Computerspiel "Dunkle Schatten" kostenlos verteilt. Gewalt und FremdenSeit dem 15. November 1996 ist der Verfassungsschutz Baden-Würtfeindlichkeit temberg durchgehend ("online") über eine Mailbox erreichbar (ISDN: 0711/55 62 65; Modem: 0711/54 11 48). Damit trägt das Landesamt für Verfassungsschutz im Rahmen seiner Aufklärungsarbeit der zunehmenden Bedeutung moderner Kommunikationsmittel Informatiound dem dadurch veränderten Informationsverhalten vieler Bürger nen des VerRechnung. Jeder, der über einen PC sowie ein Modem oder einen fassungsISDN-Anschluß verfügt, hat jetzt die Möglichkeit, zu jeder Zeit schutzes über schnell und bequem eine Vielzahl von Informationen des VerfasMailbox absungsschutzes abzurufen. Die Palette der Veröffentlichungen umrufbar faßt den aktuellen Verfassungsschutzbericht und weitere grundlegende Informationen über Hintergründe und Zusammenhänge des Rechts-, Linksund Ausländerextremismus sowie der Spionageabwehr. Auch die Aufgabenstellung und Arbeitsweise des Landesamtes werden in einem Beitrag ausführlich erklärt. Als spezieller Service werden monatlich neu aktuelle Entwicklungen und Ereignisse dargestellt. Eine Reihe von Abbildungen, Tabellen und Grafiken bieten zusätzliche Informationen. Literaturhinweise und Begriffserläuterungen runden das umfassende Angebot ab. Bei der Konzeption der Mailbox wurde auf Übersichtlichkeit und Benutzerfreundlichkeit besonderer Wert gelegt. Alle wichtigen Funktionen werden dem Nutzer daher erklärt oder ergeben sich aus Gliederung und Aufbau der Mailbox. Deshalb kann sich nicht nur derjenige, der sich mit der Technik der Datenfernübertragung bereits auskennt, sondern auch der technisch noch nicht so begabte Laie problemlos in ihr zurechtfinden. Um die Lesbarkeit der Mailbox zu erleichtern, verfügt sie über eine grafisch gestaltete Oberfläche (htmlFormat), wie sie in ähnlicher Form den Nutzern des Internet bereits bekannt ist. Das zur Umsetzung dieser Oberfläche auf dem PC des Nutzers erforderliche Client-Programm kann selbstverständlich kostenlos aus der Mailbox heruntergeladen werden. Wegen der unverändert hohen Nachfrage wird das Landesamt für 14 Verfassungsschutz Baden-Württemberg Homepage BADENder Mailbox WÜRTTEMBERG Willkommen in der Mailbox des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg Kontaktanschriften für Informationen zum Thema Informationen zum Inhalt der Mailbox Hier finden Sie einen Überblick zu den Angeboten unserer Mailbox Verfassungsschutz in Baden-Württemberg Jahresbericht 1995 Jahresbericht 1996 Rechtsext remismus Linksextremismus Ausländerextremismus Spionageabwehr Aktuelle Beiträge Die hier eingestellten Beiträge werden laufend aktualisiert Vertrauliches Telefon zur ..Scientologv Organisation" Aufgaben. Befugnisse. Vorgehensweisen (Broschüre Verfassungsschutz)/ gesetzliche Grundlagen Literaturverzeichnis Hinweise auf ergänzende Literatur Begriffserläuterungen Erläuterungen und Definitionen zu Fachbegriffen Verfassungsschutzbehörden im Bundesgebiet Anschriften, Publikationen, Mailboxen 15 Verfassungsschutz Baden-Württemberg selbstverständlich aber auch die traditionelle Art der Öffentlichkeitsarbeit weiter fortsetzen. Deshalb werden alle in der Mailbox enthaltenen Beiträge auch in Zukunft in gedruckter Form zur Verfügung gestellt. Kontaktanschriften für Informationen Landesamt für Verfassungsschutz Innenministerium Baden-Württemberg Baden-Württemberg "Öffentlichkeitsarbeit" Referat "Verfassungsschutz" Postfach 50 07 00 Postfach 10 24 43 70337 Stuttgart 70020 Stuttgart Tel. 0711/95 44 181/182 Tel. 0711/231 -3542 oder -3544 Mailbox: analog: 0711/54 1148 digital: 0711/55 62 65 eMail-Adresse: verfassungsschutz.bw@-online.de Scientology-Organisation 7.1 Zulässigkeit der Beobachtung Seit 1. Januar 1997 wird die "Scientology Church" (SC) vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Die Zulässigkeit einer solchen Beobachtung ergibt sich aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte für das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen aus den Schriften der Scientology-Organisation, insbesondere aus den Werken von Lafayette Ronald Hubbard, dem Gründer der SC. Zahlreiche Zitate belegen, daß die Organisation eine scientologisch geprägte Gesellschaft, die mit vielen Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar ist, anstrebt. Neben dem Ziel der Abschaffung der auf dem Grundgesetz beruhenden Demokratie werden auch andere fundamentale Verfassungsprinzipien in Frage gestellt wie z.B. die Grundsätze der Gewaltenteilung, die Verfassungsschutz Baden-Württemberg Unabhängigkeit der Gerichte und der Gleichheitsgrundsatz. Auch der generelle Absolutheitsanspruch der scientologischen Ideologie widerspricht dem für eine Demokratie typischen Pluralismus, der sich in den obersten Verfassungsprinzipien der Meinungsfreiheit, dem Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition und dem Wahlrecht wiederfindet. Für die demokratieBelege für feindliche Einstellung der SC stehen folgende Aussagen, die ledigdemokratielich eine kleine Auswahl darstellen: feindliche Einstellung "Scientology gibt uns eine erste Chance zur derSC Schaffung einer wahren Demokratie ... Somit können wir aufgrund vorliegender Beweise davon ausgehen, daß die erste wahre Demokratie entsteht, wenn wir jedes Individuum von den bösartigen reaktiven Impulsen befreit haben. Derartige Wesen können vernünftige Maßnahmen besprechen und ihnen zustimmen, und man kann ihnen vertrauen, daß sie nützliche Maßnahmen entwickeln. Bis wir das erreicht haben, werden wir der menschlichen 'Demokratie' - sowie jeder anderen politischen Philosophie kritisch gegenüberstehen, die den Menschen als Heilmittel für ihre Krankheiten angeboten wurden." (Hubbard Communications Office - Policy Letter - HCO-PL - vom 13. Februar 1965 I 7. Oktober 1985, deutsche Übersetzung) " Wir sind die einzigen Menschen und die einzige Religion auf der Erde, die die Technologie und den Ehrgeiz haben, eine Klärung von Situationen zu versuchen, die in den Händen anderer aus der Kontrolle geraten angesehen werden - nämlich die Atombombe und der Verfall und die Verwirrung der Gesellschaften." (Handbuch für ehrenamtliche Geistliche, 2. Auflage in deutsch, Kopenhagen 1983, Seite 695) 17 In diesen Zitaten kommt nicht nur der Absolutheitsanspruch der SC zum Ausdruck, sondern auch der Glaube, daß nur mit scientologischer Hilfe eine "wahre" Demokratie entstehen könne. grundlegenDamit werden zugleich die derzeitigen Demokratien abgelehnt. Daß de Änderung es der SC darauf ankommt, die Gesellschaft insgesamt im der Gesellscientologischen Sinne zu verändern und nicht nur den einzelnen, schaft angebeweisen folgende Aussagen: strebt "Das Ziel der Abteilung1 ist es, die Regierung und feindliche Philosophien oder Gesellschaften in einen Zustand vollständiger Gefügigkeit mit den Zielen der Scientology zu bringen." (L. Ron Hubbard, Policybrief vom 15. August 1960) "Wo wir versagen, unsere eigene Administration, Technologie und unser eigenes Rechtsverfahren auf die Gesellschaft um uns herum anzuwenden (geschweige denn auf Scientology), werden wir versagen. ... Ein Scientologe, der darin versagt, Scientology-Technologie und Verwaltungsund Rechtsverfahren auf die Welt um ihn herum anzuwenden, wird weiterhin zu enturbuliert2 sein, um seine Arbeit zu tun." (HCO-PL vom 27. März 1965, korrigiert und wieder herausgegeben am 15. Oktober 1985, S. 2, in der von LRH Com. genehmigten Übersetzung) Nur eine solche scientologisch geprägte Gesellschaft, in der eine auf dem Grundgesetz beruhende Rechtsprechung, Gesetzgebung und Verwaltung keinen Platz hätte, ist nach den Vorstellungen Hubbards eine "ideale" Gesellschaft: "Eine ideale Gesellschaft wäre eine Gesellschaft nicht aberrierter Menschen - Ciears -, die in einer nichtaberrierten Kultur leben; denn gemeint ist das "Department of Government Affairs = Abteilung für Regierungsfragen" 18 Nach dem "erweiterten Verwaltungsglossar" von L. Ron Hubbard bedeutet "Enturbulieren" (enturbulate) verursachen, "turbulent" wirbelnd, stürmisch, aufrührerisch oder aufgeregt und gestört sein. Verfassungsschutz Baden-Württemberg sowohl der einzelne als auch die ganze Gesellschaft bzw. deren Kultur können aherriert sein ...Es genügt nicht, als einzelner nicht aberriert zu sein, wenn man in den Schranken einer Gesellschaft, die eine Kultur aus vielen unvernünftigen Vorurteilen und Sitten entwickelt hat, leben muß." (L. Ron Hubbard in "Dianetik", 9. Auflage, 1990, S. 486 = Standardwerk der SC) Aberrationen werden im scientologischen Sprachgebrauch als ein Abweichen vom vernünftigen Denken oder Verhalten bezeichnet. Nichtaberrierte Menschen sind demgegenüber "Ciears". "Clear" (d.h. geklärt) können nach dem Selbstverständnis der SC nur Menschen sein, die durch "Auditing", einer mit E-Meter durchgeführten scientologischen Fragetechnik, eine bestimmte "Bewußtseinsstufe" erreicht haben. Hubbard bezeichnet es als erstrebenswertes Ziel, nur BürgerNichtaberrierten, also Scientologen, die Staatsbürgerschaft und die rechte nur Bürgerrechte zu verleihen, wie folgendes Zitat belegt: für Scientologen vor- " Vielleicht werden in ferner Zukunft nur dem gesehen Nichtaberrierten die Bürgerrechte verliehen. Vielleicht ist das Ziel in der Zukunft erreicht, wenn nur der Nichtaberrierte die Staatsbürgerschaft erlangen und davon profitieren kann. Dies sind erstrebenswerte Ziele, deren Erreichung die Überlebensfähigkeit und das Glück der Menschheit erheblich zu steigern vermöchten." (L. Ron Hubbard in "Dianetik", 9. Auflage, 1990, S. 487) Neben diesen und anderen Zitaten bestätigen die bisher gewonnenen Erkenntnisse über den streng hierarchischen Organisationsaufbau, die Strategie und Praktiken sowie Vorgehensweisen ebenfalls die deutlich verfassungsfeindliche Ausrichtung der SC. 19 7.2 Vertrauliches Telefon zur SC Seit Anfang 1997 hat das Landesamt für Verfassungsschutz unter der Telefonnummer 0711 / 9 56 19 94 ein "Vertrauliches Telefon" eingerichtet. Betroffene, Aussteiger, Angehörige oder andere Personen, die zur Scientology-Organisation Hinweise geben können und wollen, können unter dieser Nummer tagsüber unmittelbar mit einem Mitarbeiter Verbindung aufnehmen. Durch einen Anrufbeantworter ist außerdem sichergestellt, daß das Landesamt für Verfassungsschutz auch außerhalb der üblichen Bürozeiten rund um die Uhr erreicht werden kann. Eingehende Hinweise werden selbstverständlich vertraulich behandelt. 20 B. RECHTSEXTREMISMUS 1. Allgemeiner Überblick Die ideologischen Grundzüge des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland haben sich seit Jahrzehnten kaum verändert. Lediglich die Erscheinungsformen haben sich gewandelt, Schwerpunkte wurden im Laufe der Jahre anders gesetzt. Zum typischen Erscheinungsbild des Rechtsextremismus gehören traditionell folgende wesentliche Merkmale: * Ein Nationalismus, für den nur die deutschen Interessen als Richtschnur gelten, D eine Volksgemeinschaft auf rassischer Grundlage, die die Rechte des einzelnen beliebig einschränkt und pluralistische Strukturen beseitigt, ü eine aggressive Fremdenfeindlichkeit als Ergebnis eines wiederbelebten Rassismus und Antisemitismus, * die mangelnde Distanz zum "Dritten Reich", die von Verharmlosung bis zur Verherrlichung des Nationalsozialismus reicht, und * die Diffamierung der demokratischen Institutionen und ihrer Repräsentanten. Diese Kriterien bestimmten die Ziele und das Handeln rechtsextremistischer Gruppen auch im Jahr 1996. Allerdings versuchen Rechtsextremisten, zunehmend durch demonstrative Bekenntnisse zum Grundgesetz, Mäßigung im öffentlichen Auftreten und durch juristische Überprüfung von zur Veröffentlichung vorgesehenen Texten ihre wahren Absichten zu verschleiern. Wie bereits 1995 ist auch 1996 ein weiterer Rückgang rechtsextre- R e c h t s e x t r e m i s m u s mistisch motivierter Gewalttaten auf Bundesebene zu verzeichnen, bundesweiwährend gleichzeitig die sonstigen rechtsextremistisch motivierten ter Anstieg Straftaten und das Potential gewaltbereiter rechtsextremistischer gewaltbereiPersonen erneut zugenommen haben. Im Bundesgebiet stieg die Zahl ter Rechtsgewaltbereiter Rechtsextremisten von 6.2003 im Jahr 1995 auf nunextremisten mehr 6.4003. Die Entwicklung in Baden-Württemberg wich hiervon teilweise ab: Zwar gingen die rechtsextremistisch motivierten Straftaten von 681 4 Delikten im Jahre 1995 auf 5984 Delikte im Jahre 1996 ebenso wie die Zahl der fremdenfeindlichen Straftaten (1995: 234\ 1996: 2204) zurück; demgegenüber stieg die Zahl der Gewalttaten von 274 im Jahre 1995 auf nunmehr 4 0 \ davon 164 fremdenfeindlich motivierte (1995: 194). Gleichzeitig ist auch ein Anstieg beim gewaltbereiten Personenpotential von 450 (1995) auf 490 zu verzeichnen, resultierend aus einer zahlenmäßigen Zunahme rechtsextremistischer Skinheads. Diese Entwicklung der Gewalttaten ist damit allein aber nicht zu erklären. Einerseits ist grundsätzlich eine zunehmende Brutalisierung und Verrohung im Zusammenhang mit Gewalttätigkeiten festzustellen. Andererseits zeigt sich diese Zunahme an Gewaltbereitschaft und Brutalisierung besonders deutlich in Randbereichen der rechtsextremistischen Skinheadszene und in Jugendgruppen, die über keine ausgeprägte Affinität zu rechtsextremistischem Gedankengut verfügen. Gängige Vorurteile und ein dumpfer Rechtsextremismus sind vielfach Anlaß, mitunter aber auch nur vorgeschobene Erklärung für Gewalttätigkeiten, die sich unvermittelt und zum Teil wahllos gegen zufällige "Aggressionsopfer" richten. Die neonazistische "Szene" zeigte sich 1996 in Baden-Württemberg zahlenmäßig unverändert. Die Auflösung der Strukturen durch die Vereinsverbote der letzten Jahre und die neue Strategie einer "Organisierung ohne Organisation" hat sich aus Sicht der "Szene" bewährt. Die erwartete weitere Zersplitterung des neonazistischen Spektrums, verbunden mit einer Lähmung der Handlungsfähigkeit, blieb aus. Moderne Kommunikationsmittel und die Autorität ein- 3 Zahlen des Bundesministeriums des Innern 23 4 Zahlen des LKA Baden-Württemberg (für 1995 bereinigt) zelner lokaler "Führer" konnten diesen Mangel offensichtlich ausgleichen. Die Folge davon waren erfolgreiche Mobilisierungskampagnen zu bestimmten, für die Neonaziszene wichtigen, weil Gemeinschaft stiftenden Ereignissen (z.B. Rudolf-Heß-Gedenkmarsch). Mitgliedschaften in rechtsextremistischen Organisationen in Deutschland und Baden-Württemberg im Zeitraum 1994 -1996 Rechtsextremismus 1994 1995 1996 Land Bund Land Bund Land Bund Rechtsextremistische Skinheads und sonstige 400 5.400 450 6.200 490 6.400 gewaltbereite Zirkel Neonazistische Parteien/ Organisationen und Ein340" 3.740 340 2.480 340 2.690 zelpersonen hiervon: FAP 2) 15 430 Rechtsextremistische Parteien 5.6003" 45.550 4.9003* 35500 4240" 33500 hiervon: DVU 2.700 20.000 2.200 15.000 1.900 15.000 REP 2.100 20.000 2.000 16.000 1.900 15J000 NPD 600 4.500 550 4.000 440 3.500 DLVH 170 900 130 900 Sonstige rechtsextremistische Organisationen 140 2.780 4 ) 110 2660*" 210 5 ) 3.7005" Summe der Mitgliedschaften 6.480 57.470 5.800 47240 5.280 46290 Tatsächliche Mitgliederzahl nach Abzug der Mehrfach6.350 56.600 5.635 46.100 5.170 45300 mitgliedschaften Grafik: LfV BW " einschließlich der am 10.11.1994 verbotenen "Wiking-Jugend" (WJ) 2 > am 24.2.1995 verboten 3 > einschließlich JN und NHB 41 einschließlich Studentenund Jugendorganisationen " einschließlich DLVH (Aufgabe des Parteistatus) sowie Studentenund Jugendorganisationen 24 Rechtsextremismus Die Situation der rechtsextremistischen Parteien ist differenziert zu rückläufige betrachten. Alle verzeichneten den seit Jahren niedrigsten MitgliederMitgliederstand - die "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) entwicklung gab ihren Parteistatus sogar ganz auf. Andererseits konnten die bei recktsex"Republikaner" im März 1996 erneut in den baden-württembergitremistischen sehen Landtag einziehen. Parteien Die Entmachtung von Günter DECKERT als Bundesvorsitzender der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) im Herbst 1995 führte nicht zu der erwarteten existentiellen Krise der Partei, sondern bescherte ihr geradezu einen unerwarteten Aufschwung. Neben der finanziellen Konsolidierung durch eine Erbschaft in Eningen unter Achalm führten der Aktionismus ihrer Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) sowie der neue Kurs einer Annäherungspolitik an die Neonazis zu einem Motivationsschub und zu deutlich mehr Präsenz in der Öffentlichkeit. Entwicklung der Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation in Deutschland im Zeitraum 1985 -1996 D gesamt * fremdenfeindlichl 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 Grafik: LfV BW 25 2. Gewalttaten mit erwiesenem oder vermutetem rechtsextremistischem Hintergrund 2.1 Häufigkeit und Zielrichtung rechtsextremistisch beeinfiußter Gewalt Wie schon in den beiden Vorjahren war auch 1996 eine erneute Veranhaltender ringerung der rechtsextremistisch und fremdenfeindlich motivierAbwärtsten Gewalt zu verzeichnen. Bundesweit gingen die Gewalttaten - trend also Tötungsdelikte, Brandund Sprengstoffanschläge, Landfriedensbrüche, Körperverletzungen und schwere Sachbeschädigungen - von insgesamt 8375 im Jahr 1995 auf 781 5 zurück, wobei der Anteil der fremdenfeindlichen Gewalttaten von 5405 im Jahr 1995 auf 441 5 im Jahr 1996 abnahm. Fremdenfeindliche und rechtsextremistische Straftaten in Deutschland und Baden-Württemberg im Jahr 1996 fremdenfeindliche sonstige rechtsextremistiRechtsextremismus Straftaten sche Straftaten (einschließlich Taten mit antisemitischer Zielsetzung) 1996 (1995) 1996 (1995) Baden-Württemberg 220 (234)" 378 (447)" 21 Bund 2232 (2468) 6498 (5428)2; " Zahlen des LKA Baden-Württemberg (für 1995 bereinigt) 2) Zahlen des Bundesministeriums des Innern Demgegenüber präsentiert sich die Entwicklung in Baden-Württemberg teilweise abweichend. Während 1995 nur 276 gewalttätige Aktionen zu verzeichnen waren, wurden 1996 406 Taten erfaßt, darunter 26 versuchte Tötungsdelikte; demgegenüber sank die Zahl der fremdenfeindlich motivierten Gewaltdelikte erfreulicherweise von 196 Delikten im Jahre 1995 auf 16" Delikte 1996. 26 Zahlen des Bundesministeriums des Innern Zahlen des LKA Baden-Württemberg (für 1995 bereinigt) Rechtsextremismus Fremdenfeindliche Straftaten in Baden-Württemberg im Zeitraum 1992 -1996 150 200 250 1 Zahlen des LKA Baden-Württemberg (für 1995 bereinigt) Insgesamt ist bei dieser Entwicklung aber zu berücksichtigen, daß die Anzahl der Gewalttaten bundesund landesweit erheblich unter das Niveau des Jahres 1991 gesunken ist, das mit bundesweit 1.4927 Delikten (Land: 928) den Beginn einer Welle von teilweise brutalster und menschenverachtender Gewalt über mehrere Jahre hinweg signalisierte. Opfer dieser Gewaltwelle, die ihren Höhepunkt im Jahre 1992 erreichte (Bund: 2.6397 Taten, Land: 2818), waren insbesondere Ausländer und Asylbewerber. Angesichts der bundesweiten Zunahme rechtsextremistisch motivierter Straftaten insgesamt um knapp 16 % von 1995 bis 1996 ist es um so erfreulicher, daß die Zahl der Gewalttaten gegen Fremde im selben Zeitraum um über 18 % abgenommen hat. Offensichtlich wirkt sich der Umstand aus, daß Gewalt gegen ausländische Mitbürger mittlerweile einer breiten öffentlichen Ächtung unterliegt und gewaltgeneigte Täter somit keinerlei positive Resonanz in der Bevölkerung erfahren. * Zunehmende Gewaltbereitschaft am Rande der rechtsextremistischen Skinheadszene Gerade bei Jugendlichen können sich Arbeitslosigkeit und das Gefühl, sozial benachteiligt und in der Gesellschaft nicht gebraucht zu werden, oft verheerend auswirken. Wenn auch die Hilfen des Elternhauses nicht mehr angenommen bzw. versagt werden, bleibt oft nur die Gruppe Gleichgesinnter als einziger Halt. Wenn in dieser Clique dumpfer Rechtsextremismus vorhanden ist, kann eine gefährliche Gemengelage entstehen. Diese, gepaart mit Entwurzelung und Bindungslosigkeit, führt zur Mißachtung gesellschaftlicher Regeln und läßt Hemmschwellen fallen. Gewalt entlädt sich oft wahllos. Schlimmstes Beispiel dafür war ein Raubmord, der sich in der Nacht zum 20. Juli 1996 am Bahnhof von Eppingen/Krs. Heilbronn ereignete. Zehn tatverdächtige junge Leute im Alter von 15 bis 22 Jahren schlugen und traten wiederholt solange auf einen von der 7 Zahlen des Bundesministeriums des Innern 8 Zahlen des LKA Baden-Württemberg (für 1995 bereinigt) Rechtsextremismus Schicht kommenden Arbeiter ein, bis dieser schwerverletzt liegenblieb. Schließlich stülpten ihm die Täter eine Plastiktüte über das Gesicht, wonach er starb. Das Opfer wurde von den Jugendlichen außerhalb der Stadt in ein Gebüsch geworfen, wo es zwei Tage später gefunden wurde. Sieben der Tatverdächtigen waren dem Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg mit Randerkenntnissen bekanntgewesen. Sie gehörten keineswegs zu den führenden Personen der Neonazioder Skinszene und waren in den Beispiele letzten Jahren in politisch-extremistischer Hinsicht kaum auffällig geworden. Typisch für diese Art von Gewalt ist, daß von Rechtsextremisten nicht mehr die Vertreter bestimmter Feindbilder wie Ausländer, Farbige, "Linke", "Schwule" angegriffen werden, sondern jedermann als Zufallsopfer betroffen sein kann. Solche Gewaltexzesse, wenngleich mit weniger gravierenden Folgen, konnten 1996 wiederholt in Baden-Württemberg festgestellt werden. So wurden im Juli in Überlingen mehrere Jugendliche und im September ein angeblicher "Linker" in Filderstadt-Bernhausen von Personen der Skinhead-Randszene grundlos zusammengeschlagen. Außerdem erschienen Skinheads oder Personen der SkinheadRandszene uneingeladen auf privaten Feiern. Proteste beantworteten sie mit tätlichen Auseinandersetzungen und Sachbeschädigungen. In den bekanntgewordenen Fällen kann festgestellt werden, daß bei diesen Jugendlichen Haß, Gewalt und Alkohol eine Hauptrolle im Leben spielen. Sie sind offenkundig sozial kaum integrierbar. Dieses Phänomen trifft auf die "traditionellen" Skinheads, die in der Mehrzahl Arbeitsplätze und Lehrstellen anstreben, in solch einem Maße nicht zu. Die Entwurzelung ist allerdings auch nicht typisch für die Skinoder Neonaziszene, sondern stellt ein Problem der modernen Industriegesellschaft dar, wie auch andere Beispiele belegen (Gewalt an Schulen, Drogenproblematik, jugendliche Allgemeinkriminalität, Bandenkriminalität). Ein Teil dieser orientierungslo29 sen Jugendlichen findet sich auch im Randbereich der Skinheadszene wieder. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit trägt zur Verschärfung des Gewaltproblems bei, das entscheidend weder mit dem repressiven Druck der Polizei noch mit den präventiven Möglichkeiten des Verfassungsschutzes gelöst werden kann, da die Wurzeln in familiären und gesellschaftlichen Defiziten zu suchen sind. Arten der Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation in Deutschland und Baden-Württemberg1' im Jahr 1996 Zahlen des LKA Baden-Württemberg Die Zahl beinhaltet alle vollendeten und versuchten Tötungsdelikte (im Bundesgebiet ein vollendetes und 12 versuchte Tötungsdelikte, in Baden-Württemberg zwei versuchte Tötungsdelikte) 30 R e c h t s e x t r e m i s m u s * Die Tatarten im einzelnen: * Tötungsdelikte 1996 kam es in Baden-Württemberg zu 29 versuchten rechtsextremistischen Tötungsdelikten, l 9 davon fremdenfeindlich motiviert. 1995 wurde keine9 derartige Tat begangen. Bundesweit waren l 10 Tötungsdelikt (1995: 010) und 1210 versuchte Tötungsdelikte (1995: 1010) zu verzeichnen. * Beispiele aus Baden-Württemberg: In der Nacht zum 7. September 1996 beschimpfte eine Gruppe rechtsextremistischer Skinheads einen 29jährigen Mann, der in einem Campingbus auf dem Parkplatz des Jugendzentrums "Z" in Filderstadt-Bernhausen lebt, als "Zecke", schlug diesen zusammen und verletzte ihn schwer. Die Polizei ermittelte 12 Tatverdächtige und geht inzwischen von einem versuchten Totschlag aus. Zwei der Beschuldigten seien als Haupttäter anzusehen. Sechs der Jugendlichen waren bislang in rechtsextremistischer Hinsicht nicht aufgefallen. Am 22. Januar 1997 wurden die Wohnungen von 7 Tatverdächtigen durchsucht. Die Polizei stellte u. a. verschiedene Gegenstände sicher, die einer waffenrechtlichen Prüfung unterzogen werden. Gegen 5 Männer erließ die Staatsanwaltschaft Stuttgart Haftbefehle, die in 4 Fällen vollstreckt wurden. In der Nacht zum 25. November 1996 begab sich ein 18jähriger zu Fuß zum Asylbewerberheim in Winterlingen/Zollernalbkreis mit dem Vorsatz, es in Brand zu setzen. Nachdem das Feuer an einem von ihm angezündeten Kunststoffteil, das er im Eingangsbereich des Hauses abgelegt hatte, jedoch erlosch, warf er einen ebenfalls mitgebrachten Stein in eines der Fenster und flüchtete. Als Motiv nannte der Täter, gegen den wegen versuchter schwerer Brandstiftung und versuchten Mordes ermittelt wird, Ausländerfeindlichkeit. *111 Zahlen des LKA Baden-Württemberg (für 1995 bereinigt) Zahlen des Bundesministeriums des Innern J Brandund Sprengstoffanschläge In Baden-Württemberg wurden 1996 3 " fremdenfeindlich motivierte Brandanschläge begangen, 1995 kam es ebenfalls zu 3 " derartigen Taten. Bundesweit waren 1996 33 12 Delikte festzustellen gegenüber 4 5 n im Jahr 1995. * Beispiele aus Baden-Württemberg: Am 24. Mai 1996 entschlossen sich 2 Jugendliche in Blaufelden/ Krs. Schwäbisch Hall nach vorangegangenem Streit mit Ausländern, gegen das dortige Asylbewerberwohnheim einen Molotowcocktail zu werfen, der glücklicherweise jedoch keinen Schaden verursachte. Als Motiv gaben die geständigen Täter einen Racheakt gegen Ausländer an. In der Nacht zum 20. Juni 1996 steckten unbekannte Täter in AaAnschläge len-Hofherrnweiler die Haustür eines Wohngebäudes in Brand. Es gegen Ausgelang den Bewohnern, das Feuer selbst zu löschen. In dem Anweländer sen wohnen italienische Staatsangehörige, so daß die Polizei von einer fremdenfeindlichen Straftat ausgeht. Am späten Abend des 4. September 1996 versuchte ein strafunmündiger Täter mittels Brandbeschleuniger, das Asylbewerberwohnheim in Bitz/Zollernalbkreis in Brand zu setzen. Außerdem sprühte er an die Fassade SS-Runen und Hakenkreuze. * Landfriedensbruch Im Jahr 1996 waren in Baden-Württemberg 312 Fälle von Landfriedensbruch festzustellen, während es 1995 zu keinem12 derartigen Delikt gekommen war. Im Bundesgebiet stieg die Zahl solcher Gewalttaten von 48" im Jahr 1995 auf 7 1 " im Jahr 1996 an. 1 32 ' Zahlen des Bundesministeriums des Innern 12 Zahlen des LKA Baden-Württemberg (für 1995 bereinigt) R e c h t s e x t r e m i s m u s * Beispiele aus Baden-Württemberg: Insgesamt sieben Personen, die alle der Skinheadszene zuzurechnen sind, begaben sich am frühen Morgen des 10. Februar 1996 nach ausgiebigem Alkoholgenuß zum Jugendhaus nach Biberach, traten die Tür ein und verwüsteten in einem im Erdgeschoß gelegenen Büro nahezu die gesamte Einrichtung. Im Anschluß daran wollte die Gruppe in einem nahegelegenen Lokal Getränke zu sich nehmen. Als dies verweigert wurde, schlug einer der Täter einem Gast ins Gesicht, worauf die Gruppe flüchtete. Die Skinheads wurden ermittelt und wegen Sachbeschädigung zu Bewährungsstrafen verurteilt, zwei wurden freigesprochen. Am Abend des 11. Mai 1996 warteten 1 0 - 1 5 Jugendliche, die ein Konzert einer Jugendband besucht hatten, an einer Haltestelle in Lichtenstein-Holzelfingen/Krs. Reutlingen auf den Bus. Plötzlich stürmten mehrere rechtsextremistische Skinheads, die teilweise mit Schlagwerkzeugen bewaffnet waren, auf die Wartenden zu, schlugen auf sie ein und riefen volksverhetzende Parolen. Elf Täter konnten ermittelt werden; sie wurden angezeigt. Das Ermittlungsverfahren dauert noch an. Am 22. November 1996 zog eine 8-köpfige Skinheadgruppe durch Ravensburg und skandierte Parolen wie "Sieg Heil!", "Heil Hitler!" und "Ausländer raus!". Im weiteren Verlauf kam es schließlich in der Innenstadt zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit einer ca. 15 Personen umfassenden Gruppe Unbekannter. 5 Skinheads wurden verletzt. Beim Eintreffen der Polizei waren lediglich noch einige "Skins" anzutreffen, die anderen Personen waren geflüchtet. * Körperverletzung Während 1995 im Land noch 2 2 " (Bundesgebiet: 50914) Fälle von Körperverletzung verzeichnet worden waren, stieg die Zahl im Jahr 1996 auf 2613 (Bundesgebiet: 50714). 13 Zahlen des LKA Baden-Württemberg (für 1995 bereinigt) 14 Zahlen des Bundesministeriums des Innern ü Beispiele aus Baden-Württemberg: Ein rechtsextremistischer Skinhead erhob am 19. Januar 1996 in Ettenheim/Ortenaukreis bei einer Fastnachtsveranstaltung die Hand zum Hitler-Gruß und schrie "Sieg Heil". Als ihn ein Jugendlicher daraufhin kritisierte, versetzte er diesem einen Faustschlag ins Gesicht. Danach brach eine tätliche Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen von Jugendlichen aus. Der Schläger wurde im August 1996 zu Freizeitarrest verurteilt. Anläßlich der sogenannten Freinacht vom 20. auf den 21. Januar 1996 in Überlingen, bei der auch mehrere rechtsextremistische Skinheads im Stadtgebiet zusammentrafen, kam es zwischen ihnen und Ausländern zu einer tätlichen Auseinandersetzung. Gegen vier Skinheads wurde wegen gefährlicher Körperverletzung und anderer Delikte Anklage erhoben. Ein Urteil ist noch nicht ergangen. Am 27. Januar 1996 kam es im Jugendhaus in Biberach zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei Skinheads und anderen Besuchern, in deren Verlauf ein Jugendlicher von den Skinheads zusammengeschlagen und durch eine Glastür geworfen wurde. Die Skinheads wurden angezeigt. Drei Unbekannte beleidigten am 23. März 1996 in Stuttgart einen Mann aus Äthiopien mit "Scheißneger"; von einem der drei wurde er mit der Faust ins Gesicht geschlagen, woraufhin er bewußtlos zu Boden ging. Am 24. Mai 1996 begegnete ein Mann in Karlsruhe drei unbekannten Skinheads, die ihn in volksverhetzender Weise beschimpften. Nachdem er auf seine deutsche Staatsangehörigkeit hingewiesen hatte, schubsten sie ihn herum, bis es schließlich zu Tätlichkeiten kam, in deren Verlauf sie ihn mit Springerstiefeln ins Gesicht traten. Anläßlich des Europameisterschaftssiegs der deutschen Fußballnationalmannschaft begaben sich eine junge Frau und ihr Begleiter Rechtsextremismus am 30. Juni 1996 in die Ortsmitte von Dettenhausen/Krs. Tübingen, um dort mit anderen Jugendlichen zu feiern. Nach ihrem Eintreffen wurde die junge Frau sogleich - offensichtlich wegen ihrer schwarzen Hautfarbe - beleidigt und am Mitfeiern gehindert. Als sich ihr Freund dagegen wehrte, kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung, in deren Verlauf er von vier Tätern verfolgt und verprügelt wurde. Ein Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet. Am 5. Juli 1996 begaben sich sieben Skinheads uneingeladen zu einer privaten Geburtstagsparty nach Backnang-Steinbach, konsumierten Getränke, verteilten und verkauften rechtsextremistisches Propagandamaterial. Mit zunehmendem Alkoholgenuß kam es zu Provokationen dieser Gruppe, die schließlich in körperlichen Übergriffen endeten. Die Gäste wurden gestoßen, geschlagen und getreten, die Angreifer riefen hierbei Parolen wie "Sieg Heil" und "Heil Hitler". Das Ermittlungsverfahren dauert noch an. Am 14. Juli 1996 erschien, ohne eingeladen gewesen zu sein, ein Skinhead zusammen mit mehreren Freunden zu einer privaten Festlichkeit in Markgröningen/Krs. Ludwigsburg. Er bedrohte die Feiernden, schlug einem Gast ins Gesicht und beleidigte die weiblichen Anwesenden. Als er von der Polizei in Beseitigungsgewahrsam genommen werden sollte, leistete er heftigen körperlichen Widerstand. Das Verfahren ist noch bei der Staatsanwaltschaft anhängig. In der Nacht zum 28. September 1996 betraten drei Jugendliche eine Asylbewerberunterkunft in March-Holzhausen/Krs. BreisgauHochschwarzwald. Als sie in einem unverschlossenen Zimmer zwei schlafende Schwarzafrikaner entdeckten, nahmen sie einen Feuerlöscher von der Wand und versprühten das Pulver in deren Zimmer, wodurch die Afrikaner Verletzungen der Atemwege erlitten. Das Ermittlungsverfahren dauert an. Am 25. Oktober 1996 wurde eine Personengruppe, darunter auch rechtsextremistische Skinheads, beim Schiffslandungsplatz in Überlingen von der Polizei kontrolliert. Ein Skinhead störte diese Maßnahme durch Zwischenrufe. Als er rechtsextremistische Parolen rief, wurde er in Gewahrsam genommen. Hiergegen wehrte er sich heftig und verletzte dabei einen Polizeibeamten. Unter Skandieren von Parolen wie "Heil Hitler", "Juden verreckt" und nach schwerer Beleidigung der Beamten wurde er festgenommen und aufs Revier gebracht. Das strafrechtliche Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Ein Schwarzafrikaner, der sich in der Nacht zum 5. November 1996 in Esslingen auf dem Nachhauseweg befand, wurde von 3 Unbekannten zunächst beleidigt und schließlich bewußtlos geschlagen. Die Verletzungen machten einen kurzzeitigen Krankenhausaufenthalt erforderlich. In der Nacht zum 15. November 1996 wurde ein im Stadtgebiet von Göppingen nächtigender Obdachloser von einem angetrunkenen Skinhead geweckt, der ihn anpöbelte und Geld forderte. Im weiteren Verlauf trat er dem Obdachlosen unvermittelt mit seinen mit Stahlkappen versehenen Schuhen mehrmals ins Gesicht. Das Opfer erlitt Platzwunden und Prellungen und mußte mehrere Tage im Krankenhaus stationär behandelt werden. Das Verfahren ist bei der Staatsanwaltschaft Göppingen anhängig. * Sachbeschädigungen mit Gewaltanwendung 1996 wurden in Baden-Württemberg 415 entsprechende Straftaten verübt (1995: 215). Bundesweit ging die Zahl dieser Delikte auf 15716 gegenüber 22516 im Jahr 1995 zurück. * Beispiele aus Baden-Württemberg: Am 28. Januar 1996 verübten unbekannte Täter in BacknangHeiningen einen Brandanschlag auf den PKW des "Sozialen Friedensdienstes". Das linksalternativ orientierte Zielobjekt läßt vermuten, daß der Anschlag von politischen Gegnern, also Rechtsextremisten, verübt wurde. Am späten Abend des 3. Februar 1996 schlugen unbekannte Täter in Neckargemünd mit Baseballschlägern gegen die Rolläden der 15 Zahlen des LKA Baden-Württemberg (für 1995 bereinigt) 16 Zahlen des Bundesministeriums des Innern Rechtsextremismus dortigen Asylbewerberunterkunft und beschädigten die Satellitenantenne. In der Nacht vom 18. auf den 19. Februar 1996 war die Asylbewerberunterkunft in Neckargemünd erneut Ziel eines Anschlags. Unbekannte Täter schoben den Rolladen eines Fensters hoch und schlugen die Scheibe ein. Im Zeitraum 1. bis 18. April 1996 kam es zu einer Friedhof Schändung Friedhofsin Adelsheim-Sennfeld/Neckar-Odenwald-Kreis. Unbekannte TäSchändung ter warfen auf dem dortigen jüdischen Friedhof Grabsteine um und beschädigten den Zaun. 2.2 Größe der rechtsextremistisch beeinflußten Gewaltszene Im Jahr 1996 hat sich der schon 1995 zu beobachtende Trend einer zahlenmäßigen Zunahme gewaltbereiter Rechtsextremisten fortgesetzt. Während im Vorjahr noch von etwa 450 Personen (Bund: 6.20017) auszugehen war, ist 1996 das Potential mit ungefähr 490 (Bund: 6.40017) zu beziffern. Der größte Teil dieses Gewaltpotentials gehört der rechtsextremiAnteil von stischen Skinheadszene an, die 1996 mit rund 430 Personen im VerSkinheads an gleich zu 1995 mit ca. 390 Personen abermals einen zahlenmäßigen rechtsextreAnstieg zu verzeichnen hat. mistischer Skinheads werden grundsätzlich als gewaltbereit eingestuft, auch Gewaltszene wenn sie im Einzelfall keine konkrete Gewalttat verübt haben. Geunverändert walt gehört jedoch zu deren Lebensstil, so daß stets eine latente hoch Gefahr von diesem Kreis ausgeht. 2.3 Rechtsextremistische Skinheads * Größenordnung, Erscheinungsbild, soziologische Daten Die Zahlen über die rechtsextremistische Skinheadszene zeigen, daß deren Anziehungskraft für viele Jugendliche unverändert groß ist. Offenbar verkörpern Outfit, Musik, Geisteshaltung und Art der Frei17 Zahlen des Bundesministeriums des Innern 37 Zeitgestaltung der Skinheads das Lebensgefühl zahlreicher junger Menschen. Dabei werden jedoch nicht durchgängig die skintypischen äußeren Merkmale wie Glatze, Doc-Martens-Schnürstiefel, Bomberjacke, T-Shirt (möglichst mit Szenemotiven bedruckt) und breite Hosenträger zur Schau getragen. Viele Angehörige dieser "Szene" vermeiden inzwischen ein solches Auftreten in der Öffentlichkeit, weil sie Repressalien fürchten. Gemeinsam ist jedoch allen, nicht nur den rechtsextremistischen Skins, eine unverändert hohe Gewaltbereitschaft, exzessiver Alkoholkonsum und spontanes, oft gewalttätiges Handeln - auch untereinander. starke FlukEbenso typisch ist die hohe Fluktuation innerhalb der Skinszene. tuation in der Viele Jugendliche schnuppern nur kurzfristig hinein. Andere wieSkinheadszene derum, die der "Szene" über längere Zeit angehören, wachsen spätestens dann, wenn sie das 25. Lebensjahr überschritten haben, langsam aus diesem Kreis heraus, der fast ausschließlich ein Phänomen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist. Deutlich unterrepräsentiert sind hierbei Mädchen und junge Frauen: nur etwa 65 der ca. 430 Skins in Baden-Württemberg (das entspricht ca. 15%) sind "Renees" (weibliche Skinheads). Altersstruktur der rechtsextremistischen Skinheadszene in Baden-Württemberg im Jahr 1996 > 30 Jahre 25-30 Jahre j o/0 16 und 17 Jahre 15 % 14 % (^ ~~ '------\~--~~~~~~^~ ^ i ^ _ _ _ _ _ _ ^ 18-24 Jahre 70% Gi afik: LfV BW 38 Rechtsextremismus * Struktur Die Skinheadszene stellt sich grundsätzlich als eine Anzahl loser Personenzusammenschlüsse in regionalen Bereichen dar. Feste Strukturen existieren nicht. Eine Ausnahme bildete der im September 1995 in Mindelheim/Bayern unter Beteiligung von Skinheads aus Baden-Württemberg gegründete Verein "Skinheads Allgäu e.V." mit Sitz in Pfronten. Am 30. Juli 1996 wurde der etwa 40 Mitglieder umfassende Verein vom Bayerischen Staatsministerium des Innern verboten, da dessen Ziele den Strafgesetzen zuwiderliefen und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie den Gedanken der Völkerverständigung richteten. Gleichzeitig wurden die Wohnungen mehrerer Vorstandsmitglieder in Bayern durchsucht und dabei u.a. neonazistisches Propagandamaterial beschlagnahmt. Über ein Netz persönlicher Verbindungen bleiben die jeweiligen örtlichen Skinzirkel miteinander in Verbindung. Informationen aller Art werden auf diese Weise bis ins benachbarte Ausland weitergegeben, insbesondere Termine für Skinkonzerte. Konzertbesuche stellen die zentrale und überregional verbindende Aktivität der Skinheads dar. U Skinhead - Musikgruppen Während 1995 dem bundesweiten Trend entsprechend auch in Baden-Württemberg mehr Skinkonzerte veranstaltet wurden als im Jahr 1994, fand 1996 keine derartige Veranstaltung im Land statt. Dagebundesweiter gen ist auf Bundesebene ein weiterer Anstieg zu verzeichnen, der Anstieg von insbesondere auf eine stetige Zunahme von Skinkonzerten in den Skmkonzerten neuen Bundesländern zurückzuführen ist. 1996 wurden mit 68 doppelt"so viele Veranstaltungen bekannt wie im Vorjahr. Sowohl bei privaten Feiern der rechtsextremistischen Skinheadszene als auch bei größeren Treffen in Szenelokalitäten wird Skinmusik "aus der Konserve" gespielt. Dort ist nach wie vor auch älteres, be- reits indiziertes Liedgut zu hören. Die aufgeheizte Stimmung begünstigt Straftaten, überwiegend Propagandadelikte wie "Sieg Heil"Rufe und das Zeigen des Hitler-Grußes. An den überregionalen Konzerten in anderen Bundesländern nahmen etliche Skinheads aus Baden-Württemberg teil. Im Land ansässige Bands wie "TRIEBTÄTER" (Mutlangen), "FOIERSTOß" (Gernsbach) und "NOIE WERTE" (Leonberg) absolvierten zahlreiche Auftritte. Insbesondere die Band "NOIE WERTE" war 1996 sehr aktiv. Durch ihre Nähe zur "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) und ihrer Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) spielte sie auf mehreren Veranstaltungen, deren Organisatoren der NPD/JN angehören. So erfolgte z. B. im März 1996 in Bad Durkheim (Rheinland-Pfalz) ein Auftritt vor ca. 200 Besuchern bei einer als Wahlkampfveranstaltung deklarierten Versammlung der NPD. Ferner nahm die Band an Konzerten außerhalb Baden-Württembergs teil, die von dem rassistischen Skinheadzusammenschluß "Blood & Honour"18 organisiert worden waren. Rückläufig war auch 1996 in Baden-Württemberg die Produktion von Tonträgern. So veröffentlichten lediglich die Bands "NOIE WERTE" sowie "FOIERSTOß" jeweils eine neue CD. Dabei achtete man wie in den letzten Jahren darauf, die Inhalte zwar eindeutig, aber ohne strafrechtliche Relevanz zu formulieren. Deutlich wird das in folgenden Textbeispielen: "Kennst Du das Land wo man Soldaten zu Verbrechern macht und die beschmutzt, die fielen für ihr Land in der Schlacht. Kennst Du das Land wo man Unsinn in den Schulen lehrt und es keinen gibt, der sich dagegen wehrt. Refrain: Kennst Du dieses Land - Deutschland wird es genannt." (aus dem Lied "Kennst Du das Land" der CD "Sohn aus Heldenland", "NOIE WERTE" - Fehler im Original) 18 "Blood & Honour" wurde Mitte der achtziger Jahre in Großbritannien von einem Mitglied der rechtsextremistischen "National Front" ins Leben gerufen. Die Organisation hat sich dem "Erhalt der weißen Rasse und Kampf gegen Kommunisten, Linke, Juden und Ausländer" verschrieben. Aktivitäten in Baden-Württemberg sind nicht Rechtsextremismus "Die Martens nie wirklich ausgezogen, haben wir uns doch nie selbst betrogen. Wir stehen zu dem, was wir sind, wir drehen die Nase nicht nach dem Wind. Die Haare so kurz wie all die Jahre, sind wir die, die wir früher waren. Die Hatz gegen uns ist gleich geblieben, doch den Stolz in uns wird sie nicht besiegen. In diesem Land sind wir geboren, stolz und Ehre nicht verloren ! Wir sind noch wie vor all den Jahren, mit Dr. Martens und kurzen Haaren. Refrain: Wir sind, was wir sind !" (Lied "Wir sind, was wir sind" der CD "Sohn aus Heldenland", "NOIE WERTE" - Fehler im Original) U Publikationen und Versandhandel Ein weiteres maßgebliches Kommunikationsmittel stellen die sogenannten Fanzines dar, szeneinterne Infoblätter, die in Eigenarbeit hergestellt werden und Konzertbesprechungen, CD - bzw. Plattenkritiken, Szeneklatsch, Interviews mit Skinbands und Besprechungen anderer Fanzines enthalten. In Baden-Württemberg wurden zwei regelmäßig erscheinende Publikationen Fanzines verbreitet: das seit Ende 1995 erscheinende Infoblatt "Doitsche Offensive" aus Mannheim und das Fanzine "A.f.D." (vermutlich "Alles für Deutschland") aus Weinstadt. Inzwischen enthalten die Fanzines - im Vergleich zu Schriften früherer Jahre - keinerlei strafbare Inhalte mehr. Auf verfassungswidrige Kennzeichen wie Hakenkreuze und volksverhetzende Äußerungen wird bewußt verzichtet, um keine Strafverfolgung zu provozieren. Da Skinmusik, Skin-T-Shirts und -abzeichen nicht im offenen Verkauf erworben werden können, hat sich ein spezieller VersandhanVersandhandel del auf diesen Käuferkreis konzentriert. Betreiber dieser Vertriebe sind zumeist selbst Rechtsextremisten. In Baden-Württemberg existieren seit der Schließung des "ESV (Endsieg-Verlag) - Der etwas andere Versand" aus Bruchsal im Jahr 1994 und der 1995 erfolgten 41 Übersicht über rechtsextremistische SkinheadMusikgruppen, Versandhandel und Fanzines in Baden-Württemberg Versand, Verlag Tonstudio Publikationen Musikgruppe Grafik: LfV BW Stand: Dezember 1996 Rechtsextremismus Aufgabe des Nachfolge-Vertriebs "Verlag V 88" (in der "Szene" auch "Vergeltung [V] Heil Hitler" [8. Buchstabe im Alphabet ist das H] genannt) nur noch einige kleine und weniger bedeutende Firmen: "Clockwork - Records" in Ulm, "G.B.F. - Records/Hammer" in Stuttgart (G.B.F. = German-British-Friendship) und "Germania Tonträger - Vertrieb" in Weinheim. Dagegen bieten größere Betriebe außerhalb von Baden-Württemberg ein reichhaltiges Sortiment von Skinmaterial an. Vor allem bei ausländischen Firmen, z. B. aus Dänemark, können Artikel geordert werden, die nach deutschen Strafgesetzen verboten sind. ü Schwerpunkte Skinheadcliquen gibt es in nahezu allen Regionen Baden-Württembergs in unterschiedlicher Größe und Zusammensetzung. Die "Szene" ist aber ausgesprochen mobil und entfaltet ihre Aktivitäten nicht hohe unbedingt vor Ort. Mobilität Treffpunkte sind neben bundesweiten Skinkonzerten vor allem skintypische Lokale oder Diskotheken, zu denen man - vor allem an Wochenenden - auch von weit her anreist. Im Sommer werden mit Vorliebe Grillund "Saufparties" abgehalten. Ein beliebter Skintreff war bis zu einer Razzia im August 1996 eine Diskothek in Altlußheim/Rhein-Neckar-Kreis, in der die Skins einmal monatlich unter sich waren. Bis zu 100 Personen - in der Mehrzahl sehr junge Skins - aus dem Großraum Karlsruhe, dem benachbarten Rheinland-Pfalz und dem Saarland kamen hier zusammen. Einen ähnlichen Zulauf hatte Anfang des Jahres auch eine Gaststätte in Edenkoben/Rheinland-Pfalz. Für Skins und Neonazis aus dem Großraum Stuttgart war 1996 ein Lokal in Stuttgart-Rohr die wichtigste Anlaufstelle. Dort trafen sich an Wochenenden bis zu 60 Szenemitglieder. Einen Anziehungspunkt für an der Grenze zur Schweiz wohnende internationaSkinheads stellte auch im vergangenen Jahr wieder die "Schweizer fes SkinheadHammerskin19-Party" am 17. August 1996 in Aarau (zu der üblitreffen cherweise auch Skins aus Österreich und Frankreich anreisen) dar. 19 Bei den "Hammerskins" handelt es sich um eine Strömung in der Skinhead-Bewe43 gung, die ihren Ursprung Mitte der 80er Jahre in den USA hat und ein rassistisches, teilweise nationalsozialistisches Weltbild besitzt. Ihr Ziel ist die Vereinigung aller weißen Skinheads. Schwerpunkte in Deutschland sind vor allem die Bundesländer Darüber hinaus reisten deutsche Skinheads wiederum zu Konzerten in die Tschechische Republik und nach Italien. 2.4 Rechtsextremistischer Terrorismus Ein rechtsterroristisch motivierter Anschlag ereignete sich im Jahr 1996 im Bundesgebiet nicht. Die Befürchtung, die Briefbombenserie der österreichischen "Salzburger Eidgenossenschaft - Bajuwarische Befreiungsarmee" (BBA) von 1995 mit Anschlägen auf eine Fernsehmoderatorin in München und den stellvertretenden Bürgermeister von Lübeck könnte evtl. auch in Deutschland fortgesetzt werden, bewahrheitete sich nicht. Im Oktober 1996 kündigte die Gruppe gegenüber einem österreiBriefbomchischen Nachrichtenmagazin acht weitere Briefbomben an. Am benattentat Abend des 9. Dezember 1996 explodierte in einer Wiener Wohnung in Österreich eine Briefbombe der BBA, wobei glücklicherweise nur Sachschaden entstand. Adressat des Briefes war die Stiefmutter des österreichischen Innenministers Dr. Caspar Einem. Die Sendung konnte jedoch wegen einer veralteten Adressenangabe nicht zugestellt werden und ging daraufhin an den fiktiven Absender zurück. Dort kam es bei der polizeilichen Untersuchung des Briefes zur Explosion. Es liegen zwar keine Hinweise auf eine rechtsterroristische Gruppierung im Bundesgebiet vor. Allerdings darf die Möglichkeit nicht außer acht gelassen werden, daß gewaltbereite Neonazis einzeln oder aus einer kleinen Gruppe heraus mit Waffengewalt politische Gegner angreifen, wenn sie die Situation für gegeben halten. Waffen werden - in diesem Milieu nicht ungewöhnlich - immer wieder gefunden. Auch in Baden-Württemberg war die Polizei 1996 wiederholt erfolgreich, wobei die bedeutendsten Funde im Rahmen von Wohnungsdurchsuchungen bei Neonazis und Skinheads am 31. Mai 1996 in Stutensee-Blankenloch/Krs. Karlsruhe (u.a. wurde ein Abschußrohr für eine Panzerfaust gefunden) und am 13. Juni 1996 im Raum Ludwigsburg (bei sechs Betroffenen wurden u.a. Waffen unterschiedlichster Art, Gewehrmunition und eine größere Menge 44 Rechtsextremismus Treibmittel aus Gewehrpatronen entdeckt) gemacht wurden. Die Ermittlungen sind abgeschlossen, Anklage wurde erhoben. 3. Bundesweite neonazistische Aktivitäten 3.1 Bundesweit operierende neonazistische Gruppen 3.1.1 "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene [NG und deren Angehörige e.V." (HNG) Gründung: 1979 *SL Sitz: Frankfurt am Main Mitglieder: ca. 60 Baden-Württemberg (1995: ca. 50) ca. 350 Bund (1995: ca. 300) Publikation: "Nachrichten der HNG" Die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG), die sich als Sammelbecken und Solidargemeinschaft für alle Neonazis aus dem Inund Ausland versteht und im Rahmen ihrer "Gefangenenbetreuung" als deren zentrale Kontaktstelle dient, war auch 1996 die mitgliederstärkste bungrößte Neodesweit agierende neonazistische Organisation. Die besondere Benazi-Organideutung der HNG unter der Leitung ihrer langjährigen Vorsitzensation in den Ursula MÜLLER, Mainz-Gonsenheim, ist in ihrer Funktion als Deutschland organisationsübergreifendes Bindeglied zwischen den verschiedenen neonazistischen Gruppierungen und Einzelaktivisten begründet. Die Mehrheit der HNG-Mitglieder gehört gleichzeitig auch anderen neonazistischen Organisationen oder organisationsunabhängigen neonazistischen "Kameradschaften" an. In ihrer Satzung beschreibt die HNG ihren Vereinszweck wie folgt: "Die HNG verfolgt ausschließlich und unmit45 telbar karitative Zwecke, indem sie nationale politische Gefangene und deren Familienangehörige im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Mittel unterstützt." Die "Gefangenenhilfe" der HNG zielt dabei auf die nahtlose Wiedereingliederung aus der Haft entlassener Gesinnungsgenossen in das neonazistische Lager ab. In den letzten Jahren hat es sich jedoch gezeigt, daß für die Neonazis weniger die "Gefangenenhilfe" der HNG von Bedeutung ist, sondern vielmehr ihre Funktion als Bindeglied in der rechtsextremistischen "Szene". Zur Unterrichtung der Mitglieder und Gefangenen, die als "PolitischVerfolgte-der-Democratie" (PVD's) bezeichnet werden, gibt die Organisation das monatlich erscheinende Mitteilungsblatt "Nachrichten der HNG" heraus. In der Publikation, die ein wichtiges Kommunikationsmittel für das rechtsextremistische Spektrum darstellt, wirbt die HNG für sich und ihre Arbeit u.a. mit Slogans wie: "Denkt an die Kameraden in Gesinnungshaft. Schreibt mal wieder !" "Solidarität ist unsere Waffe !" (aus: "Nachrichten der HNG ", Ausgabe August 1996, Nr. 187) oder "Freiheit für alle nationalen politischen Gefangenen !" (aus: "Nachrichten der HNG", Ausgabe Mai 1996, Nr. 184) 3.1.2 "Internationales Hilfskomitee für nationale politische Verfolgte und deren Angehörige e.V." (IHV) Gründung: 1987 Sitz: Ludwigshafen am Rhein 46 Rechtsextremismus Mitglieder: wenige Einzelmitglieder Baden-Württemberg (wie 1995) wenige Einzelmitglieder Bund (wie 1995) Publikation: "IHV e.V. für Recht und Wahrheit" Das 1987 als Konkurrenz zur HNG gegründete "Internationale Hilfskomitee für nationale politische Verfolgte und deren Angehörige e.V." (IHV) geriet bereits 1995 durch den Rücktritt seines langjährigen Vorsitzenden und Gründers Ernst TAG aus Ludwigshafen am Rhein in eine schwere Krise. Auch nach der Wahl eines neuen Vornicht von alstands im Frühjahr 1996 blieben die Probleme bestehen. Mitentlen Rechtsexscheidend hierfür dürfte auch sein, daß das IHV im Gegensatz zur tremisten anHNG nur von wenigen Neonazis akzeptiert wird. erkannt Nach einer Veröffentlichung in der Ausgabe 10/10/96 der IHV-Mitteilungen "IHV e.V. für Recht und Wahrheit" besteht die IHV-Führung nunmehr aus dem Vorsitzenden Markus WALTER, Pirmasens, und dem stellvertretenden Vorsitzenden Christoph BAUER, Grenzach-Wyhlen. BAUER, ein bekannter Neonazi, wird auch als Schriftleiter der IHV-Mitteilungen genannt. In der obengenannten Ausgabe erklärt WALTER zur Arbeit des IHV: "Ergänzend möchte ich noch erwähnen, daß es neben der Gefangenenbetreuung auch zu unseren Aufgaben gehört, diejenigen Schergen des Systems ausfindig zu machen, die eine politische Verfolgung überhaupt erst ermöglichen. Dies sind in erster Linie eingeschleuste Spitzel, Verräter, die Aussagen machen, und Zersetzer, aber auch politische Staatsanwälte ... , politische Richter, und Kripobeamte, die sich übereifrig an der Erhaltung des Systems beteiligen." Das IHV veröffentlicht in seinen Publikationen die Anschriften von Personen und Institutionen, die sich mit der Bekämpfung des Rechtsextremismus befassen. Personell eng mit dem IHV verflochten ist auch die "Aktion Sau47 beres Deutschland" (ASD), in der BAUER ebenfalls eine führende Rolle innehat. Im Jahr 1996 trat die ASD besonders durch die Veröffentlichung von zwei Broschüren unter dem Titel "Sand im Getriebe" in Erscheinung. Darin wurden ebenfalls Namen und Anschriften von "antinationalen Personen und Behörden" bekanntgemacht. Im Vorwort hieß es, daß die ASD aufgrund interner Streitigkeiten und der Inhaftierung eines Kameraden zuletzt inaktiv gewesen sei, die Arbeit nun aber weitergehe: "Das System das wir bekämpfen, das besteht aus den Medien, also Zeitungen, Fernsehen und Radio, der antinationalen Industrie und den Banken, den gesetzgebenden Versammlungen, wie Bundestag, Landtage und die Gemeinderäte, allen Behörden, wie Polizei, Gerichte, Staatsanwaltschaften und besonders die Versammlungsbehörden. Gegner sind auch jene Antifas und Autonome, die uns überfallen und dem Staat einen Dienst erweisen, da er uns ja auch bekämpft." ("Sand im Getriebe", Nr. 1 - Fehler im Original) Langfristiges Ziel ist der Aufbau einer Organisation, "die aktiv und gut durchorganisiert ist und die dennoch schwer greifbar ist". 3.1.3 "Freiheitlicher Volks Block" (FVB) Gründung: 1994 Sitz: Nürnberg Mitglieder: ca. 20 Baden-Württemberg ca. 40 Bund Publikation: "FVB-Spiegel" (1996 nicht erschienen) Rechtsextremismus Der "Freiheitliche Volks Block" (FVB), der zuvor kaum in Erscheiverstärkte öfnung getreten war, entfaltete im Jahr 1996 in Baden-Württemberg fentlichkeitsverstärkte öffentlichkeitswirksame Aktivitäten; dazu gehörten wirksame Schulungsveranstaltungen, Sonnwendfeiern, sogenannte LeistungsAktivitäten in märsche, Zeltlager und Wanderungen. Das Hauptbetätigungsfeld des Baden-WürtFVB liegt in Bayern; Schwerpunkt der Aktivitäten in Baden-Württemberg temberg ist der Raum Ulm. Führende Funktionäre des FVB gehörten - bis zu deren Verbot durch das Innenministerium Baden-Württemberg im Jahr 1993 - der neonazistischen "Heimattreuen Vereinigung Deutschlands" (HVD) an. Die rechtsextremistische Grundeinstellung der Gruppe dokumentiert sich in einer im September 1996 verbreiteten Pressemitteilung. Darin hieß es u.a.: " Als Antwort auf die Provokation durch das Antifaschistische Aktionsbündnis (Antifa) rief der Freiheitliche Volks Block und die Anti-Antifa Franken zu einer Gegendemonstration 'Rotfront und Antifa Aufzüge verhindern - gegen linke Gewalt' auf." und "Die Polizei nahm vorübergehend 35 Personen des nationalen Widerstandes in Unterbindungsgewahrsam. Trotz alledem gelang es einer größeren Anzahl von nationalen Aktivisten zu der Rotfront Demonstration vorzustoßen." (Fehler im Original) Die Organisation, die sich selbst als "Partei des deutschen Aufbruchs" bezeichnet, warb durch Flugschriften und Aufkleber mit Slogans wie: "Keine Scheinasylanten - Keine Überfremdung - Keine EG - Darum: FVB" und "Kriminalität! - Arbeitslosigkeit! - Wirtschaft49 liehe Mißstände!Wollt Ihr so weiter machen? - Wir nicht! - FVB " 3.2 Projekte und Veranstaltungen mit überregionaler Bedeutung 3.2.1 "Nationaler Zeitungsverbund" * "Berlin-Brandenburger - Zeitung der nationalen Erneuerung" (BBZ) und ihre Regionalausgaben Auflage: insgesamt 55.000 (Eigenangabe) Neben einer intensiven Nutzung moderner Kommunikationsmittel (Mobilfunktelefone, "Nationale Info-Telefone", Mailboxen, Internet) arbeiten führende Rechtsextremisten seit 1995 an einer Neuordnung der "nationalen Publizistik". Die bislang getrennt herausgegebenen Publikationen BBZ (ehemaliger Herausgeber: "Die Nationalen e.V.") und "Junges Franken - Zeitung der nationalen Erneuerung" (ehemaliger Herausgeber und derzeitiger stellvertretender Redakteur: der NPDund JN-Funktionär Klaus BEIER) sowie die neu hinzugekommenen Blätter "Neue Thüringer Zeitung - Stimme der nationalen Erneuerung" "Westdeutsche Volkszeitung - Zeitung der nationalen Erneuerung" "Mitteldeutsche Rundschau - Zeitung der nationalen Erneuerung" mit Ausgaben für Sachsen und Sachsen-Anhalt "Süddeutsche Allgemeine - Zeitung der nationalen Erneuerung" (SAZ) wurden unter Federführung von Frank SCHWERDT (Herausgeber) Rechtsextremismus und dem ehemaligen Funktionär der verbotenen "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP), Christian WENDT (Leitender Redakteur), - beide Mitglieder der neonazistischen Organisation "Die Nationalen e.V." (Sitz: Berlin) - miteinander verbunden. Die Zeitungen sind im redaktionellen Teil und im Layout identisch und unterscheiden sich nur durch den jeweiligen Titel und Lokalteil. Zu den Mitarbeitern zählen hauptsächlich Angehörige des neonazistischen Spektrums, darunter mehrere ehemalige Funktionäre verbotener Organisationen, aber auch einige NPD-/JN-Funktionsträger. Die professionell aufgemachten Zeitungen thematisieren in populistischer Weise Fragen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kultur, Bildung und Wissenschaft. Dabei achten die Herausgeber zwar darauf, daß keine strafrechtlich relevanten Inhalte verbreitet werden, jedoch lassen die Blätter eine eindeutig rechtsextremistische Grundhaltung erkennen, wie die nachfolgenden Beispiele aus der SAZ, Nr. 3/96, verdeutlichen: * Verunglimpfung der Demokratie und ihrer Repräsentanten ("Politiker denken heute nur an ihren eigenen Vorteil und übertreffen an Gier und Vaterlandsverrat alles, was außer den Deutschen heute noch die Erde bevölkert.") * Angriffe gegen die Europäische Union ("Wir die Haupteinzahler bekommen sozusagen als 'Dankeschön' an unsere Wirtschaftsverbrecher die Quittung: Firmenschließungen, Arbeitslose, Steuerausfall, [demnächst] Not und Elend, Verfall der Infrastruktur, Zerstörung der Wirtschaft und die Möglichkeit, noch mehr in die EU-Kasse einzuzahlen.") Q Antisemitische/antizionistische Agitation und Verbreitung "revisionistischer" Thesen ("Terrorstaat Israel", "die sogenannte 'Auschwitz-Leugnung' ") 51 V T f 1 Jp jrc^nmu-sch fu Sandro Wolk^ ** o:*-. (, J.".StüwngMi ^uringerjdhing S T M M S M R N A U O S T I I *;*, >HV.a.Uii:Kt, Beschluß in Bonn: Der "Soziatstaaf wirclautlanaeSichtabaeschafft! Rjtseiafcticn gegen Baiin" V c i % * Meinungsfittihet sus^gehdbdi Ik W KFtTl.'NO DfcR N4T"ONAll:.V m.-iMJU'XNfJ So/htlahhau stoppen - Wohnraum Otrl Ä und Arbeit zuenst für Deutsche! mmekukm i'Kiiisich. Tteiicr m*-w OIM rrmmtnuKMNire 70 Rechtsextremismus Direkte Zusammenhänge werden auch zwischen dem Anstieg der Kriminalität und den hier lebenden Ausländern und Asylbewerbern hergestellt, indem Einzelfälle pauschaliert werden: "... denn das einzigste, was die Mehrheit der Deutschen nicht mehr ertragen und tolerieren will, ist ausländisches Gesindel, das unter dem Deckmantel politischer Verfolgung und Inanspruchnahme von Menschenrechten die Gastfreundschaft in Deutschland mißhraucht. Fremde Drogenhändler, Einbrecher, Bandenmitglieder, Autoschieber sind Ausbeuter des generösen deutschen Sozialsystems ..." (Infotelefon Mannheim der REP, Oktober 1996 - Fehler im Original) Ein anderes, die Partei weithin beherrschendes Agitationsthema ist die Auseinandersetzung mit demokratischen Politikern und Parteien bzw. Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland. Entgegen allen Beteuerungen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung offenbart sich durch die Art der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner eine antidemokratische Grundhaltung. "... Nun ist aber der Rot-Lack bei den Sozis ab und darunter kommt der braune Untergrund zum Vorschein. Wer die aussiedlerfeindlichen Sprüche der Lafontaines, Spöris und Scharpings mit dem vergleicht, was den Rechten seit Jahr und Tag zum Vorwurf gemacht wird, stellt fest: Die SPD ist eine Partei, deren Führung sich menschenverachtender, deutschfeindlicher und von Aussiedlerhaß geprägter Denkweisen befleißigt. Die SPD ist damit - allen Programmen zum Trotz - eine eindeutig verfassungsfeindliche Partei. Der Versuch, die Aussiedler zum Sündenbock für alle Probleme auf dem Arbeitsmarkt abzustempeln, ist typisch für eine 'rassistische und inhumane' Einstellung, wie sie nun einmal Sozialisten eigen ist. Sollte da womöglich was an der Bezeichnung 'rotlackierte Nazis' dran sein, zumindest wenn man die gestern noch gültigen Maßstäbe anlegt? " (Dr. SCHLIERER in: "DER REPUBLIKANER", 3/1996) DiffamieDas Ziel solcher, die Grenzen der politischen Auseinandersetzung rung demoweit überschreitenden Diffamierungsund Verunglimpfungskratischer kampagnen besteht darin, das Vertrauen der Bürger in das demoInstitutionen kratische Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland zu erundPersoschüttern. Dabei zeigt sich in der permanenten Polemik deutlich nen die antidemokratische Haltung der REP gegenüber den Verfassungsorganen: "... Die Siegermächte haben noch heute Interessen, die mittels der von ihnen gegründeten und lizensierten Parteien umgesetzt werden sollen. Anderung ist erst zu erwarten, wenn die Altparteien entmachtet und deren Büttel entfernt sind ..." (Wolfgang HIRSE, stellvertretender Vorsitzender des Landesschiedsgerichts Berlin, in: "DER REPUBLIKANER", 511996) ü Kontakte zu anderen Rechtsextremisten Auch im Jahr 1996 konnten - entgegen den Beteuerungen führender Landesund Bundesfunktionäre - erneut zum Teil offen gehegte Sympathien von Parteimitgliedern gegenüber anderen rechtsextremistischen Organisationen festgestellt werden. Zwar wurden gegen drei baden-württembergische Landtagskandidaten der REP, die sich offen für eine Zusammenarbeit mit anderen Rechtsextremisten ausgesprochen hatten, Parteiordnungsmaßnahmen eingeleitet, allerdings blieben entsprechende Konsequenzen in anderen bekannten Fällen bislang aus. So fand bereits 72 Rechtsextremismus am 2. September 1995 in Pulheim bei Köln eine "patriotische Versammlung" statt, bei der die "Pulheimer Erklärung" verabschiedet wurde - ein "Runder Tisch", der für eine organisationsübergreifende Zusammenarbeit aller "vernünftiger Patrioten" eintritt. Auf der Liste der Unterzeichner dieser Erklärung, die regelmäßig in der rechtsextremistischen Publikation "EUROPA VORN" veröffentlicht wurde, war noch bis Anfang April 1996 eine Vielzahl von REP-Mitgliedern zu finden. Im Januar 1996 fiel der Vorsitzende des RepBB, Burghard SCHMANCK, durch Kontakte zu anderen Rechtsextremisten auf, indem er einen in der rechtsextremistischen Monatsschrift "NATION & EUROPA", Ausgabe 1/96, veröffentlichten Beitrag unter der Überschrift "Kirche und Asyl" verfaßte. Auch im baden-württembergischen Landtagswahlkampf konnten Verbindungen zum Teil führender Parteifunktionäre in die rechtsextremistische "Szene" festgestellt werden. Im Rahmen einer Vortragsveranstaltung des Rechtsextremisten Dr. Hans-Heinrich EBNER aus Tübingen, an der neben anderen Angehörigen des rechtsextremistischen Spektrums auch einige Neonazis teilnahmen, bat der damalige REP-Landtagsabgeordnete Karl-August SCHAAL die Anwesenden ausdrücklich darum, ihn im Wahlkampf aktiv zu unterstützen. Bei dieser Veranstaltung war auch der führende Neonazi WahlkampfimAlois HOGH anwesend. Dieser wurde wenig später von der Polizei terstützung festgestellt, als er im Kreis Tübingen mit dem Fahrzeug von eines REPSCHAAL unterwegs war, um gemeinsam mit anderen Personen, Kandidaten darunter dem stellvertretenden Tübinger REP-Kreisvorsitzenden, für durch Neodie REP zu plakatieren. nazi 73 4.2 "Deutsche Volksunion" (DVU) Gründung: 1971 als eingetragener Verein 1987 als politische Partei Sitz: München Mitglieder: ca. 1.900 Baden-Württemberg (1995:ca. 2.200) ca. 15.000 Bund (1995:ca 15.000)* Publikationen: "Deutsche National-Zeitung" (DNZ) "Deutsche Wochen-Zeitung" (DWZ) *Dr. FREY gibt höhere Zahlen an ü Organisation Bereits seit der Gründung der "Deutschen Volksunion" (DVU) stellt der Bundesvorsitzende und Münchner Verleger Dr. Gerhard FREY die zentrale Figur der Partei dar und dominiert die DVU unangefochten und konkurrenzlos. In den neuen Bundesländern konnten sich DVU-Landesverbände immer noch nicht etablieren und verharren nahezu unverändert in einer lethargischen Aufbauphase. In Baden-Württemberg stand 1996 - wie bereits im Vorjahr - Peter JÜRGENSEN, Forst/Krs. Karlsruhe, an der Spitze des Landesverbands. Dieser setzt sich mittlerweile aus zehn Kreisverbänden (Stuttgart, Ludwigsburg, Esslingen, Göppingen, Böblingen/Tübingen, Waldshut/Tiengen, Heilbronn, Mannheim, Freudenstadt/ Rottweil und Konstanz) zusammen, die jedoch kaum in Erscheinung traten. * Aktuelle Situation Bereits an dem Rückgang der Mitgliederzahlen der letzten Jahre wird eine Tendenz deutlich, die sich auch in den Wahlergebnissen der DVU widerspiegelt. Nachdem die DVU 1992 noch mit 6,3% und sechs Mandaten den Sprung in den schleswig-holsteinischen R e c h t s e x t r e m i s m u s Landtag als drittstärkste Partei schaffte, verpaßte sie 1996 den Wiedereinzug in das Landesparlament. Nur noch 4,3% der Wähler votierten für die DVU, die damit über einen Achtungserfolg nicht hinauskam. An der Landtagswahl in Baden-Württemberg beteiligte sich die Partei nicht. Die engen persönlichen und politischen Kontakte zwischen dem DVU-Bundesvorsitzenden und dem Vorsitzenden der nationalistischen "Liberaldemokratischen Partei Rußlands" (LDPR), Wladimir weiterhin SCHIRINOWSKI!, setzten sich auch 1996 fort, wurden aber nicht Kontakte zu mehr in dem Maße gepflegt wie in den Vorjahren. Zwar stattete Dr. russischem FREY im Frühjahr 1996 SCHIRINOWSKI! - noch vor den russiNationalisschen Präsidentschafts wählen am 16. Juni 199623 - in Moskau einen tenführer Besuch ab, jedoch scheint sich das Verhältnis zwischen beiden mittlerweile etwas abgekühlt zu haben. * Politischer Kurs Die verfassungsfeindliche Zielsetzung der DVU ergibt sich nicht unmittelbar aus ihrem Programm und der Satzung, die bewußt zurückhaltend formuliert sind. Im wesentlichen dokumentiert sich die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Haltung der Partei in den Publikationen des Bundesvorsitzenden, der in seinem Verlag wöchentlich erscheinenden Blätter "Deutsche Wochen-Zeitung" (DWZ) und "Deutsche National-Zeitung" (DNZ). Die Hauptforderungen der DVU sind an den Feindbildern erkenntraditionelle bar, die Dr. FREY darin aufbaut. Dazu gehören seit Jahren Themen rechtsextrewie Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, der historische "Revimistische sionismus", der sich in der Relativierung des Holocausts und der Feindbilder deutschen Kriegsschuld äußert, sowie die Diffamierung demokratischer Institutionen der Bundesrepublik Deutschland. Dem Antisemitismus leistet Dr. FREY durch scharfe Angriffe gegen Juden Vorschub. Mit der Schlagzeile "Jüdische Masseneinwanderung? - Was Kohl vorbereitet" (DNZ, Nr. 24 vom 7. Juni 1996) SCHIRINOWSKI! konnte bei den russischen Präsidentschaftswahlen lediglich 75 5,76% der Stimmen erzielen. wird zudem die Angst vor einer angeblich drohenden "Einwanderung Hunderttausender Ostjuden" geschürt. Der Aufmacher "Der Dachau-Schwindel" (DNZ, Nr. 28 vom 5. Juli 1996) drückt bereits aus, welche Tendenz der Berichterstattung der Leser zu erwarten hat. In der Ausgabe Nr. 7 der DNZ vom 9. Februar 1996 werden unter der Schlagzeile "Die KZ-Lüge von Buchenwald" die dortigen Verhältnisse vor und nach Kriegsende gegenübergestellt, um die seinerzeitigen Verbrechen der NS-Herrschaft zu relativieren. ,**"esPS SstföSaSBÖ BS*"*-"" 0 ? Rechtsextremismus Eine ähnliche Intention, nämlich die Relativierung der Kriegsschuld Relathieder Deutschen, bezweckt die Infragestellung der alleinigen Schuld rung der Deutschlands am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs: deutschen Kriegsschuld "...Als zweites war Kohl offenkundig unbekannt, was der deutschen Führung bereits vor dem Einmarsch in Belgien geläufig war, daß nämlich London und Paris fertige Pläne zur Invasion in Belgien besaßen. In Norwegen war die deutsche Kriegsmarine der englischen Flotte bekanntlich nur um 12 Stunden zuvorgekommen ..." (DNZ, Nr. 7 vom 9. Februar 1996) "... Er sieht die Totalschuld am deutsch-polnischen Konflikt, am deutsch-russischen Krieg, am gesamten Zweiten Weltkrieg allein auf deutscher Seite. Daß weltweit immer mehr Historiker, Russen eingeschlossen, den deutschen Angriff auf die UdSSR als Präventivschlag werten, interessiert den Bundeskanzler nicht ..." (DWZ, Nr. 24 vom 7. Juni 1996, S. 3) Im Vordergrund der Agitation stand auch 1996 die Ausländerproblematik, insbesondere die Hetze gegen Asylbewerber. Häufig wurden politisch brisante Tatsachenbehauptungen als Provokation formuliert oder in Fragen gekleidet. Diese Methode wird insbesondere dann angewendet, wenn es darum geht, Abneigung gegen Ausländer oder ethnische Minderheiten ("Zigeuner") auszudrücken: "Wie kriminell sind Zigeuner?" (DNZ, Nr. 30 vom 19. Juli 1996) So wurden sowohl in der DWZ als auch in der DNZ wiederholt Beiträge veröffentlicht, in denen sich einmal mehr die Ausländerfeindlichkeit dieser Blätter offenbarte. In einem Artikel der DNZ, Nr. 27/96 vom 28. Juni 1996, wurde unter der Überschrift 77 "Deutsche bald in der Minderheit? Ausländer-Problem immer dramatischer" Warnung die Folge einer weiteren Einwanderung der "Südeuropäer, Vordervor "Überasiaten, Afrikaner usw." mit dem Schlagwort "Überfremdung" befremdung" schrieben und dazu ausgeführt: "... Die Konsequenzen sind klar: Binnen zweier Jahrzehnte würde es eine ausländische Mehrheit in allen bundesdeutschen Großstädten geben, nochmal zehn bis zwanzig Jahre weiter wären die Deutschen insgesamt die Minderheit im eigenen Lande ..." (DNZ, Nr. 27 vom 28. Juni 3996, S. 3) Auch mit der Darstellung der Währungsunion als "Wahnsinn" (DWZ, Nr. 43/96 vom 18. Oktober 1996) und "Katastrophe" (DNZ, Nr. 3 vom 12. Januar 1996) schürte die FREYsche Presse - wie in den Vorjahren - bewußt Ängste in der Bevölkerung. Zu den ständigen Angriffszielen der DVU gehören regelmäßig auch Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland. Insbesondere dem Bundeskanzler wurde Geschichtsfälschung (DNZ, Nr. 7 vom 9. Februar 1996) vorgeworfen und ihm unterstellt, er ruiniere Deutschland (DNZ, Nr. 35 vom 23. August 1996). In einer anderen DWZAusgabe hieß es dazu: "... Seitdem hat Kohl seine nationalmasochistischen Rituale und Kollektivanklagen gegen das eigene Volk in einer bisher unvorstellbaren Weise weiter gesteigert ..." (DWZ, Nr. 24 vom 7. Juni 1996, S. 3) Allerdings blieben auch die übrigen Politiker von den Attacken der DVU nicht verschont: 78 Rechtsextremismus "... Doch die für die Misere verantwortlichen Politiker leben auf Steuerzahlers Kosten in Saus und Braus ... ... Sie haben aus der Steuerkasse längst einen Selbstbedienungsladen gemacht, während sie vom Volk immer größere Opfer verlangen." (DWZ, Nr. 26 vom 21. Juni 1996, S. 2) * Aktivitäten Die DVU spielte auch 1996 in Baden-Württemberg nur eine untergeordnete Rolle. Obwohl JÜRGENSEN neben dem stellvertretenden Bundesvorsitz auch den baden-württembergischen Landesvorsitz innehat, fanden so gut wie keine parteispezifischen Aktivitäten statt. Lediglich einzelne Treffen im Rahmen sogenannter Stammtische waren auf Ortsebene festzustellen. Von einer kontinuierlichen Parteiarbeit ist der Landesverband Baden-Württemberg weit entfernt. Dies ist vor allem zurückzuführen auf den autoritären Führungstil Dr. FREYs, der offenbar weiterhin selbständige Aktivitäten der Landesund Kreisverbände unterdrückt. Unter dem Motto "Noch ist Deutschland nicht verloren" fanden sich am 28. September 1996 in Passau rund 2.300 Personen ein, darunGroßhändler auch Parteimitglieder und Anhänger der DVU aus Baden-Würtgebung in temberg. Hauptredner auf dieser alljährlich stattfindenden VeranPassau staltung war der DVU-Bundesvorsitzende, der sich - wie gewohnt - als Anwalt für die Interessen des deutschen Volkes gerierte. In den Zeitungen Dr. FREYs wurde von 6.000 "Nationalfreiheitlichen" berichtet, die "gespannt" auf den Bundesvorsitzenden und die Ehrengäste gewartet hätten. Auf dem gemeinsamen Landesparteitag der Landesverbände Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden-Württemberg am 16. November 1996 in Stettfeld/Krs. Karlsruhe, an dem auch Dr. FREY teilnahm, wurde der bisherige baden-württembergische Landesvorsitzende JÜRGENSEN in seinem Amt bestätigt. 79 4.3 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Gründung: 1964 Sitz: Stuttgart Mitglieder: ca. 440 Baden-Württemberg (1995: ca. 550) ca. 3.500 Bund (1995: ca.4.000) Publikation: "Deutsche Stimme" (DS) _] Organisation Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), die in allen Bundesländern mit Landesund Kreisverbänden vertreten ist, hat 1996 einen weiteren Rückgang ihrer Mitgliederzahl hinnehmen müssen, die sich nunmehr auf dem niedrigsten Niveau seit der Parteigründung im Jahr 1964 befindet. Der Landesverband Baden-Württemberg besteht derzeit noch aus 17 Kreisverbänden, von denen nur wenige aktiv sind. Die Wahlkampfschulden in Höhe von rund 1,3 Millionen DM in Bund und Land konnten bis Ende 1996 fast gänzlich beglichen werden. Durch eine möglich gewordene Beleihung eines Teils der Erbschaft in Eningen unter Achalm/Krs. Reutlingen konnte sich die Partei von ihrer Schuldenlast befreien. Das zu dieser Erbschaft gehörende villenähnliche Gebäude wurde zwischenzeitlich von Parteiaktivisten renoviert und dem Testament entsprechend zum "nationalen Begegnungszentrum" umgebaut. Seit September 1996 wohnen der Bundesvorsitzende der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN), Holger APFEL, sowie ein weiterer Aktivist in diesem Gebäude, das jetzt von der Partei als "GeschwisterKrieg-Zentrum" bezeichnet wird. 80 Rechtsextremismus Aktuelle Situation Nach der überraschenden EntGwteröeckat "TrattHetw machtung Günter DECKERTs als Bundesvorsitzender der NPD wurde der bayerische NPD-Landesvorsitzende Udo VOIGT auf einem außerordentlichen Bundesparteitag am 23. und 24. März 1996 in Bad Durkheim (Rheinland-Pfalz) mit nur fünf Stimmen Mehrheit Führungs vor DECKERT zum neuen VorWechsel sitzenden gewählt. DECKERT, der in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal eine zweijährige Haftstrafe verbüßte, zu der er am 21. April 1995 vom Landgericht Karlsruhe wegen Volksverhetzung und Aufstachelung Natjonaldemokraten zum Rassenhaß verurteilt worden war, wurde in Abwesenheit mit großer Mehrheit zum stellvertretenden Vorsitzenden bestimmt. Unter dem neuen Bundesvorsitzenden VOIGT hat sich das Erscheinungsbild der Partei verändert. Während unter der Führung DECKERTs "revisionistische" Themen die Aussagen der Partei dominierten, rückt nunmehr die aktuelle Tagespolitik, insbesondere die Sozialund Wirtschaftspolitik, in den Vordergrund. Im Rahmen der dabei herausragenden Themen "Sozialabbau" und Arbeitslosigkeit werden Befürchtungen und Ängste in der Bevölkerung aufgegriffen, mit reißerischen Formulierungen die vermeintlich Schuldigen "entlarvt" und vordergründige "Lösungen" vorgegaukelt: "... wir fordern eine nationale Volkswirtschaft, deutsche Arbeitsplätze für deutsche Arbeitnehmer, die Rückführung der bei uns lebenden Ausländer in ihre Heimatländer, ein nationales Arbeitsplatzschutzsicherungsgesetz, die Erhaltung der DM und Leistungen der Sozialhilfe nur für unsere Landsleute ..." (Udo VOIGT, "Für eine neue Ordnung", in: DS, Ausgabe 7-96) Auch für steigende Krankenversicherungskosten werden "Schuldige" ausgemacht: ... Wie kann es da angehen, daß Asylanten freie Heilfürsorge beanspruchen können, während Agitation deutsche Arbeitnehmer höhere Krankenkassengegen Ausbeiträge zahlen müssen ? ..." länder (Jürgen DISTLER, "Kohl-Regierung setzt auf soziale Kahlschlagpolitik", in: DS, Ausgabe 1096) Sogar Obdachlose, selbst immer wieder Opfer gewalttätiger Rechtsextremisten, werden in der DS für die Polemik der NPD gegen den Sozialstaat und zur Stimmungsmache gegen Ausländer benutzt: "... Die Zahl der Obdachlosen wächst, doch wo und wann man sie auch trifft, es sind nahezu immer Deutsche. ... Während sich deutsche Behörden umfassend um die Unterbringung von wohnungslosen Ausländern kümmern, sind für deutsche Obdachlose angeblich weder genug Mittel noch genug Notquartiere vorhanden ..." (Thomas SALOMON, "Rassismus in Deutschland", in: DS, Ausgabe 8-96) Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Jugendarbeit. In einem Bericht über den 25. ordentlichen Bundeskongreß der JN hieß es: "... Der NPD-Parteivorsitzende Udo VOIGT dankte in seiner Ansprache den JN für die breite Unterstützung der Mutterpartei in den Mo82 Rechtsextremismus naten, diese zu einer Partei der wirtschaftsund sozialpolitischen Erneuerung aufzubauen. VOIGT machte deutlich, daß der JN auch in der Zukunft eine zentrale Schlüsselfunktion in der politischen Arbeit der NPD zukommt und die Speerspitze der Partei sei ..." (DS, Ausgabe 8-96) Der Wandel der NPD unter VOIGT wird auch in der bündnisbündnispolipolitischen Neuorientierung deutlich. Neben Anzeichen einer Öfftische Neunung gegenüber Neonazis, die sich u.a. in der Mitwirkung eines Orientierung NPD-Bundesvorstandsmitglieds im "Aktionskomitee Rudolf Heß" manifestierte, bestehen im übrigen sehr viel umfassendere Bündnisbestrebungen: "... Die Deutsche Rechte besteht in ihrem Kern, in ihrer Authentizität, ihrer Unbestechlichkeit und Unverfälschtheit, aus den Nationaldemokraten (NPD) und aus der Deutschen Volksunion (DVU). Alleine diese beiden Formationen, und es gibt keine anderen, sind die Grundorganisationen eines erfolgreichen Weges ... Allein diese beiden Formationen haben heute die allein erfolgreiche Programmatik der Verbindung und Gleichwertigkeit von demokratischer, sozialer und nationaler Frage. ... Das Geheimnis des Sieges! ..." (Rolf-Josef EIBICHT, "Demokratie in der Entartung", in: DS, Ausgabe 7-96) Unter der Überschrift "NPD - die politische Heimat aller aufrechten Deutschen. Appell an alle aufrechten Deutschen in rechten Gruppierungen" hieß es dazu in der DS, Ausgabe 8-96: ... Wir appellieren daher an alle aufrecht national, sozial und demokratisch gesinnten Deutschen, in der Stunde der Gefahr auch die Stun83 de der deutschen Einheit zu erkennen und in der erneuerten NPD die politische Heimat zu sehen! " FreundDie neuen Bündnisbestrebungen der NPD gehen sogar über die Grenchaftsverzen Deutschlands hinaus. Im Mai 1996 wurde nach einem DS-Betrag" mit rieht ein "Freundschaftsvertrag" mit der ukrainischen nationalistiukrainischer sehen Partei "Ukrainska Nacionalna Assamblea" (UNA) abgeschlosnationalistisen. Ziel dieses Abkommens sei es, "nach und nach ein er Partei Freundschaftswerk" aufzubauen: "... Gemeinsam müssen die Vaterländer über den Ural den Blick nach Osten richten, um den Artraum unserer Völker abzusichern ..." (DS, Ausgabe 7-96, S. 4) * Politischer Kurs Die Ideologie der "Volksgemeinschaft", in der als angeblich natürliche Ordnung Staat und Volk in einer Einheit verschmelzen und der alle anderen Interessen und Werte, auch die Bürgerund Menschenrechte, untergeordnet sind, prägt nach wie vor den politischen Kurs der NPD. In seiner DS-Rubrik "Für eine neue Ordnung" äußerte sich VOIGT über die Bedeutung der deutschen Familie: "... Ich mag weder die schmuddeligen 'Schlampen' in ihren figurversteckenden übergroßen Wollpullovern, die sich Frauen nennen und vor lauter Selbstverwirklichung, anerzogener Kollektivschuldgefühle und 'Mein Bauch gehört mir-Bewußtsein ihre von der Natur zugedachte Rolle als Frau und Mutter verleugnen - noch mag ich ein politisches System, das solche 'Früchtchen' erzieht. Soll das spießig sein ? - Meinetwegen, wir Nationaldemokraten kämpfen 84 Rechtsextremismus jedoch für eine neue Ordnung, eine bessere Gesellschaft, für eine Volksgemeinschaft in der die deutsche Familie wieder im Mittelpunkt der Fürsorgepflicht des Staates steht ..." (DS, Ausgabe 8-96 - Fehler im Original) Agressive Agitation gegen Ausländer und Asylbewerber sowie eine vehemente Ablehnung des Parlamentarismus und Verunglimpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung belegen ebenfalls die verfassungsfeindliche Haltung der Partei: ***,Ä*^T "Htm "... Die Völker der Welt dür fen nicht im 'Einheitsbrei' ***""! vermassen, ihr eigenes Gesicht verlieren und zur mani- X DIUTSCMIAND T----, UNS DIUTSCHIN! pulierund ausbeutbaren *^H |_, * M"*l&" ***** "*#*." 'One-World-Gesellschaft' "zr^^T******, **" verkommen ..." *""0 (Udo VOIGT, "Für eine neue Ordnung", in: DS, W% ' fNDUCH SOZiAlf Ausgabe 10-96) GERECMTi(r)KIIT! " . . . Das multiethnisch überfremdeWpft te Vielvölkergulasch zerstört die Kulturen und den Frieden, die Freiheit und die Würde des Menschen ... Die demokratische, soziale und nationale, die hieraus resultierende kulturelle, mediale und religiös-weltanschauliche Verkommenheit und Niedertracht unserer Republik schreitet unaufhaltsam voran.... Gegenüber einer manipulierten Verfassungswirklichkeit und einer Scheindemokratie der Parteienoligarchie ist verbaler Widerstand oberste Pflicht. ... Solange in Deutschland mindestens 20 bis 30 %, der national denkende und fühlende Teil des Volkes, vom demokratischen Prozeß der Mitgestal85 tung ausgegrenzt bleibt, solange bleibt der ganze politisch-demokratische Prozeß eine unerträgliche Verfälschung, der den Willen des gesamten Volkes nicht widerspiegelt; solange haben wir leider nur eine Pseudound Scheindemokratie, eine blanke Illusion, eine Demokratie ohne Volk ..." (Rolf-Josef EIB1CHT, "Demokratie in der Entartung", in: DS, Ausgabe 7-96) * Aktivitäten Am 14. April 1996 fand in Böblingen der 31. ordentliche Landesparteitag der NPD statt, an dem etwa 65 Personen teilnahmen. Bei den Vorstandswahlen wurde der bisherige Landesvorsitzende Hartmut HILDEBRANDT, Bruchsal, wiedergewählt. Auffallend ist eine deutliche Verjüngung des gesamten Landesvorstands. Auf Einladung der NPD wurde laut einer Pressemitteilung aus der THULE-Mailbox am 20. und 21. Juli 1996 in Augsburg ein "Nationaler Internet-Kongreß" durchgeführt, bei dem über die "Zusammenarbeit und Vernetzung der an moderner Informationstechnik beteiligten nationalen Gruppen" diskutiert wurde. An dem Treffen nahmen 16 Personen teil, darunter Mitglieder der NPD, JN sowie mehrere Betreiber von Mailboxen im rechtsextremistischen THULENetz. Der verstärkten Nutzung neuer Kommunikationsmittel wird unter dem neuen Bundesvorsitzenden ein größerer Stellenwert beigemessen. Am 3. Oktober 1996 fand in Bonn das traditionelle "Deutschlandtreffen" der NPD statt, an dem sich etwa 130 Personen aus dem gesamten "rechten" Spektrum beteiligten. Die durch Gegendemonstranten gestörte Veranstaltung war ursprünglich vom Bonner Polizeipräsidenten verboten worden. Das Verwaltungsgericht Köln hatte das Verbot jedoch in einer Entscheidung vom 2. Oktober 1996 wieder aufgehoben. Sowohl der Parteivorsitzende VOIGT als auch der JN-Bundesvorsitzende APFEL kritisierten in Redebeiträ- R e c h t s e x t r e m i s m u s gen die Ausländerpolitik der Bundesregierung und verurteilten die Entwicklung in Deutschland nach 1945 als "Umerziehung"24. Am 26. Oktober 1996 führte die NPD in Kaiserslautern (RheinlandPfalz) einen Frauenkongreß durch, bei dem die rund 100 TeilnehFrauenmerinnen vom Parteivorstand die Einsetzung einer Frauenkongreß beauftragten forderten. Darüber hinaus stimmte der Kongreß laut Pressemitteilung der NPD vom 27. Oktober 1996 für die Einführung der Todesstrafe für Sexualund Kindesmörder. Bereits in der Vergangenheit hatte es immer wieder Bemühungen des NPD-Parteivorstands gegeben, Frauen für die Parteiarbeit in der NPD zu gewinnen - allerdings mit nur mäßigem Erfolg. Am 7. und 8. Dezember 1996 fand in Ohrel bei Bremervörde (Niedersachsen) ein außerordentlicher Programmparteitag statt, an dem ca. 300 Delegierte und Gäste teilnahmen. Dabei wurde das neue neues Grundsatzprogramm der NPD verabschiedet. GrundsatzDie verfassungsfeindliche Zielsetzung dieses neuen Programms zeigt programm sich insbesondere im völkisch-kollektivistischen Ansatz. So heißt es in Artikel 3: "Volksherrschaft setzt die Volksgemeinschaft voraus". In Artikel 5 wird unter der Überschrift "Die raumorientierte Volkswirtschaft" die nationalistische Komponente sichtbar: " ... Die NPD lehnt die in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung systematisch betriebene Internationalisierung der Volkswirtschaften entschieden ab ..." Auch der historische "Revisionismus", der bisher schon - besonders unter dem früheren Vorsitzenden DECKERT - die Parteipolitik maßgeblich bestimmte, hat in Artikel 11 "Ein Volk ohne Vergangenheit hat keine Zukunft" Eingang in das Parteiprogramm gefunden. Der "Nationaldemokratische Hochschulbund" (NHB), der Studentenverband der NPD, entfaltet in Baden-Württemberg schon seit Jahren keine Aktivitäten mehr. Zum Agitationsthema "Umerziehung" hat das Bundesverwaltungsgericht schon 1980 festgestellt, daß die Verwendung dieses Begriffs für die Wiederbegründung der deut87 schen Demokratie unter dem Einfluß der westalliierten Besatzungsmächte nach 1945 zu einem Verhalten gehört, das zeigt, daß der Verwender mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbare Ziele verfolgt. * Wahlen r An der Landtagswahl am 24. März 1996 in Baden-Württemberg erfolglose nahm die NPD nicht teil. Lediglich im Landtagswahlkreis 39 (WeinKandidatuheim) kandidierte DECKERT als Einzelbewerber; er erreichte 418 ren Stimmen = 0,59 %. DECKERTs Bei den Oberbürgermeisterwahlen in Stuttgart am 20. Oktober (1. Wahlgang) und am 10. November 1996 (2. Wahlgang) trat DECKERT ebenfalls an. Dabei erzielte er mit 146 bzw. 125 Stimmen jeweils 0,1 %. I^l^^"""] 4.3.1 "Junge Nationaldemokraten" (JN) ^ ^ J \ Gründung: 1969 Sitz: Bochum Mitglieder: ca. 40 Baden-Württemberg(1995: ca. 20) ca. 190 Bund (1995: ca. 150) Publikation: "Der Aktivist" "Einheit und Kampf (EuK) Nach den Verboten der "Nationalistischen Front" (NF), der "Wiking-Jugend" (WJ) sowie der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) stellt sich die NPD-Jugendorganisation "Junge SammelNationaldemokraten" (JN) als derzeit bedeutendstes Sammelbecken becken für für jugendliche Rechtsextremisten, in zunehmendem Maße besonjugendliche ders auch für Neonazis dar. So äußerte sich der JN-BundesvorsitRechtsexzende Holger APFEL in einem als Interview gestalteten Beitrag der tremisten JN-Publikation EuK: "... Nun haben wohl aber gerade auch die Vereinsund Organisationsverbote der letzten Jahre ihren Beitrag dazu geleistet, daß die JN eine der wenigen verbliebenen organisierten Grup88 Rechtsextremismus pen sind und somit in ihrem Bereich nahezu konkurrenzlos. Die willkürlichen Verbote haben den nationalen Widerstand zusammenrücken lassen ..." (EuK, Nr. 15/Februar 1996, S. 8) Die JN - so APFEL - hätten die "Meinungsführerschaft im nationalen Widerstand übernommen" und sich von einer eher unselbständigen Jugendorganisation zu einer selbständigen Kaderbewegung selbständige entwickelt. In seinem Informationsblatt "Der Aktivist" (Nr. 2/1996, KaderbeweS.25) bekannte sich auch der JN-Bundesvorstand zum Kaderprinzip gung angeals dem geeignetsten Organisationsprinzip in der jetzigen Phase des strebt politischen Kampfes: "Eine von uns angestrebte revolutionäre Umwälzung der Machtverhältnisse ist nur mit einheitlich organisiert handelnden Kräften erreichbar. " ("Der Aktivist", Nr. 2/1996, S. 30) * * * ! * " Wem mor 9en wir,, es "ntergehn; fJ"nge TBI.8, Fax. Das Ziel der JN, eine kaderorientierte Struktur aufzubauen, ist von dem Bemühen geprägt, ein von der NPD unabhängiges Profil zu gewinnen und sich - wie APFEL in dem genannten EuK-Interview betonte - vom "Schoßrock der Mutterpartei" zu lösen (EuK, Nr. 15/ Februar 1996, S. 9). In einem "Plädoyer für den revolutionären Weg" ("Der Aktivist", Nr.2/1996, S.12) bekräftigten die JN ihren Kampf zur Abschaffung des derzeitigen politischen Systems, das prinzipiell schlecht sei und daher nicht reformiert, sondern nur beseitigt werden könne. Man wolle die aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Probleme für den revolutionären Kampf nutzen: "... Eben nur durch den offensiv geführten Kampf für Arbeitnehmerinteressen und gegen die kapitalistischen Monopole kann es der nationalistischen Bewegung dann auch letztendlich gelingen, die wachsende Zahl der Unzufriedenen zu überzeugen und auf die Seite der Sache des Volkes zu ziehen." ("Der Aktivist", Nr. 211996, S. 21) In einem Aufruf zu einer "Nationalrevolutionären 1. Mai Demonstration" in Nürnberg, die im Rahmen einer unter dem Motto "Gegen System und Kapital - unser Kampf ist national" durchgeführten Aktionswoche vom 26. April bis 5. Mai 1996 vor der Bundesanstalt für Arbeit stattfinden sollte, forderten die JN alle "revolutionären Nationalisten/-innen" auf, "die katastrophale Arbeitsmarktund Sozialpolitik der Herrschenden anzugreifen". Die JN als Jugendorganisation der NPD wollten damit jetzt die Möglichkeit nutzen, sich als eine "echte politische Alternative in die Wahrnehmung des Volkes zu bringen", solange die "große Bedrängnis, in der sich das kapitalistische System befindet", anhalte. Deshalb sollten alle nationalen Aktivisten "entschlossenen und bundesweiten Widerstand gegen die kapitalistische Ausbeutungspolitik leisten". Die geplante Großkundgebung zum 1. Mai 1996 wurde jedoch von Rechtsextremismus der Stadt Nürnberg verboten. Aufgrund des Verbots riefen die JN zur Teilnahme an Veranstaltungen in Berlin und Kulmbach/Bayern auf. Der Aufforderung folgten mehrere hundert Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet. Die Polizei stoppte schon im Vorfeld einen Autokonvoi in Richtung Kulmbach und nahm die beteiligten Personen in vorbeugenden Gewahrsam. Allerdings gelang es den JN, im Berliner Bezirk Marzahn eine Demonstration zum Thema "Sozialabbau stoppen - Massenarbeitslosigkeit bekämpfen" durchzuführen. Aus Baden-Württemberg waren mehrere Dutzend JN-Mitglieder sowie Personen aus dem neonazistischen Umfeld an den Ersatzveranstaltungen beteiligt. Der JN-Bundesvorstand und der JN-Vorsitzende APFEL übernahmen in den Aufrufen zur Aktionswoche eindeutige Schlagworte aus dem nationalrevolutionären Bereich. Die Diktion läßt eine Nähe der JN zu den Ansichten der Gebrüder Strasser erkennen, die bis Anfang der 30er Jahre den "linken" Flügel in der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" (NSDAP) verkörperten. Ebenfalls unter dem Motto "Gegen System und Kapital - unser Kampf ist national" fand am 25./26. Mai 1996 in Leipzig-Meusdorf der 25. ordentliche JN-Bundeskongreß statt, an dem rund 150 Personen teilnahmen. Bei der Neuwahl des Bundesvorstands wurde der bisherige Vorsitzende APFEL in seinem Amt bestätigt. Der früher in Hildesheim wohnhafte APFEL zog im September 1996 in die sogenannte NPD-Villa in Erlingen unter Achalm ein, die der NPDLandesverband im Frühjahr 1994 geerbt hatte. Auf dem Bundeskongreß wurde unter anderem eine "Erklärung der JN zu den Verletzungen rechtsstaatlicher Grundsätze in der Bundesrepublik Deutschland" verabschiedet, in der es heißt: "... Wir Jungen Nationaldemokraten sind der Auffassung, daß ein Staat, der Übergriffe und Willkürakte wie die obengenannten (Anmerkung: Verbote, Polizeimaßnahmen etc.) duldet oder gar selbst befiehlt, jede rechtsstaatliche Legitimation verliert und aus diesem Grund als Unrechtsstaat bezeichnet werden muß ..." Das Thema "Repression" findet sich auch in der JN-Publikation EuK, die in zunehmendem Maße neonazistische Tendenzen aufweist. So bot die Juni-Ausgabe (Nr. 16/96) dem Neonazi Meinolf SCHÖNBORN eine Plattform zur Verbreitung eines Beitrags über die angeblichen Repressionsmaßnahmen des Staates gegen ihn. Als Reaktion auf das Vorgehen der Sicherheitsbehörden forderten die JN mit dem Aufruf "Rudolf Hess 1996. Sein Opfer - Unsere Verpflichtung" zur Teilnahme an den Gedenkveranstaltungen zum 9. Todestag von Heß im August 1996 auf: "... Ein Rudolf-Hess-Aktionsmonat, während dem wir einerseits dem Friedensflieger und Märtyrer Rudolf Hess gedenken, andererseits jedoch auch massiven Widerstand gegen die staatlichen Repressionen leisten wollen. Aus diesem Grund lautet das Motto unseres Rudolf-Hess-Aktionsmonats: 'Versammlungsfreiheit statt Verbote!'" (Fehler im Original) Bachs für Rudolf Hess? Die JN, die für 1996 einen "HessSein Tod ist unsere Verpflichtung? Aktionsmonat" propagiert hatten, kündigten für den 3./4. August ein bundesweites Demonstrationswochenende an. Hierzu meldeten sie nahezu 100 Kundgebungen an, die ausnahmslos verboten wurden. Trotzdem versuchten die JN, zum Auftakt der Gedenkveranstaltungen am 3. August in Bad Harzburg einen nicht angemeldeten "Heß-Gedenkmarsch" durchzuführen. Unmittelbar, nachdem sich Freiheit für Günter Decken etwa 50 Rechtsextremisten versammelt und iille anderen (raUrtichea Gelangen"!! hatten, löste die Polizei den Aufmarsch JutiijB Nalionaldemokralun f JNt K u r p M z jedoch auf. Posrtach In Baden-Württemberg fiel besonders der 92 Rechtsextremismus JN-Funktionär Alexander FEYEN, Hemsbach/Rhein-Neckar-Kreis, mit Anmeldungen in verschiedenen Städten unter dem Motto "Versammlungsfreiheit statt Verbote" auf. Die Veranstaltungen wurden jedoch von den Ordnungsämtern der betroffenen Städte ebenfalls verboten, da ein Bezug zum Heß-Todestag angenommen wurde. Außerdem wurden in Baden-Württemberg zahlreiche Aufkleber der JN festgestellt. Zusammen mit zahlreichen Angehörigen der Neonaziszene, die den Todestag von Heß zum Aktionstag erklärt hatten, führten die JN am maßgebliche 17. August eine zentrale Demonstration in Worms durch. An dem Rolle bei Marsch durch die Innenstadt und einer Kundgebung vor einem Krie"Heß-Aktigerdenkmal nahmen nahezu 200 Personen teil. Bei der Auflösung vitäten" der Aktion durch die Polizei wurden 173 Personen in Gewahrsam genommen. Die Führung der JN wertete den "Aktionsmonat" im nachhinein als Erfolg. Indes fiel das hinsichtlich ihrer Rolle bei den diesjährigen "Heß-Aktionen" gezogene Fazit zu optimistisch aus. Die JN ignorierten zum einen die Auseinandersetzungen mit den Neonazis um die richtige Strategie bei den Aktionen, zum anderen ihre geringe Mobilisierungsfähigkeit. So waren bei der Kundgebung in Worms nur etwa 10% der Demonstranten den JN bzw. der NPD zuzurechnen. Zudem konnte die Organisation ihrem Führungsanspruch nicht gerecht werden. Die in den vergangenen Monaten erkennbare zunehmende Akzeptanz der JN innerhalb des aktionistischen Teils der rechtsextremistischen "Szene" setzte sich nach den "Heß-Aktionen" nicht weiter fort. Die JN mußten außerdem erkennen, daß ihr Mobilisierungspotential für einen Aktionsmonat bei weitem nicht ausreichte. Unter dem Motto "Europas Wiedergeburt durch den Befreiungsnationalismus der Völker" fand am 14. September 1996 mit rund 300 Teilnehmern der "3. Europäische Kongreß der Jugend" in Groß Rosenburg/Sachsen-Anhalt statt. An der Veranstaltung nahmen u.a. auch Rechtsextremisten aus Österreich, den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Italien und Rumänien teil. Die Referenten - unter ihnen der NPD-Bundesvorsitzende VOIGT - sprachen sich in ihren Redebeiträgen für eine starke Vernetzung aller Nationalisten in Deutschland wie auch in Europa aus. Die ideologisch-strategische Linie des JN-Bundesvorstands ist jedoch nicht völlig unumstritten. Kritiker gibt es insbesondere im Landesverband Baden-Württemberg. Der Bundesverband vertritt die gePosition einer größeren Unabhängigkeit gegenüber der Mutterpartei unter gleichzeitiger Annäherung an neonazistische Organisationen und Einzelaktivisten, während der JN-Landesverband mit zwei Dritteln der Vorstandsmitglieder aktiv im NPD-Landesvorstand vertreten ist. Allerdings bestehen auch im Landesverband Tendenzen zu einem unbefangenen Umgang mit Neonazis. Einige gemeinsame Veranstaltungen mit Neonazis sowie die "Tolerierung" der Kontakte von JN-Mitgliedern zur neonazistischen "Szene" belegen den neuen Trend. Der "Tag der Heimat" des Bundes der Vertriebenen am 22. September 1996 auf dem Stuttgarter Killesberg wurde von den JN - wie in den vergangenen Jahren - erneut gestört. Aktivisten des JN-Stützpunkts Stuttgart/Ludwigsburg verteilten im Zugangsbereich zum Kongreßzentrum Flugblätter. Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes für diese Schriften war u.a. der ehemalige Bundesvorsitzende der verbotenen FAP, Martin PAPE, Stuttgart. Der Mitgliederbestand des JN-Landesverbands Baden-Württemberg hat sich - nach einer Stagnation in den vergangenen Jahren - spürbar erhöht, ist aber noch immer auf bescheidenem Niveau. Die etwa 40 Mitglieder sind auf die Stützpunkte Stuttgart, Ludwigsburg, Böblingen, Rems-Murr und Kurpfalz verteilt. Dabei übernimmt der Stützpunkt Stuttgart/Ludwigsburg eine Führungsrolle. Auffallend ist die vergleichsweise große JN-Anhängerschaft - also Personen ohne förmlichen Mitgliederstatus -, die eine aktive Arbeit erst ermöglicht. Auch beim Landeskongreß der Jugendorganisation am 23. November 1996 in Böblingen nahmen zwar 90 Personen teil - darunter 94 Rechtsextremismus jedoch nur ca. 30 JN-Mitglieder. Wahlen wurden nicht durchgeführt, Landeskonso daß die Tagung ohne besondere Höhepunkte blieb. Im Anschluß greß in Böban den Kongreß fand ein Liederabend mit dem rechtsextremistiÜngen sehen Liedermacher RENNICKE statt. 4.4 "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) Gründung: 1991 (Aufgabe des Parteistatus im Oktober 1996) Sitz: Coburg Mitglieder: ca. 100 Baden-Württemberg (1995: ca. 130) ca. 800 Bund (1995: ca. 900) J Aktuelle Situation Die im Jahr 1991 gegründete "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) gab in einer "Erklärung zum Ausgang der Landtagswahlen vom 24. März 1996" in Baden-Württemberg bekannt, den Status als Partei aufzugeben und als Verein fortzubestehen. Der Bundesvorstand habe auf seiner Sitzung am 13./14. April 1996 "das Präsidium einstimmig aufgefordert, alle Schritte einzuleiten, um den ParteiAufgabe des status in einen Vereinsstatus umzuwandeln. Damit sollen die SpielParteistatus räume für neue Initiativen erweitert und auch anderen signalisiert werden, ihrerseits zu prüfen, was sie zur Überwindung rechter Spaltung beitragen können" (Anm.: Unterstreichung im Original). Die DLVH werde bei Wahlen nicht mehr neben anderen rechtsextremistischen Parteien antreten. Infolgedessen hat sich die DLVH auf ihrem Bundeskongreß am 19. Oktober 1996 in Pfofeld/Bayern als politische Partei aufgelöst und die Rechtsform eines Vereins angenommen. Mit dieser Umwandlung soll den DLVH-Mitgliedern die Möglichkeit eröffnet werden, sich anderen "rechten" Parteien anzuschließen, um so die "Einheit der Rechten" voranzutreiben. 95 Während des Parteitags, an dem etwa 135 Personen teilnahmen, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern des Bundesvorstands und einer oppositionellen Gruppe, die sich gegen eine Umwandlung aussprach. Die drei Bundessprecher Harald NEUBAUER (Bayern), Jürgen SCHÜTZINGER (VillingenSchwenningen) und Ingo STAWITZ (Schleswig-Holstein) befürworteten die Veränderung. Sie hatten die Mitglieder bereits im Vorfeld wiederholt zur Teilnahme an dem Parteitag aufgerufen, da "eine Nischenexistenz als erfolglose Splitterpartei" dem Einigungsauftrag widerspräche, der "uns alle zusammengeführt hat. Wir brauchen neuen Bewegungsspielraum, neue Kontakte, neue Verbündete". Nach der sich an die Diskussion anschließenden Abstimmung über die Änderung der Rechtsform (Ergebnis: 67:25 bei 2 Enthaltungen für die Umwandlung) kam es zu Tumulten, als die "Opposition" ihre Wut und Enttäuschung über die Abstimmungsniederlage zum Ausdruck brachte. Danach wurde den Mitgliedern ein neues "Manifest" unterbreitet, in dem die politischen Grundpositionen sowie die Ziele und die künftige Tätigkeit des Vereins dargelegt sind. Demzufolge befürwortet die DLVH eine "breite Bewegung des demokratischen Patriotismus", die "nationales Bewußtsein ermutigen" soll, um der "Zerstörung deutscher Lebensgrundlagen solidarisch und aktiv zu begegnen", und stellt ausdrücklich klar: "... Die DEUTSCHE LIGA wendet sich entschieden gegen maßlose und unkontrollierte Einwanderung, gegen Asylmißbrauch und Überfremdung. Deutschland darf nicht zum Vielvölkerstaat werden ... Die DEUTSCHE LIGA bekennt sich zu einer Wirtschaftsund Sozialordnung der nationalen Präferenz. Arbeitsplätze, Wohnraum und soziale Versorgung müssen vorrangig den Einheimischen zur Verfügung gestellt werden ..." Die politischen Aussagen der DLVH im "Manifest" präsentieren sich Rechtsextremismus zwar weniger polemisch als in der Präambel des früheren Parteiprogramms, allerdings sind sie unverändert nationalistisch geprägt. DEUTSCHLAND ODER PUTSCHE verlasse-es INITIATIVE ZUR VEREINIGUNG DER RECHTEN LIGA: garantiert inländerfreu * Organisation Die neue Vereinssatzung sieht die Beibehaltung der OrganisationsBeweha bezeichnung und -struktur vor. Der bestehende Bundesvorstand bleibt tung der im Amt. Strukturen Die parteipolitische Präsenz der DLVH blieb bundesweit unbedeutend. Obwohl sie sich auch gegenüber Neonazis geöffnet hat, mußten Mitgliederverluste und damit verbundene finanzielle Einbußen hingenommen werden. Der Einfluß der Organisation dokumentiert sich im wesentlichen aus ihrer Nähe zu rechtsextremistischen Publikationen wie der von den DLVH-Bundesvorstandsmitgliedern Peter DEHOUST und NEUBAUER im "NATION & EUROPA Verlag GmbH" in Coburg herausgegebenen Zeitschrift "NATION & EUROPA - Deutsche Monatshefte" und dem Organ "EUROPA VORN", das von dem ehemaligen Kölner Ratsherrn der DLVH, Manfred ROUHS, publiziert wird. 97 * Aktivitäten Die von der DLVH maßgeblich mitinitiierten "Runden Tische" brachten ihr nicht den gewünschten Erfolg als "Sammlungspartei der Erfolge bei nationalen Rechten". Die Versuche, sich als Bündnisbewegung zu Einigungsetablieren, fanden 1996 lediglich eine Fortsetzung in einem von der bestrebungen DLVH organisierten "Gemeinschaftskongreß", der im Anschluß an aller "rechden Bundesparteitag am 20. Oktober 1996 stattfand. Hauptredner ten" Parteien der Veranstaltung, an der rund 300 Personen teilnahmen, war der ehemalige REP-Bundesvorsitzende Franz SCHÖNHUBER, der sich dafür einsetzte, frühere Streitigkeiten zu überwinden und "gemeinsam Opposition gegen das Bonner Parteienregime zu betreiben". Das "rechte" Lager rief er auf, Trennendes zu vergessen. Der Landesverband Baden-Württemberg entfaltete 1996 nur geringe Aktivitäten. Sie beschränkten sich auf kaum beachtete Veranstaltungen. Dazu gehörte der 6. ordentliche Landesparteitag am 29. Juni 1996 in Spielbach/Krs. Schwäbisch-Hall mit nur 30 Teilnehmern. Er war geprägt von dem Bemühen, die wenigen noch verbliebenen Mitglieder dafür zu gewinnen, den Parteistatus aufzugeben; Wahlen fanden nicht statt. Darüber hinaus nahmen lediglich einzelne Mitglieder an Vortragsveranstaltungen der "Liga" teil. Das von Jürgen SCHÜTZINGER ins Leben gerufene Projekt einer "Leserbriefzeitung" dient nur dazu, den Schein eines weiterhin aktiven Landesverbands aufrechtzuerhalten. 98 Rechtsextremismus 5. "Gesellschaft für Freie Publizistik" (GFP) Gründung: 1960 Sitz: München, Sekretariat in Oberboihingen/Krs. Esslingen Mitglieder: Baden-Württemberg: ca. 30 Bund: ca. 400 Publikation: "Das Freie Forum" Die "Gesellschaft für Freie Publizistik" (GFP) wurde im Jahr 1960 von rechtsextremistischen Verlegern, Publizisten und Schriftstellern mit dem Ziel gegründet, Aufklärungsarbeit zu leisten und die angeblich verzerrende Darstellung der Zeitgeschichte zu korrigieren. Vorsitzender der GFP ist der ehemalige "Chefideologe" der NPD, Dr. Rolf KOSIEK. Der bundesweit noch ca. 400 Mitglieder zählende Verein veranstaltet alljährlich einen sogenannten "Gesamtdeutschen Kongreß" mit namhaften Referenten aus dem rechtsextremistischen Lager. Bei dem Initiator des "7. Gesamtdeutschen Kongreß", der vom 19. bis zum 21. April 1996 "7. Gesamt' in Fürth am Berg/Bayern unter dem Motto "Deutschland im Europa deutschen freier Völker. Maastricht ist keine Lösung für die Zukunft" stattKongresses" fand, referierte neben dem zwischenzeitlich verstorbenen ehemaligen NPD-Parteivorsitzenden Adolf von THADDEN auch der rechtsextreme Verleger DEHOUST. Als weitere Referenten traten der frühere NPD-Landtagsabgeordnete Karl BASSLER und der DLVHBundessprecher und ehemalige REP-Europaabgeordnete NEUBAUER auf. In seinem Vortrag führte BASSLER u.a. aus: "... Seit 1945 wollen uns die Vertreter der westlichen Besatzungsmächte darüber belehren, daß die persönliche Freiheit aus ihren Ländern zu uns gekommen sei, und die Bonner Kreaturen 99 dieser Umerzieher sehen seit 50 Jahren ihre Aufgabe darin, diesen eklatanten Schwachsinn zur Grundlage und Berechtigung ihrer schändlichen Unterwerfungspolitik zu machen ..." ("KONGRESS-PROTOKOLL 1996", S. 54) "... Das Bonner System führt zum Volkstod. Wird diesem Verhängnis nicht in aller Kürze mit aller Kraft Einhalt geboten, ist in wenigen Jahrzehnten eine geschichtliche Katastrophe größten Ausmaßes unvermeidbar." ("KONGRESS-PROTOKOLL 1996", S. 74) Neben der Verunglimpfung der Bundesrepublik Deutschland zeichneten sich die weiteren Vorträge auch durch rassistische Äußerungen aus: "... Der sogenannte 'multikulturelle' Schmelztiegelmensch - und das meint offenbar die Bastardisierung fast der ganzen Menschheit - trifft auf unseren unerbittlichen Widerstand ... ; die herrlichen Völker dieser Erde, zu denen auch das deutsche gehört, müssen vor diesem Jahrtausendverbrechen bewahrt werden, denn das wäre nun wahrhaftig Völker-Mord (pl.): der Völker Mord! ..." ("KONGRESS-PROTOKOLL 1996", S. 91) 6. Organisationsunabhängige rechtsextremistische Verlage und Propagandatätigkeiten 6.1 "GRABERT-Verlag"/"Hohenrain-Verlag" Am 4. Juni 1996 wurden erneut die Verlagsräume der rechtsextremistischen Buchverlage "GRABERT-Verlag" und "Hohenrain-Ver- Rechtsextremismus lag" in Tübingen durchsucht. Gegen den Inhaber Wigbert GRABERT bestand der Verdacht der Volksverhetzung sowie der Herstellung und Verbreitung jugendgefährdender Schriften. Gegenstand des Ermittlungsverfahrens war das unter dem Pseudonym Carl-Friedrich Berg veröffentlichte Buch "Wolfsgesellschaft - Die demokratische Gemeinschaft und ihre Feinde". Als Autor konnte eine zuletzt in Frankfurt am Main gemeldete Person ermittelt werden. Bei der Durchsuchung wurden 2.800 Exemplare des Buches aufgefunden. Ein weiteres Werk des Autors Berg "In Sachen Deutschland - Insiderprotokoll über die Liquidation einer Nation" wurde bereits zu Beginn des Jahres 1996 eingezogen. Der "Hohenrain-Verlag" ist ein Tochterunternehmen des "GRABERT-Verlags", der als einer der größten deutschen rechtsextremistischen Verlage mit Programmschwerpunkt im "revisionistischen" Bereich angesehen wird. In der jüngeren Vergangenheit wurden wiederholt Bücher der beiden Verlage beschlagnahmt und gerichtlich eingezogen bzw. von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. GRABERT wurde am 15. Juni 1996 im Zusammenhang mit dem ebenfalls von ihm vertriebenen Buch "Grundlagen zur Zeitgeschichte: Ein Handbuch über strittige Fragen des 20. Jahrhunderts" vom Amtsgericht Tübingen wegen Volksverhetzung, Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zu einer Geldstrafe von 30.000 DM verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der "GRABERT-Verlag" gibt neben der Vierteljahresschrift "Deutschland in Geschichte und Gegenwart" (DGG) die zweimonatlich erscheinende Publikation "Euro-Kurier - Aktuelle Buchund Verlags-Nachrichten" heraus, die beispielsweise aktuelle politische Themen folgendermaßen kommentierte: "Die wirklichen Volksund Staatsfeinde, die durch Schaffung einer multikulturellen Gesellschaft das deutsche Volk zerstören wollen, die durch Abschaffung der D-Mark unsere wirt- schaftliche Zukunft gefährden, die durch Aufgabe der deutschen Souveränität an Brüssel wie durch ihre Verzichtspolitik in bezug auf Ostdeutschland und das Sudetenland laufend Landesund Hochverrat begehen, beherrschen die öffentliche Meinung." ("Euro-Kurier", 6. Jg., Nr. 6, Dezember 1995) "Die hochgradige Neurotisierung der Deutschen auf ein groteskes Schuldund Reuebewußtsein hin kam erst wieder in der völlig überzogenen Reaktion des Bundespräsidenten auf die Lübecker Brandkatastrophe zum Ausdruck. Die Stellungnahmen von Politikern und Medien sind kaum anders als in psychopathologischen Kategorien zu verstehen. ... Nach dem zeitgeschichtlichen Tabu droht nun auch ein solches für jede Kritik an der Überfremdung, am Asylmißbrauch, an den Ausländerlasten für den deutschen Steuerzahler." ("Euro-Kurier", 7. Jg., Nr. 2, April 1996) 6.2 Neuartige Propagandatätigkeiten von Rechtsextremisten Rechtsextremisten betreiben in letzter Zeit verstärkt eine neue Propagandastrategie: Sie versuchen über Anzeigen in Zeitungen, nicht direkt als rechtsextremistisch erkennbare Auffassungen in die Öffentlichkeit zu lancieren. Dabei bedienen sie sich auch solcher Personen, die nicht dem Rechtsextremismus zuzuordnen sind. Ein Anzeige in bemerkenswertes Beispiel dafür ist eine Anzeige - abgedruckt in der FAZ der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) vom 19. Juli 1996 -, in der für ein Buch "Das Ende der D-Mark. Vision oder Wahnsinn?" geworben wurde. Dem Anzeigentext zufolge gehörten zu den Autoren u.a. mehrere bekannte Politiker demokratischer Parteien, deren Texte aus Bundestagsdrucksachen u.a. Veröffentlichungen wieder102 Rechtsextremismus gegeben wurden. Als Verlag wurde eine "Edition Gie - Tübingen" angegeben. Bereits 1995 war in der FAZ eine Anzeige für das Buch "50 Jahre Vertreibung" aus dem "Hohenrain-Verlag" mit Beiträgen von bekannten demokratischen Politikern, aber auch von Rechtsextremisten wie dem DVU-Vorsitzenden Dr. FREY und dem ehemaligen REP-Vorsitzenden SCHÖNHUBER, veröffentlicht worden. Bei der "Edition Gie - Tübingen" handelt es sich offensichtlich um einen Ableger des rechtsextremistischen "GRABERT-Verlags". 6.3 Rechtsextremistische Einflußnahme auf die Esoterikszene Die Staatsanwaltschaft Mannheim hat gegen einen in Baden-Württemberg wohnhaften Buchautor am 17. September 1996 Anklage u.a. wegen Volksverhetzung erhoben. Dieser hatte unter dem Pseudonym "Jan van Helsing" zwei antisemitische Bücher unter dem Titel "Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert oder wie man die Welt nicht regiert" sowie "Geheimgesellschaften 2 - Interview mit Jan van Helsing" verfaßt, die besonders im Bereich der Esoterikszene große Verbreitung fanden. Die allgemeine Beschlagnahme war bundesweit im März 1996 angeordnet worden. In der letztgenannten Publikation hieß es beispielsweise: "Die Wahrheit muß auf den Tisch, auch wenn dabei ein nach außen hin perfekt aufgebautes Image einer kleinen 'elitären' Bevölkerungsgruppe zu bröckeln beginnen mag (S.ll). ... So nun raten Sie mal, wer die Gruppe war, mit der die Marcabianer den Vertrag geschlossen hatten? Bingo - die Hebräer! (S.75) ... Ich habe soeben sieben verschiedene jüdische Quellen verwendet, die ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, zur Ausrottung des deutschen Volkes aufrufen - einem Holocaust an den Deutschen! (S.95). ... Und die einzigen, die in den genannten Kreisen Bestechungsgelder austeilen, sind fast ausschließlich Beschnittene (S. 99)." (Fehler im Original) THULE - Netz Nationale Info-Telefone (NIT) THE WHITE HOUSE.BBS Oslo/N OST-WEST WHITE BOARD Amheim/NL Grafik: LfV BW Stand: Dezember 1996 104 Rechtsextremismus 7. Nutzung der neuen Medien durch Rechtsextremisten 7.1 Mailbox-System THULE-Netz Das im Jahr 1992 ins Leben gerufene rechtsextremistische Mailboxsystem THULE-Netz konnte 1996 erstmals nicht weiter expandieren. Nach dem Ausscheiden der in Berlin ansässigen Mailbox "SOREVO.BBS" im Oktober 1996 gab es zum Jahresende bundesweit neun betriebsbereite Boxen, davon in Baden-Württemberg die "PROPAGANDA.BBS" in Karlsruhe sowie die "ELIAS.BBS" in Oftersheim. Die bis März 1996 von einem NPD-Aktivisten in Weinheim betriebene "REIßWOLF. BBS" ist seit der Inhaftierung des stellvertretenden NPD-Vorsitzenden DECKERT inaktiv. Im Ausland waren Ende 1996 zwei mit dem THULE-Netz verbundene Mailboxen in den Niederlanden und in Norwegen online. Während in den ersten Jahren seit Bestehen des THULE-Netzes überwiegend über alltägliche Dinge berichtet und diskutiert wurde, konnte 1996 eine verstärkte Politisierung beobachtet werden. Dies dürfte insbesondere auf die vermehrte Teilnahme von Anhängern rechtsextremistischer Parteien und Organisationen zurückzuführen sein. Die der neonazistischen Organisation "Die Nationalen e.V." nahestehende Publikation "Berlin-BrandenburgerZeitung der nationalen Erneuerung" (BBZ), die mittlerweile auch eine Regionalausgabe in Baden-Württemberg herausgibt (s. Kap. 3.2.1), ist im THULE-Netz ebenso vertreten wie Mitglieder der NPD. Im Zusammenhang mit dem Rudolf-Heß-Gedenktag gab es 1996 eine umfangreiche Berichterstattung. In einer Mail rief ein Neonazi alle "Nationalen" zur "Vernetzung ohne Organisationen" auf. Im einzelnen forderte er: - "Darum, das BBZ-Projekt mit sämtlichen Regionalausgaben stützen! - Darum in jede Kameradschaft mindestens EIN Faxgerät! - Darum Nationale Info-Telefone unterstützen, Nachrichten schreiben etc.! - Darum aus jeder Kameradschaft mindestens EINER ins Thule-Netz! - Darum in jede Kameradschaft mindestens EIN Mobiltelefon! - Darum benötigt jede Kameradschaft ein Postfach!" Nach wie vor sind die Betreiber der einzelnen Boxen darauf bestrafrechtdacht, strafrechtlich relevante Texte zu vermeiden, um keine Anlieft relevanhaltspunkte für eine strafrechtliche Verfolgung zu bieten. Beim te Texte solAuftreten bedenklicher Mails werden diese sofort gelöscht und der len vermieVerfasser gerügt. Im Februar 1996 sperrte der Betreiber der den werden "ELIAS.BBS" den Themenbereich "Parole Spaß", um nach einer kurz zuvor ergangenen Verurteilung wegen Beihilfe zur Volksverhetzung seine Bewährung nicht zu gefährden. Ansonsten werden weiterhin in jeder Mailbox unterschiedliche Themenbereiche, sogenannte Bretter, angeboten, die sich mit Themen wie "Anti-Antifa", europäischer Nationalismus und Zeitgeschichte, aber auch ganz alltäglichen Dingen befassen. Darüber hinaus bestehen z. B. Bretter zu den "Republikanern", der NPD und der DVU, die allerdings nicht von den Parteien selbst mit Informationen versorgt werden, sondern in denen Meldungen über sie zu lesen sind. Im THULE-Netzwerk besteht die Mailboxeinheit aus einem Computer, einem Modem und der Kommunikationssoftware; sie ist in der Regel rund um die Uhr erreichbar. Wer sich an einer Mailbox beteiligen möchte, muß sich als Benutzer registrieren lassen. Der Sysop (Abkürzung für Systemoperator, Betreiber einer Mailbox) entscheidet nach den unterschiedlichsten Gesichtspunkten über eine Beteiligung eines neuen Users (Nutzer). Vertrauenswürdigkeit und die Aktivität im Netz sind entscheidend dafür, wie umfangreich die Zugänge innerhalb der Box gestattet und wohin die eigenen Beiträge des Users weitergeleitet werden. Neben dem üblichen Paßwortschutz sind die Zugangsberechtigungen zu den Datenbeständen der ZugriffsbeMailbox durch Zugriffsebenen geregelt. Wer über entsprechende schränkunKontakte verfügt und sich zusätzlich aktiv beteiligt, kann seinen gen Zugriffsbereich erweitern. Die dazu erforderliche Berechtigung ver106 Rechtsextremismus schafft ihm der Sysop. Zur weiteren Absicherung wird ein digitales Verschlüsselungsprogramm in den privaten Brettern verwendet. Nur wer den entsprechenden Schlüssel besitzt, kann die Nachricht lesen. Persönliche Kontakte der Betreiber und Benutzer bestehen über sogenannte Sysopund Usertreffen, die in unregelmäßigen Abständen stattfinden. Seit dem 8. Juli 1996 ist das THULE-Netz offiziell im weltweiten Internet vertreten. Unter einer eigenen Netzadressierung können die THULE-Seiten abgerufen werden, die umfangreiche Informationen zum THULE-Netz und zu den einzelnen Boxen, Ausführungen über die Nutzung der Verschlüsselungssoftware PGP ( = Pretty Good Privacy), Wissenswertes zur Datenfernübertragung, Texte zu Politik, Kultur und Philosophie sowie "Links" (automatisierte Weiterleitungen zu weiteren Datenfundstellen) zu anderen Internet-Anbietern enthalten. Dabei wird streng darauf geachtet, nur rechtlich unbedenkliche Verweise aufzunehmen, d.h. es bestehen beispielsweise keine direkten Verbindungen zu rechtsextremistischen Organisationen wie der in Lincoln/Nebraska ansässigen "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei/Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP/ AO) oder zu den Internet-Seiten des in Kanada lebenden deutschen "Revisionisten" Ernst ZÜNDEL. Im Juni und November 1996 fanden zwei "Nationale Internetkongresse" statt, die maßgeblich von der NPD und den JN initiiert worden waren. Gleich bei dem ersten Treffen wurde ein "Arbeitskreis Internet" gegründet, zu dessen Leiter das JN-Mitglied Michael PRÜMMER aus Stolberg (Nordrhein-Westfalen) gewählt wurde. Als Hauptaufgaben des Arbeitskreises werden "die weitere Erstellung und Koordinierung von nationalen Internet-Projekten, die Bereitstellung von konkreten Hilfen für Neueinsteiger und die Durchführung von Schulungen" genannt. 7.2 Internet Durch die Weiterentwicklung und Ausbreitung computergestützter Kommunikationssysteme auf nationaler, aber insbesondere auf inExtremisten ternationaler Ebene greifen zunehmend auch politische Extremisten zu diesen neuen Informationsund Kommunikationsmedien. Infolge dieser Entwicklung ist es für die Sicherheitsbehörden von größtem Interesse, diesen bislang für alle Beteiligten völlig neuartigen Bereich der Kommunikation hinsichtlich der Aktivität von Extremisten im Netz zu beobachten und inhaltlich auszuwerten. Aufgrund der relativ einfachen und verhältnismäßig preiswerten Handhabung sowie der anarchischen und damit vor staatlichen Sanktionen relativ sicheren Grundstruktur des Internet ist in Zukunft verstärkt damit zu rechnen , daß extremistische Gruppierungen das Internet für ihre Zwecke nutzen . So können Gesinnungsgenossen in der Bundesrepublik Deutschland mit Propagandamaterial aus dem Ausland versorgt werden, dessen Verbreitung hier strafbar ist. Aufgrund der vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten können z.B. konventionelle Printmedien extremistischer Gruppen längerfristig durch Informationen in Datennetzen ersetzt oder zumindest parallel im Netz angeboten werden. Politische Extremisten haben die technischen Möglichkeiten von Mailboxen und Internet erkannt und wollen diese auch gezielt weiter ausbauen: "... Mit dem THULE-Netz verfügt die Nationale Opposition erstmals über einen umfassenden Nachrichtendienst. Mittels Internet erreichen nationale Gedanken effektiv die breite Masse von weltweit etwa 70 Millionen Netzteilnehmern. Dabei handelt es sich ... hauptsächlich um die Info-Eliten, das heißt medialen Multiplikatoren, auf die es heute ankommt. Vor dem Hintergrund der übermächtig erscheinenden gleichgeschalteten Presse sind die Neuen Medien deshalb der Kernpunkt nationaler Gegenöffentlichkeit. ... Die weltweite Datenautobahn ist eine schnelle 108 Rechtsextremismus und vergleichsweise preiswerte Methode, Informationen bereitzustellen und auszutauschen. Das soll in Zukunft verstärkt für nationale Projekte genutzt werden. So ist unter anderem geplant, nationale Zeitschriften, programmatische Texte, aktuelle Meldungen, rechtliche Informationen,Flugblattvorlagen sowie Diskussionsforen zu veröffentlichen." (" Süddeutsche Allgemeine - Zeitung der nationalen Erneuerung" - SAZ , Nr. 3, Aug./Sept. 1996, S. 4) Gegen mehrere Provider (Anbieter von Internetzugängen) in der Bundesrepublik Deutschland leitete die Staatsanwaltschaft Mannheim zu Beginn des Jahres 1996 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beihilfe zur Volksverhetzung ein, da diese den Zugang zu Texten des "Revisionisten" Ernst ZÜNDEL im Internet bereitstellten. Der amerikanische Internetanbieter "America Online" (AOL) sperrte im Oktober 1996 die Internetseite des "Michael Prümmer Versands" mit der Begründung, sie enthalte inakzeptable nationalsozialistische Inhalte. Dieser Versanddienst hatte seit Mai 1996 Bücher, CDs und Videos mit rechtsextremistischen Inhalten über das Internet angeboten. Als erster Internetanbieter hat damit ein Provider Konsequenzen aus der Forderung gezogen, in den frei zugänglichen Computernetzen hinsichtlich rechtsextremistischer Inhalte eine freiwillige Selbstkontrolle einzurichten. Solange sich allerdings andere Internetanbieter und Onlinedienste dieser Maßnahme nicht anschließen, wird weiterhin extremistische Propaganda über das Internet verbreitet werden können. Insgesamt ist die Neigung von Providerdiensten zu Beschränkungen von Leistungen im Internet bislang sehr gering. Insbesondere in den USA wird jede Art von Restriktion - entweder durch Selbstkontrolle oder staatliche Sanktion - als Einschränkung verfassungsrechtlich garantierter Meinungsfreiheit und damit als Zensur empfunden und abgelehnt. Dem Netz entzogene Informationen werden z. T. von Verfechtern der absoluten Meinungsfreiheit im Internet in Form sogenannter mirror-sites auf Umwegen wieder in das Netz eingespielt, um auf diese Weise derartige Beschränkungen zu unterlaufen. Selbst wenn die deutschen Serviceprovider (Anbieter) und Onlinedienste aufgrund von Indizierungen den unmittelbaren Zugriff ihrer Kunden auf die Seiten im Internet im Bereich des "World Wide Web" (WWW) sperren, wird jedem Internetnutzer dennoch weiterhin der mittelbare Zugang über ausländische Provider möglich sein. 8. Internationale Verflechtungen des Rechtsextremismus Die Kontakte bundesdeutscher Rechtsextremisten zu Gesinnungsgenossen im Ausland gingen im Vergleich zu den Vorjahren erkennbar zurück. So nahmen 1996 weit weniger Personen als früher Treffen in an den beiden jährlichen Großereignissen, der sogenannten YserBelgien, Wallfahrt am 23 ./24. August 1996 in Diksmuide/Belgien sowie den Spanien und Gedenkfeiern vom 22. bis 24. November 1996 zum Todestag des Schweden spanischen Diktators Franco in Madrid teil. An einer Demonstration am 17. August 1996 im schwedischen Trollhättan anläßlich der diesjährigen Rudolf-Heß-Aktionen beteiligten sich überwiegend Rechtsextremisten aus dem skandinavischen Raum; aus Deutschland nahmen nur wenige Personen teil. In Diksmuide/Belgien kam es aufgrund des hohen Aufgebots von Sicherheitskräften und der mittlerweile ablehnenden Haltung der Veranstalter gegenüber der Teilnahme europäischer Neonazis zu keinen nennenswerten Ausschreitungen. Mehrere deutsche Rechtsextremisten waren bereits im Vorfeld von den belgischen Behörden festgenommen und ausgewiesen worden. Zu den Franco-Gedenkfeiern fanden sich lediglich 50 deutsche Rechtsextremisten in Madrid ein; 1995 waren es noch 200. Der amerikanische Neonazi Gary Rex LAUCK wurde am 22. August 1996 vom Landgericht Hamburg zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Auslieferungsbzw. Untersuchungshaft, die er seit seiner Inhaftierung in Dänemark und Deutschland ver110 Rechtsextremismus büßt hatte, wurden auf die Dauer der Strafhaft angerechnet. Das Gericht sah es als erwiesen an, daß sich LAUCK - er bezeichnet sich selbst als "Organisationsleiter" der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei/Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP/AO) - durch die Einschleusung der Publikation "NS Kampfruf nach Deutschland der Volksverhetzung, der AufstaLAUCK u.a. chelung zum Rassenhaß und der Verbreitung von Propagandamitteln wegen Volkssowie der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Orverhetzung ganisationen schuldig gemacht hatte. Andere Anklagepunkte wurverurteilt den wegen Verjährung fallengelassen. LAUCK war am 20. März 1995 in Dänemark verhaftet und am 5. September 1995 an Deutschland ausgeliefert worden. Die Urteilsverkündung stieß in der deutschen Neonaziszene nur auf geringe Resonanz. Bei Prozeßeröffnung am 9. Mai 1996 waren trotz bundesweiter Mobilisierung nur etwa 40 rechtsextremistische NS KÄMPFRUF KAMPFSCHRIFT DER NATIONALSOZIALISTISCHEN DEUTSCHEN ARBEITERPARTEI AUSLANDS UND AUF BAU ORGANISATION Demonstranten anwesend. Bereits nach Am 9. Mai In Hamburg seiner Festnahme hatte sich gezeigt, daß GERHARD LAUCK VOR LAUCK in Deutschland nur über eine SONDERGERICHT! geringe Anhängerschaft verfügt und seine Bedeutung nicht über die eines Vertreibers von neonazistischem Propagandamaterial hinausgeht. Dieses hatte LAUCK seit Jahrzehnten in die Bundesrepublik Deutschland, auch nach BadenWürttemberg, eingeschleust. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Hamburg waren auch mehrere Wohnungen in Baden-Württemberg durchsucht worden, bei denen teilweise einschlägiges Material der NSDAP/AO beschlagnahmt werden konnte. Die Zeitung "NS Kampfruf der NSDAP/AO war nach der Verhaftung LAUCKs nur noch in wenigen, nicht mehr regelmäßig erschei111 nenden Ausgaben verbreitet worden. Allerdings sind Texte der NSDAP/AO seit einigen Monaten im Internet abrufbar. Aus Großbritannien verschickte wie in den vergangenen Jahren ein unbekannter Herausgeberkreis "Die Freunde im Ausland" (DFiA) das antisemitische Hetzblatt "National Journal" als Nachfolge-Publikation des früheren "Deutschland-Reports" bzw. der "REMERDepesche", die jahrelang im Bundesgebiet verbreitet wurden. In dem Blatt hieß es u.a.: "Ignatz Bubis ist Deutscher jüdischen Glaubens. Rita Süßmuth und Helmut Kohl können ihn sich als Bundeskanzler vorstellen. Warum sollen wir zu ihm Vertrauen haben, wo doch Theodore N. Kaufman, Amerikaner jüdischen Glaubens, alle Deutschen bereits 1941 durch Sterilisation ausrotten wollte. Warum nicht Ocalan? Er verehrt zumindest das Deutschtum. ... Fatalerweise hat Bundeskanzler Kohl das persönliche Glaubensbekenntnis des verstorbenen Judenvorsitzenden, Heinz Galinski, von den angeblich vier Miltönen in Auschwitz Ermordeten (fast nur Juden) ... zur Staatsräson erklärt; gegen Sinnund Wortgehalt unseres Grundgesetzes. Um die Staatsräsonzahl zu schützen, muß die politische Justiz weiterhin verfolgen und inhaftieren." ("National Journal", Nr. 7, Juli 1996 - Fehler im Orginal) 9. "Revisionisten" Unter der selbstgewählten Bezeichnung "Revisionisten" versuchen inund ausländische Rechtsextremisten, Tatsache und Umfang des millionenfachen Mordes an Juden in der Zeit des Nationalsozialismus sowie die Schuld Deutschlands am "Zweiten Weltkrieg" zu ver- Rechtsextremismus tuschen, zu leugnen oder wenigstens zu mindern. Mit Hilfe pseudowissenschaftlicher Gutachten soll dabei die These untermauert werden, eine Vergasung von Menschen sei in Auschwitz schon allein aus technischen Gründen gar nicht möglich gewesen. Ziel des "Revisionismus", der mittlerweile eines der wichtigsten rechtsextremistischen Agitationsfelder darstellt, ist die Rehabilitierung des Nationalsozialismus, um ihn wieder salonfähig zu machen. rung Die deutschen "Revisionisten" haben sich auch 1996 von den im Jahr 1995 gegen sie ergangenen Maßnahmen der Sicherheitsbehörden nicht erholt. Der Diplom-Chemiker Germar SCHEERER geb. RUDOLF alias Ernst Gauss (Pseudonym) aus Steinenbronn/Krs. Böblingen, der über einen längeren Zeitraum als einer der maßgeblichen Autoren der bundesweiten Revisionistenszene seine "revisionistischen" Texte in verschiedenen rechtsextremistischen Printmedien publiziert hatte, war am 23. Juni 1995 u.a. wegen Volksverhetzung und AufStachelung zum Rassenhaß vom Landgericht Stuttgart zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten ohne Bewährung verurteilt worden. Nach der Zurückweisung der von ihm eingelegten Revision durch den Bundesgerichtshof (BGH) flüchtete er im Sommer 1996 vermutlich nach Spanien. SCHEERER hatte in seinem "Gutachten über die Bildung und Nachweisbarkeit von Cyanidverbindungen in den 'Gaskammern' von Auschwitz" (sogenanntes RUDOLF-Gutachten) den Massenmord an Juden während des "Dritten Reiches" in den Konzentrationslagern von Auschwitz und Birkenau geleugnet. Der in Toronto/Kanada lebende deutsche "Revisionist" ZÜNDEL verbreitete seine antisemitischen und volksverhetzenden Thesen wie in den Jahren zuvor. Er benutzt neben seinen mit der Post verschickten "GERMANIA-Rundbriefen" in immer stärkerem Maße das Internet für die Verbreitung seiner Texte. Mehrere Seiten seiner "Homepage" (Internettitelseite) wurden 1996 durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. ZÜNDEL ist im "World Wide Web" (WWW) mit seiner als "Zündelsite" bezeichneten "Homepage" vertreten, die umfangrei- che Textund Bildangebote enthält. Er fühlt sich jedoch durch die Indizierung einiger seiner Internetpublikationen nicht in seinen Aktivitäten behindert. Vielmehr ist davon auszugehen, daß er diese Maßnahme sogar weiter nutzen wird, um für seine Veröffentlichungen im Internet Werbung zu machen: "Die böse Tat der deutschen Zensoren hatte sich genau ins Gegenteil umgeschlagen. Anstatt meine Gedanken und Ideen zu unterdrücken, halfen die Zensoren, sie weltweit erst richtig bekannt zu machen." ("GERMANIA-Rundbrief", Nr. 202 vom 15. Februar 1996) Rechtsextremismus Weitere namhafte Vertreter der "Revisionisten" wie Otto-Ernst führende REMER und Gerd HONSIK sollen sich ebenfalls in Spanien aufRevisionisten halten. Sie entwickelten jedoch 1996 keine nennenswerten Aktivitäten mehr. Thies CHRISTOPHERSEN, der sich 1986 durch Flucht nach Dänemark, später in die Schweiz und nach Spanien, einem Strafverfahren entzogen hatte, wurde am 31. Januar 1997, als er nach Deutschland zurückkehrte, festgenommen. Aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes des 79jährigen wurde der bestehende Haftbefehl jedoch außer Vollzug gesetzt. Am 13. Februar 1997 verstarb er in einem Kieler Seniorenheim. 10. Neue Strategien im Bereich des intellektuellen Rechtsextremismus In einer Anzeige mit dem Titel "Appell der 500 - Die Meinungsfreiheit ist in Gefahr!" - veröffentlicht in der "Stuttgarter Zeitung" vom 19. Juli 1996 - wurde der Justiz vorgeworfen, sie schränke mit ihrem Vorgehen gegen Vertreter kritischer Meinungen zur Zeitgeschichte die Freiheit der Meinung, Forschung und Lehre ein. In dem Appell hieß es u.a.: "Wir, die Unterzeichneten, haben in letzter Zeit mit Besorgnis zur Kenntnis nehmen müssen, daß in Deutschland in zunehmendem Maße Sondergesetze und strafrechtliche Verfolgung gegen Verleger, Redakteure und Autoren - auch gegen Wissenschaftler - wegen deren begründeter Äußerungen zu bestimmten Fragen der Zeitgeschichte eingesetzt werden. Insbesondere grenzt die seit einigen Jahren geübte juristische Praxis, mit dem Prinzip der Offenkundigkeit alle seitens der Verteidigung vorgetragenen neuen Beweise für solche Äußerungen ohne Behandlung abzulehnen, an Rechtsbeugung, verstößt gegen die Menschenrechte und ist eines freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates unwürdig. " 115 In der Anzeige wurden - mit Hinweis auf angebliche weitere 450 Mitunterzeichner - die Namen von 63 Personen und eine Spendenkontonummer "für diese und weitere Aktionen" angegeben. Ein textidentischer "Appell der 100 - Die Meinungsfreiheit ist in Gefahr!" war bereits in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) vom 18. Mai 1996 veröffentlicht worden. Die Wochenzeitung "Junge Freiheit" (JF) begleitete die Veröffentlichung der Anzeige durch einen einschlägigen Kommentar und ein Interview mit dem Initiator Dr. Helmut SCHRÖCKE, in dem dieser seine Sichtweise hinsichtlich des demokratischen Rechtsstaats Bundesrepublik Deutschland unmißverständlich zum Ausdruck brachte: "JF: Würden Sie soweit gehen zu sagen, daß sich das Meinungsklima im Jahre 1996 dem der dreißiger Jahre annähert? Dr. SCH.: Es ist bereits viel schlimmer als in den letzten beiden Jahren des Dritten Reiches, weil man damals im Kameradenoder im Bekanntenkreise immer noch ein offenes Wort reden konnte." (JF, Nr. 30/96 vom 19. Juli 1996) Auch dieser Beitrag markiert den taktischen Argumentationswechsel, der in der rechtsextremistischen Publizistik zu beobachten ist. Mit der Veröffentlichung solcher "Appelle" eröffnet sich für Rechtsextremisten die Möglichkeit, Personen ohne extremistischen Hintergrund für ihre Ziele zu mißbrauchen und von ihrer eigentlichen extremistischen Motivation abzulenken. Hierbei berufen sie sich aus taktischen Gründen auf die im Grundgesetz verankerte Meinungsund Wissenschaftsfreiheit. R e c h t s e x t r e m i s m u s 11. Erscheinungsformen der sogenannten Neuen Rechten Der Personenkreis, der in der öffentlichen Diskussion eher diffus und uneinheitlich unter dem Begriff der "Neuen Rechten" dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet wird, konnte in Baden-Württemberg bislang keine Strukturen entwickeln. Die Bezeichnung wird seit Jahren für eine Bewegung "rechter" Theoretiker und ihrer Anhänger verwandt, die sich ursprünglich aus einer ab 1968 zuerst in Frankreich auftretenden Denkschule unter ihrem damaligen Hauptakteur Alain de BENOIST zu einem europaweiten Phänomen entwickelt hatte. Vertreter der heutigen "Neuen Rechten" verbreiten ihre Thesen in unterschiedlicher Intensität, jedoch oft ohne klar erkennbare Grenzziehung zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus. Gemeinsam ist allen Vertretern der "Neuen Rechten" der mehr oder weniger stark ausgeprägte Antiliberalismus sowie die starke Anlehnung an die Ideen der sogenannten Konservativen Revolution aus der Zeit der Weimarer Republik und ihren Hauptprotagonisten, darunter Carl Schmitt, Arthur Moeller van den Brück und Edgar Julius Jung. Zentraler Gedanke der "Neuen Rechten" ist das vom italienischen Marxisten Antonio Gramsci adaptierte Theoriekonstrukt der "Kulturellen Hegemonie", mit der eine "geistige Vorherrschaft" in allen Bereichen der Gesellschaft erreicht werden soll. Methode ist dabei die Publizierung ihrer Thesen in diversen rechtsextremistischen Schriften wie "NATION & EUROPA - Deutsche Monatshefte", "STAATSBRIEFE", "SLEIPNIR" und "EUROPA VORN", aber auch in der "JUNGEN FREIHEIT"25, sowie das Piazieren von Stichworten "neurechten" Gedankenguts wie z.B. "Ethnopluralismus" und "Metapolitik" in der öffentlichen Diskussion. Insgesamt geht es um die Verbreitung einer intellektuell und pseudowissenschaftlich aufgemachten Neuauflage völkischen und nationalistischen Gedankenguts. Die Versuche derartiger Gruppen und Einzelpersonen, über verschiedene, nicht nur rechtsextremistische Publikationen meinungsbilkeine eigendend zu wirken, sind durchaus erkennbar. Die "Neue Rechte" ist ständige Orjedoch weder in irgendeiner Form einheitlich organisiert, noch verganisation nur in Nordrhein-Westfalen Beobachtungsobjekt der zuständigen Verfassungsschutzbehörde fügt sie über eine selbstdefinierte homogene und vor allem einer größeren Anhängerschaft vermittelbare ideologische Vorstellung. Die Versuche, das politische System der Bundesrepublik Deutschland intellektuell zu delegitimieren, bewegen sich jedoch zumeist noch unterhalb der Schwelle zum politischen Extremismus. Die weitere Entwicklung wird in diesem Grenzbereich - wie schon in den vergangenen Jahren - aufmerksam beobachtet werden müssen. pect Wk <** HO"""1"0 An**1 Ruzk" 10"" "s"n*< erns* l in? 1 ' -Eis"*0" r Sleiß n' .-Weh" .996 Rechlsexlremismus 'toi* Osn, 3A ^ *PSÄ*3äjPS ^ ^ C. LINKSEXTREMISMUS 1. Allgemeiner Überblick Nachdem die "Rote Armee Fraktion" (RAF) auch 1996 auf jegliche Aktivitäten verzichtet hatte, meldete sie sich anläßlich der Selbstgestellung des mit Haftbefehl gesuchten Christoph SEIDLER und dem in diesem Zusammenhang erstmals breiter in der ÖffentlichErklärung keit bekanntgewordenen "Aussteigerprogramm" des Verfassungsder RAF Schutzes Anfang Dezember wieder zu Wort. Von der "Antiimperialistischen Zelle" (AIZ) gingen seit der Festnahme der beiden mutmaßlichen Führungsmitglieder Bernhard FALK und Michael STEINAU Ende Februar 1996 keine Anschlagsaktivitäten mehr aus. Die Debatte im linksextremistischen/-terroristischen Spektrum um die zukünftige politische Strategie hielt weiter an, ohne daß wesentliche Fortschritte zu erkennen gewesen wären. Der Zustand der "Szene" war vielmehr geprägt durch anhaltende Zerstrittenheit, einhergehend mit einer gewissen Ratund Orientierungslosigkeit. Wie im Jahr zuvor konzentrierte sich die linksextremistische/-terroristische "Szene" auch 1996 stark auf die Unterstützung des kurSolidarisiedischen "Befreiungskampfes" und die Solidarisierung mit der "Arrung mit der beiterpartei Kurdistans" (PKK). Deutlich in den Hintergrund getrePKK ten ist die bundesweite Unterstützungskampagne gegen die Vollstreckung der Todestrafe an dem in den USA wegen Polizistenmordes inhaftierten Farbigen und ehemaligen Angehörigen der "Black-Panther-Bewegung", Mumia ABU-JAMAL. Unvermindert aktuell sind die Themen "Antifaschismus" und "Antirassismus". Dabei kam es 1996 im Rahmen der Asyl-, Abschiebungsund Rückführungsproblematik zu einer Vielzahl von Aktionen und Kampagnen gegen "Abschiebeknäste" und Abschiebehaft. Geblieben sind auch die Aktionsfelder "Repression" und "Kriminalisierung des antifaschistischen Widerstands". Weiter an Bedeutung gewonnen hat außerdem der "Antimilitarismus" in der Auseinandersetzung mit den angeblichen Remilitarisierungsund 120 L i n k s e x t r e m i s m u s Großmachtbestrebungen der Bundesregierung. Mit zunehmender Intensität wurden 1996 die Transporte radioaktiThematisieret Brennelemente (,,CASTOR"-Transporte) thematisiert. Dabei kam rung der es erstmals im Oktober 1996 zu bundesweit zeitlich koordinierten "CASTOR"Anschlägen auf Einrichtungen der Deutschen Bahn AG. Transporte Das überragende Agitationsthema für das gesamte linksextremistische Spektrum war jedoch der Widerstand gegen das "Bonner Krisenprogramm". Insbesondere der organisierte Linksextremismus knüpfte daran weitreichende Hoffnungen und Erwartungen dahingehend, auch in Deutschland Massenreaktionen initiieren zu können. Als Vorbild dafür dienten in erster Linie der französische Generalstreik Gewalttaten mit erwiesenem oder zu vermutendem linksextremistischem/-terroristischem Hintergrund in Deutschland im Zeitraum 1995 -1996 - Monatsvergleich1' " Zahlen des Bundesministeriums des Innern (für 1995 bereinigt) 2) 3 Geplanter Bau der Mercedes-Teststrecke bei Papenburg, Emsland (1995) 4) ' "CASTOR"-Transporte (1995/96) Geplanter "CASTOR"-Transport (November 1996, auf 1997 verschoben) 121 vom November 1995, aber auch die in anderen europäischen Ländern gegen die sozialpolitischen Maßnahmen ihrer Regierungen gerichteten Großkundgebungen. Bei den Gewalttaten mit tatsächlicher oder vermuteter linksextremistischer Motivation deutet sich im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren eine Trendwende an. Die Zahl der Gewaltaktionen nahm bundesweit wieder zu (1996: 65426, 1995: 57226). Zugleich ist eine Verlagerung der Aktionsfelder militanter Linksextremisten festzustellen: Während inzwischen etwa die Hälfte der begangenen Gewalttaten dem Protest gegen die "CASTOR"-Transporte zuzuschreiben ist, hat sich die Zahl gewaltsamer Aktionen gegen den "rechten" politischen Gegner kaum verändert (1996: 83 26 , 1995: 8126). Gewalttaten mit erwiesenem oder zu vermutendem linksextremistischem/-terroristischem Hintergrund in Deutschland im Zeitraum 1995 -1996 - Tatartenvergleich1' " Zahlen des Bundesministeriums des Innern (für 1995 bereinigt); aus statistischen Gründen wurde jede Gewalttat nur einmal gezählt, auch wenn sie aus mehreren 2) Einzeltaten bestand oder von mehreren Tätern gemeinsam begangen wurde 3) zwei versuchte Tötungsdelikte 41 umfaßt Brandstiftungen und alle Sachbeschädigungen unter Einsatz von Brandmitteln 1995 = 47 Fälle mit Körperverletzung 122 1996 = 40 Fälle mit Körperverletzung Zahlen des Bundesministeriums des Innern (für 1995 bereinigt) L i n k s e x t r e m i s m u s Ursachen für die nachlassende Attraktivität der "Anti-Nazi-Arbeit" sind vor allem die weiter zurückgehenden Aktivitäten von Rechtsextremisten. Die anhaltenden internen Diskussionen zeigen, daß sich Suche nach die "Szene" auf der Suche nach neuen Themenfeldern befindet, von neuen denen sie sich eine breite Mobilisierung und bessere Ansatzpunkte Themen für einen erfolgreicheren "Kampf gegen das System" verspricht. Ein unverändert wenig spektakuläres Bild bieten die linksextremistischen Parteien und Organisationen im Land. Für die nach wie vor als linksextremistische Strömungspartei agierende "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) stellt sich die für die Zukunft der Partei entscheidende Frage nach ihrem Selbstverständnis und eigentlicher politischer Zielsetzung immer dringlicher. Die "MarMitgliedschaften in linksextremistischen Organisationen in Deutschland und Baden-Württemberg im Zeitraum 1994 -1996 Linksextremismus 1994 1995 1996 Land Bund Land Bund Land Bund Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten Kernund Nebenorganisationen 0 1.655 22.400 1.695 23.300 1.720 23.700 hiervon: DKP 600 6.000 600 6.000 600 6.250 MLPD 700 2.300 700 2.300 700 2.700 beeinflußte Organisationen2' 1.820 15.800 1.770 15.600 1.645 14.000 3 Anarchisten und sonstige ' 5404) 6.700 5504) über 7.000 500 über 7.000 Sozialrevolutionäre Mitgliedschaften insgesamt5' 2.185 ca. 29.100 2.245 ca. 30300 2.270 ca. 30.700 Mitglieder6'(nach Abzug der Mehrfachmitgliedschaften 2.135 ca. 28.700 2.200 ca. 29.900 2.220 und Kinderorganisationen) 11 die bundesweit mehrere tausend Personen zählende Anhängerschaft der "Kommu2) nistischen Plattform" (KPF) in der PDS ist in der Übersicht nicht berücksichtigt 31 einschließlich nichtkommunistischer Mitglieder das Mobilisierungspotential der "Szene" umfaßt zusätzlich mehrere tausend Perso41 nen gewaltbereite Autonome sowie Angehörige des terroristischen Umfelds und Anhänger anarchistischer Organisationen "61 ohne Mitglieder beeinflußter Organisationen ohne die Mitglieder der PDS (Land: 215, 1995: 200; Bund: 110.000, 1995: 120.000) xistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) versuchte im zurückliegenden Jahr deutlichere politische Akzente zu setzen; ihr Mitgliederbestand blieb in Baden-Württemberg indes unverändert (1995: ca. 700; 1996: ca. 700). Dasselbe gilt für die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) (1995: ca. 600; 1996: ca. 600), die sich trotz weiterhin ungelöster Nachwuchsprobleme derzeit politisch sogar im Aufwind sieht. Straftaten mit erwiesenem oder vermutetem linksextremistischem Hintergrund 1996 wurden in Baden-Württemberg 21927 Straftaten mit linksexZunahme tremistischem bzw. vermutetem linksextremistischem Hintergrund in Badenbekannt (1995: 19527). Damit zeigt sich erstmals seit 1993 wieder Württemberg eine steigende Tendenz. Zurückgegangen sind zwar die Delikte mit "antifaschistischem" Hintergrund, d.h. gegen den "rechten" politischen Gegner gerichtete Aktionen. Im Zusammenhang mit den "CASTOR"-Transporten ist hingegen eine deutliche Zunahme von Straftaten festzustellen. Folgende Vorfälle in Baden-Württemberg sind beispielhaft zu nennen: ü Am 2. Januar 1996 wurden bei zwei Banken in Heidelberg die Scheiben eingeworfen. Dabei entstand ein Sachschaden von ca. 50.000 DM. Die zur Tat verwendeten Pflastersteine waren in Flugblätter eingewickelt, in denen zur "Solidarität mit allen politischen Gefangenen" aufgerufen wurde. * In der Zeit zwischen dem 27. und dem 29. Januar 1996 wurden in Pforzheim auf dem Areal des Autohauses einer französischen Marke mehrere Fahrzeuge beschädigt. Der Sachschaden betrug ca. 100.000 DM. Die Straftat stand vermutlich in Verbindung mit einem am 27. Januar 1996 erfolgten französischen Atomtest. 124 Zahlen des LKA Baden-Württemberg (für 1995 bereinigt) Linksextremismus * In der Nacht zum 27. Februar 1996 entgleiste auf der Bahnstrecke Pforzheim-Hochdorf ein Zug, weil aus den Gleisen ein ca. 160 cm langes Schienenstück entfernt worden war. Der entstandene Sachschaden wurde auf ca. 500.000 DM geschätzt. Es bestand vermutlich ein Zusammenhang mit den "CASTOR"-Transporten. * Am 20. April 1996 entstand in Karlsruhe durch einen Brandanschlag auf ein Fahrzeug ein Schaden von ca. 3.000 DM. Der Eigentümer des Fahrzeugs ist dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen. * Im Bereich der Schnellbahnstrecke bei Schwetzingen und der Bahnstrecke Hockenheim-Oftersheim wurden am 6. Mai 1996 vier Verteilerkästen in Brand gesetzt. Der Sachschaden belief sich auf ca. 20.000 DM. Hintergrund der Taten war vermutlich der Protest gegen "CASTOR"-Transporte. * Bei Bähungen (Krs. Emmendingen) entgleiste am 17. Juni 1996 ein Bahnbetriebswagen durch eine verstellte Handweiche. Der Schaden betrug ca. 100.000 DM. Die Tat stand vermutlich im Zusammenhang mit den "CASTOR"-Transporten. * Am 27. September 1996 wurden mehrere Fensterscheiben einer Gaststätte in Stuttgart eingeworfen und Schüsse aus einer Gaspistole durch die geöffnete Eingangstür abgegeben. Zur Tatzeit hielten sich überwiegend Skinheads in dem Lokal auf. Auf die Hauswand war zusätzlich die Parole "Nazis raus" gesprüht worden. * Im Rahmen einer offenbar bundesweit koordinierten Anschlagserie gegen die "CASTOR"-Transporte wurden am 7. Oktober 1996 auch in Baden-Württemberg vier Anschläge auf die Bahnstrecken - Mannheim - Stuttgart bei Sternenfels und bei Illingen/ Enzkreis - Stuttgart - Singen bei Gäufeiden und bei Ehningen/ Krs. Böblingen mittels sogenannter Hakenkrallen verübt. Der entstandene Sachschaden lag bei ca. 55.000 DM. In einem Tatbekenntnis zu den insgesamt 13 Gewaltaktionen im Bundesgebiet propagierten "autonome Gruppen" einen "offensiven Angriff auf die Infrastruktur von Bahn-, Stromund Staatseinrichtungen zum Thema CASTOR". 3. Linksextremistischer Terrorismus k 3.1 "Rote Armee Fraktion" (RAF) W^i"?^ 3.1.1 RAF-Kommandoebene Die RAF hatte sich seit ihrer Erklärung vom 6. März 1994, in der sie die fehlende Neuorientierung revolutionärer Politik kritisierte, zunächst nicht mehr zu Wort gemeldet. Der nach der Deeskalationserklärung der RAF-Kommandoebene vom April 1992 eingetretene Bruch zwischen Befürwortern und Gegnern des "bewaffneten Kampfes" ist nach wie vor nicht überwunden. PositionsMit zwei auf den 29. November 1996 datierten Positionspapieren papiere schaltete sich die RAF wieder in den Diskussionsprozeß mit der "Linken" ein. Sie erklärte, "daß Christoph SEIDLER nie in der RAF gekämpft hat" und wandte sich gegen das "Rückkehrerprogramm", das als "Geheimdienstoperation" strikt abzulehnen sei. Die RAF habe mit "irgendwelchen 'Aussteigerprogrammen'" 28 nichts zu tun; "Aussteigerprogramm und Kronzeugenregelung" seien "zwei Seiten einer Medaille". Die "revolutionäre Linke" wurde aufgefordert: "Aussagen über illegale Strukturen und geheime Orte des Exils sind und bleiben absolut abzulehnen." Angebot des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) an Angehörige illegal orga126 nisierter linksterroristischer Strukturen, den bewaffneten Kampf aufzugeben und in die Legalität zurückzukehren Linksextremismus Vor dem Hintergrund zahlreicher Stellungnahmen und Erklärungen von Personen aus dem linksextremistischen/-terroristischen Bereich im Zusammenhang mit dem "Aussteigerprogramm" und den Strafprozessen (HAAS, ANDRAWES, HOGEFELD) sah sich die RAF offenbar gezwungen, kurzfristig mit einer Erklärung zu reagieren. Gerade die Tatsache, daß in jüngster Zeit Aufenthaltsund Aufnahmeorte von Personen, die sich teilweise bei mit der RAF befreundeten "revolutionären Bewegungen" aufhielten (z. B. Andrea WOLF), öffentlich bekannt wurden, kollidierte offensichtlich mit den Interessen der RAF. Hauptintention der neuen Schreiben der RAF ist daher der Aufruf an alle "Linken", diesbezügliche AngaUlegale ben an die Staatsschutzbehörden künftig zu unterlassen. Sie befürKampfstrukwortet unverändert den "revolutionären Kampf und hält illegale turen sollen Kampfstrukturen auch weiterhin für notwendig. beibehalten werden Im übrigen beurteilt die RAF die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Entwicklung der politischen Situation in der Bundesrepublik Deutschland für die "revolutionäre Linke" als durchaus positiv. Die behauptete "Militarisierung im Innern" und der angebliche soziale Kahlschlag würden unweigerlich zu Schwierigkeiten des "kapitalistischen Systems" führen. Angesprochen werden in diesem Zusammenhang die bekannten Themenbereiche "schmutziger Krieg gegen die kurdische Befreiungsbewegung", "Rüstungsgeschäft der deutschen Industrie", "rassistische Hetze gegen Flüchtlinge und Immigranten", "Bau immer neuer Knaste" und "polizeiliche Aufrüstung". Aus diesen Gründen brauche das "System" "nicht die RAF, sondern den Polizeistaat". Perspektivisch formuliert die RAF an die "Linke": "Die Auseinandersetzung um die Geschichte der Linken macht für uns nur einen Sinn, wenn sie zur Neubestimmung revolutionärer Politik und Neuformierung einer radikalen Linken beiträgt. " In den beiden Erklärungen war die RAF nicht - wie allgemein erwartet worden war - auf die von Helmut POHL sowie die zuletzt von 127 Forderung Birgit HOGEFELD in ihrer Prozeßerklärung vom 29. Oktober 1996 nach Auflöformulierte Forderung nach Auflösung der RAF eingegangen. Dessung der halb kündigte die RAF in einer weiteren Verlautbarung vom 9. DeRAF abgezember 1996 an, sich dazu demnächst zu äußern und zu weiteren lehnt Grundsatzfragen Stellung zu nehmen. Ursprünglich sollte diese Grundsatzerklärung zusammen mit "anderen Genossinnen, die nicht in der RAF organisiert sind", erarbeitet werden. Schwierigkeiten im Abstimmungsprozeß mit diesem Personenkreis, der von der RAF als "sehr langwieriges Projekt" umschrieben wurde, veranlaßten sie jedoch zu der Ankündigung: "Deshalb werden wir es demnächst doch unabhängig davon und doch wieder nur als RAF machen." 3.1.2 RAF-Inhaftierte Da der von den Inhaftierten erhoffte "Druck von außen" für eine angestrebte Freilassung ausblieb, beschlossen sie, selbst die InitiaPOHLtive zu ergreifen. Ende Mai/Anfang Juni 1996 wurde in verschiede - Interview nen Zeitschriften ein Interview mit dem RAF-Häftling POHL veröffentlicht, in dem er auf die Situation der "Gefangenen" einging. Er betonte, für sich selbst zu sprechen, in seine Ausführungen aber mit einfließen zu lassen, was er von anderen Gefangenen wisse. Scharfe Kritik übte er an den Illegalen der RAF: * Die Zäsur, wie sie die RAF-Gefangenen gewollt hätten, sei "überhaupt nicht gemacht worden". Diese hätte nach ihren Vorstellungen zu einer Transformierung von dem, was die RAF früher war, hin zu einer politischen Kraft führen müssen. * Die Illegalen sollten deshalb ihre Auflösung als RAF erklären. Danach werde man sehen, was sich entwickele. Auf die Frage, wie er heute zu seiner 1993 gemachten Äußerung 128 Linksextremismus zum "bewaffneten Kampf stehe ("... Und deswegen werde ich einen Teufel tun und den bewaffneten Kampf absagen"), erklärte POHL, daß er den Schlußpassus in der 1993er Erklärung "im Zorn so formuliert" habe. Dies sei sicherlich ein Fehler gewesen. Seiner Meinung nach seien die Aktionen der RAF in der zweiten Hälfte der 80er Jahre "nur noch eine Aneinanderreihung von Erschießungen" und damit Bestrafungsaktionen ohne strategisches und politisches Konzept gewesen. POHL erklärte, daß die Forderung nach Zusammenlegung der RAFHäftlinge in der heutigen Situation nicht mehr an erster Stelle stehe, sondern vielmehr deren Freilassung Priorität besitze: " Wir müssen jetzt Wege zur Entlassung finden." Er begründete dies auch damit, daß es den meisten von ihnen gesundheitlich außerordentlich schlecht gehe. Das Oberlandesgericht Frankfurt verurteilte am 5. November 1996 das RAF-Mitglied Birgit HOGEFELD wegen Mordes und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. In ihrem Schlußwort am 29. Oktober 1996 hatErklärung te sie "katastrophale Fehler" der RAF eingeräumt und POHL untervon HOGEstützt: FELD "Deshalb finde ich die Aufforderung von Helmut POHL an die Illegalen, ihre Auflösung als RAF zu erklären, richtig - dieser Schritt ist lange überfällig." Beide RAF-Inhaftierte verlangten in ihren Erklärungen "staatlicherseits ein anderes Umgehen mit uns und unserer Geschichte", wobei hierfür Signale erforderlich seien, "die nur von der Politik kommen können". POHLs und HOGEFELDs Aussagen - insbesondere hinsichtlich der geforderten Auflösung der RAF - fanden allerdings nicht bei allen Teilen des linksextremistischen/-terroristischen Spektrums Zustim- mung. Vielmehr wird ihnen opportunistisches Verhalten vorgeworfen, das sich ausschließlich an ihrer persönlichen Situation ausrichte. Das Ende des Linksterrorismus in Deutschland ist durch die Entwicklung bei der RAF noch nicht eingeläutet. Nach den Erklärungen vom 29. November und 9. Dezember 1996 muß zunächst noch weiter davon ausgegangen werden, daß die RAF fortbesteht. Ein Teil des ehemaligen RAF-Umfelds sieht sich als "Antiimperialistischer Widerstand", hält den "bewaffneten Kampf weiterhin für erforderlich und unterstützt den bundesweit erkennbar gewordenen Versuch des Aufbaus neuer militanter Strukturen. Die Auswirkungen der neuen Erklärungen der RAF auf das linksextremistische/-terroristische Umfeld müssen abgewartet werden. 3.2. "Antiimperialistische Zelle" (AIZ) Nachdem die AIZ letztmals 1995 mehrere Sprengstoff anschlage - u. a. auf Wohnhäuser von CDU-Bundestagsabgeordneten - verübt hatte, wurden am 25. Februar 1996 zwei mutmaßliche AIZFührungsmitglieder in Witzhave (Schleswig Holstein) festgenommen. Neben dem Herbeiführen von Sprengstoffanschlägen stehen beide im Verdacht, Sprengmittel für weitere geplante Anschläge in mehreren entdeckten Erddepots gelagert zu haben. nur verholNennenswerte Solidaritätsaktionen aus dem linksextremistischen/tene Solidaterroristischen Umfeld zugunsten der beiden Inhaftierten sind bisrität mit der lang ausgeblieben. AIZ Sympathisanten, die noch 1994 und Anfang 1995 den "Aufbruch der AIZ" und deren Kampf als richtig bezeichnet und unterstützt hatten, distanzierten sich u.a. wegen deren positiver Hervorhebung von "Befreiungskämpfen revolutionärer Muslime" von der Terrorgruppe. Unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten löste auch ihre Erklärung vom 13. Februar 1995 aus: "es ist von uns bewußt gesetzt, daß zur 130 Linksextremismus erzeugung von politischem druck an den orten, wo wir aktionen durchführen, räumlich und zeitlich begrenzt eine potentiell tödliche bedrohung entsteht." Damit hatte die AIZ erkennen lassen, daß sie die Gefährdung Unbeteiligter in Kauf nahm. Dies führte zur Isolierung der Gruppierung innerhalb des linksextremistischen/-terroristischen Spektrums. Derzeit geht von der AIZ keine Gefahr mehr aus. 3.3 "Revolutionäre Zellen" (RZ) Weder die "Revolutionären Zellen" (RZ) noch die Frauengruppe "Rote Zora" traten im Jahr 1996 mit Anschlägen in Erscheinung. In Baden-Württemberg gibt es keinen Hinweis auf die Existenz eines solchen Zirkels. Ungeachtet dessen bleibt festzustellen, daß die Vorgehensweise der RZ (Planung und Durchführung von Anschlägen aus einer bürgerlichen Existenz heraus - "Feierabendterroristen") in vielen Bereichen des gewaltbereiten linksextremistischen Spektrums Anklang gefunden hat. Deshalb ist auch künftig mit militanten Aktionen nach diesem Muster zu rechnen. 4. Autonome und sonstige Anarchisten 4.1 Autonome Gruppen Die überwiegende Zahl der linksextremistisch motivierten Gewalttaten geht auf das Konto militanter Autonomer. Der so zum AusHaß gegen druck gebrachte Haß auf den Staat, das "System", stellt dabei das den Staat einigende Band einer ansonsten weitgehend unstrukturierten "Szene" ohne einheitliche politische Orientierung dar. Tendenziell anarchistisch ausgerichtet, jedoch ohne ideologisches Programm, wollen Autonome selbstbestimmt, frei von jeglichen - vor allem staatli- chen - Zwängen leben. Dazu gehört ebenfalls die grundsätzliche Ablehnung jeglicher Organisierung und Reglementierung. Die Bandbreite der Aktionsformen dieses Spektrums reicht von Demonstrationen über Flugblattaktionen bis hin zu Körperverletzungen und Sachbeschädigungen. Die Anwendung von Gewalt wird als legitimes Mittel im Kampf gegen den Staat angesehen. So hieß es in einem Selbstbezichtigungsschreiben "autonomer Gruppen" anläßlich einer Anschlagserie gegen die Deutsche Bahn AG im Zusammenhang mit den "CASTOR"-Transporten: "Wir denken, daß militante Aktionen ein notwendiges Mittel sind, um in diesem Staat grundsätzliche Veränderungen zu erkämpfen." Trotz der grundsätzlichen Organisationsfeindlichkeit der autonomen "Szene" gibt es Bestrebungen, durch Koordination und Organisierung die Wirksamkeit eigener Aktionen zu erhöhen. Vor diesem Hintergrund bestehen bereits seit einigen Jahren zwei bislang relativ erfolgreiche bundesweite Vernetzungsansätze: Sowohl der "Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation" (AA/BO) als auch dem jüngeren Zusammenschluß des "Bundesweiten AntifaTreffens" (BAT) gehören verschiedene "antifaschistische" Gruppierungen aus dem gesamten Bundesgebiet an. Hauptaktionsfeld ist nach wie vor der "Antifaschismus". Rückläufi132 Linksextremismus ge Tendenz zeigt hierbei allerdings die "Anti-Nazi-Arbeit": Gewalttätige Auseinandersetzungen mit dem "rechten" politischen Gegner bewegten sich in etwa auf dem Niveau von 1995. Neben der Partei "Die Republikaner" und der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) waren die "Jungen Nationaldemokraten" (JN) zunehmend der Adressat politischer Aktionen. Schwerpunktthemen blieben neben der Solidarität mit dem kurdiSchwerpunktschen "Befreiungskampf und der PKK die Agitation gegen die Austhemen landseinsätze und Umstrukturierung der Bundeswehr. Ausführlich thematisiert wurde zudem der angebliche "staatliche Rassismus", für den die "Szene" neue Beweise gefunden zu haben glaubte. Dem Brandanschlag auf ein Flüchtlingswohnheim in Lübeck vom Januar 1996, bei dem 10 Menschen ums Leben kamen, wurden vom linksextremistischen Spektrum bereits vor Abschluß der polizeilichen Ermittlungen rassistische Motive unterstellt, die bisherigen Feststellungen der Staatsanwaltschaft hingegen als Lügen abgetan. In zwei Karlsruher Szenepublikationen hieß es: "Nicht das erste Mal versuchen Ermittlungsbehörden die Opfer zu Tätern zu machen. ... Hinweise, die auf eine Täterschaft aus dem rechtsextremen Lager hinwiesen, wurden einfach nicht verfolgt." und "Glaubt nicht den Lügen der Bullen und Staatsanwälte!! ... Solidarisiert euch mit den Flüchtlingen!! " Deutlich formulierte auch die Szenezeitschrift "Sabotage" vom Oktober 1996: "Doch die Deckung solcher Morde ist nur ein Teil der rassistischen Politik des deutschen Staates. Genauso dazu gehören die faktische Ab133 Schaffung des Asylgesetzes, zahlreiche Sondergesetze für Ausländerinnen und deren Einpferchung in meist überfüllte Sammelunterkünfte." Proteste geZu heftigen Protesten gegen die angeblich rassistische Politik der gen "rassisüBundesregierung kam es auch in Baden-Württemberg, u. a. nach sehe Politik" dem Brandanschlag auf ein Wohnhaus am 15./16. Oktober 1996 in Karlsruhe, dem drei türkische Staatsangehörige zum Opfer fielen. Die "Szene" unterstellte unmittelbar danach eine rassistische Motivation der noch unbekannten Täter und zog deutliche Parallelen zu den Lübecker Ereignissen. In einem im November 1996 in Karlsruhe verbreiteten Flugblattaufruf für eine Kundgebung zu dem Brandanschlag hieß es: "... Unser Protest gegen den Brandanschlag muß ein Protest gegen den Rassismus sein. ... Es ist längst an der Zeit, den internationalistischen, antifaschistischen Kampf zu 134 Linksextremismus organisieren und zu führen. Kampf dem staatlichen Rassismus und dem Naziterror! Hoch die internationale Solidarität! ..." Wiederholter Anlaß für Demonstrationen der autonomen "Szene" war darüber hinaus die befürchtete Schließung sogenannter autonomer Zentren bzw. die Räumung besetzter Häuser in Karlsruhe, Mannheim und Heidelberg. Zunehmende Relevanz erlangte 1996 auch in Baden-Württemberg Versuch der der Protest gegen die "CASTOR"-Transporte. Durch ihre BeteiliInstrumentagung an der in erster Linie von nichtextremistischen Umweltschutzlisierung der organisationen und Bürgerinitiativen getragenen "Anti-CASTOR"AntiKampagne" glauben Linksextremisten, diese Protestbewegung für CASTORihre eigenen Ziele instrumentalisieren zu können. Das Thema wird Kampagne" aufgrund seines hohen Mobilisierungseffekts und Publizitätsgrads bis in breite Bevölkerungsschichten hinein als überaus geeignetes Aktionsfeld betrachtet, wobei Linksextremisten sowohl in ihrer politischen Zielsetzung als auch in der Wahl der Widerstandsformen grundsätzlich über Aktionsformen nichtextremistischer Organisationen hinausgehen, allerdings aus taktischen Gründen eine Abgrenzung diesen gegenüber bewußt vermeiden. Anleitungen in Szenepublikationen zur Herstellung von "Hakenkrallen", geeignet zum Einhängen in Oberleitungen von Strecken der Deutschen Bahn AG, oder Veröffentlichungen wie der "Leitfaden zur Behinderung von Bahntransporten aller Art einfach, kostengünstig, häufig wiederholbar" ("INTERIM", Nr. 358 vom 11. Januar 1996) bieten detaillierte praktische Hinweise für Sabotageaktionen, die bereits Schäden in Millionenhöhe verursacht haben. Ende September 1996 wurden erstmals offenbar aufeinander abgestimmte Anschläge auf Bahnstrecken (auch in Baden-Württemberg) mittels der sogenannten Hakenkrallen bekannt. Zu einer weiteren solchen koordinierten Aktion am 7.Oktober 1996 bekannten sich "autonome Gruppen" in einem "Kommunique". Darin hieß es unter 135 anderem: " Widerstand, der sich voll und ganz auf dem Boden der 'Freiheitlich demokratischen Grundordnung' bewegt, hat in diesem Land der staatlichen Macht noch nie etwas abringen können. Gesellschaftliche Gegenmacht wird ohne die militante Macht der illegalen Aktion keine ernstzunehmende sein ..." GesamtDas Gesamtpotential gewaltbereiter Autonomer im Bundesgebiet Potential wird gleichbleibend auf über 6.000 Personen geschätzt. Auch in Baden-Württemberg ist die Zahl der Szeneangehörigen mit ca. 450 unverändert geblieben. Hinzuzurechnen ist ein nicht konkret eingrenzbarer, jederzeit mobilisierbarer Kreis weiterer Linksextremisten. Örtliche Schwerpunkte sind nach wie vor die Städte Freiburg, Karlsruhe, Mannheim, Heidelberg und Stuttgart sowie der Raum Tübingen/Reutlingen. 4.2 Anarchistische Gruppen geringe Die Bedeutung der verschiedenen anarchistischen Gruppierungen Bedeutung ist weiterhin gering. Die anarcho-syndikalistische "Freie Arbeiterinnen Union" (FAU) strebt eine "herrschaftsfreie, auf Selbstverwaltung begründete Gesellschaft" an. Als geeignete Mittel zur Erreichung dieses Zieles gelten sogenannte direkte Aktionen wie Besetzungen, Sabotageaktionen, Boykottmaßnahmen und Streiks. In Baden-Württemberg unterhält die FAU Kontaktstellen in Göppingen, Ludwigsburg, Stuttgart, Tübingen und Ulm. Die "Freie Arbeiter Union/Anarchistische Partei" (FAU/AP) als Abspaltung der FAU aus dem Jahre 1983 sowie ihre Nebenorganisationen "Freie Arbeiter Union-Studenten" (FAUST) und "Schwarze Garde" treten verbal sehr militant auf, ihr Wirkungsgrad bleibt jedoch gering. Der örtliche Schwerpunkt dieser Gruppierung liegt in Heidelberg. 136 Linksextremismus 5. Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten 5.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und Umfeld HIS Gründung: 1968 Sitz: Essen Mitglieder: ca. 600 Baden-Württemberg (1995: ca. 600) ca. 6.250 Bund (1995: ca. 6.000) Publikation: "Unsere Zeit" (UZ) Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) befindet sich seit anhaltende nunmehr 3-4 Jahren in einer anhaltenden Konsolidierungsphase. Konsolidiert Zahl der Mitglieder bewegt sich mit weiterhin etwa 600 Persorung nen im Land auf gleichbleibendem Niveau. Allerdings ist darin aufgrund der weiterhin bestehenden starken Überalterung der Mitgliederschaft keine wirkliche Stabilisierung zu sehen. Vielmehr muß in den nächsten Jahren mit einem weiteren Mitgliederschwund gerechnet werden, wenn es der DKP nicht gelingen sollte, verstärkt jüngere Menschen an die Partei heranzuführen. Zwar wird diese Problematik durch aktuelle politische Themen in den Hintergrund gedrängt, doch dürfte sie sich immer mehr zur zentralen Frage für den Weiterbestand der Partei ausweiten. Ein Zeichen für den Aufschwung der Partei glaubt die DKP gleichwohl aus der neuen Erscheinungsweise ihres Parteiorgans "Unsere Zeit" (UZ) als Wochenzeitung (anstelle der bis dahin Stäglichen Herausgabe) ableiten zu können. Dieses lange angestrebte, mit erheblichen Anstrengungen verbundene Ziel konnte ab Mitte 1996 verwirklicht werden. Es bleibt abzuwarten, ob es der Partei auf Dauer gelingen wird, diesen bescheidenen Erfolg auch für die Zukunft sicherzustellen. 137 Das Stichwort vom "Sozialabbau" diente der DKP im Jahr 1996 als herausragendes Agitationsfeld, wobei sie versuchte, die in Teilen der Bevölkerung vorhandene, gegen die sozialpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung gerichtete Stimmungslage zu schüren und für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Das Ziel, damit einen breiten Massenprotest zu initiieren, dürfte sich mit der Hoffnung verbunden haben, durch dieses Engagement die bei großen Teilen der Mitgliederschaft vorhandene Passivität zu überwinden, demotivierte Anhänger zu reaktivieren, die Attraktivität der Partei in breiteren sozialen Schichten zu erhöhen und neue Mitglieder gewinnen zu können. Ein wichtiges Thema ist noch immer das Verhältnis zur "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS). Trotz einer Reihe durchaus vorhandener politischer Gemeinsamkeiten, insbesondere mit der "Kommunistischen Plattform" (KPF) der PDS, bestehen unverändert erhebliche ideologische Differenzen. Hierzu gehören insbesondere die Aufarbeitung und Bewertung der Geschichte des Sozialismus und der DDR sowie die sogenannte "Stalinismus"-Debatte. Die DKP war - nicht zuletzt aufgrund der bestehenden Kräfteverhältnisse - in der Vergangenheit zwar bemüht, die Kluft zur PDS nicht zu groß werden zu lassen und bei anstehenden Wahlen nicht in Konkurrenz zu dieser Partei zu treten; dennoch war sie gleichzeitig gezwungen, ihre eigene Identität als "linke" Klassenpartei zu betonen und sich damit gegenüber der "Konkurrentin" politisch abzugrenzen. Dementsprechend trat die DKP nach dem Verzicht der PDS und der übrigen linksextremistischen Parteien bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 24. März 1996 als einzige "linke Alternative" an. Durch ihre Kandidatur über eine eigene Liste konnte die Partei zudem ihren Parteistatus weiterhin sichern. Im Vergleich zur letzten Landtagswahl, bei der die DKP lediglich in zwei Wahlkreisen angetreten war, gelang es ihr 1996 immerhin, Wahllisten in sieben Wahlkreisen aufzustellen. Die erzielten Stimmenanteile lagen zwischen 0,1% (Wahlkreis Esslingen) und 0,8% (Wahlkreis Mannheim). Während die Partei das Gesamtresultat von landesweit 0,0% 138 Linksextremismus wohl durchaus erwartet hatte, waren für sie die Stimmenzahlen auf lokaler Ebene - gerade vor dem Hintergrund des Verzichts der PDS - enttäuschend. Damit ist es der DKP nicht gelungen, das Wählerpotential anderer, nicht kandidierender linksextremistischer Parteien auch nur teilweise für sich zu gewinnen. Auch im Jahr 1996 beschäftigte sich die Partei - wie schon in den vergangenen Jahren - mit der Solidaritätsarbeit für Kuba. Darüber hinaus wurde aus Anlaß des 40. Jahrestags wiederholt das Verbot der ehemaligen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) thematisiert. Die Jugendorganisation der DKP, die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ), konnte ihren im vergangenen Jahr zu beobachtenden bescheidenen Aufschwung fortsetzen. In weiten Teilen des Landes sind allerdings weiterhin keine zusammenhängenden und funktionsfähigen Strukturen erkennbar. Die bislang auf lokaler Ebene existierenden Organisationseinheiten unterhalten untereinander nur relativ geringe Kontakte. Zudem besteht teilweise zur "Mutterpartei" eine eher schwach ausgeprägte Bindung. Die wenigen in Baden-Württemberg aktiven Gruppen traten vornehmlich zusammen mit anderen linksextremistischen Gruppierungen im Rahmen gemeinsamer Veranstaltungen in Erscheinung, so z.B. auf der sogenannten "Einheizfeier" am 2./3. Oktober 1996 in Karlsruhe. Der eigentlichen Aufgabe und dem Anspruch der SDAJ, als Kaderschmiede für die DKP zu dienen und den von der Partei so dringend benötigten Nachwuchs zu rekrutieren, kann die Organisation nach wie vor jedoch nicht gerecht werden. Von der Kinderorganisation der DKP, den "Roten Peperoni" (früher: "Junge Pioniere") sind - von den obligatorischen Pfingstund Sommerferienlagern abgesehen - wiederum keine politischen Aktivitäten ausgegangen. Trotz eines Rückgangs der bundesweiten Mitgliederzahlen von ca. e A ^\ 8.500 im Jahr 1995 auf ca. 8.000 im Jahr 1996 (Baden-Württemberg: 1995 ca. 1.700, 1996 ca. 1.600) blieb die "Vereinigung der $ * ij Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten" (VVNBdA) die mitgliederstärkste linksextremistisch beeinflußte Organisation. Insbesondere auf Funktionärsebene ist ein maßgeblicher linksextrelinksextremistischer Einfluß weiterhin unverkennbar. Wie in den mistische vergangenen Jahren war auf lokaler und Kreisebene ein höchst unBeeinterschiedliches Maß an politischer Handlungsfähigkeit festzustelflussung len. Das Hauptbetätigungsfeld der VVN-BdA stellt traditionell die "Antifaschismusarbeit" dar mit der Zielsetzung, dem angeblichen Rechtstrend in der Bundesrepublik Deutschland entgegenzuwirken. Im übrigen hält die VVN-BdA "antifaschistisches" Engagement u.a. auch "angesichts der fortwährenden Aushöhlung demokratischer Rechte, fortgesetzter Versuche der Kriminalisierung des demokratischen Widerstandes, einer Aufrüstung zum Polizeistaat, der die Zerstörung des Sozialstaates absichern soll" und gleichzeitig wegen der "Militarisierung der deutschen Außenpolitik" für unverzichtbar. Die damit dem deutschen Staat unterstellte Aggressivität nach außen ("Militarisierung") und Ausübung repressiven Drucks nach innen ("Kriminalisierung", "Aushöhlung demokratischer Rechte", "Aufrüstung zum Polizeistaat") zählt die VVN-BdA - neben weiteren Faktoren - zu den charakteristischen Bestandteilen der Ideologie "faschistischer" Staaten. Indem sie damit die Bundesrepublik Deutschland als "faschistischen" Staat zu entlarven und zu bekämpfen versucht, läßt sie gleichzeitig ihre Nähe zum orthodox-kommunistischen Faschismus-Begriff erkennen. Danach ist der Faschismus ein wesensimmanentes Merkmal der bürgerlichen Demokratie, die diesen wiederum zur eigenen Herrschaftssicherung instrumentalisiert. In Aussagen wie: "Kabinett, Kapital, neue Rechte und neofaschistische Organisationen richten alles darauf ein, sich von der Last der Vergangenheit zu befrei140 Linksextremismus en, die Geschichte zu entsorgen und umzudeuten ..." ("Antifa-Rundschau", Nr.27 vom Juli-September 1996, S.4) wird die dieser Definition zugrundeliegende angebliche Zweckkumpanei zwischen dem deutschen Staat und den "Faschisten" behauptet. Unbeschadet der Tatsache, daß es in der VVN-BdA auch Anhänger nichtextremistischer Auffassungen gibt, ist auch auf regionaler Ebene erkennbar, daß die Organisation in ihrem politischen Engagement immer wieder das Bündnis auch mit linksextremistischen Parteien und Zusammenschlüssen sucht, darunter in erster Linie die DKP, aber auch die MLPD, die PDS, der trotzkistische "Revolutionär-Sozialistische Bund" (RSB) sowie autonome Gruppen. Gerade Öffnung gedie Verbindung zu autonomen Kreisen wird von der VVN-BdA ausgenüber gedrücklich gesucht. In diesem Zusammenhang deutet die insbesonwaltbereiten dere in Karlsruhe und Offenburg aktive "VVN-BdA-Jugendantifa" A utonomen auf erste Erfolge gezielter Bemühungen um die Rekrutierung politischen Nachwuchses auch aus dieser "Szene" hin. 5.2 "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) Gründung: 1989 rin Sitz: Berlin Mitglieder: ca. 215 Baden-Württemberg (1995: ca.200) ca. 110.000 Bund (1995: ca.120.000) Publikationen: "DISPUT" "PDS-Pressedienst" Die tatsächlichen Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen der "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) haben sich in Baden-Württemberg weiter verfestigt. Unverändert vorhanden ist die Bereitschaft der PDS zu Kontakten und Zusammenarbeit mit anderen deutschen Linksextremisten: * Für den 20. Januar 1996 riefen die PDS Stuttgart und der PDS-Landesverband u.a. zusammen mit der DKP, der VVNBdA, der autonomen Stuttgarter Gruppe "Antifa A2" und der linksextremistischen "Föderation der Demokratischen Arbeitervereine aus der Türkei in der Bundesrepublik Deutschland e.V." (DIDF) im Zusammenhang mit dem Lübecker Brandanschlag zu einer Kundgebung auf dem Stuttgarter Schloßplatz auf unter dem Motto: "Zusammenstehen gegen Rassismus und Gewalt". * Neben linksextremistisch beeinflußten Vereinigungen wie dem Mannheimer "Aktionsbündnis gegen Rassismus" und dem "Antifaschistischen Bündnis Weinheim" zählte die PDS Mannheim zu den Unterstützern eines "Komitees 'Demokratie statt Polizeistaat'", das am 30. März 1996 in Mannheim eine Demonstration "Demokratie statt Polizeistaat - Demokratische Grundrechte für alle - auch für Kurden" veranstaltete. * Als Mitglied des wiederholt in Erschei nung getretenen "Antifaschistischen Aktionsbündnisses Rhein-Neckar" (AARN), dem ausschließlich linksextremistische bzw. linksextremistisch beeinflußte Vereinigungen und Organisationen wie das "Antifa-Aktionsbündnis Weinheim", die "Autonome Antifa Heidelberg", die MLPD sowie ihr Jugendverband "Re/2 ^west bell", die VVN-BdA oder die FAU/AP angehören, riefen die PDS Heidelberg und die "AG ^^J^r &i 142 Linksextremismus Junge Genossinnen Rhein-Neckar" auf einem Flugblatt zu einer Kundgebung am 21. September 1996 in Heidelberg zum Thema "Freiheit für Safwan Eid!" auf. Eid ist der Hauptverdächtige im Zusammenhang mit dem Lübecker Brandanschlag vom Januar 1996. * Zu einer Veranstaltung am 23. November 1996 in Mannheim zum Thema "Mythos 'Globalisierung'" luden als Verantwortliche die "AG Betrieb + Gewerkschaft der PDS", der "Revolutionär-Sozialistische Bund" (RSB) sowie der DKP-Kreisverband Mannheim ein. Keine Berührungsängste zeigte die PDS aber auch gegenüber im Bundesgebiet aktiven ausländischen linksextremistischen Gruppierungen. Beispielhaft hierfür stehen: * Eine von der Mannheimer PDS unterstützte Pressekonferenz, Informationsveranstaltung und Diskussion mit der PDS-Bundestagsabgeordneten Ulla JELPKE im PKK-nahen "Kulturzentrum Kurdistan" am 26. März 1996 in Mannheim LI das Engagement gegen das Verbot des PKK-nahen "DeutschKurdischen Freundschaftsvereins" in Stuttgart vom Mai 1996. Verantwortlich für ein Flugblatt unter dem Titel "Demokratische Rechte für alle! Weg mit dem Vereinsverbot für Kurdinnen und Kurden!" zeichnete eine führende Funktionärin des PDS-Landesverbands. Als Unterstützer waren außerdem linksextremistische deutsche und türkische Organisationen aus Stuttgart aufgeführt wie der "Freundeskreis des kurdischen Volkes", das "Komitee für die Unterstützung der kurdischen politischen Gefangenen", der "Immigranten-Arbeiter-Kulturverein e.V" und der "Türkische Demokratische Kulturund Sportverein e.V.". Unverändert haben Linksextremisten unterschiedlicher Couleur offen Zutritt zur PDS und die Chance, sich innerhalb der Partei zu organisieren und zu engagieren. Ein Anhaltspunkt für die Etablierung einer weiteren extremistischen Strömung innerhalb der Partei ergibt sich aus der Gründung einer "Kommunistischen Plattform" (KPF) im baden-württembergischen Landesverband. Daneben bestehen - abgesehen von der inzwischen nicht mehr existenten "Anarchistischen Plattform" - u. a. weitere Zusammenschlüsse mit der "Arbeitsgemeinschaft Antifaschismus" (AG Antifa), der "Arbeitsgemeinschaft Bund Westdeutscher Kommunisten in und bei der PDS" (AG BWK), der "Arbeitsgemeinschaft Junge Genossinnen in und bei der PDS" (AG Junge Genossinnen), der "Ökologischen Plattform" sowie der "Plattform 'Demokratischer Sozialismus'". Die Präsenz der verschiedenen politischen Strömungen innerhalb der PDS hat eine einheitliche Ausrichtung der Partei bislang verhindert. Die u.a. durch die provozierenden Thesen des PDSBundesvorstandsmitglieds Andre BRIE im Jahr 1996 angestoßene, immer heftigere parteiinterne Debatte über Selbstverständnis und politische Orientierung der PDS wird im Interesse künftiger Handlungsfähigkeit die Partei - über den derzeit allein vorhandenen negativen Grundkonsens hinaus - zur Festlegung auf eine konkrete Zielund Handlungsperspektive zwingen. Dazu gehören die Neudefinition der künftigen Rolle der Plattformen innerhalb der PDS ebenso wie die Entscheidung über den bundesweiten Anspruch der Partei oder ihre Beschränkung auf die Rolle einer Regionalpartei, die Klärung des Verhältnisses zu den "Altstalinisten" sowie die Frage des künftigen Umgangs mit Doppelmitgliedschaften. Ob die Partei die Beantwortung der anstehenden grundlegenden Fragen auf die Dauer unbeschadet überstehen wird, bleibt abzuwarten. Die PDS beabsichtigt, an der nächsten Landtagswahl in Baden-Württemberg teilzunehmen. Diese Ankündigung zählt zu den verstärkten Anstrengungen des Landesverbandes, politisches Profil zu gewinnen und sich in die Landespolitik einzumischen. Bei der Landtagswahl vom März 1996 hatte die Partei in durchaus realistischer Einschätzung ihrer derzeitigen Möglichkeiten auf eine Kandidatur verzichtet. Die PDS konnte ihre Mitgliederzahl im Jahr 1996 in Baden-Würt- Linksextremismus temberg nicht nennenswert erhöhen. Der Bestand stagniert derzeit Festigung bei ca. 215 Personen. Neben einer finanziellen Konsolidierung ist derOrganigleichwohl auch eine gewisse Festigung der Organisationsstruktur sationsstruktur gelungen. Das Bemühen der Partei um eine flächendeckende Ausin Badendehnung im Land ist unverkennbar. Württemberg 5.3 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands' (MLPD) MLPD ..;;>, . . . * . : * , ' ". ** * * ** . .. * * Gründung 1982 Sitz: Gelsenkirchen (seit Anfang 1995) Mitglieder: ca. 700 Baden-Württemberg (1995: ca. 700) ca. 2.700 Bund (1995: ca. 2.300) Publikationen: "Rote Fahne" (RF) "Lernen und kämpfen" (Luk) "Rebell" Die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) bekennt sich seit ihrer Gründung 1982 vorbehaltlos zu den Lehren von Marx, Lenin und Mao Tse-tung (Engels und Stalin werden seit Ende 1994 nicht mehr erwähnt). Ziel der Partei ist "der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft". Im linksextremistischen Bereich findet die MLPD aufgrund ihrer kompromißlosen und dogmatischen Haltung nur geringe Zustimweitgehende mung. Isolierung Die Parteiorganisation umfaßt Landesbezirke und Kreisverbände sowie Orts-, Wohngebietsund Betriebsgruppen. Ein Schwerpunkt der Parteiaktivitäten liegt - neben Nordrhein-Westfalen - im südwestdeutschen Raum. Die Partei finanziert sich aus Spenden und 145 den Beiträgen ihrer Mitglieder sowie aus den durch Agitationsund Propagandaarbeit erzielten Einnahmen. Neben ihrem wöchentlich erscheinenden Zentralorgan "Rote Fahne" (RF) mit einer Auflage von 7.500 Exemplaren gibt die MLPD monatlich das Anleitungsblatt "Lernen und kämpfen" (Luk) und zweimonatlich das Jugendmagazin "Rebell", Sprachrohr des gleichiSLKamfiffii. W a g wj|| der REBELL ? *:* Rüßfli 146 Linksextremismus namigen MLPD-Jugendverbands, sowie eine Reihe von Betriebsund Stadtzeitungen mit unterschiedlicher Auflagenhöhe heraus. Auf dem V. Parteitag im Februar 1996 wurde der seitherige Parteivorsitzende Stefan ENGEL wiedergewählt. Auch für die MLPD war die Sozialpolitik der Bundesregierung das bevorzugtes bevorzugte Aktionsfeld im Jahr 1996. Mit Parolen wie "Nein zum Aktionsfeld Bündnis für Arbeit", "Verteidigt die Lohnfortzahlung, Aktiver Widerstand gegen das Bonner Krisenprogramm" oder "Der Ruf nach Generalstreik wird lauter" versuchte sie - allerdings ohne jeden Erfolg -, insbesondere im Rahmen ihrer Betriebsarbeit auf die Haltung der Bevölkerung Einfluß zu nehmen. Unvermindert erheblichen Einfluß übt die MLPD auf den 1991 gegründeten, formal unabhängig und überparteilich auftretenden Frauenverband "COURAGE" aus. Darüber hinaus kam es am 24./ 25. Februar 1996 in Kassel zur Gründung einer "Internationalen Solidaritätsund Hilfsorganisation" (ISHO), die wenig später in "Solidarität International" (SI) umbenannt wurde. Damit setzte die Partei ein deutliches Zeichen für ihre verstärkte internationalistische Ausrichtung. Der MLPD-Vorsitzende ENGEL unterstrich vor den Teilnehmern des SI-Gründungskongresses die "Überparteilichkeit" der Organisation, die im Sinne der MLPD unbedingt den Einschluß "revolutionärer Kräfte" bedeutet. 5.4 Sonstige Organisationen Zu dem stark zersplitterten Spektrum der Organisationen revolutionär-marxistischer Prägung zählen noch weitere linksextremistische Gruppierungen, von denen - aufgrund ihrer geringen politischen Bedeutung - nur wenige erwähnenswert sind: Der 1980 aus der Spaltung des damaligen "Kommunistischen Bundes Westdeutschland" (KBW) hervorgegangene "Bund Westdeutscher Kommunisten" (BWK) besteht heute nur noch in Form des Anbindung "Bundes Westdeutscher Kommunisten - Bundeskonferenz" als an PDS 147 eigenständige Organisation fort. Die bisherigen Landesverbände sind mehr oder weniger als Arbeitsgemeinschaften "AG BWK in und bei der PDS" in dieser Partei aufgegangen. Hintergrund für das formale Fortbestehen des BWK als "Bundeskonferenz" dürfte hauptsächlich die Aufrechterhaltung der Kontrolle über den organisationseigenen GNN29-Verlag sein, dessen Publikationen als Forum u. a. für linksextremistische Organisationen nach wie vor eine besondere Bedeutung zukommt. Die BWK-Vorfeldorganisation "Arbeitsgemeinschaft gegen Reaktion, Faschismus und Krieg (Volksfront)" (zuvor "Volksfront gegen Reaktion, Faschismus und Krieg - VOLKSFRONT") konzentriert ihre Aktivitäten weitgehend auf die Mitherausgabe der Publikation "Antifaschistische Nachrichten". Entgegen der angeblichen "Selbstauflösung" vom Mai 1991 sind MG weiterOrganisation und Struktur der "Marxistischen Gruppe" (MG) hinfunktiweiterhin intakt. Wenngleich die MG um größtmögliche Zurückonsfähig haltung bemüht ist, um sich der Beobachtung der Sicherheitsbehörden zu entziehen, sind gleichwohl vermehrte Aktivitäten der Organisation festzustellen. Bereits seit März 1992 erscheint die "Politische Vierteljahreszeitschrift 'GEGENSTANDPUNKT'" mit einer Auflage von derzeit etwa 7.000 Exemplaren. Die Publikation enthält keine direkten Hinweise auf die MG, allerdings sind die im Impressum genannten Personen, Gesellschafter der gleichlautenden Verlagsgesellschaft in München, als ehemals führende MG-Funktionäre bekannt. Außerdem kommen Mitglieder und Anhänger der MG in den letzten Jahren vermehrt zu regelmäßigen Veranstaltungen zusammen, die ebenfalls unter der Bezeichnung "Gegenstandpunkt" angekündigt werden. Die "Vereinigung für Sozialistische Politik" (VSP) ist 1986 unter ihrem ursprünglichen Namen "Vereinigte Sozialistische Partei" (VSP) aus dem Zusammenschluß der trotzkistischen "Gruppe Internationale Marxisten" (GIM) mit der früheren "Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten" (KPD) entstanden. 1994 kam es zur Abspaltung des "Revolutionär-Sozialistischen Bundes" .Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung mbH" mit Sitz 148 in Köln Linksextremismus (RSB). Seither mußte die VSP einen weiteren Mitgliederrückgang auf derzeit etwa 150 Personen hinnehmen. Zusätzlich ist eine deutliche Hinwendung zur PDS unverkennbar. Ein Teil der noch verbliebenen Mitglieder bildet eine "Arbeitsgemeinschaft PDS in der VSP". Der frühere VSP-Funktionär Dr. Winfried WOLF war 1994 für die PDS über die Landesliste Baden-Württemberg in den Bundestag eingezogen. * Trotzkistische Vereinigungen In der Bundesrepublik Deutschland agiert etwa ein Dutzend in Konkurrenz zueinander stehender trotzkistischer Organisationen, die verschiedenen Richtungen des internationalen Trotzkismus angehören. Die Überschaubarkeit dieses Spektrums wird zusätzlich erschwert durch die für diesen Extremismusbereich charakteristische Tendenz zu fortwährenden Abspaltungen, Neugründungen oder Umbenennüngen. Während noch ab 1994 ein durchaus spürbarer Aufwärtstrend in einzelnen Bereichen zu beobachten war, ist die politische politische Bedeutung dieser Organisationen inzwischen wieder stark rückläuBedeutung fig. Dies gilt in erster Linie für die von der "Sozialistischen Alterstark rücknative VORAN" (SAV) initiierte "Jugend gegen Rassismus in läufig Europa" (JRE). Deutlicher als bisher in Erscheinung trat der aus der ehemaligen "Vereinigten Sozialistischen Partei" (VSP) hervorgegangene "Revolutionär-Sozialistische Bund" (RSB) mit seiner gegen den "hemmungslosen Sozialabbau" gerichteten Mannheimer "BASTA-Initiative". Hingegen gingen in Baden-Württemberg vom "Bund Sozialistischer Arbeiter" (BSA), der "Sozialistischen Arbeitergruppe" (SAG) und deren Abspaltung "Internationale Sozialistische Organisation" (ISO) sowie der "Internationalen Sozialistischen Arbeiterorganisation" (ISA) kaum nennenswerte Aktivitäten aus. 149 D. SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 1. Allgemeiner Überblick Im Jahr 1996 war von den in Baden-Württemberg lebenden 1.281.31730 Ausländern wiederum weniger als ein Prozent dem extremistischen Spektrum zuzurechnen. Allerdings stieg dessen Gesamtzahl um ca. 7,9 % auf 9.065 Personen (1995: 8.405). Insbesondere kurdische und türkische Extremistengruppen vermochten ihren Zulauf zu steigern. Anhänger extremistischer bzw. extremistisch beeinflußter Ausländerorganisationen sowie sonstiges Gefährderpotential in Baden-Württemberg 1995 und 1996 .JUGOARABER IRANER SLAWEN" KURDEN TÜRKEN SONSTIGE GESAMT 1996 1995 1996 1995 1996 1995 1996 1995 1996 1995 1996 1995 1996 1995 linksextremistisch 165 165 130 140 40 40 860 790 1.180 920 60 50 2.435 2.105 rechtsextremistisch - - - - 50 50 - - 1.800 1.800 - - 1.850 1.850 religiös320 320 30 30 - - - - 4.100 3.700 150 100 4.600 4.150 nationalistisch sonst. Gefährderpotential - - - - 180 300 180 300 Gesamt 485 485 160 170 270 390 860 790 7.080 6.420 210 150 9.065 8.405 Grafik: LfV BW 150 'Quelle: Bundesverwaltungsamt; Stand: 31.12.1995 Ausländerextremismus Die Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wurde auch 1996 an der Vielzahl von politisch motivierten Straftaten deutlich. In Baden-Württemberg sind 1996 501 31 VorfälZunahme le mit ausländerextremistischem Hintergrund bekanntgeworden von Strafta(1995: 474 31 ), davon 2631 Brandanschläge. Der Hauptanteil der ten in BaBrandanschläge ging auch 1996 auf das Konto türkischer und kurden-Würtdischer Linksextremisten. Sie setzten ihre Auseinandersetzungen temberg in der Heimat durch Anschläge in Deutschland auf von Ausländern geführte Vereine, Gebetsräume, Geschäfte und soziale Treffpunkte fort. Häufig nehmen sie dabei skrupellos die Gefährdung von Menschenleben in Kauf. 2. Kurden 2.1 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Die 1978 von Abdullah ÖCALAN gegründete und seitdem von ihm geführte "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) ist - auch in Deutschland - nach wie vor die größte und militanteste Kurdenvereinigung. militanteste In Baden-Württemberg verfügt sie über etwa 700 Anhänger, im KurdenverBundesgebiet über ca. 10.000. Zu besonderen Anlässen vermag sie einigung die zehnfache Zahl zu mobilisieren. Bei der PKK handelt es sich um eine straff gegliederte, von ihrem Ursprung her marxistisch-leninistische Kaderorganisation. Im Zentrum ihrer Aktivitäten steht zwischenzeitlich weniger die Ideologie - eine Mischung aus sozialistischem und separatistisch-nationalistischem Gedankengut -, sondern vielmehr der aktive "revolutionäre Kampf für ein freies und unabhängiges Kurdistan. Die Vorstellungen ÖCALANs von einem Kurdenstaat bleiben allerdings seit Jahren unscharf. In einem im August 1995 im "Kurdistan Report" veröffentlichten Interview erklärte er, die neue Staatsform müsse sich aus dem politischen Dialog heraus entwickeln. In Betracht kämen föderative oder konföderative Lösungen oder verschiedene Formen der Autonomie. ABeinvertreUnverändert erhebt die Organisation den Alleinvertretungsanspruch tungsanspruch für die Freiheitsbewegung des kurdischen Volkes gegen die türkifürKurden Zahlen des LKA Baden-Württemberg (für 1995 bereinigt) sehe Regierung. Gemäßigten kurdischen Gruppen bleibt neben der PKK wenig Spielraum. Zur Durchsetzung ihrer Ziele verfolgt die PKK insbesondere in Deutschland und Europa eine Doppelstrategie: Zum einen will sie sich als vermeintlich moderate "Befreiungsbewegung" des kurdischen Volkes und als dessen Ansprechpartnerin präsentieren. Andererseits schreckt sie nicht davor zurück, durch zum Teil gewalttätige Aktionen ihre Handlungsfähigkeit und Präsenz zu zeigen und den von ihr propagierten "nationalen Befreiungskampf in der Türkei zu unterstützen. Trotz des gegen sie am 26. November 1993 erlassenen Betätigungsverbots ist die PKK in Deutschland weiterhin aktiv. Allerdings hat das Verbot ihre Entfaltungsmöglichkeiten erschwert, ihre Vereinsinfrastruktur getroffen und ihre Tätigkeit generell der Strafverfolgung nach dem Vereinsgesetz unterworfen. Strafrechtlich verfolgt werden können insbesondere auch außerhalb der Organisation stehende Dritte, die die verbotene Vereinigung unterstützen. Die PKK hat ferner zunehmend Schwierigkeiten, Veranstaltungen zu organisieren. Darüber hinaus können alle Propagandamittel beschlagnahmt werden. Hierdurch wird eine ihrer wesentlichen Finanzierungsquellen getroffen. Außerdem ist es ihr erheblich erschwert, in der Öffentlichkeit für ihre Ziele zu werben. Dementsprechend wurden im Laufe des Jahres 1996 zahlreiche Versammlungen verboten. Ferner haben die Polizeibehörden aufgrund strafrechtlicher Ermittlungsverfahren oder im Rahmen von Vereinsverboten Propagandamaterial in großen Mengen beschlagnahmt. Mit seiner Ankündigung, auf weitere Gewaltaktionen in Deutschland zu verzichten, leitete ÖCALAN Mitte 1995 eine mehrmonatige Phase der Ruhe ein. Darüber hinaus unterstrich er Ende 1995 auch gegenüber der neuen türkischen Regierung seine Gesprächsbereitschaft, indem er ihr ein Waffenstillstandsangebot unterbreitete, das er später mit einer einseitigen Feuerpause verband. Es zeigte sich jedoch schon bald, daß die Ernsthaftigkeit der PKK Ausländerextremismus zu friedlicher politischer Verständigung, die sie bisweilen anzustreZweifel an ben vorgibt, weiterhin angezweifelt werden muß. VerständigungsbereitAnfang 1996 machte ÖCALAN in mehreren Interviews und Verschaft lautbarungen im Vorfeld des kurdischen Neujahrsfestes Newroz (21. März) mit seinen Drohungen, die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen, erneut auf das Kurdenproblem aufmerksam. Den Auftakt bildete sein Interview im PKK-nahen Satellitensender MED-TV vom 28. Januar 1996. Dabei erklärte er: "Die Unterdrückung der Kurden ist unerträglich geworden. Sie sind nahe daran, zu explodieren. Deutschland wird es erleben. Wenn der Waffenstillstand keine positiven Antworten erfahren sollte, wird es in Europa eine Massenerhebung geben, in erster Linie in Deutschland. Es werden dabei hunderte von Menschen sterben ... Wenn morgen 50 deutsche Touristenleichen in Deutschland ankommen, dürfen die Verantwortlichen nicht überrascht sein ..." Diese Äußerungen ÖCALANs enthielten erstmals wieder aggressiagressive ve Drohungen gegen Deutschland und zeigten insgesamt eindeutig Drohungen eine die Lage verschärfende Tendenz. Er beschränkte sich nicht mehr gegen darauf, seine Erwartungen gegenüber Deutschland zu formulieren, Deutschland sondern drohte u.a. mit "unkontrollierten Ausschreitungen." Tatsächlich wurden den Sicherheitsbehörden schließlich Vorbereitungen bekannt, wonach die PKK in Deutschland ab dem 9. bzw. dem 12. Februar 1996 zum Teil auf Gewalt angelegte, sogenannte Hit and run-Aktionen plante. Dabei sollte es insbesondere beim Einschreiten der Polizei zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen. Durch den gezielten und massiven Einsatz von Polizeikräften konnten unter anderem die am 12. Februar im Raum Stuttgart geplanten Gewalttaten verhindert werden. Die öffentliche Diskussion über die Abschiebung kurdischer Gewalt153 täter als Folge weiterer gewaltsamer Ausschreitungen am Rande der verbotenen Demonstrationen der PKK am 9. März in Bonn und am 16. März 1996 in Dortmund ließ - zumindest in Baden-Württemberg - erstmals eine Kluft zwischen offiziellen Verlautbarungen der Parteiführung und der Einschätzung der aktuellen Situation durch die breite Masse der PKK-Anhänger offenkundig werden. PKKFunktionäre zogen hinsichtlich der im Zusammenhang mit der Dortmunder Demonstration erfolgten Gewalttätigkeiten eine positive Bilanz, da man der deutschen Polizei trotz ihres starken Aufgebots Paroli geboten habe. Auf diesem Weg sei dem deutschen Staat die Stärke der PKK wieder einmal bewußt geworden. Dieser Meinung schlossen sich insbesondere die jüngeren Parteianhänger an. Dageinterne gen lehnte ein Großteil der Parteianhänger - entnervt von zunehKritik an menden Anfeindungen im täglichen Leben - den gewaltsamen VerGewaltlauf der Demonstrationen mit der Begründung ab, daß Aktionen aktionen dieser Art den Interessen des kurdischen Volkes zuwiderlaufen und ihm letztendlich schaden würden. Diese gegensätzlichen Reaktionen zeigten, daß das mit Gewalt verbundene Vorgehen durchaus nicht von allen Anhängern der PKK begrüßt wird. Indessen dürfte die oft lediglich hinter vorgehaltener Hand geübte Kritik an den Aktionen der Parteiführung nur in eingeschränktem Maße bekanntgeworden sein. Zum kurdischen Neujahrsfest (21. März) selbst blieben 1996 schwere Gewalttaten von PKK-Anhängern aus. Mitursächlich hierfür waren die tagelange starke Polizeipräsenz in allen größeren deutschen Städten und das vorbeugende Verbot von geplanten Aufzügen, u.a. in Freiburg, Mannheim, Heilbronn, Reutlingen, Stuttgart und Ulm. Mäßigenden Einfluß dürfte auch der am 20. März über MED-TV verbreitete Appell ÖCALANs ausgeübt haben, der erklärte: "Ich rufe die Kurden auf, ihren Konflikt im Ausland mit friedlichen Mitteln und in politischen Gesprächen beizulegen und dabei den demokratischen Spielregeln Rechnung zu tragen." Im selben Atemzug demonstrierte er jedoch wieder Härte, indem er 154 Ausländerextremismus unterschwellig drohte: "Die Deutschen dürfen nicht den Eindruck haben, daß wir schwach sind. Auch in unserer Schwäche sind wir in der Lage, einiges zu leisten." Zugleich kündigte er an, den Krieg künftig auf türkische Städte auszuweiten. In einer am 24. März 1996 über MED-TV ausgestrahlten Sendung legte er erneut ausführlich seine Ansicht zur aktuellen Haltung Deutschlands gegenüber der PKK dar. Er behauptete, der "Völkermord" in Kurdistan sei erst durch die von Deutschland geleistete militärische und wirtschaftliche Unterstützung der Türkei möglich TV-Erklärung geworden. Die deutsche Regierung habe die Kurden zum Feind erÖCALANs klärt, sogar ein Verbot verhängt. Das kurdische Volk aber werde sich weder in der Türkei noch in Deutschland ergeben. Ebenso wichtig, wie Deutschland die Beziehungen zur Türkei sehe, seien für die PKK die Befreiung und die Unabhängigkeit Kurdistans. ÖCALAN forderte Deutschland auf, die Bekämpfung der PKK einzustellen: "Wir führen keinen Krieg innerhalb von Deutschland. Wir führen auch keinen Krieg gegen Deutschland. Aber sollte der Tag kommen und wir uns entscheiden, sollte Deutschland diese Politik fortsetzen, so können wir Deutschland auch Schaden zufügen. Jeder Kurde kann sich mit einer Bombe hochgehen lassen." Er verlangte, Deutschland solle mit den Kurden einen offenen Dialog aufnehmen: "Wenn man das offen macht, dann könnte man vielleicht auch diesen Krieg beenden. Ich wünsche, daß sich Deutschland von diesem schmutzigen Krieg zurückzieht." 155 ÖCALAN wiederholte seine Positionen und Forderungen in einem mit der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) Ende März 1996 geführten Interview. Darin erklärte er, Deutschland treffe eine erhebliche Mitschuld am "türkischen Genozid an den Kurden". Wenn die Türkei nicht den Dialog mit der PKK suche, werde die PKK ihre Kriegführung ändern. Dazu gehörten Selbstmordattentate in der gesamten Türkei, vor allem in den Tourismusregionen. Zu solchen Anschlägen könne es aber auch in Deutschland kommen, wenn Kurden an den "faschistischen türkischen Staat" ausgeliefert würden oder Deutschland mit Abschiebungen drohe. Abschließend erklärte er: "Deutschland läuft Gefahr, zu unserem zweiten Kriegsgegner zu werden. Ich hoffe aber immer noch auf ein 'Gentleman-Agreement' mit der deutschen Regierung." GewaltverIn einem am 5. Mai gesendeten Interview kündigte ÖCALAN zieht in schließlich an, seine Partei werde in Zukunft jegliche Gewalt in Deutschland Deutschland unterlassen. Er habe seine Anhänger aufgefordert, dort angekündigt Gewaltaktionen wie anläßlich des kurdischen Newrozfestes nicht zu wiederholen. Zugleich stellte er fest, daß sich auch die Kurden an die deutschen Gesetze halten müßten. Außerdem räumte er Fehler seiner Organisation ein und betonte, gezielte Aktionen gegen deutsche Türkei-Touristen seien zu keiner Zeit geplant gewesen; im Rahmen der beabsichtigten Steigerung der Anschläge, u.a. gegen die türkische Tourismusindustrie, könnten allerdings auch Deutsche getroffen werden. Er forderte die deutschen Politiker auf, die "kurdische Sache" nicht weiter durch die "türkische Brille" zu sehen und brachte seinen Wunsch nach einem Dialog mit der deutschen Seite zum Ausdruck. In einem weiteren, in der Zeitung "Die Welt" vom 20. Mai 1996 veröffentlichten Interview äußerte ÖCALAN wiederum sein Bedauern über die gewalttätigen Auseinandersetzungen in Deutschland. Er werde sich dafür einsetzen, daß solche Zusammenstöße nicht wieder vorkämen. Zwischenzeitlich habe er erkannt, daß in Deutschland das Mittel der Gewalt fehl am Platz sei. Die PKK habe die 156 Ausländerextremismus demokratische Ordnung in diesem Land falsch eingeschätzt und sich so verhalten, als sei Deutschland mit der Türkei gleichzusetzen. So seien einige Verhaltensweisen und auch manche seiner Äußerungen falsch gewesen. Diese hätten die Gefühle des deutschen Volkes verletzt, ohne der eigenen Sache zu nutzen. Er habe jedoch Deutschland nie den Krieg erklärt und es niemals als Feind betrachtet, denn "den Deutschen den Krieg zu erklären hieße ja, die helfende Hand zu beißen". ÖCALAN schlug einen kurdisch-deutschen Dialog auf allen Ebenen vor, verbunden mit dem Wunsch, daß Deutschland eine Vermittlerrolle zwischen der PKK und der Türkei übernehme. Erneut übte er Kritik an dem angeblich bestehenden "engen deutschtürkischen Gleichklang" und an der gesamten deutschen Nahostpolitik, die alles andere als unabhängig sei. ÖCALAN nahm in dem Interview Abstand von der Forderung nach einem eigenen Kurdenstaat und sah in der Eingliederung Kurdistans in eine föderalistische, demokratische Türkei nach dem Modell der Bundesrepublik Deutschland eine Lösung, die den Kampf in der Türkei überflüssig mache. Zurückhaltend reagierte die Partei auf ein weiteres Vereinsverbot. Wegen massiver Unterstützung der sicherheitsgefährdenden Aktivitäten der PKK verbot das baden-württembergische Innenministerium nach monatelangen Ermittlungen am 13. Mai 1996 den "Deutsch-Kurdischen Freundschaftsverein" in Stuttgart. Zeitgleich mit dem Vollzug dieser Maßnahme wurden im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen zahlreiche Wohnungen und Räume mutmaßlicher PKK-Aktivisten in Baden-Württemberg durchsucht. Dabei konnten umfangreiches Propagandamaterial, vom Verein ausgestellte Spendenquittungen in einem Umfang von über 200.000 DM sowie 75.000 DM Bargeld sichergestellt werden. Nach seiner Satzung bestand der Zweck des "Deutsch-Kurdischen Freundschaftsvereins" darin, sich für die "deutsch-kurdische Freundschaft und die Selbstbestimmung des kurdischen Volkes in einem freien Kurdistan" einzusetzen. Tatsächlich aber - so die Feststellungen in der Verbotsverfügung - liefen die Tätigkeit und die Zwecke dieses Vereins den Strafgesetzen zuwider und richteten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Sie gefährdeten die innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung und sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland. Der Verein hat gegen das Verbot Klage beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg erhoben. Eine Entscheidung steht noch aus (Stand: März 1997). Im Gegensatz zu früheren Verbotsmaßnahmen blieben dieses Mal entsprechende Reaktionen auf die polizeilichen Maßnahmen nahezu aus. Angeblich hatte ÖCALAN seinen Anhängern die interne Weisung erteilt, trotz emotionsgeladener Stimmung keine Gewaltaktionen durchzuführen. Aus Protest gegen die Schließung des Vereins versammelten sich am 18. Mai 1996 trotz eines Veranstaltungsverbots etwa 150 Sympathisanten der PKK auf dem Stuttgarter Schloßplatz. Im Rahmen der friedlich verlaufenen Kundgebung skandierten Jugendliche vereinzelt PKK-Parolen. Zunächst eher verhalten reagierte die PKK auf eine bereits Mitte Mai 1996 einsetzende Welle von Solidaritätsund Protestaktionen linksextremistischer türkischer Organisationen im Zusammenhang mit Hungerstreiks ("Todesfasten") für bessere Haftbedingungen in zahlreichen türkischen Gefängnissen. Obwohl sich an diesen Aktionen auch die Häftlinge des PKK-Spektrums beteiligten, wirkten ab Juni in Baden-Württemberg lediglich vereinzelt Anhänger der PKK an den gleichzeitig durchgeführten Solidaritätsaktionen türkischer Vereinigungen mit. Unter anderem begaben sich ab dem 6. Juni 1996 mehrere in deutschen Justizvollzugsanstalten einsitzenHungerde PKK-Anhänger, darunter in Mannheim und Stuttgart, zeitweistreikaktionen se in einen Hungerstreik. Um ihre Handlungsfähigkeit und angebliche Friedfertigkeit unter Beweis zu stellen, initiierte die PKK am 15. Juni 1996 in Hamburg eine "Friedensdemonstration", die von einem Aktionsbündnis "Frieden jetzt" angemeldet wurde. Die aus dem gesamten Bundesgebiet und dem angrenzenden westeuropäischen Ausland angereisten ca. 37.000 Teilnehmer waren in ihrer großen Mehrheit Anhänger der PKK. Sie zeigten Fahnen und Symbole der Organisation, Bilder von ÖCALAN und skandierten PKK-bezogene Parolen. 158 Ausländerextremismus Im Verlauf der Kundgebung, die gewaltfrei verlief, wurde eine Rede ÖCALANs eingespielt, der betonte, die PKK stehe der deutschen Demokratie und Gesetzgebung respektvoll gegenüber. Wenn es gleichwohl Fehler der Partei gegeben habe, die letztlich zu ihrem Verbot geführt hätten, seien diese nur die Folge einer extrem aufgehetzten Atmosphäre gewesen. Mit der verständnisvollen Annäherung deutscher Freunde seien die Beziehungen nunmehr wieder in eine Phase der Normalisierung gelangt. Er sei überzeugt, daß die deutsche Regierung ein ähnliches Verständnis habe und sich bald mit der Aufhebung der sinnlosen Verbote befasse. Andererseits wies ÖCALAN darauf hin, es dürfe nicht vergessen werden, daß das kurdische Volk vor der vollständigen Vernichtung stehe. Es habe einen Anspruch auf nationale Forderungen und Rechte und erwarte von den europäischen Regierungen, wenn schon keine Unterstützung im Kampf gegen die Türkei, so doch wenigstens eine neutrale Position. Die "Friedensdemonstration" sei ein Meilenstein auf dem Weg zum Frieden in Kurdistan. In einer Diskussionsrunde am 18. Juni 1996 in MED-TV äußerte sich ÖCALAN vor dem Hintergrund der Festnahme eines hochrangigen PKK-Funktionärs in Celle am Tag nach der Hamburger Demonstration erneut zu den deutsch-kurdischen Beziehungen. Wiederum signalisierte er die Bereitschaft der Partei, bestimmte Spielregeln in Deutschland zu beachten, wobei er für ihr Wohlverhalten aber auch Entgegenkommen erwarte. Die anhaltenden Festnahmen Vorgehen von PKK-Funktionären, Durchsuchungen und die Beschlagnahme deutscher von Parteigeldern trügen aus seiner Sicht nicht zur Entspannung Behörden der Lage bei. Im einzelnen erklärte er: gegen die PKK "Es wäre falsch, von einer Entspannung zu rekritisiert den. Das Ziel der deutschen Politik war, die Kurden unter ihre Kontrolle zu stellen und damit die Türkei zufriedenzustellen, aber die Rechnung ist nicht aufgegangen, weil die PKK das Spiel verdorben hat. Am Scheitern der KurdenPolitik Deutschlands trägt der türkische Staat große Schuld, weil er Deutschland zur genann159 ten Politik getrieben hat. Die sogenannte Entspannung ist nur ein Versuch, aus der Sackgasse, in die die Kurden-Politik Deutschlands geraten ist, herauszukommen. Eine Fortsetzung der Politik der Kurdenverfolgung hätte zur größten Reaktion der Kurden geführt, obwohl auch jetzt noch Grund zur Klage besteht; denn die Polizeiaktionen gegen unsere Leute werden weiterhin unternommen und die Gelder der Kurden beschlagnahmt. Trotzdem versuchen wir, die Reaktionen unseres Volkes und unsere eigenen irgendwie im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu kanalisieren und zu kontrollieren. Mir scheint, daß unsere Bemühungen keinen Erfolg haben und den Deutschen nicht genügen. Daher warne ich meine Landsleute vor zu großem Optimismus." Zum 12. Jahrestag der Aufnahme des bewaffneten Kampfes (15. August) veröffentlichte die der PKK nahestehende türkischsprachige Tageszeitung "Özgür Politika" (Freie Politik) eine Erklärung der "Nationalen Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK)32. Darin hieß es, die PKK und das kurdische Volk seien weiterhin psychologischen und terroristischen Angriffen des "internationalen Imperialismus" ausgesetzt. Dessen Zentren befänden sich in Ankara, Brüssel und Bonn. Die Angriffe gegen die PKK dauerten an. Das zeigten Attentatsversuche auf den Parteivorsitzenden, die Schließung des Satellitensenders MED-TV, die Bezichtigung der PKK als "Terrororganisation" beim sogenannten G 7-Treffen sowie auch die "schwerfällige, behindernde Haltung Deutschlands", das seine doppelzüngige Politik fortführe. Ziel dieser Angriffe sei es, die PKK zu beseitigen oder zumindest erheblich zu dezimieren. Wenn das Kurdenproblem nicht in der richtigen Form angegangen werde und auf das Waffenstillstandsangebot der PKK keine sachgerechte Antwort erfolge, könnte sich demnächst eine sehr stürmiin Deutschland verbotene Propagandaorganisation der PKK Ausländerextremismus sehe Schlacht entwickeln. In Europa seien noch entschlossenere Kampfformen mit Massenaktivitäten, sonstigen Aktionen und gesellschaftlichen sowie diplomatischen Aktivitäten denkbar. Das kurdische Volk befinde sich in der Phase, "eine Macht zu werden". Jeder müsse dazu seinen Beitrag leisten. Erforderlich seien Opferbereitschaft, "Mut und der Geist des 15. August". Der in Großbritannien inhaftierte ehemalige Europasprecher der ERNK wies in einem Beitrag in der Zeitung "Özgür Politika" vom PKK-Terror 17. August den Terrorismusvorwurf gegen die PKK zurück. Nach verteidigt seiner Ansicht habe jeder Staat seine eigene Definition von Terror. Das eigene Handeln und das der Verbündeten werde als legitim angesehen. Dagegen würden diejenigen, die andere Interessen verfolgten, schnell als Terroristen eingestuft. So unterstütze Deutschland nicht nur das türkische Gemetzel gegen die Kurden, sondern übe auch selbst durch Hausdurchsuchungen und Isolationshaft in den Gefängnissen politisch-sozialen und psychologischen Terror aus. Diese Vorgehensweise sei ebenso gnadenlos wie der physische Vernichtungsterror. Deutschland habe keine Bedenken, die PKK, die Millionen Menschen vertrete und einen Freiheitskampf führe, als Terrororganisation zu bezeichnen. Die Organisation handele aber als Führungsfront des legalen Freiheitskampfes des kurdischen Volkes. Sie verkörpere eine nationale Befreiungsbewegung und vertrete mit ihren Dutzenden von Volksorganisationen, Kulturund Frauengruppen, ihrer Diplomatie, ihrer Presse und ihren Publikationen die Interessen von Millionen Kurden. Ihre Ideologie und Politik basierten auf den Prinzipien der Menschlichkeit. Gewalt sei für die PKK ein Mittel zur legitimen Verteidigung gegen den türkischen Staat und zur Erlangung der Freiheit. Keine andere Organisation fordere so nachdrücklich zu einer politischen Lösung und zum Dialog auf wie die PKK. Unter dem Motto "Friedensfestival Kurdistan" kamen am 21. September 1996 im Müngersdorfer Stadion in Köln bis zu 60.000 Menschen, in der Mehrzahl Anhänger der PKK, aus allen Teilen Deutschlands und den europäischen Nachbarländern zusammen. Die Veranstalter hatten bei der Anmietung des Stadions zugesichert, das 161 Festival werde friedlich und ohne Werbung für die verbotene PKK stattfinden. Diese Zusicherungen wurden indes nur im Außenbereich des Stadions befolgt, während im Innenraum einzelne Fahnen der PKK und Transparente mit den Bildern gefallener PKK-Kämpfer (Märtyrer) angebracht waren. Ein großflächiges Transparent mit dem Bild von ÖCALAN, das bei Beginn des Festivalprogramms entrollt worden war, wurde später nach entsprechender Aufforderung der Polizei wieder entfernt. Auch ein Teil der Besucher führte PKK-Fahnen mit sich. Großen Beifall fand ein Aufmarsch von etwa 100 Personen, darunter einige in der Uniform der "Volksbefreiungsarmee Kurdistans" (ARGK)33, die ein ÖCALAN-Transparent trugen. Gegen Ende der Veranstaltung wurde eine Rede ÖCALANs live über Telefon in das Stadion eingespielt. Der Tod mehrerer Häftlinge während einer Revolte in einem Gefängnis in Diyarbakir/Türkei am 24. September 1996 veranlaßte die Anhänger der PKK - insbesondere aber die Anhänger anderer linksextremistischer türkischer Organisationen -, ihre themenbezogenen Protestaktionen im Bundesgebiet wieder aufzunehmen. Eine in diesem Zusammenhang von der Europavertretung der ERNK herausgegebene Erklärung deutete die "Angriffe" des türkischen Staats gegen die "PKK-Kriegsgefangenen" als hilflose Reaktion auf die von der PKK-Guerilla nach dem Ende des achtmonatigen einseitigen Waffenstillstands der Organisation in der Türkei eröffnete neue Offensive. Die Zeitung "Özgür Politika" berichtete dazu in ihrer Ausgabe vom 30. September, die Proteste kurdischer und türkischer "Patrioten" in ganz Europa hätten wieder zugenommen. Es habe u.a. in London, Paris, Zürich und Athen gemeinsame Protestmärsche von Anhängern der ERNK und revolutionärer türkischer Organisationen gegeben. Mit der Beteiligung an Aufzügen am 28. September (ca. 250 Teilnehmer) und 4. Oktober (ca. 400 Teilnehmer) in Stuttgart versuchten die Anhänger der PKK in Baden-Württemberg, die Öffentlichkeit auf die Ereignisse in der Türkei aufmerksam zu machen. Guerillaorganisation der PKK Ausländerextremismus Mit internen Funktionärstreffen sowie "Volksversammlungen" läutete die PKK ihre offiziell am 15. Oktober 1996 beginnende alljährSpendenHehe Spendenkampagne ein. Bis Mitte Januar 1997 waren zahllose Kampagne Aktivisten und Funktionäre in Kleingruppen unterwegs, um im Rahmen sogenannter Hausbesuche Spendengelder zur Erreichung der nicht unerheblichen Parteivorgaben einzufordern. Die PKK hat das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in 8 Parteiprovinzen aufgeteilt. Der größte Teil von Baden-Württemberg bildet die Provinz "Baden", während der östliche Landesteil von Ellwangen bis Friedrichshafen zur Provinz "Bayern" gehört. Der nordwestliche Abschnitt westlich einer Linie Rastatt - Karlsruhe - Mosbach ist der Provinz "Süd" zugeordnet, die bis weit nach Rheinland-Pfalz und in das Saarland hineinreicht. Die Parteiprovinzen sind in etwa 20 Gebiete untergliedert (davon 5 in Baden-Württemberg). Diese unterteilen sich wiederum in Teilgebiete und örtliche Zellen. Für die Leiter der jeweiligen Untergliederungen gilt absolute Gehorsamspflicht gegenüber den übergeordneten Hierarchieebenen. Daneben sind regelmäßige Berichte über den Verantwortungsbereich sowie Rechenschaftslegung und Selbstkritik gefordert. Funktionäre ab einer bestimmten Führungsebene werden aus konspirativen Gründen turnusmäßig ausgewechselt. 3. Türken (ohne Kurden) 3.1 Allgemeines Ende 1996 waren dem extremistischen türkischen Spektrum in Baden-Württemberg ca. 7.080 Personen (1995: ca. 6.420) zuzurechnen. Dabei konnten linksextremistische und islamistische Vereinigungen deutlich zulegen. Eine erhebliche Gefährdung der inneren Sicherheit geht weiterhin von linksextremistischen Gruppen aus. Sie nutzten zwischen Mai und August 1996 zunehmend die Ausschreitungen und Übergriffe in türkischen Haftanstalten für Solidaritätskampagnen in der Bun163 erhebliche Si~ desrepublik Deutschland. In diesem Rahmen waren auch in BadencherheüsgeWürttemberg Gewalttaten, z. B. Brandanschläge, zu verzeichnen. ßhrdung Durch die vordergründig humanitär und sozialpolitisch begründete durch linksAgitation gelang es den Linksextremisten nach längerer Zeit erstextremistimals wieder, neue Kreise für ihren Kampf gegen den "Imperialissche Vereinimus" und die "Zerschlagung" der türkischen Staatsordnung zu gegungen winnen. Auch eine funktionierende, organisationsübergreifende Zusammenarbeit konnte für eine begrenzte Zeit erreicht werden. deutliche Islamistischen Gruppen gelang es, ihre zahlenmäßig starke StelZunahme lung erneut zu verbessern. Die durch Wahlerfolge ihrer Gesinnungsislamistigenossen in der Türkei euphorische Stimmung der Basis ist allerscher dings inzwischen einer gewissen Ernüchterung gewichen. Schnelle Gruppen Umsetzungen politischer Forderungen waren bisher nicht möglich. Verstärkt engagiert man sich in der Bundesrepublik Deutschland für die Akzeptanz "des Islam" und den Kampf gegen ein angeblich verbreitetes Feindbild Islam. 3.2 Linksextremisten Die türkischen Linksextremisten präsentierten sich auch 1996 zersplittert und facettenreich. Erst Hungerstreiks von Häftlingen in der Türkei, bei denen 12 Menschen ums Lebens kamen, veranlaßten die wichtigsten hier vertretenen Vereinigungen, aufeinander zuzugehen und sich über die Organisationsgrenzen hinweg über gemeinsame Aktivitäten zu verständigen. * Zu den wichtigsten Organisationen in diesem Spektrum zählt nach wie vor die bereits 1983 vom Bundesminister des Innern verbotene "Devrimci Sol" (Dev Sol - Revolutionäre Linke). Die Vereinigung kämpft unverändert für die Verwirklichung des MarxismusLeninismus und den Aufbau eines sozialistischen Gesellschaftssystems in der Türkei. Ihre Feindbilder sind die türkische Regierung und ihre Repräsentanten sowie alle "imperialistischen Kräfte". BeFlügelreits 1993 war die Dev Sol in zwei miteinander rivalisierende Flükämpfe in gel zerfallen. In Baden-Württemberg dominiert der KARATAS-Flüder Dev Sol gel, benannt nach dem langjährigen Leiter Dursun KARATAS. Diese Ausländerextremismus Fraktion tritt unter der Bezeichnung "Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front" (DHKP/-C) in Erscheinung. Der andere, hauptsächlich im norddeutschen Raum existente YAGAN-Flügel, benannt nach dem in der Türkei getöteten Führungsfunktionär Bedri YAGAN, firmiert unter der Bezeichnung "Türkische Volksbefreiungspartei/-front - Revolutionäre Linke" (THKP/-C - Devrimci Sol). Beide Fraktionen unterscheiden sich ideologisch und in ihrer Gewaltbereitschaft nicht voneinander. Vor allem in den Ballungsräumen des Landes warb die Dev Sol mit Plakataktionen und Farbschmierereien für ihre Ziele. Die Betreuung und Indoktrinierung der Anhänger erfolgt meist verdeckt in mehreren örtlichen Zirkeln. Landesweit i * s SCL a f a n s a ' *Sim dürften der Dev Sol ca. 150 Personen zuzurechnen sein. Anlaßbezogen ist sie allerdings in der Lage, bis zu 1.000 Personen zu mobilisieren. Ihre anhaltende Militanz bewies die Dev Sol am 9. Januar 1996 mit einem Attentat in Istanbul, bei dem der türkische Industrielle Sabanci und zwei weitere Personen ermorjgg det wurden. :'jT ** '"<%>? Höhepunkte der Dev Sol-Aktivitäten 1996 waren Reaktionen auf innenpolitische Ereignisse im Heimatland, vor allem auf Gefängnisrevolten und Hungerstreikaktionen inhaftierter Gesinnungsgenossen in der Türkei. Als Antwort auf die dabei zu Tode gekommenen Linksextremisten verübten Aktivisten im Bundesgebiet auch wieder Brandanschläge und Gewaltaktionen gegen türkische EinrichAnschläge tungen. In Baden-Württemberg wurden vor diesem Hintergrund nahezu 30 Anschläge bekannt, wobei die Mehrzahl Anhängern der Dev Sol angelastet wird. Vor dem Hintergrund einer Häftlingsrevolte in einem Istanbuler Gefängnis Anfang Januar 1996 wurden am 7. und 8. Januar in Ludwigsburg, Singen und Mannheim Brandanschläge auf türkische Reisebüros und Vereinslokale verübt bzw. versucht sowie am 9. Januar eine türkische Bank in Stuttgart besetzt. 165 Auch die Ausschreitungen während der 1. Mai-Demonstration in Istanbul, in deren Verlauf drei angebliche Dev Sol-Anhänger von der türkischen Polizei erschossen und 64 Personen verletzt wurden, nahm die Organisation zum Anlaß für eine Protestkundgebung am 4. Mai 1996 in Stuttgart mit etwa 1.000 Teilnehmern. Neben DevSol-Aktivisten beteiligten sich daran auch Anhänger der "Türkischen Kommunistischen Partei - Marxisten Leninisten" (TKP/ML) und der "Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei" (MLKP). Ein versuchter Brandanschlag am 16. Mai 1996 in Singen/Krs. Konstanz stand ebenfalls im Zusammenhang mit den 1. Mai-Ausschreitungen in der Türkei. Die "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) konnte sich 1996 als mitgliederstärkste Organisation innerhalb der türkischen revolutionär-marxistischen Gruppierungen behaupten. Sie hatte sich 1994 aufgrund kontrovers bewerteter Vor- & HUNSCHE KOMMUNßTEO* WWW würfe gegen mehrere ZK-Mitglieder in zwei Lager, den "PartizanMARXEVf N-UWNfiflN fIKF.'M l) Spaltung der Flügel" und das "Ostanatolische Gebietskomitee" (DABK), geTKPIML spalten. Verschiedenen ZK-Mitgliedern war vorgeworfen worden, in Rauschgiftgeschäfte mit der türkischen Mafia verwickelt gewesen zu sein, was ein großer Teil der Mitglieder als Verstoß gegen die offizielle Parteilinie bewertete. Zu einer Einigung der verschiedenen Absplitterungen der TKP/ML, die sich mehrmals abgezeichnet hatte, kam es auch 1996 nicht. Beide Flügel der Organisation führten im Januar 1996 in Ulm getrennte zentrale Gedenkveranstaltungen für gefallene Anhänger mit jeweils ca. 1.000 Teilnehmern durch. An den jährlich stattfindenden Gedenkfeiern der zwei Lager in Köln zu Ehren des TKP/MLGründers Ibrahim KAYPAKKAYA beteiligten sich wiederum zahlreiche Parteianhänger aus Baden-Württemberg. Die alljährlich durchgeführte Spendenkampagne zur Finanzierung der TKP/ML nahm 1996 für die Partei einen unbefriedigenden Verlauf. Die Erwartungen des DABK-Flügels sowohl für Europa (2,5 Millionen DM) als auch für Deutschland, das in die vier Bezirke Nord, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Süd aufgeteilt ist, konnten 166 Ausländerextremismus nicht erfüllt werden. Nach einem Bericht des Organs "Partizan Sesi" vom August 1996 blieb das Spendenergebnis 1995/1996 mit ca. geringere 600.000,DM um mehr als 100.000,DM unter dem des Vorjahrs. SpendenEin Grund dafür könnte in den schlechten Erfahrungen von TKP/ einnahmen ML-Anhängern bei Spendengelderpressungen liegen. Bei einem SchußWechsel anläßlich einer solchen Aktion waren im Jahr 1995 in Germersheim/Rheinland-Pfalz drei Aktivisten ums Leben gekommen. Ein vierter Tatbeteiligter wurde zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die als Basisorganisationen der TKP/ML fungierenden Dachverbände "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa e.V." (ATIK) und "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V." (ATIF) zeigten 1996 nur geringe Aktivitäten. m MÄYIS Die Bedeutung der 1994 aus dem oiji m actum Zusammenschluß der "Türkisch L O f t G LIVE 1* H#fY Kommunistischen Partei/MarVIVK LE | - Hffl xisten-Leninisten (Bewegung)" (TKP/ML-Hareketi) mit der r 1 m "Türkischen Kommunistischen *3r ^ *" Arbeiterbewegung" (TKIH) entstandenen "Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei" (MLKP) und ihrer Basisorganisation "Föderation der Arbeiter und Immigranten aus der Türkei in Deutschland" (AGIF) nahm 1996 erheblich zu. Insbesondere der Stuttgarter zunehmende DEWR1MCI GUP UE EYLEM BiRLIGJ MLKP-Verein, der neue VereinsAktivitäten MLKP OHKC räume bezog, trat verstärkt in Erdes StuttgariNHHnaMiMMsrfM tmiMtMiotituaaMK! scheinung. ter MLKPVereins Die Aktivitäten der Organisation reichten von Plakataktionen, z.B. anläßlich der Ermordung des Oppositionellen Hasan Ocak in der Türkei, bis hin zu Kulturveranstaltungen, aus deren Einnahmen sich 167 die MLKP zum Teil finanziert. Dazu gehörten auch Aktionen wie etwa die Besetzung einer Bank am 9. Januar 1996 in Stuttgart, die anläßlich der Revolten in türkischen Gefängnissen zusammen mit der DHKP/-C durchgeführt wurde. Im übrigen beteiligte sich die Gruppierung, die eine kommunistische Gesellschaftsordnung in der Türkei anstrebt, an mehreren Demonstrationen, darunter in Mannheim und Stuttgart, zur "Unterstützung der politischen Gefangenen" in ihrem Heimatland. heftige AusStreitigkeiten innerhalb der Organisation führten 1996 zu heftigen einandersetAuseinandersetzungen. So entführten offenbar MLKP-Anhänger im Zungen in Februar für kurze Zeit den Vorsitzenden der Abspaltergruppe "Korader MLKP munistische Partei/Aufbauorganisation" (KP/IÖ) in Moers. Im August wurden in Duisburg zwei KP/IÖ-Mitglieder durch Schüsse getötet bzw. verletzt. ZusammenIm Jahr 1996 kam es zwischen den einzelnen linksextremistischen arbeit türkitürkischen Gruppierungen erstmals zu einer Annäherung. So schlosscher Linkssen sich beide Flügel der TKP/ML sowie die DHKP/-C, die MLKP extremisten und der marxistisch-leninistisch ausgerichtete "Bund der Revolutionären Kommunisten der Türkei" (TIKB) zum "Solidaritätskomitee mit den politischen Gefangenen in der Türkei" zusammen. Anlaß hierfür war ein in türkischen Gefängnissen durchgeführter Hungerstreik, der sich gegen "menschenunwürdige Haftbedingungen und Mißhandlungen in den Haftanstalten" richtete. Nachdem die türkische Regierung nicht auf die Forderungen der Hungerstreikenden eingegangen war, wandelten die Häftlinge den Hungerstreik am 20. Mai in ein "Todesfasten" um. Vor diesem Hintergrund hatten türkische Linksextremisten bereits seit Anfang Mai 1996 im Bundesgebiet und insbesondere auch in Baden-Württemberg mobilisiert. Dazu gehörten neben einer Reihe von Info-Ständen und Kundgebungen auch Aufzüge in Stuttgart, Karlsruhe, Ulm und Konstanz, Solidaritätshungerstreiks, u.a. in Stuttgart, Freiburg und Horb, sowie Besetzungsaktionen deutscher und türkischer Einrichtungen. Im Juli 1996 wurden das Ulmer 168 Ausländerextremismus Münster sowie der Abfertigungsschalter der Turkish Airlines am Stuttgarter Flughafen für kurze Zeit besetzt. Die Zuspitzung der Situation führte schließlich auch in Baden-Württemberg zu zahlreichen Brandanschlägen, für die mutmaßlich vor allem TKP/ML und DHKP/-C verantwortlich waren. Die Aktionen richteten sich insbesondere gegen türkische Vereine, Gebetsräume, Geschäfte, Imbißstände und Reisebüros. Die Welle von Anschlägen fand im August 1996 mit der Beendigung des Hungerstreiks in der Türkei ihren Abschluß. Die Zusammenarbeit der verschiedenen linksextremistischen türkischen Gruppierungen soll indes weiter fortgeführt werden. Die Anhänger der "Föderation der Demokratischen Arbeitervereine aus der Türkei in der Bundesrepublik Deutschland e.V." (DIDF) beschränkten ihre Aktivitäten wie in den vorangegangenen Jahren auf die Durchführung ostentativer Protestaktionen. Anfang 1996 organisierte die DIDF Demonstrationen in Stuttgart und DIDF-DeKarlsruhe zur "Unterstützung der politischen Gefangenen in der monstrationen Türkei". Außerdem setzt sie sich nach wie vor für die politische in Stuttgart Gleichstellung von Ausländern ein. Mit Flugblattaktionen proteund Karlsrustierte die Gruppierung gegen die Schließung der seit Juni 1995 in he der Türkei erscheinenden, ihr nahestehenden Tageszeitung "EVRENSEL" sowie gegen die "Ermordung und Inhaftierung von Oppositionellen". Ferner beteiligte sich die DIDF ebenfalls an der Hungerstreikaktion und demonstrierte gegen den "Sozialabbau" in Deutschland. 3.3 Türkische islamistische Vereinigungen Die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) mit ihIGMG rer Schwesterorganisation "Europäische Moscheebauund Untergrößte türstützungsgemeinschaft e.V." (EMUG) ist landesweit weiterhin die lösche islamitgliederstärkste türkische islamistische Organisation. Beide Grupmistische pierungen, Nachfolger der im Mai 1995 aufgelösten "Vereinigung Organisation der neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT), sind der Mutter169 Organisation in der Türkei, der islamistischen "Wohlfahrtspartei" (RP) des derzeitigen türkischen Ministerpräsidenten Necmettin ERBAKAN, verbunden. Während sich die IGMG um die religiösen, sozialen, kulturellen und politischen Belange ihrer Anhängerschaft bemüht, ist der EMUG die Verwaltung des umfangreichen Immobilienbesitzes übertragen. In Baden-Württemberg konnte die IGMG ihr organisatorisches Netz weiter festigen. Ihr gehören etwa 50 Vereinigungen mit einem Mitgliederpotential von ca. 3.500 Personen an. Im September 1996 wurde in Ulm erstmals auch ein IGMG-Regionalverband gegründet. In der Öffentlichkeit trat die Vereinigung 1996 in Baden-Württemberg nur gelegentlich hervor. An einer am 14. April 1996 in Karlsruhe durchgeführten, politisch akzentuierten Kulturveranstaltung nahmen etwa 1.200 Personen teil. Als Referenten traten dabei u.a. auch Repräsentanten der RP und der Generaldirektor der türkischen Zeitung "Milli Gazete", dem Sprachrohr der RP und der IGMG, auf. Dieser warb in seinem Vortrag insbesondere für die Vorstellungen der RP, die mit dem Schlagwort "Adil Duzen" ("Gerechte Ordnung") umschrieben werden. Inhaltlich handelt es sich dabei eher um ein vages Konzept, das jedem die Lösung seiner Probleme in Aussicht stellt, insofern es nur zur Verwirklichung einer am islamischen Gesetz (shari'a) ausgerichteten staatlichen Ordnung im Sinne der RP kommt, die Auswirkungen auf alle Bereiche des gesellschaftlichen und privaten Lebens hätte. Die besondere Bedeutung der IGMG-Bezirke in Baden-Württemberg wird auch durch deren ausdrückliche Erwähnung bei der 2. ordentlichen Generalversammlung mit über 15.000 Teilnehmern am 1. Juni 1996 in Dortmund dokumentiert. Nach Berichten der "Milli AuszeichGazete" erhielt die Region Stuttgart als "unternehmungslustigste nungfür und aktivste Region" eine besondere Auszeichnung und wurde in IGMG-Rediesem Zusammenhang vor allen anderen Bezirken an erster Stelle gion Stuttgart genannt. Auch die Region Freiburg fand wegen ihrer Vereinsaktivitäten lobende Erwähnung. 170 A u s l ä n d e r e x t r e m i s m u s Die seit Jahren in der "Milli Gazete" verbreitete Agitation gegen die Juden und Israel sowie andere westliche Staaten hielt auch 1996 unvermindert an. Neben einem scharfen Antisemitismus und Haß auf alles "Jüdische" wurden der Staat Israel im Rahmen dieser Kampagne als "Zentrum des Terrors" und seine Führer als "Terroristen" bezeichnet. Diese Propaganda bezieht sich allerdings nicht auf Israel allein. Vielmehr sehen die türkischen Islamisten in den westeuropäischen Staaten, in Deutschland und den USA nichts weiter Agitation geals die Werkzeuge "der zionistisch jüdischen 'Geheimen Weltherrgen Juden schaft'", "blutsaugende Vampire", deren vom Volk gewählte Verund den treter "Juden und Freimaurer" seien. In einem krassen Gegensatz Westen zu der sich offiziell der deutschen Öffentlichkeit gegenüber als friedliebend, demokratisch und dialogbereit herausstellenden IGMG stehen auch deren Demagogie und polemische Äußerungen gegen Christentum, Demokratie und säkulare Ordnung34. Neben der IGMG ist der "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V." (ICCB) mit Sitz in Köln einer der auffallendsten türkischen islamistischen Dachverbände, dem einschließlich seiner Abspaltergruppierungen in Baden-Württemberg etwa 600 Mitglieder (1995: ca. 700) angehören. Sie haben sich in ca. 20 Ortsrückläufige verbänden organisiert. Allerdings belegt allein schon der Rückgang Mitgliederder Mitgliederzahlen, daß das Ansehen des Verbands 1996 zurückzahlen des gegangen ist. ICCB Der ICCB unter der Führung von Metin KAPLAN verfolgt wie schon zu Zeiten von dessen Vater und Vorgänger Cemaleddin KAPLAN den Sturz des laizistischen Staatsgefüges in der Türkei - wenn nötig mit Gewalt - und die Errichtung eines "islamischen Gottesstaates". Dabei verfügt jedoch KAPLAN als der selbsternannte "Kalif offensichtlich nicht über eine ausreichende Akzeptanz innerhalb der Bewegung und seiner Anhängerschaft. Neben dem Vorwurf einer mangelnden Qualifikation dürften auch die Führungsansprüche weiterer Funktionäre für das Abbröckeln seiner Gefolgschaft verantwortlich sein. KAPLANs Ankündigung, nach dem Tod des Gründers und langjährigen Leiters des ICCB am 15. Mai 1995 den ausgerufenen "Kalifenstaat" weiterzuentwickeln, konnte er deshalb nicht einmal ansatzweise realisieren. 34 Eine "weltliche" Ordnung, die auf einer Selbstbestimmung des Denkens, des Wol171 lens und Handelns im politisch-staatlichen und gesellschaftlichen Raum basiert und losgelöst ist von den auf Religion und Theologie basierenden Denkund Ordnungssystemen (Trennung von Staat und Kirche) Ungeachtet dessen wird die seit Jahren im Verbandsorgan "Ümmeti-Muhammed" insbesondere gegen Demokratie, Juden, den israelischen Staat sowie die innertürkischen Verhältnisse praktizierte Hetzkampagne fortgesetzt. So hieß es in der Ausgabe vom 1. Februar 1996 unter dem Titel "Grundparolen des Muslims" u. a., daß "Kommunismus, Kapitalismus, Liberalismus, Sozialismus, Kemalismus, Laizismus und Demokratie, alle derartigen Ordnungen, die dem Islam nicht entsprechen, sowie alle Systeme und alle - ISMEN -, die es gibt,... schlecht sind", d. h. zu verwerfen sind. Für die Anhänger des ICCB ist "der Djihad35 ein lebenswichtiger Teil der islamischen Bewegung und jeder Muslim jederzeit zum Djihad verpflichtet". Als politische Ziele der "Islamischen Gemeinschaft" werden die Beseitigung aller Kräfte außer Allah und seinem Propheten und die totale Beseitigung aller politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen (oder sozialen) und kulturellen Einflüsse der westlichen Zivilisation gefordert. Durch das Wirken der Vereinigung sollen die islamische Staatsordnung und Kultur weltumspannend wiederbelebt werden. Diese Aussagen dokumentieren einmal mehr, daß der ICCB bewußt eine Politik verfolgt, die jegliche Integration ausschließt. Die fortwährende Hetze gegen alles "Unislamische" leistet Konfrontationen zwischen Volksgruppen und Konfessionen innerhalb der deutschen Gesellschaft Vorschub und baut Aggressionen gegen Andersdenkende auf. Gerade auch deshalb stellt der ICCB ein militantes Konfliktpotential dar. In Baden-Württemberg initiierten ICCB-Ortsverbände verschiedene Veranstaltungen, in deren Verlauf die Mitglieder und Teilnehmer auf die Ziele des Verbands eingeschworen wurden. Dabei bezeichnete KAPLAN Anfang des Jahres anläßlich einer beim "Tag des Aufbäumens der Jugend in Baden-Württemberg" in Freudenstadt gehaltenen Rede diejenigen, die hinter den außerhalb des Islam stehenden Systemen stünden, als falsche Hodschas, falsche Scheichs und falsche Muslime. Eine weitere Veranstaltung mit ca. 300 Teilnehmern fand am 16. Juni 1996 in Albstadt-Ebingen statt. 35 "Djihad" ist der theologisch gerechtfertigte Krieg/Kampf der Muslime, der in Euro172 pa schlechthin unter der ungenau übersetzten Bezeichnung "Heiliger Krieg" bekannt ist. Das ursprünglich schiitische Konzept als individuelle persönliche Vervollkommnung ist hier offensichtlich nicht gemeint. Ausländerextremismus Am 1. Juni 1996 betrieben ICCB-Anhänger in Heidelberg einen Informationsstand und verteilten dabei Flugblätter der Vereinigung. 3.4 Extrem-nationalistische Organisationen Die "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e. V." (ADÜTDF) stellt nach wie vor die bedeutendste extrem-nationalistische türkische Organisation in Deutschland dar. Sie vertritt die Interessen ihrer in der Türkei beheimateten Mutterorganisation, der "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP) unter Führung von Alparslan TÜRKES. Nach der Aufbruchstimmung im Jahr 1995, als die ADÜTDF in Baden-Württemberg noch einen Mitgliederzuwachs verzeichnen konnte, stagnierte 1996 die Mitgliederzahl bei ca. 1.800 Personen. Auch die Zahl der dem Dachverband angehörenden bzw. mit ihm sympathisierenden Vereine im Land blieb mit ca. 20 gegenüber 1995 unverändert. Die im Jahr 1995 zu beobachtende Steigerung der Aktivitäten, insbesondere der jüngeren Anhängerschaft, konnte 1996 nicht fortgesetzt werden. Einer der Gründe hierfür ist möglicherweise eine Strabesseres tegie des "Wohlverhaltens" der Führung, um den oft als "Graue Image der Wölfe" bezeichneten Anhängern zu einem positiveren Image zu ADÜTDF verhelfen. angestrebt In Baden-Württemberg bemüht sich die ADÜTDF, ihre Anhänger durch sogenannte Kulturveranstaltungen ihrer Ortsvereine zu mobilisieren, an denen teilweise bis zu 1.800 Personen teilnahmen. Außerdem gibt es wie bereits in der Vergangenheit Anhaltspunkte dafür, verstärkt Frauen für die Belange und Ziele der "Föderation" zu gewinnen. Darüber hinaus initiierte der Dachverband überregionale Veranstaltungen. Einen Höhepunkt bildete wie in den zurückliegenden Jahren der Jahreskongreß der ADÜTDF, der am 5. Oktober 1996 in Essen durch- geführt wurde. Zwar nahmen mit etwa 10.000 Personen deutlich weniger Anhänger als 1995 (ca. 20.000) teil, dennoch wurden neue Akzente gesetzt. Im Verlauf der Versammlung wurde ein neuer Dachverband mit der Bezeichnung "Konföderation der idealistischen Türken in Europa" (AÜTDK) mit anschließender Wahl des Führungsgremiums vorgestellt, zu dessen stellvertretendem Vorsitzenden der in Baden-Württemberg wohnhafte bisherige Vorsitzende der ADÜTDF gewählt wurde. Die neue Vereinigung setzt sich aus mehreren nationalen Teilorganisationen zusammen, darunter die "Deutsche Türk Föderation" (ATF). Trotz des Bemühens, sich in Deutschland nach außen als gemäßigt mit demokratischem Anspruch zu präsentieren, unterstützt die Vereinigung nach wie vor das Bestreben der Mutterorganisation MHP, einen starken türkischen Nationalstaat mit pantürkischen Ansprüchen zu errichten. Als historisches Vorbild gilt das Osmanische Reich. Auch die unüberwindbaren Vorbehalte gegen ihre politischen Gegner, insbesondere die unnachgiebige Haltung gegenüber den nationalen kurdischen Strömungen und der Ideologie "linker" türkischer Organisationen, stellen ein latent vorhandenes Konfliktpotential dar. Vor diesem Hintergrund kam es regelmäßig zu militanten Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Lagern - wenn auch auf unspektakulärem Niveau. 4. Araber 4.1 Palästinenser Trotz der Verschlechterung der israelisch-palästinensischen Beziehungen ist es den im Bundesgebiet aktiven extremistischen und terroristischen säkularen Gruppen nicht gelungen, dieses Thema mit zählbarem Erfolg für sich politisch nutzbar zu machen. Dabei konnten weder die "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) noch die "Demokratische Front für die Befreiung Palästinas" (DFLP) die bestehenden Probleme wie Demotivation 174 Ausländerextremismus und Unlust der Mitglieder, Verlust an gesellschaftlicher Bedeutung (in Europa wie in der Nahostregion), Uneinigkeit im eigenen Lager sowie eine abnehmende politische Bedeutung durchbrechen. Mit der Lösung dieser Schwierigkeiten haben auch andere der insgesamt 10 anhaltender an ihrem Widerstand gegen Jassir Arafats "Palästinensischer BeWiderstand freiungsorganisation" (PLO) festhaltenden Gruppen zu kämpfen. gegen Arafat PFLP und DFLP sind jedoch trotz dieses Bedeutungsverlusts weiterhin in der Lage, terroristische Unternehmungen durchzuführen. Zudem liefern deren Funktionäre und Aktivisten in Wort und Schrift regelmäßig Belege für die anhaltende Militanz. So wurden beispielsweise die im September 1996 von palästinensischen Polizisten auf israelische Soldaten abgegebenen Schüsse als "heroenhafte Einzeltaten" begrüßt. Die Tätigkeit der beiden Organisationen im Bundesgebiet beschränkte sich während der vergangenen Monate auf konspirative Treffen zur politischen Schulung von Mitgliedern. Dazu gehörte auch - in einem kulturell verbrämten Rahmen - die massive Agitation gegen das "Gaza-Jericho-Teilautonomieabkommen" sowie gegen den Vorsitzenden des Autonomierats, Arafat, der als "Vasall der Juden und Amerikaner" verunglimpft wurde. Arafat wurden darüber hinaus eine "despotische Führungsweise" sowie ausufernde Vetternwirtschaft vorgeworfen. Neuerdings deuten sich Versuche an, mittels einer übergreifenden Dachorganisation die Palästinenser in der deutschen Diaspora zu vereinigen und so mit einer Stimme zu sprechen. Die Erfolgsaussichten dürften angesichts der Zerstrittenheit der führenden Persönlichkeiten jedoch nur gering sein. Am 28. September 1996 fand in Bonn die Gründungsveranstaltung der "Palästinensischen Gemeinde e. V." statt. Es ist zu vermuten, daß die in der Gesellschaftsstruktur der Bundesrepublik Deutschland fest verankerte "Jüdische Gemeinde" den Initiatoren dieser neugebildeten Vereinigung als Vorbild diente. Offensichtlich wird damit eine Gleichstellung und höhere gesellschaftliche Reputation angestrebt. 175 4.2 Arabische Islamisten In Baden-Württemberg sind arabische und nordafrikanische islamistische Organisationen durch einzelne Aktivisten und verstreut operierende Zirkel vertreten, von denen wegen ihrer Gewaltbereitschaft besondere Sicherheitsrisiken ausgehen. Als wichtigste sunnitische islamistische Gruppe ist die "Muslimbruderschaft" (MB) zu nennen, von der im Bundesgebiet nicht nur ihr ägyptischer Zweig, der als Ursprungsorganisation anzusehen ist, sondern auch eine syrische Strömung existieren. Außerdem ist als militanter Ableger die palästinensische "HAMAS" (Bewegung des Islamischen Widerstands) zu erwähnen, die in Deutschland durch den "Islamischen Bund Palästina e.V." (IBP) vertreten wird. Daneben bestehen die ebenfalls auf dem Gedankengut der Muslimbrüder fußende algerische "Islamische Heilsfront" (FIS) nebst ihrer militärischen Gliederung "Islamische Armee des Heils" (AIS). Propagandistisch tritt auch die terroristische, selbst im islamistischen Lager wegen unglaublich brutaler Gewaltanwendung umstrittene "Islamische Bewaffnete Gruppe" (GIA) auf. Wichtigste Gruppierung des extremistischen schiitischen Spektrums ist die libanesische "Hizb Allah" (Partei Gottes). 176 Ausländerextremismus Allen Gruppierungen gemeinsam ist der Kampf für ein islamistisches Islam als Staatsgebilde: Regierungssysteme, die nicht auf den von ihnen defipolitische nierten Grundlagen des Islam beruhen und aus ihm schöpfen, werIdeologie den gänzlich abgelehnt. Ihre Militanz und Gewaltbereitschaft dokumentieren zahlreiche blutige Anschläge in den jeweiligen Heimatländern. Dabei sind vor allem die Aktivitäten der FIS und anderer islamistischer Gruppen in Algerien, der aus der MB hervorgegangenen "Islamischen Gemeinschaften" in Ägypten und der "HAMAS" in Israel zu erwähnen. Israel und die Juden stellen wegen der Palästinafrage ein Hauptziel islamistischer Agitation dar. Aber auch die Vorstellungen von einer angeblich von Juden gegen den Islam angezettelten neokolonialistischen Verschwörung unter Beteiligung der westlichen Staaten spielen eine Rolle. Die Erfahrung, daß westliche Lebensweisen und Produkte immer mehr Verbreitung finden, scheint diese Vorstellungen zu bestätigen. Die Islamisten schüren die Angst der Menschen im Ursprungsland und in den Gemeinschaften im Ausland vor einer "Überfremdung", wobei erneut mit dem Schlagwort vom "Schutz der islamischen Identität" agiert wird. In diesem Rahmen wird vor allem die Förderung des bewaffneten Kampfes propagiert. Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten entfalteten diese Gruppen in Deutschland nur in geringem Umfang. Ihre Treffen wurden meist in kleinen Zirkeln und zum Teil konspirativ durchgeführt, um Aufsehen zu vermeiden und sich der sicherheitsmäßigen Kontrolle durch das Gastland, aber auch durch die jeweiligen Heimatländer, zu entziehen. In bestimmten Moscheen und Gebetssälen wird jedoch kontinuierlich Propaganda betrieben. Bei diesen Versammlungen werden meist Referate über die politische Situation in den jeweiligen Heimatländern gehalten und diskutiert. Hiesige Führungsfunktionäre, teilweise aber auch aus dem Ausland angereiste Kader indoktrinieren und werben dabei für die "Islamische Bewegung" Indoktrina(harakat al-islamiyya). Im Hinblick auf die Gastgesellschaft wird tion den Anhängern vor allem eingeschärft, sich nicht um die Identität oder "islamische Ursprünglichkeit" bringen zu lassen, d.h. es wird eine aktive Diskriminierungspolitik betrieben. Daneben bemüht man sich um eine stärkere Mobilisierung von Anhängern und Sympathisanten, teilweise wird auch zu Geldspenden aufgerufen. 177 In diesen Kreisen kursieren in großer Zahl einschlägige islamistische Publikationen wie Al Ahd ("Die Verpflichtung"), Al-Sabil ("Der Weg"), Al Ribat ("Die Grenzfeste"), AlTabsira ("Die Aufklärung") und Al-Quital ("Die Schlacht"). 5. Staatsangehörige aus dem ehemaligen Jugoslawien Am 21. November 1995 paraphierten die Präsidenten von Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina in Dayton im US-Bundesstaat Ohio ein Friedensabkommen für Bosnien-Herzegowina und beendeten damit die 1991 im ehemaligen Jugoslawien ausgebrochenen kriegerischen Auseinandersetzungen. Indes hat der einsetzende Friedensprozeß angesichts der tiefen Spuren, die der überaus brutal geführte Krieg hinterlassen hat, bis zum erfolgreichen Abschluß noch einen langen Weg zurückzulegen. Die in Baden-Württemberg lebenden knapp 320.00036 Staatsangehörigen aus dem ehemaligen Jugoslawien haben sich 1996 politisch überwiegend unauffällig verhalten. Bei den strikt nach Nationalitätengruppen getrennten Vereinen konnten in Baden-Württemberg 19 Neugründungen registriert werden. Derzeit beschränken die jeweiligen Vereine ihre Aktivitäten meist auf kulturelle Veranstaltungen, die der Wahrung der nationalen Identität dienen sollen. nachlassende Der seit 1993 zu beobachtende Abwärtstrend (Höhepunkt 1992: Spannungen 95) bei den politisch motivierten Straftaten zwischen Angehörigen zwischen den unterschiedlicher Nationalitätengruppen aus dem ehemaligen JuNationatitätengoslawien hielt weiter an. 1996 wurden in Baden-Württemberg noch gruppen 12 Vorfälle wie Sachbeschädigungen und Bedrohungen festgestellt. Daneben wurde lediglich ein Brandanschlag bekannt. Am 10. Januar 1996 setzten unbekannte Täter die Vereinsräume des "Clubs der Jugoslawen" in Heilbronn, der von Serben besucht wird, mit einem Molotowcocktail in Brand. Dabei wurden die Räumlichkeiten des Klubs, der bereits im Jahr 1995 das Ziel zweier versuch178 Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg; Stand: 31.12.1995 Ausländerextremismus ter Brandanschläge war, nur unwesentlich beschädigt; allerdings entstand am Gebäude ein Sachschaden von ca. 200.000 DM. Weiterhin wurden in mehreren Fällen hier lebende Bürger aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Vielvölkerstaats unter Androhung von Repressalien zu Spenden für den Wiederaufbau der jeweiligen Heimatgemeinde genötigt. Wie bereits in den Vorjahren wurden keinerlei Aktivitäten der kroatischen Emigrantenvereinigungen mehr festgestellt. Auch die beiden kosovo-albanischen Emigrantenorganisationen, die extrem-nationalistische "Nationaldemokratische Liga der Albanischen Treue" (B.K.D.SH) mit Sitz in Donzdorf/Krs. Göppingen und die linksextremistische "Volksbewegung von Kosovo" (LPK), geringe Akentfalteten 1996 keine größeren öffentlichen Aktivitäten mehr. Um tivitäten von die Öffentlichkeit auf ihre Forderung nach einer souveränen Repukosovo-albablik Kosovo aufmerksam zu machen, führten Kosovo-Albaner vom nischen 18. bis 24. Mai 1996 in Stuttgart eine Hungerstreikaktion durch. GruppierunAn ihr beteiligten sich auch Mitglieder der LPK. gen Anzeichen für eine steigende Militanz von Extremisten aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens waren auch 1996 nicht erkennbar. Das Gesamtpotential der gewaltbereiten Personen dieses Spektrums ist von etwa 300 (1995) auf ca. 180 zurückgegangen. Die Gefahr gewalttätiger Aktionen durch fanatisierte Kleinstgruppen oder Einzelpersonen ist jedoch weiterhin gegeben. Durch die Friedensvereinbarung von Dayton könnte sich eine Reihe von Emigranten und Bürgerkriegsflüchtlingen als Verlierer ohne Zukunftsperspektiven sehen. Dies birgt die Gefahr in sich, daß bisher durch den Kriegszustand gelähmte, gewaltorientierte Kräfte zur Durchsetzung politischer, aber auch krimineller Ziele zu terroristischen Mitteln greifen. 179 6. Iraner Iranische Organisationen traten 1996 in Baden-Württemberg kaum in Erscheinung; öffentliche Aufmerksamkeit konnten sie durchweg nicht erzielen. Als bedeutendste Gruppierung des oppositionellen Spektrums ist der "Nationale Widerstandsrat Iran" (NWRI) zu nennen. Diese OrOpposition ganisation, die sich selbst als "Parlament des Iranischen Widerstangegen die des" und "demokratische Alternative" zum iranischen "Mullah-Syiranische stem" versteht, wird von der "Organisation der Volksrnod jahedin StaatsflihIran" (PMOI) dominiert. Diese erhebt - ohne über eine politische rung Legitimation zu verfügen - den Anspruch, eine künftige Übergangsregierung in Iran zu stellen. Führende Persönlichkeiten der PMOI sind das Ehepaar Masoud und Maryam RADJAWI, wobei letztere von der Vereinigung als "designierte Präsidentin Irans" angesehen wird. Die PMOI, die in der Vergangenheit schon gewaltsame Aktionen gegen iranische Einrichtungen in Deutschland durchführte, dokumentiert ihren militanten Charakter auch mit ihrer im Irak ansässigen, von Saddam Hussein unterstützten "Nationalen Befreiungsarmee" (NLA). Die Ideologie der PMOI besteht aus islamischem Gedankengut schiitischer Prägung, sozialistischen Ideen und nationaler Symbolik des Landes Iran. Die Strukturen der Organisation werdenentgegen anderslautenden Stellungnahmen der PMOI-Propagandisten - von einer totalitären und konspirativen Führung bestimmt. Mit Hilfe einer Vielzahl von Unterorganisationen wird versucht, die in Baden-Württemberg lebenden Iraner zu beeinflussen und bei der wohlmeinenden deutschen Öffentlichkeit ideelle und materielle Unterstützung zu gewinnen. Regelmäßig werden Veranstaltungen zu humanitären Fragen sowie Kulturabende durchgeführt. Dahinter verbirgt sich oftmals die Absicht, einzelne Parlamentarier und Politiker sowie die Medien für ihre Zwecke zu instrumentalisieren; dazu gehören auch Fernsehinterviews oder Großveranstaltungen wie zu- A u s l ä n d e r e x t r e m i s m u s letzt im Juni 1996 in London. Naturgemäß stehen für viele Teilnehmer solcher Versammlungen die landsmannschaftlichen Verbindungen und weniger die politischen Aspekte im Vordergrund; gleichwohl werden sie von der NWRI gegenüber der Öffentlichkeit in ihrer Gesamtheit als Anhänger vereinnahmt. Eine wichtige Finanzierungsquelle bilden Straßensammlungen. Dabei firmieren Tarnorganisationen unter Bezeichnungen wie "Flüchtlingshilfe Iran e. V." (FHI), "Frauen für Demokratie im Iran e. V." oder "Verein zur Eingliederung iranischer Flüchtlinge e. V." (VEIF). Die Hauptmasse des gesammelten Geldes dürfte - entgegen dem Willen der Spender - nicht primär den plakativ beschriebenen humanitären Zwecken zufließen, sondern für die propagandistische und logistische Arbeit der PMOI einschließlich der NLA verwandt werden. Nahezu unbedeutend sind in Baden-Württemberg die Aktivitäten regimetreuer iranischer Organisationen. Die "Union Islamischer Studentenvereine in Europa" (U.I.S.A.) ist hier mit einzelnen Anhängern vertreten. Inwieweit diese durch den sogenannten Mykonos-Prozeß, in dem iranischen Regierungsstellen staatsterroristisches Vorgehen vorgeworfen wird, zu Aktivitäten angeregt werden können, läßt sich derzeit noch nicht absehen. Sikhs Anhaltende Fahndungserfolge der Polizei gegen führende Aktivisten der im indischen Bundesstaat Pandschab agierenden Sikh-Organisationen haben die Operationsmöglichkeiten terroristischer Sikh-Kommandos deutlich eingeschränkt. Entsprechend ist auch die Zahl verübter Anschläge gegen Einrichtungen in Indien und deren Repräsentanten 1996 weiter zurückgegangen37. Zu dieser Entwicklung haben auch andauernde, zum Teil vertiefte ideologische StreiZiel eines tigkeiten innerhalb der einzelnen Gruppierungen sowie zwischen unabhängi ihnen beigetragen. Gemeinsames Ziel der Sikh-Bewegung bleibt die gen SikhSchaffung eines unabhängigen Staats Khalistan (Land der Reinen). Staates Die letzte, weltweit Aufsehen erregende Aktion terroristischer Sikhs war der Mordanschlag auf den Ministerpräsidenten des Pandschab, Beant Singh, am 31. August 181 1995. Bei diesem Selbstmordattentat, zu dem sich die BK bekannte, kamen damals Singh und 15 weitere Personen ums Leben. Die im Ausland lebenden Anhänger extremistischer Sikh-Organisationen sind außer in den Hauptexilländern USA, Kanada und Großbritannien auch in Frankreich und in Deutschland organisiert. Im Bundesgebiet haben sich ca. 750 Personen den extremistischen Vereinigungen der Sikhs wie der in mehrere Flügel gespaltenen "International Sikh Youth Federation"(ISYF) oder der "Babbar Khalsa International" (BK)38 angeschlossen. Kennzeichnend für diese Organisationen ist der enge Kontakt ihrer Führungskader zu Gesinnungsfreunden in aller Welt. Die Hauptaufgabe dieses Personenkreises besteht insbesondere darin, ihre Anhänger zur finanziellen Unterstützung des "Freiheitskampfes" im Pandschab anzuhalten und durch propagandistische Aktivitäten weitere Kreise anzusprechen. Die Geldspenden werden für die logistische Ausstattung der Kämpfer sowie für die Unterstützung ihrer Hinterbliebenen verwendet. Unter den Führungsfunktionären der Sikh-Bewegung bestehen erhebliche Spannungen bezüglich der Durchsetzung ihres Führungsanspruchs in den einzelnen Gruppierungen. Diese Differenzen wirken sich auch auf die in Deutschland lebenden Sikhs aus. Beispielsweise kam es im Oktober 1996 zu einer weiteren Gruppenbildung innerhalb der ISYF. Politische Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnen Sikherhebliche Funktionären werden überwiegend in den Hauptversammlungsorten Spannungen der Sikhs, den Tempeln39 (Gurdwaras), ausgetragen. Dort versuchen zwischen diese verstärkt auch ihren Einfluß in den Tempelkomitees auszuFührungsweiten. Die wichtigsten Zentren für die politische Betätigung der funktionären Sikhs in Deutschland bilden die Tempel in Frankfurt am Main und Köln. Weitere Tempel befinden sich in Duisburg, Leipzig, Stuttgart und Mannheim. In Baden-Württemberg sind etwa 100 Sikhs in extremistischen Zirkeln der ISYF und BK organisiert. Im Jahr 1996 fanden vor allem im Stuttgarter Sikh-Tempel immer wieder die in der Sikh-Religion traditionellen "Märtyrer-Gedenkveranstaltungen" statt, bei denen unter anderem der gefallenen Sikh-Kämpfer gedacht wird. AnDiese Bezeichnung wird für die Auslandsorganisation verwendet 182 Kultureller, religiöser und politischer Mittelpunkt der Sikhs A u s l ä n d e r e x t r e m i s m u s läßlich dieser Feiern werden die Anwesenden vor allem zu großzügigen Geldspenden für die in der Heimat aktiven Kämpfer bzw. deren Hinterbliebene aufgefordert. Daneben sammeln die Anhänger der einzelnen Zirkel Geld in Unterkünften für Asylbewerber. Aktivisten der ISYF und der BK aus Baden-Württemberg beteiligten sich darüber hinaus an Protestdemonstrationen gegen den indischen Staat, beispielsweise am 26. Januar 1996 in Bonn anläßlich des indischen Nationalfeiertags (Ausrufung der Republik Indien und Verabschiedung der indischen Verfassung im Jahr 1950) sowie am 8. Juni 1996 in Frankfurt am Main aus Anlaß des Jahrestags der Erstürmung des goldenen Tempels in Amritsar40 durch indische Truppen. In Baden Württemberg haben sich Kleingruppen von Aktivisten der ISYF und BK in den Räumen Stuttgart, Mannheim, Reutlingen und Tübingen etabliert. 8. Tamilen Die linksextremistische separatistische Tamilenorganisation "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) führt seit 13 Jahren einen bewaffneten Kampf gegen die srilankischen RegierungsZiel eines truppen für einen eigenen, sounabhängizialistisch ausgerichteten gen sozialiStaat "Tamil Eelam". Vor alstischen lem im Nordosten Sri Lankas Staates werden die kriegerischen Auseinandersetzungen unvermindert fortgesetzt. Die weit auseinanderliegenden Standpunkte der Konfliktparteien sowie mehrere in der Vergangenheit gescheiterte Waffenstillstandsvereinbarungen bieten derzeit kaum konstruktive Verhandlungsperspektiven. Eine friedliche Beilegung des bewaffneten Konflikts ist nach wie vor nicht absehbar. Dieses religiöse Zentrum/Heiligtum der Sikhs im indischen Bundesstaat Pandschab 183 wurde am 6. Juni 1984 durch einen Angriff indischer Truppen (Operation "Blue Star") erheblich beschädigt Innerhalb des Bundesgebiets ist die hierarchisch gegliederte LTTE stets bestrebt, auf alle Lebensbereiche der hier lebenden Tamilen Einfluß zu nehmen. So werden Asylbewerberheime aufgesucht, um eine Vielzahl von Personen mit tamilischer Volkszugehörigkeit direkt anzusprechen. Zur Wahrung der landsmannschaftlichen Interessen dient ein von der LTTE geschaffenes, breitgefächertes Netz von Klubs und Vereinen mit Schwerpunkten im kulturellen und sportlichen Bereich. Zur Finanzierung des Guerillakriegs im Heimatland benötigt die FinanzieLTTE enorme Geldmittel. Die deutsche Sektion leistet ihren finanrung des ziehen Beitrag, indem sie allen im Bundesgebiet lebenden Tamilen Guerillamonatlich festgesetzte Spendenbeiträge abverlangt. Daneben werkriegs den zu besonderen Anlässen zusätzliche Spendengeldaktionen durchgeführt. Als weitere Geldquelle dienen Provisionen aus einem von der LTTE betriebenen "Dienstleistungsservice", wobei im Ausland lebenden Tamilen Geldund Posttransfers zur Unterstützung der in der Heimat lebenden Familienangehörigen angeboten werden. Schließlich bilden Erlöse aus Lotteriespielen und Verkaufsaktionen von LTTE-Propagandaartikeln wie CDs, Kassetten, Bücher, Anhänger und Uhren anläßlich von Kulturveranstaltungen und "Heldengedenkfeiern" beachtliche Einnahmen. Mit Filmvorführungen über den "Kriegsschauplatz Sri Lanka" - u. a. in einem Stuttgarter Kino - erhofft sich die Organisation mehr Akzeptanz und Unterstützung von den hier lebenden Tamilen. Am 2. November 1996 wurden in Stuttgart, Heidelberg und Karlsruhe Veranstaltungen zur "Situation der Tamilen in Sri Lanka" sowie für die Anerkennung von "Tamil Eelam" durchgeführt. In Baden-Württemberg sind der LTTE ca. 60 Mitglieder zuzurechnen. Stützpunkte existieren hauptsächlich in den Räumen Stuttgart und Ludwigsburg. E. SPIONAGEABWEHR 1. Allgemeiner Überblick Auch im Berichtsjahr 1996 stand der Bereich Wirtschaft/Wissenschaft im Mittelpunkt der Ausspähungsaktivitäten fremder NachAusforrichtendienste. Gegenüber dem Vorjahr hat sich dessen hoher Anschungsteil sogar noch weiter gesteigert. Mit ausschlaggebend für diese Schwerpunkt Entwicklung - die bei bundesweiter Betrachtung regional unterWirtschaftl schiedlich verlaufen mag - sind nicht zuletzt die Leistungskraft der Wissenschaft baden-württembergischen Industrie sowie die Bedeutung der hier ansässigen Forschungsund Wissenschaftseinrichtungen. Auffallend ist vor diesem Hintergrund jedoch die insgesamt geringe Zahl von Hinweisen zu solchen Aktivitäten, die aus dem Bereich dieser Institutionen selbst gegeben werden. Tätigkeit der Spionageabwehr (Schematische Darstellung) InformationsBeobachtung Bearbeitung Führung beschaffung von von von aus offenen Quellen Legalresidenturen Verdachtssfällen Gegenoperationen Erkenntnisse über fremde Nachrichtendienste Struktur Methoden Ziele Abwehr von Spionageangriffen und Schutz von Personen und Objekten Grafik: LfV BW 186 S p i o n a g e a b w e h r Der in den letzten Jahren weitgehend liberalisierte internationale Austausch von Informationen, Gütern und Dienstleistungen aller Art hat die nachrichtendienstlich gesteuerte Spionage aus der Sicht fremder Mächte keineswegs überflüssig werden lassen. Ursächlich hierfür ist in erster Linie das nach wie vor bestehende, zum Teil immense wirtschaftliche und technologische Gefalle zwischen Staaten mit unterschiedlichen Wirtschaftsformen und Entwicklungsstufen. Beachtlich sind ferner die Proliferationsbestrebungen41 der KrisenProliferaländer des Nahen und Mittleren Ostens. Diese widmen sich schwertionsbestrepunktmäßig der Beschaffung von High-Tech-Produkten unter Einbungen schaltung nachrichtendienstlich gesteuerter Beschaffungsorganisationen, die aufgrund ihrer kaum durchschaubaren Strukturen einen Rückschluß auf den tatsächlichen Endnutzer erschweren. Offenbar aufgrund der ungünstigen konjunkturellen Situation wurden auch von baden-württembergischen Unternehmen Geschäftsabschlüsse mit Krisenländern getätigt, wobei das Risiko sensitiver Exporte42 offenbar in Kauf genommen wurde. Vor dem Hintergrund der geplanten Osterweiterung von NATO und EU haben aber auch politische und militärische Themen weiterhin eine gewisse Bedeutung im Rahmen der Spionageaktivitäten östlicher Nachrichtendienste. Bei der Spionage muß von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen hohe werden. Außerdem gelingt es in vielen Fällen nicht oder nicht mit Dunkelder notwendigen Eindeutigkeit, bekanntgewordene Sachverhalte Ziffer bei einem fremden Nachrichtendienst zuzuordnen. Jegliche Art von SpionageSpionage, ob nachrichtendienstlich gesteuert oder von der Konkuraktivitäten renz ausgehend, kann zu beachtlichen Schäden führen. Die Spionageabwehr ist dringend auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen. Hinweise werden auf Wunsch vertraulich beProliferation: Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen bzw. zu deren Herstellung verwendbare Produkte einschließlich des dafür erforderlichen Knowhow sowie entsprechende Waffenträgersysteme Sensitive Exporte: Geschäfte, die gegen die Vorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) oder des Kriegswaffenkontrollgesetzes (KWKG) verstoßen, die den Export bestimmter Güter in Krisengebiete untersagen 187 Zielrichtung der Spionage in Baden-Württemberg 1995 und 1996" Politik / Verwaltung Militär Wirtschaft / Wissenschaft Unterstützung Grafik: LfV BW " Gegenüberstellung der 1995 und 1996 in Bearbeitung genommenen Vorgänge, bei denen Hinweise auf eine nachrichtendienstliche Zielrichtung vorlagen handelt. Selbstverständlich bietet das Landesamt auch denjenigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern seine Hilfe an, die mit fremden Nachrichtendiensten in Kontakt geraten sind und sich aus einer eventuellen Verstrickung lösen wollen. Im Jahr 1996 wurden in Baden-Württemberg 4 Personen wegen LanUrteile desverrats oder geheimdienstlicher Agententätigkeit rechtskräftig verurteilt. Im Verfahren gegen zwei Mitarbeiter eines Unternehmens der Kommunikationselektronik in Baden-Württemberg wurden gegen die beiden Angeklagten wegen mehrjähriger - in einem Fall fast dreißigjähriger - Verratstätigkeit Bewährungsstrafen von 12 bzw. 18 Monaten ausgesprochen. Der Prozeßausgang wurde nicht unwe188 Spionageabwehr sentlich von dem Umstand beeinflußt, daß der Vertreter des betroffenen Betriebes den durch die Agententätigkeit entstandenen Schaden nicht zu beziffern vermochte. Einzelerkenntnisse 2.1 Nachrichtendienste der Russischen Föderation Trotz erheblicher finanzieller Engpässe in vielen Bereichen wurden unvermindie hohen Aufwendungen für die Geheimdienste keineswegs reduderte ziert. Die russische Staatsführung erhofft sich im Gegenteil durch Spionagederen ungeschmälerte Tätigkeit wirksame Unterstützung bei der aktivitäten Lösung wirtschaftlicher und politischer Probleme. Diese Einschätzung beruht nicht zuletzt auf wiederholten - auch offiziellen - Ausführungen Präsident Boris Jelzins zum Thema Spionage. Im Februar 1996 hat er vor dem Nationalen Sicherheitsrat in Moskau die Bedeutung der Wirtschaftsspionage zur Reduzierung des technologischen Rückstands gegenüber dem Westen besonders hervorgehoben. Ihr Anteil von knapp 90 % am Gesamtaufkommen aller Hinweise auf russische Ausspähungsaktivitäten im Jahr 1996 unterstreicht die Konsequenz bei der Umsetzung derartiger Verlautbarungen. Beispiel: Eine von einem russischen Nachrichtendienst angeworbene und im Bundesgebiet lebende Person mit GUS-Staatsangehörigkeit wurde durch Übernahme von Geschäftsanteilen tätiger Mitgesellschafter einer in Baden-Württemberg ansässigen Handelsund Consultingfirma. Diese gründete wiederum mehrere Unternehmen mit gleichlautendem Geschäftsgegenstand, wobei sie jeweils die Mehrheit des Stammkapitals hält. Die Gesellschafter und Geschäftsführer der einzelnen Firmen sind Deutsche und GUS-Staatsangehörige, die zum Teil im Verdacht stehen, eben189 falls nachrichtendienstlich tätig zu sein. Eine derartige Konstellation eröffnet weitreichende Möglichkeiten, bei den Geschäftspartnern in unverfänglicher Weise Know-how abzuschöpfen. Die Erwartung, die Nachrichtendienste Rußlands würden sich künftig neben Aufgaben der inneren Sicherheit vornehmlich der Bewältigung globaler Bedrohungsfelder (z.B. Organisierte Kriminalität) in Kooperation mit westlichen Diensten widmen, hat damit einen Dämpfer erhalten. Das offizielle Bekenntnis zur Spionage und die Zunahme erkannter nachrichtendienstlicher Aktivitäten untermauern die Feststellung, daß von einer Reduzierung der Aufklärung gegenüber dem Westen derzeit keinesfalls gesprochen werden kann. Nachrichtendienstliche Aktivitäten in BadenWürttemberg 1996 - Auftraggeber Sonstige 15 Rußland 37% Rumänien 6% Kasachstan 10% GUS (Land noch nicht zuzuordnen) 20% Grafik: LfV BW 190 Spionageabwehr 2.1.1 SWR Im Januar 1996 wurde der bisherige Leiter des zivilen Auslandsaufklärungsdienstes SWR, Jewgenij PRIMAKOW, zum Außenminister berufen. Zu seinem Nachfolger wurde Wjatscheslaw TRUBNIKOW bestellt, der wie sein Vorgänger eine langjährige nachrichtendienstliche Karriere aufweist. Sein erklärtes Ziel ist es, durch eine engere Zusammenarbeit mit den anderen russischen Diensten sowohl bei der Quantität als auch bei der Qualität der beschafften Informationen eine deutliche Steigerung zu erreichen. Hauptstoßrichtung der Aktivitäten des SWR blieb unter Führung NATO-OstTRUBNIKOWs die Erlangung von Erkenntnissen aus Wirtschaft erweiterung und Wissenschaft; daneben waren auch Informationen zur vorgesevon besonhenen NATO-Osterweiterung von besonderem Interesse. Bezeichderem Innenderweise wird in Artikel 5 des "Gesetzes der Russischen Födeteresse ration über den Auslandsnachrichtendienst" die "Beschaffung von wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Informationen" ausdrücklich als Aufgabe definiert. Als Beispiel für die Arbeitsweise der russischen Auslandsaufklärung steht folgender Fall aus Baden-Württemberg: Angehörige eines russischen Nachrichtendienstes (vermutlich SWR) wandten sich an Beschäftigte eines Zulieferbetriebs der Automobilindustrie, um sie für eine Mitarbeit bei der Beschaffung von Daten und Materialien sowie von Informationen über Kunden ihres Arbeitgebers zu gewinnen. Ihr Augenmerk galt dabei vorrangig DV-Programmen bzw. spezieller Software, die sich zum Aufbau moderner Unternehmensstrukturen eignet. 2.1.2 GRU Die "Hauptverwaltung Aufklärung des Generalstabs beim Verteidigungsministerium der Russischen Föderation" ist der Nachmilitärische folgedienst der sowjetischen GRU. Wie schon zu Zeiten der Sowjetund zivile union ist ihr Hauptauftrag die militär-strategische Ausforschung. AusforMittlerweile hat das Aufklärungsprofil allerdings eine Erweiterung schung in Richtung ziviler Bereiche von Wirtschaft und Wissenschaft (Pharmaforschung, Consultingunternehmen, Finanzinstitute, Computerindustrie) erfahren. Dies ist ein Zeichen dafür, daß sich die russischen Dienste weiter verselbständigen und teilweise in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stehen. Die hohe Effizienz dieses Dienstes wird seiner kontinuierlichen Entwicklung zugeschrieben. Während die anderen russischen Nachrichtendienste grundlegend umstrukturiert wurden, blieb er aufgrund seiner traditionellen Eigenständigkeit auch in der Phase der Neuordnung von Veränderungen weitgehend verschont. Neben der Informationsbeschaffung durch Gesprächsaufklärung setzt gerade die GRU nachdrücklich auf konspirative Vorgehensweisen, also das Anwerben und Führen von Agenten mit dem damit verbundenen Einsatz etwa von Agentenfunk sowie Führungstreffen im Inoder Ausland an einem geheimgehaltenen Ort. 2.1.3 FSB Am 8. Juli 1996 wurde Generaloberst Nikolaj KOWALJOW auf Vorschlag des Nationalen Sicherheitsrats mit der Leitung des innerstaatlichen Sicherheitsdienstes FSB betraut. Er löste Michael BARSUKOW ab, der erst im Juli 1995 dieses Amt angetreten hatte. Seine Ernennung stieß in russischen Geheimdienstkreisen auf breite Zustimmung. Man verbindet damit die Hoffnung auf eine vorläufige Beendigung des relativ häufigen Führungswechsels. Der FSB hat im Vergleich zu den anderen russischen Diensten sehr weit gesteckte Kompetenzen. Diese schließen neben umfassenden Spionageabwehr Zuständigkeiten auf dem Gebiet der inneren Sicherheit auch die AllzuNachrichtenbeschaffung im Ausland ein. Angesichts seiner weitständigreichenden Befugnisse wird er immer häufiger mit dem allmächtikeit wie gen früheren KGB verglichen. ehemaliges KGB Die in letzter Zeit wieder verstärkt zu beobachtende Überwachung ausländischer Staatsangehöriger bei Rußlandaufenthalten ist dem FSB zuzurechnen. Sie erfolgt auch grenzüberschreitend unter Einsatz operativer Methoden, wenn etwa Kontakte zu russischen Geheimnisträgern festgestellt werden. Zudem werden nach einer aktuellen Verordnung der russischen Regierung vor Erteilung von Jahresvisa für Bürger westlicher Staaten (überwiegend Geschäftsleute) sogenannte Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt. Die Visumbeschaffung erfolgt unter Einschaltung "spezialisierter Firmen", die mit hoher Wahrscheinlichkeit dem FSB zuzuordnen sind. Des weiteren kann bei Aufenthalten in russischen Hotels von einer Überwachung der Telefonund Faxverbindungen ausgegangen werden. Beispiel: Angehörigen von Forschungsund Entwicklungsabteilungen baden-württembergischer Firmen wurden im Rahmen von Grenzkontrollen deren mitgeführte Laptops für einen längeren Zeitraum entzogen. Es ist davon auszugehen, daß die darauf gespeicherten Daten kopiert wurden. 2.1.4 FAPSI Die "Föderale Agentur für Regierungsfernmeldewesen und Information" (FAPSI) verfügt - ebenso wie der FSB - über vielfältige interne und externe Kompetenzen wie strategische - Erfassung und Entschlüsselung globaler KommunikationsFernmeldeverbindungen aufklärung 193 sowie - gezieltes technisches Eindringen in ausländische Sicherheitsobjekte. Bemerkenswert ist ferner, daß FAPSI auf dem russischen Inlandsmarkt als Dienstleistungsanbieter für "sichere Kommunikation" auftritt. Die Inanspruchnahme dieses Angebots durch westliche Firmen(-niederlassungen) birgt in Anbetracht der umfassenden Zugriffsmöglichkeiten und detaillierten Systemkenntnisse des russischen Partners hohe Risiken. Nach neuen Informationen steht FAPSI mit den Sicherheitsdiensten anderer GUS-Republiken in Verbindung und stellt ihnen technische Ausrüstung auf dem Gebiet des Chiffrierwesens zur Verfügung. FAPSI hat damit auch die Möglichkeit, die Kommunikationssysteme der jeweiligen Partnerländer zu durchdringen, ein Umstand, der für westliche Unternehmen mit Niederlassungen in anderen Ländern der GUS - wie etwa Weißrußland, Ukraine und Kasachstan - von Bedeutung sein kann. 2.2 Weitere Nachrichtendienste der GUS und anderer Staaten Osteuropas Die Situation der jeweiligen Aufklärungsorganisationen stellt sich Polen, uneinheitlich dar. So verfolgen beispielsweise Polen und Rumänien Rumänien das Ziel einer möglichst raschen politischen und wirtschaftlichen Integration in das europäische Staatengefüge und erklärten vor diesem Hintergrund ihren Verzicht auf das Mittel der Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland. Dennoch unterhalten diese Länder auch weiterhin speziell gegen Deutschland gerichtete Aufklärungseinheiten und setzen u. a. an ihren diplomatischen und konsularischen Vertretungen Mitarbeiter in Tarnpositionen ein. DemGUSgegenüber liegen von den GUS-Republiken keine vergleichbaren ErStaaten klärungen vor. Vielmehr bestehen Hinweise auf eine Intensivierung der Beziehungen zwischen deren Nachrichtendiensten und den ent- S p i o n a g e a b w e h r sprechenden russischen Institutionen. Als Beleg hierfür können die Konferenzen vom April 1996 in Duschanbe (Tadschikistan) und vom Mai 1996 in Tiflis (Georgien) gelten, die - neben vertraglichen Festlegungen über die Zusammenarbeit - u.a. der Reaktivierung von ehemaligem KGB-Führungspersonal galten. Es liegen Erkenntnisse vor, daß Import/Export-Firmen in BadenWürttemberg hauptamtlichen Angehörigen östlicher Nachrichtendienste zur Abtarnung von illegalem Technologietransfer dienen. 2.3 Chinesische Nachrichtendienste Die bereits in den zurückliegenden Jahren festgestellten und im zunehmenBericht 1995 ausführlich beschriebenen Aktivitäten der chinesischen de OperaAufklärungsdienste haben sich nicht nur in Baden-Württemberg tionen im verstärkt. Im Mittelpunkt des Interesses stehen nach wie vor WirtBundesschaft, Wissenschaft und (Militär-)Technik sowie die Kontrolle und gebiet Überwachung der im Bundesgebiet lebenden oppositionellen Chinesen und deren Emigranten-Organisationen. Die Beschaffungsbemühungen werden aus den legalen Residenturen43 heraus gesteuert und durch chinesische Handelsorganisationen unterstützt. Deren Niederlassungen im Bundesgebiet ermöglichen die offene und konspirative Gewinnung wirtschaftlicher, technischer und militärischer Informationen. Schließlich werden eine Reihe von China-Restaurants und sonstige unter chinesischer Leitung stehende Firmen als Anlaufstellen für nachrichtendienstliche Aktivitäten genutzt. 2.4 Nachrichtendienste des Nahen und Mittleren Ostens Ereignisse wie die Aufdeckung illegaler Exportgeschäfte im Zusammenhang mit dem Bau der libyschen Chemiewaffenfabrik in Rabta und den Waffenlieferungen an den Irak vor und während des Golfkriegs trugen dazu bei, daß seitens der Bundesrepublik DeutschMit hauptamtlichen Mitarbeitern besetzte Stützpunkte fremder Aufklärungsdienste 195 innerhalb einer offiziellen Institution (z. B. Botschaft/Konsulat) im Operationsgebiet land die Exportkontrollen weiter verschärft wurden. Seither versuchen die Krisenländer des Nahen und Mittleren Ostens (z.B. Iran, Irak, Libyen und Syrien), ihre Beschaffungsaktivitäten verstärkt mit konspirativen Methoden unter Einschaltung von scheinbar zivilen Aufkäufern voranzutreiben. Neuere Entwicklungen deuten darauf hin, daß die Krisenländer anUmgehung gesichts der Embargomaßnahmen in Westeuropa dazu übergehen, von sensitive Produkte in vermehrtem Umfang über Staaten zu erlanEmbargogen, in denen weniger einschränkende Exportvorschriften bestehen maßnahmen (vor allem osteuropäische und asiatische Länder). Vor diesem Hintergrund wird zukünftig dem Wissenstransfer aus dem Westen ein um so größerer Stellenwert zukommen. Länder wie der Iran binden ihre an westeuropäischen Forschungseinrichtungen tätigen Studenten, Stipendiaten, Postgraduierten und Austauschwissenschaftler ganz gezielt in die nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung ein. vorrangiges Das vorrangige Interesse bezieht sich auf Produkte, die zur HerstelInteresse an lung atomarer, biologischer oder chemischer Waffen verwendet werGrundlagen den können. Die im Oktober 1996 im Zusammenhang mit für atomare, Durchsuchungsmaßnahmen des Zollkriminalamtes gegen ihr Düsbiologische seldorfer Kontaktbüro in die Schlagzeilen geratene iranische DIOundchemiGruppe (Defence Industries Organisation) spielt dabei eine hersche Waffen ausragende Rolle. Sie hält im deutschsprachigen Raum die Verbindung zu mehreren hundert Firmen, die an der Beschaffung sensitiver Produkte für den Iran beteiligt sind. Als Beispiel für die Umgehung von Exportbeschränkungen steht folgender Fall: Bereits Ende 1994 wollte die DIO Düsseldorf einem deutschen Unternehmen den Auftrag zur Fertigung mehrerer Spezial-Elektromotoren erteilen. Unter Hinweis auf bestehende Exportbeschränkungen gegen den iranischen Empfänger kam die Lieferung nicht zustande. Im Frühjahr 196 Spionageabwehr 1995 wiederholte DIO die Bestellung unter Angabe einer anderen Lieferanschrift im Iran, worauf das deutsche Unternehmen mit der gleichen Begründung erneut ablehnte. Letztendlich verständigten sich DIO und der deutsche Hersteller auf einen unverfänglichen Adressaten. Der Auftrag wurde im Frühjahr 1996 ausgeführt. Das syrische CERS (Centre d'Etudes et de Recherches Scientifiques) ist ebenfalls mit der Beschaffung militärisch relevanter Technologie am europäischen Markt befaßt. Im Vordergrund des Interesses stehen Komponenten für Werkzeugmaschinen und Systemelemente zum Bau von Raketen. ANHANG Gruppenund Organisationsregister Bezeichnung Seite/n Aktionsbündnis gegen Rassismus 142 Aktion Sauberes Deutschland 47f. Antifa A2 142 Antifaschistische Aktion/Bundesweite Orga132 nisation (AA/BO) Antifaschistisches Aktionsbündnis Rhein142 Neckar (AARN) Antifaschistisches Bündnis Weinheim 142 Antiimperialistische Zelle (AIZ) 120,130f. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 120,133,143,151ff. Arbeitsgemeinschaft Antifaschismus (AG 144 Antifa) Arbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerk143 schaft der PDS Arbeitsgemeinschaft Bund Westdeutscher 144,148 Kommunisten in und bei der PDS (AG BWK) Arbeitsgemeinschaft gegen Reaktion, Faschis148 mus und Krieg (Volksfront) Arbeitsgemeinschaft Junge Genossinnen in 142ff. und bei der PDS (AG Junge Genossinnen) Arbeitsgemeinschaft (AG) Junge Genossinnen 143 Rhein-Neckar Arbeitsgemeinschaft PDS in der VSP 149 Autonome 123,126,131ff.,141f. Autonome Antifa Heidelberg 142 Babbar-Khalsa International (BK) 182f. BASTA-Initiative 149 Bund der Revolutionären Kommunisten der 168 Türkei (TIKB) Bundesweites Antifa-Treffen (BAT) 132 Bund Sozialistischer Arbeiter (BSA) 149 198 Bund Westdeutscher Kommunisten - Bundes147f. konferenz (BWK) COURAGE 147 Demokratische Front für die Befreiung Palä174f. stinas (DFLP) Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 123f.,137ff.,141ff. Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) 24f.,95ff.,99 Deutscher Freundeskreis Ludwigsburg 57 Deutsche Türk Föderation (ATF) 174 Deutsche Volksunion (DVU) 24,74ff.,83,103,106 Deutsch-Kurdischer Freundschaftsverein 157f. Devrimci Sol (Dev Sol - Revolutionäre Linke) 164ff. Die Nationalen e.V. 50f.,105 Die Republikaner (REP) 24f.,62,64ff.,98f.,103,133 Europäische Moscheebauund Unter169f. Stützungsgemeinschaft e.V. (EMUG) Flüchtlingshilfe Iran e.V. (FHI) 181 Föderation der Arbeiter aus der Türkei in 167 Deutschland e.V. (ATIF) Föderation der Arbeiter und Immigranten aus 167 der Türkei in Deutschland (AGIF) Föderation der Demokratischen Arbeiter142,169 vereine aus der Türkei in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (DIDF) Föderation der Türkisch-Demokratischen 173f. Idealistenvereine in Europa e.V. (ADÜTDF) Frauen für Demokratie im Iran e.V. 181 Freie Arbeiterinnen Union (FAU) 136 Freie Arbeiter Union/Anarchistische Partei (FAU/AP) 136,142 Freie Arbeiter Union-Studenten (FAUST) 136 Freiheitlicher Volks Block (FVB) 48f. Freundeskreis des kurdischen Volkes 143 Gesellschaft für Freie Publizistik (GFP) 99f. HAMAS 176f. Hammerskins 43 Hilfsorganisation für nationale politische Ge45f. fangene und deren Angehörige e.V. (HNG) 199 Hizb Allah 176f. Immigranten-, Arbeiter-, Kulturverein e.V. 143 Internationale Solidaritätsund Hilfsorgani147 sation (ISHO) Internationale Sozialistische Arbeiter149 Organisation (ISA) Internationale Sozialistische Organisation (ISO) 149 Internationales Hilfskomitee für nationale 46f.,62 politische Verfolgte und deren Angehörige e.V. (IHV) International Sikh Youth Federation (ISYF) 182f. Islamische Armee des Heils (AIS) 176f. Islamische Bewaffnete Gruppe (GIA) 176f. Islamische Gemeinschaft Mihi Görüs e.V. (IGMG) 169ff. Islamische Heilsfront (FIS) 176f. Islamischer Bund Palästina (IBP) 176 Junge Nationaldemokraten (JN) 24f.,40,50f.,55ff.,60,64, 80,86f.,88ff.,107,133 Jugend gegen Rassismus in Europa (JRE) 149 Kameradschaften 58ff.,106 Komitee Demokratie statt Polizeistaat 142 Komitee für die Unterstützung der kurdischen 143 politischen Gefangenen Kommunistische Partei/Aufbauorganisation (KP/IÖ) 168 Kommunistische Plattform (KPF) 123,138,144 Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in 167 Europa e.V. (ATIK) Konföderation der idealistischen Türken in 174 Europa (AÜTDK) Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) 183f. Marxistische Gruppe (MG) 148 Marxistisch-Leninistische Kommunistische 166,167f. Partei (MLKP) Marxistisch-Leninistische Partei Deutsch123f.,141f.,145ff. lands (MLPD) Muslimbruderschaft (MB) 176f. Nationaldemokratische Partei Deutschlands 24f.,40,50f.,54f.,57,6480ff., (NPD) 90f.,93f.,99,105ff.,133 200 Nationaldemokratischer Hochschulbund (NHB) 24,87 Nationaldemokratische Liga der Albanischen 179 Treue (B.K.D.SH) Nationale Befreiungsarmee (NLA) 180f. Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) 160ff. Nationale Liste (NL) 56,59 Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) 180f. Nationaler Zeitungsverbund 50ff.,105 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei/ 107,Ulf. Auslandsund Aufbauorganisation (NSDAP/AO) Neonazikreise 61 Neue Rechte 117f. Ökologische Plattform 144 Organisation der Volksmodjahedin Iran (PMOI) 180f. Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) 175 Palästinensische Gemeinde 175 Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 123,138f.,141ff. Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) 173f. Plattform Demokratischer Sozialismus 144 Rebell 142,146f. Republikanische Jugend (RJ) 65 Republikanische Mittelstands-Vereinigung 66 (RMV) Republikanischer Bund der Frauen (RBF) 66 Republikanischer Bund der öffentlichen Be65f.,73 diensteten (Rep BB) Revisionisten 107,109,112ff. Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front 165,168f. (DHKP/-C) Revolutionäre Zellen (RZ) 131 Revolutionär-Sozialistischer Bund (RSB) 141,143,148f. Rote Armee Fraktion (RAF) 120,126ff. Rote Peperoni (früher Junge Pioniere) 139 Rote Zora 131 Salzburger Eidgenossenschaft - Bajuwarische 44 Befreiungsarmee (BBA) Schwarze Garde 136 Scientology Church (SC) 16ff. 201 Skinheads 23f"28ff.37fF.,56,62,125 Skinheads Allgäu e.V. 39,59 Solidarität International (SI) 147 Solidaritätskomitee mit den politischen Ge168 fangenen in der Türkei Sozialistische Alternative VORAN (SAV) 149 Sozialistische Arbeitergruppe (SAG) 149 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 139 STAUFER-STURM Göppingen (SSG) 62 Türkisch-Demokratischer Kulturund Sport143 verein e.V. Türkische Kommunistische Arbeiterbewegung 167 (TKIH) Türkische Kommunistische Partei/Marxisten166f.,168f. Leninisten (TKP/ML) Türkische Kommunistische Partei/Marxisten167 Leninisten (Bewegung) (TKP/ML-Hareketi) Türkische Volksbefreiungspartei/-front - Re165 volutionäre Linke (THKP/-C-Devrimci Sol) Union Islamischer Studentenvereine in Euro181 pa (U.I.S.A.) Verband der islamischen Vereine und Gemein171 ff. den e.V. (ICCB) Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa 169 e.V. (AMGT) Vereinigung für Sozialistische Politik (VSP) 148 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes 140f.,142 - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) Verein zur Eingliederung iranischer Flücht181 linge e.V. (VEIF) Volksbefreiungsarmee Kurdistans (ARGK) 162 Volksbewegung von Kosovo (LPK) 179 Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) 174f. VVN-BdA - Jugendantifa 141 Wohlfahrtspartei (RP) 170 Personenverzeichnis Abu-Jamal, Mumia 120 Andrawes, Suhayla 127 Apfel, Holger 56,80,86,88ff.,91 Bassler, Karl 99 Barsukow, Michail 192 Bauer, Christoph 47f. Beier, Klaus 50 Brie, Andre 144 Busse, Friedhelm 54 Christophersen, Thies 115 Dangel, Michael 61 Decken, Günter 25,54,8l,87f., 105 Dehoust, Peter 97,99 Dietermann, Christoph 55 Distler, Jürgen 82 Ebner, Hans-Heinrich, Dr. 73 Eibicht, Rolf-Josef 83,86 Engel, Stefan 147 Erbakan, Necmettin 170 Falk, Bernhard 120 Feyen, Alexander 93 Frey, Gerhard, Dr. 74f.,79,103 Grabert, Wigbert 101 Haas, Monika 127 Hildebrandt, Hartmut 86 Hirse, Wolfgang 72 Hogefeld, Birgit 127ff. Hogh, Alois 62f.,73 Honsik, Gerd 115 Jelpke, Ulla 143 Jürgensen, Peter 74,79 Kaplan, Cemaleddin 171 Kaplan, Metin 17lf. Karatas, Dursun 164 Käs, Christian 65 203 Kosiek, Rolf, Dr. 99 Kowaljow, Nikolaj 192 Lauck, Gary Rex HOf. Lieberwirth, Dieter 70 Müller, Ursula 45 Neubauer, Harald 96f.,99 Öcalan, Abdullah 151ff.,162 Pape, Martin 94 Pohl, Helmut 127ff. Primakow, Jewgenij 191 Prümmer, Michael 107,109 Radjawi, Maryam 180 Radjawi, Masoud 180 Remer, Otto-Ernst 112,115 Rennicke, Frank 63f.,95 Rouhs, Manfred 97 Salomon, Thomas 82 Schaal, Karl-August 62,73 Scherer geb. Rudolf, Germar 113 Schirinowskij, Wladimir 75 Schlierer, Rolf, Dr. 65,72 Schmanck, Burghard 73 Schönborn, Meinolf 92 Schönhuber, Franz 98,103 Schröcke, Helmut, Dr. 116 Schützinger, Jürgen 96,98 Schwerdt, Frank 50f.,53 Seidler, Christoph 126 Stawitz, Jürgen 96 Steinau, Michael 120 Swierczek, Michael 60 Tag, Ernst 47 von Thadden, Adolf 99 Trubnikow, Wjatscheslaw 191 Türkes, Alparslan 173 Voigt, Udo 81f.,84ff.,94 Walter, Markus 47 Wendt, Christian 51,53f. Wolf, Andrea 127 Wolf, Winfried, Dr. 149 Wulff, Thomas 56 Zündel, Ernst 107,109,113f. 205 GESETZ ÜBER DEN VERFASSUNGSSCHUTZ IN BADEN-WÜRTTEMBERG (LANDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ - LVSG) VOM 22. OKTOBER 1991 SS 1 Zweck des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder. SS 2 Organisation, Zuständigkeit (1) Zur Wahrnehmung der Aufgaben des Verfassungsschutzes unterhält das Land ein Landesamt für Verfassungsschutz. Das Amt hat seinen Sitz in Stuttgart und untersteht dem Innenministerium. (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im Einvernehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf einer Polizeidienststelle nicht angegliedert werden. SS 3 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz, Voraussetzungen für die Mitwirkung an Überprüfungsverfahren (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Aufgabe, Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder frühzeitig zu erkennen und den zuständigen Stellen zu ermöglichen, diese Gefahren abzuwehren. (2) Zur Erfüllung dieser Aufgaben sammelt das Landesamt für Verfassungschutz Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen von Organisationen und Personen über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eine Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, und wertet sie aus. Sammlung und Auswertung von Informationen nach Satz 1 setzen im Einzelfall voraus, daß für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach Satz 1 Nummern 1 bis 3 tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte, 207 4. auf Anforderungen der Einstellungsbehörde bei der Überprüfung von Personen, die sich um Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben, sowie auf Anforderung der Beschäftigungsbehörde bei der Überprüfung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst, bei denen der auf Tatsachen beruhende Verdacht besteht, daß sie gegen die Pflicht zur Verfassungstreue verstoßen, 5. bei der sicherheitsmäßigen Überprüfung von Einbürgerungsbewerbern, 6. bei der Überprüfung der Zuverlässigkeit von Personen nach SS 12 b des Atomgesetzes, 7. bei der sicherheitsmäßigen Überprüfung von Personen, die zu sicherheitsempfindlichen Bereichen von Flughäfen Zutritt haben, nach SS 29 c des Luftverkehrsgesetzes, 8. bei sonstigen Überprüfungen, soweit dies im Einzelfall zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder für Zwecke der öffentlichen Sicherheit erforderlich ist. Näheres wird durch Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums bestimmt. Die Mitwirkung des Landesamtes für Verfassungsschutz nach Satz 1 erfolgt in der Weise, daß es eigenes Wissen oder bereits vorhandenes Wissen der für die Überprüfung zuständigen Behörde oder sonstiger öffentlicher Stellen auswertet. In den Fällen des Satzes 1 Nummern 1 und 2 führt das Landesamt für Verfassungsschutz weitergehende Ermittlungen durch, wenn die für die Überprüfung zuständige Behörde dies beantragt. (4) Die Mitwirkung des Landesamtes für Verfassungsschutz nach Absatz 3 setzt im Einzelfall voraus, daß der Betroffene und andere in die Überprüfung einbezogene Personen über Zweck und Verfahren der Überprüfung einschließlich der Verarbeitung der erhobenen Daten durch die beteiligten Dienststellen unterrichtet werden. Darüber hinaus ist im Falle der Einbeziehung anderer Personen in die Überprüfung deren Einwilligung und im Falle weitergehender Ermittlungen nach Absatz 3 Satz 3 die Einwilligung des Betroffenen erforderlich. Die Sätze 1 und 2 gelten nur, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. SS 4 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne des Gesetzes sind 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen; 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, den Bund, Ländern oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Für einen Personenzusammenschluß handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen aktiv sowie zielund zweckgerichtet unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluß handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluß jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. SS 5 Befugnisse des Landesamt es für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann die zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 3 erforderlichen Informationen verarbeiten. Die Verarbeitung personenbezogener Daten richtet sich insoweit nach den Vorschriften dieses Gesetzes und, soweit dort keine Regelungen getroffen sind, nach den Vorschriften des Landesdatenschutzgesetzes mit Ausnahme der SS SS 8 und 11 Abs. 2 bis 5 sowie SSSS 12 bis 20 des Landesdatenschutzgesetzes. (2) Werden personenbezogene Daten beim Betroffenen mit seiner Kenntnis erhoben, so ist der Erhebungszweck anzugeben. Der Betroffene ist auf die Freiwilligkeit seiner Angaben und bei einer Sicherheitsüberprüfung nach SS 3 Abs. 3 auf eine dienst-, arbeitsrechtliche oder sonstige vertragliche Mitwirkungspflicht hinzuweisen. (3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem Landesamt für Verfassungsschutz nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. (4) Von mehreren geeigneten Maßnahmen hat das Landesamt für Verfassungsschutz diejenige zu wählen, die den Betroffenen voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. SS 6 Erhebung personenbezogener Daten mit nachrichtendienstlichen Mitteln (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bildund Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen anwenden (nachrichtendienstliche Mittel). Diese sind in einer Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffung regelt. Die Dienstvorschrift bedarf der Zustimmung des Innenministeriums, das den Ständigen Ausschuß des Landtags unterrichtet. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann personenbezogene Daten und sonstige Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln erheben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß 1. auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 2 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Quellen gewonnen werden können oder 2. dies zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. (3) Das in einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene Wort darf mit technischen Mitteln nur dann heimlich mitgehört oder aufgezeichnet werden, wenn es im Einzelfall zur Abwehr einer gegenwärtigen gemeinen Gefahr oder einer gegenwärtigen Lebensgefahr für einzelne Personen unerläßlich ist und geeignete polizeiliche Hilfe für das bedrohte Rechtsgut nicht rechtzeitig erlangt werden kann. Satz 1 gilt entsprechend für den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen in Wohnungen. 211 (4) Die Erhebung nach den Vorschriften der Absätze 2 und 3 ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere, den Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Informationen durch Auskunft nach SS 9 Abs. 4 gewonnen werden können. Die Anwendung des nachrichtendienstlichen Mittels darf nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts stehen. Die Maßnahme ist unverzüglich zu beenden, wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür ergeben, daß er nicht oder nicht auf diese Weise erreicht werden kann. (5) Bei Erhebungen nach Absatz 3 und solchen nach Absatz 2, die in ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gleichkommen, zu denen insbesondere das Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel gehören, ist der Eingriff nach seiner Beendigung der betroffenen Person mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Einer Mitteilung an den Betroffenen bedarf es nicht, wenn sich auch nach fünf Jahren noch nicht abschließend beurteilen läßt, ob diese Voraussetzung vorliegt. Die durch solche Maßnahmen erhobenen Informationen dürfen nur nach Maßgabe des SS 7 Abs. 3 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz vom 13. August 1968 (BGBl. I S. 949) verwendet werden. SS 2 Abs. I des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz vom 13. Mai 1969 (GBl. S. 79) findet entsprechende Anwendung. (6) Die Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz nach dem Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz bleiben unberührt. SS 7 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann zur Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene Daten speichern, verändern und nutzen, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 2 vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 2 erforderlich ist oder 3. das Landesamt für Verfassungsschutz nach SS 3 Abs. 3 tätig wird. (2) Zur Aufgabenerfüllung nach SS 3 Abs. 3 dürfen vorbehaltlich des Satzes 2 in automatisierten Dateien nur Daten über die Personen gespeichert werden, die der Sicherheitsüberprüfung unterliegen oder in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen werden. Zur Erledigung von Aufgaben nach SS 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 dürfen in automatisierten Dateien nur Daten solcher Personen erfaßt werden, über die bereits Erkenntnisse nach SS 3 Abs. 2 vorliegen. Bei der Speicherung in Dateien muß erkennbar sein, welcher der in SS 3 Abs. 2 und 3 genannten Personengruppen der Betroffene zuzuordnen ist. (3) Die nach Absatz 1 Nummer 3 und Absatz 2 gespeicherten personenbezogenen Daten dürfen nur für die dort genannten Zwecke sowie für Zwecke verwendet werden, die der Wahrnehmung von Aufgaben nach SS 3 Abs. 2 oder der Beobachtung von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 3 Abs. 2 Nr. 1 und 3 genannten Schutzgüter gerichtet sind, dienen. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Speicherungsdauer auf das für seine Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken. (5) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebs einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke und hiermit in Zusammenhang stehende Maßnahmen gegenüber Bediensteten genutzt werden. 213 SS 8 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten von Minderjährigen (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf unter den Voraussetzungen des SS 7 Daten über Minderjährige vor Vollendung des 16. Lebensjahres in Akten, die zu ihrer Person geführt werden, nur speichern, verändern und nutzen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Minderjährige eine der in SS 2 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. In Dateien ist eine Speicherung von Daten über Minderjährige vor Vollendung des 16. Lebensjahres nicht zulässig. (2) Sind Daten über Minderjährige in Dateien oder in Akten, die zu ihrer Person geführt werden, gespeichert, ist nach zwei Jahren die Erforderlichkeit der Speicherung zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren die Löschung vorzunehmen, es sei denn, daß nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 3 Abs. 2 angefallen sind. Satz 1 gilt nicht, wenn das Landesamt für Verfassungsschutz nach SS 3 Abs. 3 tätig wird. SS 9 Übermittlung personenbezogener Daten an das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Die Behörden des Landes und die landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts sowie die Gerichte des Landes übermitteln von sich aus dem Landesamt für Verfassungsschutz die ihnen bekanntgewordenen personenbezogenen Daten und sonstigen Informationen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Informationen zur Wahrnehmung von Aufgaben nach SS 3 Abs. 2 Nr. 2 oder zur Beobachtung von Bestrebungen erforderlich sind, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 3 Abs. 2 Nr. 1 und 3 genannten Schutzgüter gerichtet sind. (2) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeidienststellen dürfen darüber hinaus von sich aus dem Landesamt für Verfassungsschutz auch alle anderen bekanntgewordenen personenbezogenen Daten und sonstigen Informationen über Bestrebungen nach SS 3 Abs. 2 übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderlich ist. (3) Soweit nicht schon bundesrechtlich geregelt, können die zuständigen Stellen in den Fällen des SS 3 Abs. 3 das Landesamt für Verfassungsschutz um Auskunft ersuchen, ob Erkenntnisse über den Betroffenen oder über eine Person, die in die Überprüfung mit einbezogen werden darf, vorliegen. Dabei dürfen die erforderlichen personenbezogenen Daten und sonstigen Informationen an das Landesamt für Verfassungsschutz übermittelt werden. Im Falle einer Überprüfung nach SS 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 ist das Ersuchen über das Innenministerium zu leiten. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann vorbehaltlich der in SS 11 getroffenen Regelung von jeder öffentlichen Stelle nach den Absätzen 1 und 2 verlangen, daß sie ihm die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen personenbezogenen Daten und sonstigen Informationen übermittelt, wenn die Daten und Informationen nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand oder nur durch eine den Betroffenen stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. Das Landesamt für Verfassungsschutz braucht Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz des Betroffenen dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. Die Ersuchen sind aktenkundig zu machen. (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Akten anderer öffentlicher Stellen und amtliche Register unter den Voraussetzungen des Absatzes 4 und vorbehaltlich der in SS 11 getroffenen Regelung einsehen, soweit dies 1. zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 Abs. 2 Nr. 2 und 3, 215 2. zur Beobachtung von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 3 Abs. 2 Nr. 1 genannten Schutzgüter gerichtet sind, 3. zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 Abs. 3 oder 4. zum Schutz der Mitarbeiter und Quellen des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen Gefahren für Leib und Leben erforderlich ist und die sonstige Übermittlung von Informationen aus den Akten oder den Registern den Zweck der Maßnahmen gefährden oder das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen unverhältnismäßig beeinträchtigen würde. Über die Einsichtnahme nach Satz 1 hat das Landesamt für Verfassungsschutz einen Nachweis zu führen, aus dem der Zweck und die Veranlassung, die ersuchte Behörde und die Aktenfundstelle hervorgehen: die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. (6) Die Übermittlung personenbezogener Daten und sonstiger Informationen, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100 a der Strafprozeßordnung bekanntgeworden sind, ist nach den Vorschriften der Absätze 1, 2 und 4 nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß jemand eine der in SS 2 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Auf die dem Landesamt für Verfassungsschutz nach Satz 1 übermittelten Unterlagen findet SS 7 Abs. 3 und 4 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz entsprechende Anwendung. SS 10 Übermittlung personenbezogener Daten durch das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann personenbezogene Daten an Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts sowie an die Gerichte des Landes übermitteln, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist oder der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigt. Der Empfänger darf die übermittelten Daten, soweit gesetzlich nichts anderes 216 bestimmt ist, nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz übermittelt der Staatsanwaltschaft und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeidienststellen des Landes von sich aus die ihm bekanntgewordenen personenbezogenen Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist. Delikte nach Satz 1 sind die in SSSS 74 a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Straftaten sowie sonstige Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchst, b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann personenbezogene Daten an Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte im Rahmen von Artikel 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantik-Vertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183) übermitteln. Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, daß die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt wurden und das Landesamt für Verfassungsschutz sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Daten zu bitten. (4) Personenbezogene Daten dürfen an andere als öffentliche Stellen nicht übermittelt werden, es sei denn, daß dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Abwehr sicherheitsgefährdender oder geheimdienstlicher Tätigkeiten für eine fremde Macht erforderlich ist und der Innenminister oder sein ständiger Vertreter die Zustimmung erteilt hat; die Zustimmung kann 217 auch für eine Mehrzahl gleichartiger Fälle vorweg erteilt werden. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Übermittlung aktenkundig zu machen. Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, daß das Landesamt für Verfassungsschutz sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Daten zu bitten. (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann personenbezogene Daten an öffentliche Stellen außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes sowie an überund zwischenstaatliche Stellen übermitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland, Belange der Länder oder überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegenstehen. Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, daß die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt wurden und das Landesamt für Verfassungsschutz sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Daten zu bitten. SS 11 Übermittlungsverbote (1) Die Übermittlung von Informationen nach den SSSS 5, 9 und 10 unterbleibt, wenn 1. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, daß unter Berücksichtigung der Art der Informationen und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen oder überwiegende Belange der Strafverfolgung dies erfordern oder 3. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen entgegenstehen; die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflich218 ten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. (2) Informationen über Minderjährige vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. SS 12 Unterrichtung der Öffentlichkeit Das Innenministerium und das Landesamt für Verfassungsschutz unterrichten die Öffentlichkeit periodisch oder aus gegebenem Anlaß im Einzelfall über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 2. Dabei dürfen auch personenbezogene Daten bekanntgegeben werden, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis des Zusammenhangs oder der Darstellung von Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen erforderlich ist und die Informationsinteressen der Allgemeinheit das schutzwürdige Interesse des Betroffenen überwiegen. SS 13 Auskunft an den Betroffenen (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt dem Betroffenen über zu seiner Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft, soweit er hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Es ist nicht verpflichtet, über die Herkunft der Daten, die Empfänger von Übermittlungen und den Zweck der Speicherung Auskunft zu erteilen. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung zu besorgen ist, 2. durch die Auskunftserteilung Quellen gefährdet sein können oder durch die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Landesamtes für Verfassungsschutz zu befürchten ist, 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheimgehalten werden müssen. (3) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Gründe der Auskunftsverweigerung sind aktenkundig zu machen. Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist der Betroffene auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, daß er sich an den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden kann. SS 14 Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Akten oder Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; in Akten ist dies zu vermerken. Wird die Richtigkeit der Daten von dem Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, daß durch sie schutzwürdige Belange des Betroffenen beeinträchtigt würden. In diesem Fall sind die Daten zu sperren. Sie dürfen nur noch mit Einwilligung des Betroffenen übermittelt werden. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, ob in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen oder zu löschen sind. Gespeicherte personenbezogene 220 Daten über Bestrebungen nach SS 3 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 sind spätestens 10 Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, der Behördenleiter oder sein Vertreter stellt im Einzelfall fest, daß die weitere Speicherung zur Aufgabenerfüllung oder aus dem in Absatz 2 Satz 2 genannten Grunde erforderlich ist. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Akten gespeicherten personenbezogenen Daten zu sperren, wenn es im Einzelfall feststellt, daß die Speicherung unzulässig war. Dasselbe gilt, wenn es im Einzelfall feststellt, daß ohne die Sperrung schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt würden und die Daten für seine künftige Aufgabenerfüllung voraussichtlich nicht mehr erforderlich sind. Gesperrte Daten sind mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen; sie dürfen nicht mehr genutzt oder übermittelt werden. Die Sperrung kann wieder aufgehoben werden, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen sind. Akten, in denen personenbezogene Daten gespeichert sind, sind zu vernichten, wenn die gesamte Akte zur Aufgabenerfüllung nicht mehr benötigt wird. SS 15 Besondere Pflichten des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft unverzüglich, ob die ihm nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelten personenbezogenen Daten für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, daß sie nicht erforderlich sind, hat es die Unterlagen zu vernichten. Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist; in diesem Fall sind die Daten zu sperren. (2) Erweisen sich personenbezogene Daten, nachdem sie durch das Landesamt für Verfassungsschutz übermittelt worden sind, als unvollständig oder unrichtig, sind sie unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen oder zu ergänzen, es sei denn, daß dies für die Beurteilung eines Sachverhalts ohne Bedeutung ist. SS 16 Parlamentarische Kontrolle (1) Das Innenministerium unterrichtet den Ständigen Ausschuß des Landtags über die Tätigkeit des Verfassungsschutzes halbjährlich sowie auf Verlangen des Ausschusses und aus besonderem Anlaß. (2) Art und Umfang der Unterrichtung des Ständigen Ausschusses werden unter Beachtung des notwendigen Schutzes des Nachrichtenzuganges durch die politische Verantwortung der Landesregierung bestimmt. (3) Die Mitglieder des Ständigen Ausschusses sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Tätigkeit des Verfassungsschutzes im Ständigen Ausschuß bekanntgeworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus dem Ständigen Ausschuß oder aus dem Landtag. (4) Die Unterrichtung umfaßt nicht Angelegenheiten, über die das Innenministerium das Gremium nach Artikel 10 des Grundgesetzes zu unterrichten hat. SS 17 Einschränkung von Grundrechten Aufgrund dieses Gesetzes kann das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) eingeschränkt werden. SS 18 Erlaß von Verwaltungsvorschriften Das Innenministerium kann zur Ausführung des Gesetzes allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen. SS 19 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 1992 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Gesetz über den Verfassungsschutz in Baden-Württemberg (Landesverfassungsschutzgesetz - LVSG) vom 17. Oktober 1978 (GBl. S. 553) außer Kraft. 223 VERTEILERHINWEIS Diese Informationsschrift wird von der Landesregierung BadenWürttemberg im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Unterrichtung der Öffentlichkeit herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von deren Kandidaten oder Helfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für alle Wahlen. Mißbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist auch die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer Wahl darf die vorliegende Druckschrift nicht so verwendet werden, daß dies als Parteinahme der Herausgeberin zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Diese Beschränkungen gelten unabhängig vom Vertriebsweg, also unabhängig davon, auf welchem Wege und in welcher Anzahl diese Informationsschrift dem Empfänger zugegangen ist. Erlaubt ist jedoch den Parteien, die Informationsschrift zur Unterrichtung ihrer Mitglieder zu verwenden. 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