Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 1991 Terrorismus Rechtsextremismus Linksextremismus Ausländerextremismus Spionageabwehr Baden - Württemberg Herausgeber: Innenministerium Baden-Württemberg, Dorotheenstraße 6, 7000 Stuttgart 1 Mai 1992 Gesamtherstellung: studiodruck Rolf Brändle 7440 Nürtingen-Raidwangen Nachdruck nur mit Genehmigung des Herausgebers ISSN 0720-3381 dk Gedruckt auf Öko-Umweltpapier -3Vorwort Das zurückliegende Jahr 1991 hat uns deutlich vor Augen geführt, daß außenpolitische Entspannung nicht zwangsläufig das Verschwinden innerer Gefahren zur Folge hat. Besonders die Eskalation der Gewalt einer diffusen, teilweise aber eindeutig rechtsextremistisch gefärbten Jugendszene bereitet zunehmend Sorge. So wurden aus diesem Spektrum heraus im Jahr 1991 gegen Ausländer, Asylbewerber und deren Einrichtungen zahllose Anschläge verübt, die in ihrer Brutalität bis dahin ohne Beispiel waren. Aber auch der linksextremistische Terrorismus hat mit Gewaltakten erneut auf sich aufmerksam gemacht. Der kaltblütige Mord an dem Präsidenten der Treuhandanstalt, Dr. Detlev Karsten ROHWEDDER, am 1. April 1991 und der Schußwaffenanschlag auf die US-Botschaft in Bonn am 13. Februar vergangenen Jahres belegen die ungebrochene Gefährlichkeit der RAF. Auch künftig muß unser Staatswesen alle rechtsstaatlichen Mittel einsetzen, um die freiheitliche demokratische Grundordnung vor inneren Gefahren zu schützen. Politiker, Sicherheitsbehörden und Bürger sind hier gleichermaßen gefordert. Die Solidarität aller Demokraten gebietet es, den Feinden der Demokratie gemeinsam eine klare Absage zu erteilen und ihnen so die Zwecklosigkeit ihres Tuns zu verdeutlichen. Dem Verfassungsschutz kommt dabei die wichtige Aufgabe zu, mit seinen Erkenntnissen den verantwortlichen Politikern wie auch der Öffentlichkeit eine zuverlässige Beurteilungsgrundlage zu verschaffen. Gerade der vorliegende Verfassungsschutzbericht erfüllt diese Funktion auf hervorragende Weise. Er informiert über alle wesentlichen verfassungsfeindlichen Bestrebungen des vergangenen Jahres mit Schwerpunkt in BadenWürttemberg und gibt Aufschluß über die dahinterstehenden Organisationen. Wie andere Behörden ist der Verfassungsschutz streng an den Grundsatz der Rechtund Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns gebunden. Mit dem neuen Landesverfassungsschutzgesetz vom 22. Oktober 1991 hat der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg eine gesetzliche Grundlage erhalten, die einmal mehr die Rechtsstaatlichkeit dieser Einrichtung unterstreicht. Detaillierte Aufgabenund Befugnisnormen bieten dem Verfassungsschutz einen Handlungsrahmen, der die Erfordernisse eines bürgerfreundlichen Datenschutzes ebensowenig außer acht läßt wie die Effizienz nachrichtendienstlicher Tätigkeit. I -4Auch unter der Geltung des neuen Gesetzes bleibt der Verfassungsschutz in BadenWürttemberg eine Institution, die in entscheidender Weise zur Abwehrbereitschaft unserer Demokratie beiträgt. Der politische Wandel in Deutschland und Europa hat zwar zu einer Neuorientierung auch in diesem Bereich geführt, den Stellenwert des Verfassungsschutzes insgesamt jedoch keineswegs geschmälert. Den Mitarbeitern des Landesamts für Verfassungsschutz danke ich für die verantwortungsvolle Erfüllung ihrer schwierigen Aufgabe. Ihre Arbeit verdient unsere besondere Anerkennung. / Dietmar Schlee, MdL Innenminister des Landes Baden-Württemberg -5Seite Inhaltsverzeichnis A. Verfassungsschutz Baden-Württemberg 9 1. Gesetzliche Grundlagen 9 2. Aufbau und Organisation 9 3. Aufgaben des Verfassungsschutzes 10 4. Methoden des Verfassungsschutzes 12 5. Kontrolle 13 B. Verfassungsschutz durch Aufklärung 15 C. * Jahresrückblick 1991 17 D. Rechtsextremismus 23 1. Allgemeiner Überblick 23 2. Neonationalsozialistische Bestrebungen 24 2.1 Überregional bedeutsame Aktivitäten 24 2.2 "Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front" (GdNF) 27 2.3 "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) 28 2.4 "Nationale Offensive" (NO) 29 2.5 "Nationalistische Front" (NF) 29 2.6 "Hilfsorganisation für nationale politische 31 Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) 2.7 "Neonazikreis um Curt MÜLLER" 31 2.8 "Deutsche Bürgerinitiative e.V." (DBI) 32 2.9 "Heimattreue Vereinigung Deutschlands" (HVD) 32 2.10 Skinheads 33 3. "Nationaldemokratische" Organisationen 37 -6"Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) "Junge Nationaldemokraten" (JN) "Nationaldemokratischer Hochschulbund" (NHB) "National-Freiheitliche Rechte" "Deutsche Volksunion" (DVU) Sonstige rechtsextremistische Organisationen "Deutsche Liga für Volk und Heimat" ("Deutsche Liga") "Wiking-Jugend e.V." (WJ) "Die Deutsche Freiheitsbewegung e.V." (DDF) und "Bismarck-Jugend" (BJ) Internationale Verflechtungen des Rechtsextremismus " Revisionismus" -Kampagne Gesetzesverletzungen mit rechtsextremistischem Hintergrund Linksextremismus Allgemeiner Überblick Linksextremistischer Terrorismus "Rote Armee Fraktion" (RAF) RAF-Kommandoebene RAF-Unterstützerbereich "Kämpfende Einheiten" RAF-Inhaftierte "Revolutionäre Zellen" (RZ) Autonome und sonstige Anarchisten Autonome Gruppen Anarchistische Gruppen Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund -7Seite Marxisten-Leninisten und sonstige 78 revolutionäre Marxisten "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 78 und Umfeld DKP 78 Nebenorganisationen der DKP 81 Umfeld der DKP 82 "Marxistisch-Leninistische Partei 83 Deutschlands" (MLPD) Sonstige Organisationen 84 Sicherheitsgefährdende und extremistische 87 Aktivitäten von Ausländern Allgemeiner Überblick 87 Türken 89 Allgemeines 89 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 89 Organisationen der "Neuen Linken" 92 Orthodox-kommunistische Organisationen 95 Islamisch-nationalistische Vereinigungen 95 Extrem nationalistische Organisationen 97 Araber 98 Palästinenser 98 Arabische Fundamentalisten 100 Jugoslawen IOI Iraner 104 Sikhs 105 Tamilen 106 Seite G. Spionageabwehr 107 1. Allgemeiner Überblick 107 2. Einzelerkenntnisse 108 2.1 Nachrichtendienste der ehemaligen DDR 108 2.2 Nachrichtendienste der ehemaligen UdSSR 108 2.3 Sonstige Nachrichtendienste der ehemaligen 109 Warschauer-Pakt-Staaten 2.4 Sonstige Nachrichtendienste 110 Anhang Mitgliederübersichten 111 Gruppenund Organisationsregister 115 Gesetz über den Verfassungsschutz in Baden-Württemberg 121 (Landesverfassungsschutzgesetz - LVSG) -9Verfassungsschutz Baden-Württemberg Der Verfassungsschutz beobachtet verfassungsfeindliche Bestrebungen. Er informiert die politisch Verantwortlichen frühzeitig über davon ausgehende Gefahren. Hierdurch versetzt er die zuständigen staatlichen Stellen in die Lage, verfassungsfeindliche Kräfte rechtzeitig und angemessen zu bekämpfen. Der Verfassungsschutz verkörpert damit als Institution den Selbstbehauptungswillen unseres demokratischen Rechtsstaates. Er ist ein tragendes Element unserer wehrhaften Demokratie. Gesetzliche Grundlagen Der Verfassungsschutz agiert in keinem "rechtsfreien" Raum. Seine Aufgaben und Befugnisse sind gesetzlich genau festgelegt. Das (Bundes-) "Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz" ist Rechtsgrundlage für das Bundesamt für Verfassungsschutz und zugleich für die Tätigkeit der Landesbehörden für Verfassungsschutz. Der Bundesgesetzgeber hat in diesem Gesetz das Mindestmaß der von Bund und Ländern auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes gemeinsam zu erfüllenden Aufgaben umschrieben. Seit 30. Dezember 1990 gilt eine Neufassung des Bundesverfassungsschutzgesetzes (G. v. 20.12.1990, BGBl. 1 S.2970). Neben diesem Bundesgesetz bestehen in allen Bundesländern eigene Verfassungsschutzgesetze, in denen Aufgaben und Befugnisse der jeweiligen Landesbehörde gesetzlich geregelt sind. Für Baden-Württemberg gilt das "Gesetz über den Verfassungsschutz in Baden-Württemberg", das am 1. Januar 1992 in einer Neufassung (G.v. 22.10.1991, GBl. S.639) in Kraft getreten ist (Abdruck des Gesetzestextes im Anhang). Darüber hinaus finden sich in zahlreichen weiteren Bundesund Landesgesetzen Rechtsvorschriften, die die Verfassungsschutzbehörden zu beachten haben. Aufbau und Organisation Entsprechend dem föderativen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland gibt es in jedem Bundesland eine eigene Verfassungsschutzbehörde. Auch in-den neuen Bundesländern werden derzeit entsprechende Behörden eingerichtet. Als Zentralstelle fungiert das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln. Das - 10Bundesamt hat gegenüber den Landesbehörden allerdings kein allgemeines Weisungsrecht. Es arbeitet mit ihnen jedoch eng zusammen. Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg in Stuttgart wird von einem Präsidenten geleitet. Es gliedert sich in fünf Abteilungen. PRÄSIDENT ZentralNachrichtenNachrichten SpionageZentrale abteilung beschaffung auswertung abwehr Dienste Verwaltung Geheimu. GrundsatzSabotagefragen schutz Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg ist dem Innenministerium unmittelbar unterstellt; ihm obliegt die Aufsicht über dieRechtund Zweckmäßigkeit der Aufgabenerfüllung. Zudem hat das Innenministerium über den ordnungsgemäßen Dienstbetrieb zu wachen (Dienstaufsicht). Der Personalbestand des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg ist im Haushaltsplan des Landes öffentlich ausgewiesen. Danach sind dem Amt für das Jahr 1991 (Stand: Nachtrag 1991/92) insgesamt 375 Stellen für Beamte, Angestellte und Arbeiter zugewiesen (1990: 410 Stellen). Mit Vollzug eines weiteren Haushaltsnachtrags im Jahr 1992 reduziert sich die Stellenzahl auf 345. An Mitteln standen dem Landesamt im Jahr 1991 rd. 28,6 Millionen DM zur Verfügung. 3. Aufgaben des Verfassungsschutzes Die Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg sind im Landesverfassungsschutzgesetz (LVSG) geregelt. Danach hat die Behörde im wesentlichen den Auftrag, bestimmte als "Bestrebungen" bezeichnete Verhaltensweisen zu beobachten. Im einzelnen sind dies: o Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Bei tatsächlichen Anhaltspunkten für den Verdacht, daß eine Organisation unsere Staatsordnung durch ein linksoder rechtsextremes Staatsgebilde ersetzen oder durch terroristische Gewalt beseitigen will, übernimmt der Verfassungsschutz die Beobachtung dieser Vereinigung. Er gibt seine Erkenntnisse an die Regierung und an andere staatliche Stellen weiter. Auf diese Weise zeigt er frühzeitig Gefahren für unsere verfassungsmäßige Ordnung und damit zugleich für die -11 - Freiheitsrechte der Bürger auf. Die Regierung wird dadurch in die Lage versetzt, nicht nur nachträglich durch strafrechtliche Sanktionen oder im Stadium konkreter Gefahr mit polizeilichen Mitteln auf verfassungsfeindliche Handlungen zu reagieren, sondern den Extremismus auch politisch rechtzeitig zu bekämpfen. o Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Unter "auswärtigen Belangen" der Bundesrepublik Deutschland ist das Interesse an möglichst belastungsfreien Beziehungen zu anderen Staaten zu verstehen. Ob die Bundesregierung zu diesen Staaten diplomatische Beziehungen unterhält, ist unerheblich. Eine Gefährdung auswärtiger Belange liegt beispielsweise vor, wenn linksoder rechtsextremistische Ausländerorganisationen ihr Heimatland von deutschem Boden aus mit Gewalt bekämpfen und dadurch unseren Staat möglicherweise in außenpolitische Konflikte und Zwangssituationen manövrieren. Bei der Beobachtung von "Bestrebungen" geht es dem Verfassungsschutz in erster Linie um Aktivitäten von Organisationen. Dabei müssen allerdings zwangsläufig auch die handelnden Personen, die Mitglieder dieser Organisationen sind oder deren Aktivitäten unterstützen, erfaßt werden. Der Begriff der verfassungsfeindlichen "Bestrebung" ist eng auszulegen. Er bedeutet, daß ein aktives, zielgerichtetes Handeln gegen unsere Verfassung oder gegen auswärtige Belange erkennbar sein muß. Eine wertneutrale oder kritische Haltung dem Staat gegenüber kann niemals Gegenstand der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörde sein. o Weiter ist es Aufgabe des Verfassungsschutzes, sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht zu erkennen (Spionageabwehr). Die strafrechtliche Verfolgung der Spionage obliegt der Justiz und der Polizei. o Eine bloß mitwirkende Funktion hat das Landesamt für Verfassungsschutz beim vorbeugenden personellen und materiellen Geheimschutz. Der Verfassungsschutz unterstützt hierbei Behörden und außerbehördliche Stellen bei der Überprüfung von Geheimnisträgern und Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätig sind und berät sie, wie Verschlußsachen durch technische oder organisatorische Sicherheitsmaßnahmen geschützt werden können. o Auf Anforderung der Einstellungsbehörde im Einzelfall wirkt das Landesamt für Verfassungsschutz auch bei der Überprüfung von Personen mit, die sich für eine Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben. Hierbei stellt der Verfassungsschutz der Einstellungsbehörde, die verpflichtet ist, die Verfassungstreue des Bewerbers zu prüfen, auf Anfrage vorhandene Erkenntnisse zur Verfügung. - 12Methoden des Verfassungsschutzes Zur Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags ist der Verfassungsschutz darauf angewiesen, Informationen zu beschaffen, auszuwerten und zu speichern. Diese Nachrichten werden zum weit überwiegenden Teil auf offenem Wege beschafft, also so, wie sie jeder andere auch sammeln könnte. Die Mitarbeiter der Behörde werten Zeitungen und Zeitschriften, Flugblätter, Programme, Broschüren und sonstiges Material extremistischer Organisationen aus und besuchen auch deren öffentliche Veranstaltungen. Oftmals reichen die auf diese Art und Weise erlangten Erkenntnisse nicht aus, um einen objektiven und vollständigen Überblick über verfassungsfeindliche Aktivitäten oder das Tätigwerden gegnerischer Nachrichtendienste zu erhalten. Fehlende Informationen können das Bild verzerren und zu falschen Schlüssen und Entscheidungen führen, die vor allem in sicherheitsempfindlichen Bereichen schwerwiegende Nachteile bewirken können. Gerade die besonders brisanten, verbotenen und unsere Verfassungsordnung angreifenden Aktivitäten werden im Verborgenen gehalten. Agenten oder terroristische Gruppen agieren* nicht "auf offenem Markte". Sie wollen gerade nicht durchschaut und entdeckt werden. Um an diese "Bestrebungen" heranzukommen, bedient sich der Verfassungsschutz nachrichtendienstlicher Mittel. Hierzu ist er nach dem Landesverfassungsschutzgesetz ausdrücklich befugt. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln gehören: o das Anwerben und Führen von Vertrauensleuten (V-Leuten) o die Oberservation verdächtiger Personen o das geheime Fotografieren sowie o sonstige Maßnahmen, mit denen verdeckt werden soll, daß der Verfassungsschutz Beobachtungen vornimmt (Tarnmittel). Darüber hinaus darf der Verfassungsschutz ausnahmsweise und nur unter ganz engen, gesetzlich normierten Voraussetzungen den Brief-, Postund Fernmeldeverkehr überwachen. Polizeiliche Befugnisse stehen dem Verfassungsschutz nicht zu. Verfassungsschutz und Polizeibehörden sind in der Bundesrepublik Deutschland voneinander getrennt. - 13Die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes haben keine polizeilichen Befugnisse; sie dürfen keinerlei Zwangsmaßnahmen (Festnahmen, Vorladungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmungen) durchführen. Verfassungsschutzbehörden dürfen auch keiner polizeilichen Dienststelle angegliedert werden. Diese organisatorische Trennung von Polizei und Verfassungsschutz soll sicherstellen, daß sich der Verfassungsschutz auch nicht ersatzweise polizeilicher Möglichkeiten bedient, um eigene Aufgaben wahrzunehmen. Erscheint aufgrund der dem Verfassungsschutz vorliegenden Informationen ein polizeiliches Eingreifen erforderlich, so wird die zuständige Polizeibehörde von den Beobachtungen unterrichtet. Diese entscheidet dann selbständig, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind. Kontrolle Um sicherzustellen, daß die Verfassungsschutzbehörden den ihnen vorgegebenen gesetzlichen Rahmen beachten, wurde eine vielschichtige Kontrolle eingerichtet. Diese Kontrolle wird - neben entsprechenden innerbehördlichen Maßnahmen und der Rechtsund Fachaufsicht durch das Innenministerium - in erster Linie vom Parlament, aber auch von den Gerichten, der Landesbeauftragten für den Datenschutz und der Öffentlichkeit ausgeübt. Die parlamentarische Kontrolle obliegt nach SS 16 Landesverfassungsschutzgesetz dem Ständigen Ausschuß des Landtags von Baden-Württemberg, dem Mitglieder aller Fraktionen angehören. Ihm ist halbjährlich sowie auf Verlangen des Ausschusses und aus besonderem Anlaß zu berichten. Für die Wahrnehmung der spezifischen parlamentarischen Kontrolle über die Durchführung des "Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses" (G 10) ist ein Gremium bestellt, das aus fünf Abgeordneten des Landtags besteht. Über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen entscheidet eine quasirichterliche Kommission, die aus drei ebenfalls vom Landtag bestellten Persönlichkeiten besteht. Die Kontrollmaßnahmen umfassen somit die Rechtund Zweckmäßigkeit der Aufgabenerfüllung. Sie sind ein wirksames Instrument, um unzulässige Arbeitsweisen sowie den Mißbrauch von Informationen zu verhindern. Der Ver- 14fassungsschutz unterliegt mithin wie kaum ein anderer Bereich der öffentlichen Verwaltung einer umfangreichen und differenzierten Kontrolle. - 15Verfassungsschutz durch Aufklärung Der Schutz unserer Verfassungsordnung kann dauerhaft nur durch eine geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus gesichert werden. Dem Verfassungsschutz kommt dabei eine wesentliche Bedeutung zu. Seine Tätigkeit gewährleistet, daß Regierung und Parlament, aber auch die Bürger über Aktivitäten und Absichten verfassungsfeindlicher Parteien und Organisationen informiert werden. Um aktuelle Fragen des Verfassungsschutzes einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, beschloß die Innenministerkonferenz am 9. Dezember 1974 die Konzeption "Verfassungsschutz durch Aufklärung". Sie beinhaltet sowohl Informationen als auch Aufklärung über o die Verfassung, insbesondere über die Rechte, Pflichten und politischen Beteiligungsmöglichkeiten, die sie Bürgern einräumt, o extremistische Strategien und Aktionen, verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen im Sinne der Verfassungsschutzgesetze und ihre ideologischen Hintergründe, o gesetzliche Grundlagen, Aufgaben, Organisationen, Arbeitsweise und Probleme des Verfassungsschutzes. In Baden-Württemberg werden die Aufgaben des Verfassungsschutzes durch Aufklärung vom Referat "Verfassungsschutz" im Innenministerium und durch das Landesamt für Verfassungsschutz gemeinsam wahrgenommen. Im Rahmen dieser Konzeption können kostenlos Referenten zu Vorträgen und Diskussionen über Themen des politischen Extremismus und des Verfassungsschutzes zur Verfügung gestellt werden. Von dem Angebot machten auch im Jahre 1991 zahlreiche Institutionen Gebrauch, darunter politische Parteien sowie deren Jugendund Studentenorganisationen kirchliche Einrichtungen Schulen Medien Bundeswehr Polizei. - 16Beispielhaft sind hier einige Vorschläge für Vortragsbzw. Diskussionsthemen angeführt: Verfassungsschutz im demokratischen Rechtsstaat Verfassungsschutz und Konzeption der wehrhaften Demokratie Rechtsgrundlagen, Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise der Ämter für Verfassungsschutz Die Befugnisse der Ämter für Verfassungsschutz und ihre politische, parlamentarische und gerichtliche Kontrolle Verfassungsschutz und Datenschutz Organisation, politische Strategien und ideologische Hintergründe des Terrorismus des Linksextremismus des Rechtsextremismus des Ausländerextremismus Analyse rechtsextremistischer Propagandaund Agitationsmuster Spionageabwehr Interessenten für Vorträge und Diskussionen können sich an folgende Kontaktanschriften wenden: Innenministerium Landesamt für Baden-Württemberg Verfassungsschutz Referat "Verfassungsschutz" Baden-Württemberg Postfach 10 24 24 - Öffentlichkeitsarbeit 7000 Stuttgart 10 Postfach 50 07 00 Tel.: 0711/2072-3768 7000 Stuttgart 50 oder 2072-3358 Tel.: 0711/56 61 01 - 17Jahresrückblick 1991 Mit dem Beitritt der fünf neuen Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland hat sich 1991 die Gesamtzahl der in verschiedenen rechtsextremistischen Parteien und Vereinigungen organisierten Personen gegenüber dem Jahr 1990 spürbar erhöht. Allerdings haben die einzelnen Organisationen in unterschiedlichem Umfang Mitglieder in Ostdeutschland gewinnen können. Ende 1991 waren in Deutschland 39.800 Mitglieder in 76 Vereinigungen organisiert (1990 in Westdeutschland: 32.300 Mitglieder in 69 Organisationen). Das ist die höchste Gesamtzahl seit Anfang der 60er Jahre. Einbezogen sind darin erstmals auch rechtsextremistisch orientierte Skinheads, die allerdings meist keinen festen Organisationen angehören. Neben dem Anwachsen der rechtsextremistischen "Szene" war im Jahr 1991 vor allem eine auffällige Zunahme fremdenfeindlicher Gewalttaten zu beobachten. Allein in Baden-Württemberg wurden im vergangenen Jahr über 300 fremdenfeindliche Straftaten - davon 30 Brandanschläge - verübt. Den Gewaltaktionen lag nicht selten eine rassistische Einstellung zugrunde, wie sie bislang hauptsächlich bei neonationalsozialistischen Gruppierungen anzutreffen war. Zahlreiche dieser Gewalttaten sind der Skinhead-"Szene" zuzurechnen, die dadurch verstärkt ins Blickfeld der Sicherheitsbehörden geraten ist. Von den insgesamt rund 6.600 Skinheads in Deutschland sind nach Meinung der Verfassungsschutzbehörden etwa 4.200 rechtsextremistisch motiviert, darunter nahezu 3.000 in den 5 ostdeutschen Ländern. In Baden-Württemberg waren im Jahre 1991 von den insgesamt etwa 400 Skinheads rund 190 durch mehr oder weniger ausgeprägte rechtsextremistische Verhaltensweisen hervorgetreten. Altersstruktur der rechtsextremistischen Skins in BadenWürttemberg Alter männlich weiblich Gesamtzahl 16-20 J. 100 8 108 21-26 J. 78 1 79 27-30 J. 5 0 5 183 9 192 Die Tabelle verdeutlicht, daß die rechtsextremistischen Skinheads in BadenWürttemberg ganz überwiegend männlich sind und daß mehr als die Hälfte von ihnen 20 Jahre und jünger ist. Auch ihre sonstigen soziologischen Daten - - 18stimmen weitgehend mit denen von in neonationalsozialistischen Gruppen organisierten Personen überein: Viele von ihnen kommen aus schwierigen Familienverhältnissen, qualifizierte Schulund Bildungsabschlüsse sind selten, d.h. das intellektuelle Niveau dieser "Szene" ist relativ niedrig. Im Gegensatz zu Neonazis jedoch lassen sich Skinheads nur zu einem geringen Teil organisieren bzw. in rechtsextremistischen Vereinigungen binden. Unterschiedlich hat sich die vielfältig zersplitterte neonationalsozialistische "Szene" entwickelt. Einige Organisationen konnten durch den Beitritt der ostdeutschen Länder ihren Mitgliederbestand erhöhen, etwa die "Deutsche Alternative" (DA) auf rund 310 (Ende 1990: 140) und die "Nationalistische Front" (NF) auf circa 130 (1990: 90), andere verloren weiter an Boden. So ging die Zahl der Mitglieder der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) von 200 im Jahre 1990 auf knapp 150 im Jahre 1991 zurück. Profitiert hat besonders die von dem 1991 verstorbenen Neonationalsozialisten Michael KÜHNEN angeführte "Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front" (GdNF). Sie vermochte die Zahl ihrer Angehörigen von 200 auf etwa 400 zu verdoppeln, wobei diese Zunahme fast ausschließlich auf Mitgliederrekrutierungen in Ostdeutschland zurückzuführen ist. Im Umkreis der GdNF und der DA sind inzwischen auf Landesebene mehrere neue Organisationen entstanden, darunter die "Volkstreue Liste" (VL) in Baden-Württemberg. Die von unzufriedenen Anhängern der FAP und KÜHNEN-Gegnern initiierte und vor allem in Bayern aktive "Nationale Offensive" (NO) hat gegen Ende des Jahres 1991 in Konstanz einen ersten Kreisverband in Baden-Württemberg gebildet. Die ausschließlich in unserem Bundesland aktive "Heimattreue Vereinigung Deutschlands" (HVD) konnte durch den Ausbau ihrer Organisation die Zahl ihrer Mitglieder auf über 45 erhöhen. Insgesamt waren Ende des Jahres 1991 in Deutschland etwa 1.700 Neonationalsozialisten aktiv (1990: 1.200, 1989: 1.300, 1988: 1.480bezogen jeweils auf Westdeutschland), in Baden-Württemberg etwa 150. Die zahlenmäßig stärkste rechtsextremistische politische Vereinigung blieb unverändert die von dem Münchner Verleger Dr. FREY geführte "Deutsche Volksunion" (DVU). Sie konnte ihren Mitgliederbestand wieder auf rund 24.000, davon etwa 2.500 in Ostdeutschland, ausbauen (1990: in Westdeutschland 22.000)*. Diesen Zuwachs verdankt die Organisation freilich nahezu ausschließlich ihren Anstrengungen, die Organisation auf die ostdeutschen Länder auszudehnen. Bis zum Jahresende hatte die DVU in allen fünf neuen Bundesländern Landesverbände gegründet. In den alten Dr. FREY gibt seit Jahren höhere Zahlen für seine Organisationen an. -19Bundesländern stagnierte dagegen die Mitgliederzahl. So zählt die DVU in Baden-Württemberg unverändert etwa 2.900 Angehörige. Wichtigstes Ereignis für die DVU war die überraschend erfolgreiche Kandidatur zur Bremischen Bürgerschaft (Landtagswahl) am 29. September 1991, die zum Gewinn von sechs Mandaten (= 6,18 % der Stimmen) führte. Die DVU hatte ihren Wahlkampf in Bremen mit der Parole "Deutschland den Deutschen" und betont fremdenfeindlicher Agitation geführt. Die "Nationaldemok'ratische Partei Deutschlands" (NPD) mußte, obgleich sie ebenfalls in allen fünf neuen Bundesländern Landesverbände aufgebaut hat, Mitgliederverluste hinnehmen. 1991 zählte die Partei noch etwa 6.100 Mitglieder gegenüber 6.500 im Jahre 1990. Interne Auseinandersetzungen, die sich schon Ende 1990 mit dem Rücktritt des langjährigen NPDBundesvorsitzenden MUSSGNUG offenbart hatten, führten zu einer personellen und finanziellen Krise der Partei. Erst mit der Wahl Günther DECKERTs aus Weinheim zum neuen Bundesvorsitzenden nahm allmählich die Zuversicht unter den Mitgliedern wieder zu. Auch die finanziellen Engpässe konnten durch interne Spendenzugänge gemildert werden. Ende des Jahres 1991 hatte sich die NPD insgesamt wieder etwas stabilisiert. In BadenWürttemberg zählte die NPD 1991 noch rund 1.200 Mitglieder gegenüber 1.450 im Jahre 1990. Der Mitgliederrückgang resultierte zum Teil aus Übertritten zur neugegründeten "Deutschen Liga für Volk und Heimat" ("Deutsche Liga"). Die wurde am 3. Oktober 1991 in Villingen-Schwenningen als "rechte Sammlungsbewegung" gegründet. Sie ist aus der bereits am 18. Januar 1991 gebildeten "Deutschen Allianz/Vereinigte Rechte" hervorgegangen, die von früheren Funktionären und Mitgliedern der NPD, der DVU und der Partei "Die Republikaner" initiiert worden war. Ziel der neuen Partei ist es, die Zersplitterung im "rechten Lager" zu überwinden und möglichst viele Mitglieder der herkömmlichen "nationalen Parteien" auf ihre Seite zu ziehen. Dies gelang bisher freilich nur in bescheidenem Maße: die "Deutsche Liga" zählte 1991 bundesweit rund 800 Mitglieder, in Baden-Württemberg etwa 180. Die linksterroristische Bedrohung in Deutschland hält unvermindert an. Auch im Jahre 1991 vermochte die terroristische "Rote Armee Fraktion" (RAF) wieder mit zwei verbrecherischen Aktionen auf sich aufmerksam zu machen: am 13. Februar 1991 - etwa vier Wochen nach Beginn des Golfkriegs - mit einem Schußwaffenanschlag auf die US-Botschaft in Bonn und am 1. April 1991 mit der Ermordung des Präsidenten der Treuhandanstalt, -20Dr. Detlev Karsten ROHWEDDER. Damit hat die RAF erneut unter Beweis gestellt, daß sie weiterhin willens und auch jederzeit in der Lage ist, das Mittel Terror einzusetzen. Allerdings konnten auch mit diesen Anschlägen nicht die seit Jahren latent vorhandenen Differenzen zwischen den in der Illegalität agierenden "Kommandos" und dem Unterstützerbereich überwunden werden. Vielmehr löste die Terrorgruppe im Falle des Schußwaffenanschlags auf die US-Botschaft im RAF-Umfeld erhebliche Irritationen und Verunsicherungen aus, die intern zu heftigen, kontrovers geführten Diskussionen führten. Einen vergleichbar "symbolischen" Anschlag eines RAF-Kommandos hatte es bis dahin noch nicht gegeben. Letztlich konnten weder die Anschläge noch das Abrücken der RAF von ihrem alleinigen Führungsanspruch die Reihen der Unterstützer schließen oder gar einen länger anhaltenden Mobilisierungseffekt erreichen. Zu tiefgreifender Verunsicherung innerhalb der "Szene" führte zudem die öffentliche Erörterung über das Ausmaß der Zusammenarbeit zwischen der RAF und dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR. Zahlenmäßig sind innerhalb des terroristischen Umfelds in Baden-Württemberg keine größeren Veränderungen feststellbar. Auch weiterhin ist von einem harten Kern von knapp 50 Unterstützern auszugehen, die sich schwerpunktmäßig, auf die Städte Stuttgart, Freiburg, Tübingen und Karlsruhe verteilen. Diese Personen haben nach wie vor einen erheblichen Stellenwert für den Fortbestand der RAF. Sie nehmen für die Terrorgruppe wichtige Aufgaben der Versorgung und Nachrichtenübermittlung wahr und sind für sie damit ein wichtiger personeller Rückhalt. Noch immer intensiv sind die Kontakte des terroristischen Umfelds zu den gewaltbereiten Autonomen. Sowohl der Bereich der Asylund Ausländerpolitik als auch der militante "Kampf gegen rechts" bieten sich derzeit in besonderer Weise als Feld für gemeinsame Aktionen an. Obwohl die Autonomen weder über ein einheitliches ideologisches Konzept noch über feste organisatorische Zusammenhänge verfugen, bilden die unverhohlene Gewaltbereitschaft und der ausgeprägte Haß gegen die bestehende staatliche Ordnung die Brücke zum terroristischen Umfeld. Dabei reicht der Aktionsrahmen gewaltbereiter Autonomer von Sachbeschädigungen bis hin zu Brandanschlägen und gezielten Angriffen auf Personen. Die sonstigen linksextremistischen Kräfte haben sich 1991 auf vergleichsweise niedrigem Niveau stabilisiert. So zählt die über lange Jahre stärkste extremistische Kraft, die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP), bundesweit noch knapp 8.000 Mitglieder (1988: 35.000), in Baden-Württemberg -21 - allenfalls noch 700 (1988: 2.400). Andere Organisationen haben sich sogar aufgelöst. Ernster zu beurteilen ist dagegen die Entwicklung im Ausländerextremismus. Während sich nach wie vor die große Mehrzahl der rund 1 Million in Baden-Württemberg lebenden Ausländer loyal zum Gastgeberland verhält, beeinträchtigt eine kleine Minderheit von ihnen unsere Sicherheit. Etwa 8.380 Personen (1990: 8.430) sind in Vereinigungen organisiert, die extremistische oder gar terroristische Ziele verfolgen. Ethnische, religiöse, soziale und wirtschaftliche Konflikte sowie politische Krisen in den jeweiligen Heimatländern sind Auslöser dieser Aktivitäten. Symptomatisch ist das weitere Erstarken religiös-nationalistischer, insbesondere islamisch fundamentalistischer Gruppen. Sicherheitsgefährdungen gehen unverändert auch von linksextremistischen türkischen und kurdischen Vereinigungen aus. Ebenso muß die Bedrohung durch ausländische Terrorgruppen nach wie vor ernst genommen werden. In einer grundsätzlichen Neuorientierung befindet sich die Spionageabwehr. Einerseits erfordert die Hinterlassenschaft des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) noch immer einen erheblichen Einsatz, andererseits wird zusehends klarer, daß Bereiche wie der nachrichtendienstlich gesteuerte illegale Technologietransfer, insbesondere in einige Länder des Nahen Ostens, künftig größere Aufmerksamkeit erfordern. In welchem Umfang und in welcher Intensität fremde Nachrichtendienste in der Zukunft in unserem Land aktiv werden, ist gegenwärtig noch nicht präzis auszumachen. -23Rechtsextremismus Allgemeiner Oberblick Die Wiedervereinigung Deutschlands hat sich auf den Rechtsextremismus - nach einer kurzen Abschwungphase - eher kräftigend ausgewirkt. Viele rechtsextremistische Vereinigungen gingen nach der Wende in der früheren DDR davon aus, daß dort ein größeres und vor allem ergiebigeres "nationales Potential" zur Verfügung stünde. Deshalb wurden in den Jahren 1990 und 1991 verstärkt - teilweise erfolgreich - Bemühungen unternommen, in den fünf neuen Bundesländern organisatorisch Fuß zu fassen und neue Anhänger zu gewinnen. Der zahlenmäßige Aufschwung hat aber nichts an der tiefgreifenden Zersplitterung des rechtsextremistischen Lagers geändert. Auch nach dem Tod des bekanntesten Neonaziführers, Michael KÜHNEN, im Jahre 1991, sind keine Anzeichen auf eine ernsthafte Annäherung der zerstrittenen Zirkel erkennbar. Eine verstärkte Bereitschaft zu mehr Kooperation oder gar zu einer Konzentration der verschiedenen neonationalsozialistischen Splittergruppen ist nicht in Sicht. Dies berührt indes die programmatische Übereinstimmung aller Neonationalsozialisten nicht, die NSDAP und das Regime des "Dritten Reiches" als Vorbild zu verherrlichen. Selbst bei den Gruppen, die versuchen, ihre neonationalsozialistische Grundüberzeugung in ihren öffentlichen Verlautbarungen zu verschleiern, offenbaren interne Äußerungen und Bekundungen die unzweideutig rechtsextremistische Mentalität. Rassismus und Antisemitismus sind dominierende Elemente in ihrem "Kampf" zur Erhaltung der "Artgemeinschaft" und des "deutschen" Nationalstaats. Ähnliches Gedankengut und Verhaltensmuster waren 1991 auch bei vielen Skinheads festzustellen. Ihre oft rassistisch gefärbte Fremdenfeindlichkeit war 1991 mitverantwortlich für eine bislang nicht erreichte Welle der Gewalt gegen Ausländer und Asylanten in ganz Deutschland. Demgegenüber äußern sich "nationaldemokratische" und "national-freiheitliche" Organisationen sowie die 1991 neu gegründete "Deutsche Liga" aus taktischen Gründen vorsichtiger und zurückhaltender. Die verfassungsfeindliche Zielsetzung dieser Parteien erschließt sich indes aus einer Vielzahl von Äußerungen und Erklärungen, deren Substanz sich auch 1991 gegen die Wesenselemente des Grundgesetzes, vor allem die darin manifestierten Grundund Menschenrechte, richtete. So wird der demokratische Staat als "dekadenter Nachtwächterstaat" herabgewürdigt; die demokratischen Parteien werden fortgesetzt als "Altoder Systemparteien" und "Kartell" verunglimpft -24und die verantwortlichen Politiker als Versager und Verantwortliche für die angeblich drohende Überfremdung des deutschen Volkes durch die Zuwanderung von Ausländern und Asylanten diffamiert. "Volksbrei", die "Entdeutschung Deutschlands" sowie Schäden an der "völkischen Substanz" seien nicht hinzunehmende Folgen des Versagens dieser Politiker. Mit einer breit angelegten und monoton wiederholten, völlig überzogenen und vereinfachenden Agitation bekämpfen die rechtsextremistischen Parteien im Kern das parlamentarische System des Grundgesetzes und den Wesensgehalt der Grundrechte. Neonationalsozialistische Bestrebungen Oberregional bedeutsame Aktivitäten Während die Aktivitäten der neonationalsozialistischen Gruppen und Zirkel 1991 in den alten Bundesländern weitgehend stagnierten, wuchs die Zahl ihrer Anhänger und deren Gewaltbereitschaft in den neuen Bundesländern deutlich an. Schwerpunkte neonationalsozialistischer Umtriebe im Osten Deutschlands waren insbesondere die Bundesländer Sachsen, Brandenburg und das frühere Ostberlin. Dementspechend verlagerten westdeutsche Neonationalsozialisten, allen voran die Anhänger des verstorbenen Michael KÜHNEN, ihre Aktivitäten weitgehend in die fünf neuen Länder. Aus Sicht der Neonationalsozialisten wichtige Ereignisse des vergangenen Jahres waren der Tod des "Führers" der "Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front" (GdNF), Michael KÜHNEN, und die Ermordung des Neonazis Rainer SONNTAG aus Dresden. KÜHNEN, der seit über einem Jahrzehnt die neonationalsozialistische "Szene" maßgeblich geprägt hatte, verstarb am 25. April 1991 in Kassel. In den letzten Jahren hatte der Vorwurf der Homosexualität gegen KÜHNEN das Neonazilager in zwei Teile gespalten und zur Ausgrenzung der KÜHNEN-Anhänger aus der von seinen Gegnern beherrschten "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) geführt. Seit der Wende in der damaligen DDR Ende 1989 hatte KÜHNEN deshalb die Aktivitäten seiner Anhänger innerhalb der auf sein Betreiben neugegründeten "Deutschen Alternative" (DA) vorrangig auf die ostdeutschen Länder gerichtet. -25Der Tod KÜHNENS führte zumindest bislang nicht zu einer Einigung der insbesondere seinetwegen zerstrittenen westdeutschen Neonaziszene. Inzwischen haben seine Anhänger begonnen, sich auf eine "neue Ära" ihrer neonationalsozialistischen Gemeinschaft einzustellen. Obwohl KÜHNEN angeblich kurz vor seinem Tod den Österreicher Gottfried KÜSSEL zu seinem Nachfolger bestimmt hatte, scheint dieser in der "Gesinnungsgemeinschaft" bisher keine uneingeschränkte Zustimmung zu erhalten. KÜSSEL ist mindesteiis seit 1976 als rechtsextremistischer Aktivist bekannt und wurde 1984 vom Landesgericht für Strafsachen in Wien wegen Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinn zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Mit seiner österreichischen Neonazigruppe, die sich "Volkstreue Außerparlamentarische Opposition" (VAPO) nennt, nahm KÜSSEL an zahlreichen Auftritten der KÜHNEN-Anhänger in Ostund Westdeutschland teil. Neben KÜSSEL trat im Jahre 1991 zunehmend auch der Leiter der Hamburger "Nationalen Liste" (NL), Christian WORCH, als weitere neonationalsozialistische Führungsperson auf. Der Tod eines weiteren Mitglieds war für die Neonationalsozialisten schließlich ein zusätzlicher Anlaß zu demonstrativen Aktionen. In der Nacht zum 1. Juni 1991 war in Dresden der sächsische Neonazi-Führer Rainer SONNTAG auf offener Straße von zwei aus Westdeutschland stammenden Zuhältern erschossen worden. SONNTAG hatte der Prostitution mehrfach den Kampf angesagt und war möglicherweise deshalb mit der einschlägigen "Szene" in Dresden in Konflikt geraten. Aus Anlaß seiner Beisetzung am 15. Juni 1991 in Dresden versammelten sich etwa 1.500 Rechtsextremisten aus ganz Deutschland und dem Ausland. Die zumeist jugendlichen Neonationalsozialisten zogen durch die Stadt und skandierten Rufe wie "Rache für SONNTAG", "Sieg Heil" und "Ausländer raus". Neonationalsozialistische Gruppen sowie sympathisierende Skinheads nutzten aber auch weitere Anlässe, um ihre gewachsene Stärke öffentlich unter Beweis zu stellen. Solche Anlässe sind seit Jahren der Geburtstag HITLERs am 20. April und der Jahrestag des Todes von Rudolf HEß am 17. August. Mehrere rechtsextremistische Gruppierungen hatten mit Unterstützung von Skinheads für den 20. April 1991 Demonstrationen und Aktionen gegen "Linke" und Ausländer angekündigt. Die besonders in Ostdeutschland erwarteten schweren Krawalle erreichten jedoch angesichts des starken Polizeiaufgebots -26nicht das befürchtete Ausmaß. So kam es am 20. April 1991 unter anderem zu folgenden Veranstaltungen und Ausschreitungen: In Mainz versammelten sich auf dem Gärtnereianwesen der Neonationalsozialisten Curt und Ursula MÜLLER etwa 250 Gesinnungsgenossen zu der traditionellen "Führergeburtstagsfeier". Unter den Teilnehmern befand sich ein erheblicher Anteil von Skinheads. - i In Dresden trafen sich aus gleichem Anlaß rund 100 jugendliche Rechtsextremisten. Die Polizei verhinderte ein Aufeinandertreffen mit Gegendemonstranten. Insgesamt 92 Personen wurden festgenommen. In Magdeburg versuchten etwa 60 Skinheads, eine Straßenbahn an der Weiterfahrt zu hindern. Vorbeifahrende Autos wurden mit Gegenständen beworfen, die Einsatzkräfte der Polizei tätlich angegriffen. Die Polizei mußte von ihrem Schlagstock Gebrauch machen; ein Polizeibeamter gab einen Warnschuß ab. Wegen zahlreicher Straftaten wurden 24 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Bereits am 19. April 1991 war es in Magdeburg nach einem Fußballspiel zu Ausschreitungen gekommen, wobei die Randalierer neonationalsozialistische Parolen riefen und Polizisten und Passanten angriffen. In Verden/Aller randalierten rund 100 Skinheads. Dabei kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Diese nahm mehrere Personen fest und beschlagnahmte neben Schreckschußpistolen Eisenstangen, Knüppel und weitere Schlagwerkzeuge. In Osnabrück randalierten Neonationalsozialisten und überfielen in der Innenstadt eine Gruppe hungerstreikender Kurden. Nachdem diese geflohen waren, wurde das Zelt, in dem sie sich aufgehalten hatten, in Brand gesetzt. In Oberweser (Kreis Kassel-Land) demolierte eine Gruppe von 15 Skinheads und jugendlichen Rechtsextremisten in der Nacht zum 20. April mehrere Autos. Zuvor waren sie in ein Lokal eingedrungen und hatten dort HITLERs Geburtstag unter Absingen von Kampfund ausländerfeindlichen Liedern "gefeiert". Auch den 4. Todestag des "Führer"-Stellvertreters HEß am 17. August 1991 wollten Neonationalsozialisten dazu nutzen, in Wunsiedel (dem Ort, in dem HEß begraben liegt) eine "machtvolle Kundgebung" durchzuführen. Doch war diese von den zuständigen Behörden ebenso verboten worden wie zwei von politischen Gegnern aus dem linksextremistischen Antifaund autonomen Spektrum angemeldete Veranstaltungen. Sowohl das Verwaltungsgericht Bayreuth als auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht erklärten das Verbot der Kundgebung für Rechtens. Rund 1.500 Rechtsextremisten der unterschiedlichsten Gruppen versammelten sich daraufhin mit ihren Sympathisanten in Bayreuth, um gegen das Verbot der Kundgebung in Wunsiedel zu demonstrieren. Unter den Demonstranten -27befanden sich Friedhelm BUSSE, der Bundesvorsitzende der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP), als Hauptorganisator der Veranstaltung, sowie Christian WORCH aus Hamburg und Gottfried KÜSSEL, der umstrittene Nachfolger KÜHNENS. Im Raum Bayreuth kam es zu 82 Festnahmen und 55 Strafanzeigen, insbesondere wegen Verstößen gegen das Waffenund Versammlungsgesetz. Aufgrund starker Polizeipräsenz konnten gewalttätige Auseinandersetzungen mit zumeist linksextremistischen Gegendemonstranten weitgehend verhindert werden. 2.2 "Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front" (GdNF) Die "Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front" (GdNF) ist die zusammenfassende Bezeichnung für die Anhängerschaft des im April 1991 verstorbenen Neonationalsozialisten KÜHNEN. Sie strebt die Überwindung des Verbots der NSDAP an und beruft sich bei ihren politischen Vorstellungen sowohl auf den ehemaligen SA-Stabschef Ernst RÖHM als nationalrevolutionäres Leitbild als auch auf Adolf HITLER. Der GdNF waren Ende 1991 etwa 400 Anhänger zuzurechnen, was einer Verdoppelung gegenüber dem Vorjahresstand entspricht. Dieser Mitgliederzuwachs resultiert daraus, daß die GdNF im Jahre 1991 den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten in die fünf neuen Bundesländer verlagerte. Darüber hinaus hat die GdNF im abgelaufenen Jahr weitere Anstrengungen unternommen, verschiedene neue Organisationen auf Landesebene zu bilden. Diese sollen zumindest mittelfristig an Parlamentswahlen teilnehmen, um - so das taktische Kalkül - dadurch den Rechtsstatus einer Partei zu erringen und mögliche Verbotsmaßnahmen zu erschweren. Neben der schon seit 1989 in Hamburg existierenden "Nationalen Liste" (NL) entstanden 1991 in Hessen die Vereinigung "Deutsches Hessen" (DH), in Bayern der "Nationale Block" (NB), in Sachsen die "Sächsische Nationale Liste" (SNL) und in Nordrhein-Westfalen "Der Deutsche Weg" (DDW). In Baden-Württemberg ist 1991 ebenfalls eine neue neonationalsozialistische Organisation gebildet worden. Am 25. August 1991 fand in Remshalden-Grunbach (Rems-Murr-Kreis) in Anwesenheit von rund 20 Personen die Gründung einer "Volkstreuen Liste" (VL) statt. Die rechtsextremistische Zielsetzung der VL ergibt sich aus verschiedenen Flugschriften, in denen Ausländerhetze betrieben und vor "allgemeinem Rassenmischmasch" gewarnt wird. Die neonationalsozialistische Komponente der neuen Vereinigung gründet sich auf ihre uneingeschränkte Verehrung von Der Name ist dem 1991 eingestellten internen Organ "Die Neue Front" nachempfunden. -28Adolf HITLER und Rudolf HEß. Die VL ist seit ihrer Gründung freilich öffentlich nicht mehr in Erscheinung getreten. Bekannt wurde, daß einige ihrer Mitglieder über Kontakte zum rechtsextremistisch orientierten "Bund Reichstreuer Jugend" (BRJ) verfügen, der im Mai 1991 in VillingenSchwenningen gegründet wurde. Angesichts dieser zahlreichen Neugründungen ist die künftige Entwicklung der "Deutschen Alternative" (DA) einigermaßen unklar geworden. Die von KÜHNEN maßgeblich initiierte DA war am 5. Mai 1989 in Bremen gegründet worden. Sie ging aus dem Landesverband Bremen der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) hervor. Die Organisation, die sich als "nationale Protestpartei", versteht, ist mit der "Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front" (GdNF) personell eng verflochten und gilt als ihr politischer Arm mit ursprünglich bundesweit angestrebter Ausdehnung. Im Jahre 1991 hat sich die DA, der zum Jahresende etwa 300 Personen angehörten (Ende 1990 waren es 140 Mitglieder in Westdeutschland), schwerpunktmäßig in den neuen Bundesländern betätigt. 2.3 "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) Von der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP), die 1987 mit 500 Mitgliedern zur stärksten neonationalsozialistischen Vereinigung angewachsen war, ist nach mehreren Abspaltungen zwischenzeitlich nur noch ein Rumpf mit bundesweit etwa 150 Mitgliedern Übriggeblieben. Die 1979 von dem Rechtsextremisten Martin PAPE, Stuttgart, gegründete - bis 1983 völlig unbedeutende - Partei war Anfang 1984 von Anhängern der am 7. Dezember 1983 durch den Bundesminister des Innern verbotenen und aufgelösten "Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten" (ANS/NA) unterwandert und für deren Ziele umfunktioniert worden. Die FAP hatte dann seit 1986 eine von heftigen internen Querelen gekennzeichnete Entwicklung genommen. Nach harten Flügelkämpfen wurde im März 1990 der ehemalige Vorsitzende der im Januar 1982 verbotenen "Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit" (VSBD/PdA), Friedhelm BUSSE, zum neuen FAP-Bundesvorsitzenden gewählt. Seitdem befindet sich die Partei auf einer Talfahrt. Ende 1991 verfugte sie nur noch über drei aktive Landesverbände (Berlin, NordrheinWestfalen und Niedersachsen). In Baden-Württemberg ist die Zahl ihrer Anhänger auf einige Einzelpersonen geschrumpft, eine aktive Parteiuntergliederung besteht in unserem Lande seit Jahren nicht mehr. * -29Die FAP proklamiert dennoch unbeirrt die Ideologie des Nationalsozialismus: Es werde, so heißt es im Parteiorgan "Neue Nation", Nr. 9/91, "jetzt endlich Zeit... für eine Partei mit einem sowohl nationalen als auch sozialistischen Konzept. Zeit für die FAP". Allerdings blieben ihre Versuche, in den neuen Bundesländern Fuß zu fassen oder zumindest durch Aktionen in der Öffentlichkeit auf sich aufmerksam zu machen, weitgehend ohne Erfolg. Nennenswerte Aktivitäten der Partei waren lediglich ihr Bundesparteitag am 19. Januar 1991 in Berlin, auf dem eine überarbeitete Satzung und ein neues Programm verabschiedet wurden, sowie eine Demonstration am 23. März 1991 vor der polnischen Botschaft in Köln unter dem Motto "Kein Verzicht auf Ostdeutschland". Die über 100 Teilnehmer skandierten Parolen wie "Breslau, Danzig und Stettin sind deutsche Städte wie Berlin". Die im Vergleich zu den Vorjahren deutlich geringeren Aktivitäten sind Ausdruck eines starken Abwärtstrends der Partei, dessen Ende noch nicht absehbar ist. "Nationale Offensive" (NO) Die am 3. Juli 1990 in Augsburg gegründete "Nationale Offensive" (NO) ist als Sammelbecken vor allem für enttäuschte ehemalige Mitglieder der FAP anzusehen. Ihren Schwerpunkt hat die neonationalsozialistische Gruppierung in Bayern, wo auch der bislang einzige Landesverband besteht. Die NO konnte 1991 ihre Mitgliederzahl auf 100 steigern (1990: 70). Zentrale Punkte im Programm der NO sind die Rückforderung der ehemals deutschen Ostgebiete und die weitgehende Ausweisung von Ausländern und Asylanten. Die NO gibt die Publikation "Deutscher Beobachter" heraus. Am 23. November 1991 fand in Allensbach bei Konstanz die Gründungsveranstaltung eines ersten Kreisverbandes in Baden-Württemberg, des KV Konstanz der NO, statt. Als Gastredner trat u.a. der Bundesvorsitzende der Organisation, Michael SWIERCZEK aus München, auf. "Nationalistische Front" (NF) Die im November 1985 im Raum Bielefeld gegründete "Nationalistische Front" (NF), die sich als bundesweite Partei versteht, vertritt im rechtsextremistischen Spektrum die national-revolutionäre Linie. Sie identifiziert sich mit den Vorstellungen des sogenannten linken Flügels der NSDAP von vor -301933 und sieht sich ideologisch in der Nachfolge der Brüder Gregor und Dr. Otto STRASSER. Die NF lehnt das - von der Mehrzahl der Neonationalsozialisten hochgehaltene - "Führerprinzip" ab, das nach ihrer Auffassung zu einer Vernachlässigung von weltanschaulichen Grundlagen führt. Ziel der NF ist die Errichtung eines "volksbezogenen Sozialismus", den sie mit Hilfe einer "antimaterialistischen Kulturrevolution" und einer "antikapitalistischen Sozialrevolution" erreichen will. Letztendlich soll - so heißt es in einem NF-Flugblatt - eine "solidarische Volksgemeinschaft" gleichberechtigter "Volksgenossen" in einem souveränen Nationalstaat entstehen. Die Mitgliederzahl der NF, die sich als Kaderorganisation versteht, stieg 1991 - nachdem in Ostdeutschland einige Stützpunkte errichtet wurden - auf etwa 130 Personen gegenüber 80 im Vorjahr an. In Baden-Württemberg können der NF bislang nur wenige Personen zugerechnet werden, die allerdings durch Klebezettelund Sprühaktionen immer wieder auf die Organisation aufmerksam machen. Den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten entfaltet die NF seit Jahren in Nordrhein-Westfalen und Berlin. Ein jahrelang als NF-Zentrum geltendes Gebäude in Bielefeld wurde Mitte 1991 verkauft, so daß derzeit nur noch das 1989 in Detmold-Pivitsheide eröffnete "Schulungszentrum" besteht. Nach wie vor grenzt sich die NIF zwar gegenüber anderen neonationalsozialistischen Vereinigungen ab, duldet jedoch zwischenzeitlich Kontakte ihrer Mitglieder zu anderen rechtsextremistischen Organisationen. Unverändert versteht sich die NF als disziplinierte und revolutionäre "Kaderpartei", die im politischen Kampf "Kader ausbilden, Strukturen aufbauen und Zentren schaffen..." will, um "einen Staat im Staate bilden" zu können. Zu diesem Zweck wirbt inzwischen auch die NF-Jugendorganisation "Jungsturm" bei Jugendlichen um Mitglieder. Nach den Vorstellungen der NF-Funktionäre soll dort Mitglied werden, "wer sehr jung ist,... aber dennoch schon im Rahmen seiner Möglichkeiten für Deutschland kämpfen" und "zur neuen jungen Garde der revolutionären Nationalisten gehören möchte". Darüber hinaus sollen sich in einem Förderkreis "Junges Deutschland" solche Personen für die NF engagieren, die aus verschiedenen Gründen "nicht an der Front kämpfen können", jedoch die "aktive Truppe durch eine angemessene monatliche Spende" unterstützen wollen. Erstmals seit ihrer Gründung nahln die NF mit ihrer Kandidatur zur Bürgerschaftswahl in Bremen am 29. September 1991 an einer Parlamentswahl teil. -31Sie erzielte zwar lediglich 0,03 % der Stimmen, ist aber damit ihrem Ziel, den Rechtsstatus einer Partei zu erringen, einen Schritt nähergekommen. "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) Die schon 1979 gegründete HNG verfolgt nach wie vor das Ziel, inhaftierten Rechtsextremisten und deren Familienangehörigen im Inund Ausland - jetzt auch "nationalen politischen Gefangenen" in den neuen Bundesländern - durch aktive und finanzielle Unterstützung zu helfen. Mit ca. 200 Angehörigen ist die HNG unverändert eine der mitgliederstarken neonationalsozialistischen Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland. Sie rekrutiert ihre Mitglieder aus verschiedenen rechtsextremistischen Vereinigungen. Die seit 1984 amtierende Vorsitzende der HNG, Christa GOERTH, trat kurz nach ihrer Wiederwahl auf der Jahreshauptversammlung der HNG am 9. März 1991 wegen interner Querelen von ihrem Amt zurück. Zur neuen 1, Vorsitzenden wurde daraufhin auf einer außerordentlichen Jahreshauptversammlung im August 1991 die bisherige Stellvertreterin Ursula MÜLLER aus Mainz gewählt. Neben deren Ehemann gehören noch weitere NS-Aktivisten dem HNG-Vorstand an. Wesentlicher Bestandteil des monatlich erscheinenden HNG-Organs "Nachrichten der HNG" sind Leserbriefe, die der moralischen Unterstützung inhaftierter Rechtsextremisten dienen. Einschlägige J'rozeßberichte sollen darüber hinaus Verständnis für die politischen Motive der Straftäter vermitteln. "Neonazikreis um Curt MÜLLER" Das Anwesen der Eheleute Curt und Ursula MÜLLER in Mainz-Gonsenheim bietet seit Jahren NS-Aktivisten aus dem gesamten Bundesgebiet Gelegenheit zu Treffen und Veranstaltungen. Auch im Jahre 1991 wurden die "germanischen" Sonnwendfeiern im Juni und Dezember und vor allem der "Gedenktag an HITLERs-Geburtstag" zum Anlaß genommen, sich "bei MÜLLERs" einzuftnden. Zu den Teilnehmern zählten auch Personen aus Baden-Württemberg. Ursula MÜLLER wurde im August 1991 zur 1. Vorsitzenden der rechtsextremistischen HNG gewählt (vgl. Ziff. 2.6). -32"Deutsche Bürgerinitiative e.V." (DBI) Die bereits 1971 gegründete und inzwischen relativ unbedeutend gewordene DBI beschränkt ihre Aktivitäten seit Jahren in der Hauptsache auf "Freundestreffen", die auf dem "Reichshof" in Schwarzenborn (SchwalmEder-Kreis) abgehalten werden. Bei den Treffen, die neben dem Zusammenhalt der Gruppierung vor allem den Kontakten zu ausländischen Gesinnungsgenossen dienen, sind regelmäßig auch Teilnehmer aus Baden-Württemberg anwesend. Der Gründer der DBI, der ehemalige Rechtsanwalt Manfred RÖDER, übernahm 1990, nach Verbüßung seiner langjährigen Freiheitsstrafe, wieder den Vorsitz der DBI von seiner Ehefrau. Er war 1982 wegen Rädelsführerschaft in einer rechtsterroristischen Vereinigung zu 13 Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Mit seinen monatlich erscheinenden Briefen "Deutsche Bürgerinitiative e.V. - weltweit" versuchte RÖDER bereits aus der Haft heraus, auf seine ihm noch verbliebenen Anhänger Einfluß zu nehmen. Seine Kommentare zu aktuellen sowie historischen Ereignissen spiegeln unverändert seine nationalsozialistische Grundeinstellung wider. So verharmlost ROEDER in seinem "Rundbrief" vom Juni/Juli 1991 die NS-Verbrechen des sogenannten Holocaust (Ermordung von Juden im "Dritten Reich") als "Greuelpropaganda gegen Deutschland". Er behauptet u.a., daß die Widersprüche über Auschwitz aufgedeckt seien und von der ganzen "Nachkriegspropaganda" wohl nichts übrigbleiben würde. "Heimattreue Vereinigung Deutschlands" (HVD) Die HVD, deren Organisation bisher auf Baden-Württemberg beschränkt ist, konnte 1991 an Mitgliedern zulegen. Sie war 1988 von - der ehemaligen neonationalsozialistischen "Bewegung" zuzurechnenden - Aktivisten und weiteren Gesinnungsgenossen mit Sitz in Reutlingen gegründet worden. Bei polizeilichen Durchsuchungen im Zuge mehrerer Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der HVD wegen Propagandadelikten konnten im Jahre 1989 einschlägiges Schrifttum, Munition und uniformähnliche Bekleidungsstücke beschlagnahmt werden. Dabei wurde auch ein "internes Arbeitspapier zur Aufstellung eines Sicherheitsdienstes" (SD) sichergestellt, das Ausführungen zu "Bestrafungsaktionen" gegen "Staats-, Presseund andere Spitzel" sowie -33die Forderung nach einer "offensiven Bekämpfung der politischen Gegner mit allen Mitteln" enthielt. Nach einer mehrmonatigen Ruhephase als Folge der umfangreichen Exekutivmaßnahmen formierte sich die HVD ab 1990 neu. Sie umfaßte Ende 1991 etwa 45 Mitglieder, die sich in mehreren Gliederungen, unter anderem im Großraum Stuttgart und in Reutlingen bzw. Göppingen, organisiert haben. Den Großteil ihrer Aktivitäten wickelt die HVD intern ab. Auch verbreitet die Gruppe nur wenige Flugschriften oder sonstige öffentlich zugängliche Materialien. Darunter befinden sich gelegentlich durchaus unverfängliche Publikationen etwa zum Thema Umweltschutz. Die rechtsextremistische Zielsetzung der Vereinigung kann dadurch freilich nicht verdeckt werden. So werden in einem im November 1991 verbreiteten Flugblatt das politische System unseres Staates verunglimpft sowie die Ausländerthematik wie folgt verzerrt dargestellt: "... Wir leben in einer Zeit des Verfalls und der Lüge, in einer Zeit des Verrats und des Egoismus... ...wir wollen alle über die wahren Gründe des Verfalls informieren und im Rahmen unserer Gemeinschaft Alternativen aufzeigen... ...um zu verhindern, daß politische Verbrecher unser Land in eine sogenannte 'multikülturelle Gesellschaft' = Völkermischmasch-Kolonie verwandeln". Die HVD unterhält zu anderen rechtsextremistischen Organisationen Kontakte, so zu der "Nationalen Offensive" (NO) und gegen Ende des Jahres 1991 auch zu der neugegründeten "Deutschen Liga für Volk und Heimat" ("Deutsche Liga"). Der Leiter der HVD gehört überdies zu einer Reihe von Angeklagten, die sich vor dem Landgericht Stuttgart wegen eines Vergehens nach SS 85 StGB (Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot) verantworten müssen. Die Hauptverhandlung hat am 5. Februar 1991 begonnen, ohne daß bisher ein Ende des Prozesses abzusehen ist. 2.10 Skinheads Allgemeine Zunahme der politisch-motivierten Gewalt Die im Jahr 1991 beobachtete Zunahme politisch-motivierter Gewalttaten in Deutschland ging zu einem erheblichen Teil auf das Konto der Skinhead"Szene". Auch wenn dort noch keine verfestigten Organisationsstrukturen -34vorhanden sind, drängen sich oft Vergleiche zu rechtsextremistischen, insbesondere neonationalsozialistischen Gruppierungen auf. Die hohe Zahl der Anschläge gegen Ausländer und Asylanten, die von Skinheads begangen wurden, deutet auf eine in diesen Kreisen verbreitete rassistische Grundeinstellung hin. Das früher vorherrschende Bild der Skinheads als "unpolitische Rowdies" muß daher zumindest teilweise korrigiert werden. Die zunehmende Militanz der "Szene" stellt ein Problem aller Bundesländer dar. Der rechtsextremistische Einschlag vieler Skinheads wird in den neuen Bundesländern indes besonders deutlich. Kennzeichen und Herkunft der Skins Skinheads sind in der Regel an ihrer uniformähnlichen Kleidung (Bomberjacke, hochgekrempelte Jeans mit breiten Hosenträgern, Doc Martens-Schuhe oder Springerstiefel) und an ihrer Haartracht (Glatze oder millimeterkurz geschnittenes Haar) zu erkennen. Insbesondere aus taktischen Gründen variieren Skinheads allerdings mitunter ihr Aussehen, beispielsweise um ihre "Szenen"-Zugehörigkeit zu verschleiern und Polizeimaßnahmen aus dem Weg zu gehen. Weiteres Erkennungsmerkmal und zugleich das wichtigste Symbol der Skinhead-Bewegung ist das Keltenkreuz, das ein gemeinsames kulturelles Erbe der "nordischen" weißen Rasse symbolisieren soll. Weil es von der 1982 vom Bundesminister des Innern verbotenen "Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit" (VSPD/PdA) als Symbol verwendet wurde - die Skinheads benutzten das Keltenkreuz schon früher -, ist die Benutzung dieses Zeichens heute strafbar. Die Skinheads zumindest in den alten Bundesländern entstammen zumeist "sozialen Randlagen" und kommen oft aus gestörten Familien Verhältnissen. Nicht selten sind sie mit Mißerfolgen in Schule und Ausbildung belastet. Vermeintlich ohne Perspektive und Anerkennung durch die Gesellschaft suchen sie die Geborgenheit in einer Gemeinschaft. Die Gruppe ersetzt ihnen die Familie und vermittelt ihnen Wir-Bewußtsein, überschaubare Normen und Werte sowie ein akzeptiertes Bekleidungsund Sprachverhalten. Die Gruppe züchtet aber auch gemeinsame Feindbilder, vorrangig gegen alles Schwächere, Andersartige, Fremde. Skinheads schließen sich zusammen, um Defizite des einzelnen auszugleichen und um Stärke in der Gruppe zu finden. Fremdenfeindliche Ausschreitungen von Skinheads sind deshalb regelmäßig Gruppendelikte. -35Die militante Skinhead-"Szene" in Deutschland hat - wie die Mehrzahl der Neonationalsozialisten - zwar kein geschlossenes politisches Weltbild. Dennoch weisen ihre Handlungen inzwischen immer häufiger typische nationalsozialistische Merkmale auf: aggressive Fremdenfeindlichkeit in Form von Antisemitismus und Rassismus sowie übersteigertes Nationalbewußtsein. Mit ihrer teilweise ungehemmten Gewaltbereitschaft verstarken die Skinheads zweifellos das Gewaltpotential der neonationalsozialistischen Vereinigungen. Eine rechtsextremistische Färbung kann dagegen bei zwei Spielarten der Skinheadbewegung nicht oder nur teilweise festgestellt werden. Dabei handelt es sich zum einen um die "antifaschistischen Skins", die dem "linken" Spektrum angehören. Sie nennen sich "Redskins" (Rote Glatzen) oder S.H.A.R.P.S (Skinheads Against Racial Prejudice - Skinheads gegen rassistische Vorurteile). Zur anderen Gruppe zählen die sogenannten "Oi-Skins". Bei vielen von ihnen steht nicht politische Agitation an erster Stelle. Dessen ungeachtet bezeichnen sie sich jedoch überwiegend als Patrioten und lassen eine zumindest stark reservierte Haltung gegenüber Ausländern erkennen. Skinhead-Magazine und -Musikgruppen Zur Brutalität und Härte werden Skins zunehmend animiert durch gewaltverherrlichende Skinhead-Publikationen sowie entsprechende Liedtexte von einschlägigen Bands. Diese Publikationen, die sogenannten Fanzines, tragen denn auch bezeichnende Titel wie "Endsieg", "Heimatfront", "Stahlfront", "White Power" oder "Outsider". Ein Teil der Beiträge enthält üble und aggressive Polemik gegen die erklärten "Feinde" und putscht die Leser vor allem gegen Türken, Juden und Farbige, aber auch gegen Homosexuelle und Prostituierte auf. Für eine schnelle Weiterverbreitung dieses Gedankenguts sorgen auch Skinhead-Musikbands, allen voran die englische Gruppe "Skrewdriver". Ihr gelingt es offensichtlich zunehmend, den oftmals Hunderten von Zuhörern die angebliche Bedrohung der "nordisch-arischen Rasse" durch die steigenden Ausländerzahlen zu vermitteln. Auch die deutsche Skinhead-Musikszene erweckt inzwischen einen militant-nationalistischen Eindruck. Sie preist die "Skin-Bewegung" als "die Kraft, die Deutschland wieder sauber macht". Die Gruppe "Noie Werte" z.B. wendet sich mit ihren Liedtexten gegen "die Verfremdung der deutschen Heimat und den starken Asylantenstrom". Andere deutsche Skin-Bands (z.B. "Volkszorn", "Störkräft", "Böhse Onkelz") diffa- -36mieren bzw. bedrohen Ausländer in ihren Liedern. So fordert eine Band in ihrem Lied "Kanaken" sogar zur Tötung von Türken auf. Abneigung gegen verfestigte Organisationsformen hält an Trotz ihrer zunehmenden Politisierung sind Skinheads weitgehend undiszipliniert und lassen sich bislang weder organisatorisch noch ideologisch dauerhaft binden. Deshalb fehlen auch festere Organisationsstrukturen. In den losen örtlichen Zirkeln dominieren zumeist besonders respektierte Aktivisten. Diese bestimmen dann oftmals das Geschehen, ohne daß sie hierzu ausdrücklich berufen wären. Landesweite oder gar bundesweite Zusammenschlüsse unter den Skinheads fehlen völlig. Versuche von neonationalsozialistischen, aber auch von anderen rechtsextremistischen Organisationen, Skinheads in ihre Gliederungen einzubinden, scheiterten bisher immer wieder daran, daß sich das Skinheadpotential in keine fester gefügte Ordnung einpassen läßt. Nur wenige "Glatzen" sind deshalb Mitglieder in rechtsextremistischen Parteien und Vereinigungen. Dessen ungeachtet bestehen aber zwischenzeitlich Verbindungen zwischen Teilen der Skinhead-Bewegung und dem rechtsextremistischen, hauptsächlich neonationalsozialistischen Lager. So fungieren Skinheads inzwischen häufig als Sicherungsoder Ordnertrupps bei Versammlungen, Tagungen oder Wahlveranstaltungen rechtsextremistischer Parteien, um einen ungestörten Ablauf zu gewährleisten. Dabei besteht ihr Hauptmotiv freilich weniger im Schutz der jeweiligen Versammlungsteilnehmer, als vielmehr in der körperlichen Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Darüber hinaus jedoch sind gemeinsame Stammtisch-Treffs von Skinheads und Neonazis mancherorts bereits zur Regel geworden. Das Skinhead-Potential Der Skinhead-Bewegung sind derzeit in der Bundesrepublik Deutschland etwa 6.600 Personen (davon rund 3.000 in den neuen Bundesländern) zuzurechnen. Etwa 4.200 von ihnen haben einen rechtsextremistischen Hintergrund. Unter den mehr als 400 Skinheads in Baden-Württemberg waren bis Ende 1991 etwa 190 mit mehr oder weniger ausgeprägten rechtsextremistischen Bezügen bekanntgeworden. Regionale Schwerpunkte von rechtsextremistisch orientierten Skinheads sind in Baden-Württemberg die Gebiete um Konstanz, Reutlingen, Ulm, Freiburg, Stuttgart und Karlsruhe. -37Die Skinhead-"Szene" in den fünf neuen Bundesländern ist zahlenmäßig etwa genauso stark wie diejenige in den gesamten alten Ländern. Schwerpunkte der ostdeutschen Skinhead-"Szene" mit offenbar deutlicheren Gruppenstrukturen sind in Sachsen, Brandenburg, teilweise auch in Thüringen und Sachsen-Anhalt, erkennbar. Eine Unterteilung der rechtsextremistisch orientierten Skinheads von BadenWürttemberg nach Geschlecht und Alter macht deutlich, daß 95 % männlich sind und mehr als die Hälfte 20 Jahre und jünger ist. "Nationaldemokratische" Organisationen "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Die bereits seit 1964 aktive "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) hat das Jahr 1991 letztlich besser überstanden, als sie es noch Anfang des Jahres erwarten konnte. Zunächst waren deutliche Anhaltspunkte vorhanden, die auf eine krisenhafte Entwicklung, ja auf ein mögliches Auseinanderbrechen der Partei, hinwiesen. Da war einerseits der spektakuläre Rücktritt des langjährigen Bundesvorsitzenden der NPD, MUSSGNUG, (Tuttlingen), noch im Dezember 1990, den dieser mit der miserablen finanziellen Lage der Partei, ihrer mangelhaften Resonanz bei Wahlen und mit der Überzeugung begründete, daß die NPD als Partei abgewirtschaftet habe und neue Zusammenschlüsse geschaffen werden müßten. Andererseits gab es als Warnsignal die Gründung der "Deutschen Allianz/Vereinigte Rechte" (DA/VR) am 18. Januar 1991 unter Mitwirkung führender Mitglieder und Funktionäre der NPD (vgl. Ziff. 5.1). Die Stimmen derjenigen NPD-Anhänger, die die Partei auf Dauer für nicht mehr entwicklungsfähig und wählbar ansahen und sich für eine neue "rechte Kraft" wie die DA/VR einsetzten, mehrten sich vor allem in den starken NPD-Landesverbänden in Süddeutschland. Nach einer mehrmonatigen Übergangszeit übernahm der vor allem von vielen enttäuschten Parteianhängern favorisierte Günter DECKERT aus Weinheim den Bundesvorsitz der NPD. DECKERT amtierte schon vor Jahren als Bundesvorsitzender der "Jungen Nationaldemokraten" (JN). Er war 1988 rechtskräftig aus dem öffentlichen Dienst des Landes Baden-Württemberg entlassen worden wegen "fortlaufenden Verstoßes gegen die politische Treuepflicht". -38Mit der Wahl DECKERTs zum neuen Bundesvorsitzenden der NPD auf dem 24. ordentlichen Parteitag der NPD am 8./9. Juli 1991 in Herzogenaurach/Bayern siegten klar die auf den Erhalt und die Wiederherstellung der Stabilität der Partei setzenden Kräfte. Von den nicht ganz 300 Delegierten stimmten 207 für DECKERT, lediglich 59 für den Gegenkandidaten Jürgen SCHÜTZINGER aus Villingen-Schwenningen. SCHÜTZINGER, langjähriger NPD-Landesvorsitzender in Baden-Württemberg, wurde damit neben MUSSGNUG und anderen ehemals führenden NPD-Funktionären endgültig aus der Partei gedrängt. Sie widmeten sich fortan gänzlich dem Aufbau der neuen Organisation DA/VR. Nach der Wahl DECKERTs setzte sich dieser erwartungsgemäß energisch für die Restaurierung der Partei auf allen Gebieten ein. Im Verlauf des Jahres 1991 konnte er den meisten Mitgliedern auch mit dem Hinweis auf den Wahlerfolg der rechtsextremistischen "Deutschen Volksunion" (DVU) in Bremen wieder Zuversicht vermitteln mit der Folge, daß die Austritte abnahmen. Seit seiner Wahl versucht DECKERT, der NPD wieder ein schärferes Profil und zusätzliche Dynamik zu geben. Er zeigt dabei mehr als sein Vorgänger MUSSGNUG, daß das Bekenntnis der NPD zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung in ihrem Programm aus dem Jahre 1987 nur vordergründig ist. DECKERTs politische Erklärungen, etwa zum demokratischen Staat und seiner Verfassung, sowie vor allem seine Kommentare zum Ausländerthema sind aggressiver und auf Konfrontation angelegt. So bezeichnete er in einem Interview mit der von einem Rechtsextremisten herausgegebene Zeitung "Deutscher Standpunkt", Nr. 10/91, die Bundesrepublik Deutschland als einen "dekadenten Nachtwächterstaat des bürgerlich-liberalistischen Lagers". Die NPD, so heißt es weiter, fordere dagegen einen "starken Staat". Die demokratischen Parteien werden zudem als "Bonner Kartell" diffamiert. Unübersehbar finden sich in DECKERTs Erklärungen offensichtlich bewußt gesetzte Anklänge an den neonationalsozialistischen Sprachgebrauch, so etwa, wenn er von der "Bedrohung der völkischen Substanz unseres Volkes" spricht, die für ihn im Vordergrund steht (NPD-Organ "Deutsche Stimme", Nr. 7/8, 1991). Daraus leitet die NPD das Ziel der Schaffung einer "nationalen Solidargemeinschaft" her, die offenbar mit der von ihr bislang geforderten "Volksgemeinschaft", deren Charakter durch die Zurückdrängung der Individualrechte gegenüber dem Staat gekennzeichnet ist, identisch ist. -39Deutlicher als bisher tritt die NPD unter DECKERT für die sogenannte Objektivierung der Zeitgeschichte und die Wiederherstellung des "Ansehens des deutschen Volkes" sowie gegen - wie es weiter heißt - die "Zementierung von Geschichtslügen" ein. DECKERT und seine Partei schließen sich damit einer seit Jahren vor allem von Neonationalsozialisten geprägten sogenannten revisionistischen Kampagne an, die die Greueltaten des "Dritten Reiches", insbesondere den "Holocaust", verharmlost bzw. gänzlich leugnet. DECKERT organisierte in diesem Zusammenhang eine - zunächst verbotene - Veranstaltung mit bekannten "Revisionisten" in Weinheim (vgl. Ziff. 7). Als "echte politische Marktnische" wertet die NPD unter DECKERT erwartungsgemäß den Kampf gegen die angebliche Überfremdung unseres Volkes. Mit Warnungen vor dem "Exotenland" und dem drohenden "Volksbrei" sowie mit der Gleichsetzung "multi-kulturell = multi-kriminell" versuchten er und verschiedene Parteigliederungen, gegen die Ausländer Stimmung zu machen. Die NPD konnte ihre Organisation durch die Gründung von Landesverbänden in den fünf neuen Bundesländern auf ganz Deutschland ausdehnen. Damit zahlte sich das Engagement der Partei aus, die nach der Wende in Ostdeutschland zunehmende Aktivitäten entwickelt hatte. Freilich sind die ostdeutschen Landesverbände bisher noch relativ schwach und bei weitem nicht so differenziert nach unten gegliedert wie in den alten Bundesländern. Trotz dieser organisatorischen Ausdehnung konnte die NPD aufgrund der Querelen in der Partei und den daraus folgenden Übertritten zahlreicher Mitglieder zur "Deutschen Liga" ihren Mitgliederbestand des Jahres 1990 nicht halten. In allen Bundesländern zählte die Partei Ende 1991 insgesamt etwa 6.100 Angehörige, wovon rund 700 auf die fünf ostdeutschen Länder entfallen. In den westdeutschen Ländern allein hatten ihr noch Ende 1990 rund 6.500 Mitglieder angehört. Die Partei verlor somit im Jahre 1991 spürbar an Mitgliedern, wenn auch die Negativbilanz gegen Ende des Jahres in Teilen der Organisation wieder in einen positiven Trend überging. Auch in dem ehemals stärksten NPD-Landesverband, dem LV Baden-Württemberg, ging die Mitgliederzahl durch Austritte bzw. Übertritte zur "Deutschen Liga" von etwa 1.450 im Jahre 1990 auf rund 1.200 Ende 1991 zurück. Von der Absetzbewegung besonders betroffen waren die bisher aktivsten Kreisverbände der NPD in unserem Bundesland: Tuttlingen, VillingenSchwenningen und Schwarzwald Baar Hier versucht DECKERT, der auch NPD-Landesvorsitzender ist und in dieser Funktion den zur "Deutschen -40Liga" abgewanderten SCHÜTZINGER ablöste, mit großem Engagement den völligen Zerfall zu vermeiden. Die NPD mußte gerade in Baden-Württemberg erhebliche Anstrengungen unternehmen, um den Abgang von weiteren Funktionären und Mitgliedern zur "Deutschen Liga" zu stoppen. Immerhin war zunächst der gesamte Landesverband in einer spektakulären wie umstrittenen Aktion als "Individualmitglied" der neuen Organisation beigetreten. Auf dem 26. ordentlichen Landesparteitag am 10. März 1991 in Rottweil hatte SCHÜTZINGER, damals noch in seiner Eigenschaft als NPD-Landesvorsitzender, über eine Resolution abstimmen lassen, die den Übertritt zu dem damaligen Verein "Deutsche Allianz/Vereinigte Rechte" (DA/VR) befürwortete. Diese umstrittene Entschließung war von den Delegierten knapp mit 36 gegen 33 Stimmen angenommen worden. Wenige Wochen nach seiner Niederlage gegen DECKERT bei der Wahl zum Bundesvorsitzenden der NPD trat SCHÜTZINGER vom Landesvorsitz in Baden-Württemberg zurück. Der Bundesvorstand der Partei verhängte daraufhin über den Landesverband Baden-Württemberg den "organisatorischen Notstand" und setzte DECKERT zunächst als kommissarischen Landesvorsitzenden ein. Auf dem außerordentlichen NPD-Landesparteitag am 29. September 1991 in Karlsruhe wurde DECKERT schließlich auch offiziell zum neuen Landesvorsitzenden in Baden-Württemberg gewählt. Am 7. Oktober 1991 behauptete der NPD-Landesverband Baden-Württemberg in einer Presseerklärung, die durch die "Ex-Amtsträger M.MUSSGNUG und J.SCHÜTZINGER heraufbeschworene Krise im LV Baden-Württemberg" sei beigelegt. Die Auseinandersetzungen zwischen der NPD und der "Deutschen Liga" in Baden-Württemberg sind freilich nicht beendet. Gegenseitige Attacken bis hin zum Vorwurf finanzieller Manipulationen und der widerrechtlichen Aneignung ehemaligen NPD-Parteieigentums halten an. Die NPD mußte, um ihre Aktivitäten in ganz Deutschland fortsetzen zu können, vorrangig ihre schwierige finanzielle Lage in den Griff bekommen. Der zurückgetretene NPD-Bundesvorsitzende MUSSGNUG hatte gegen Ende des Jahres 1990 die Schulden der NPD auf ca. 1,5 Millionen DM beziffert. Vor allem waren Wahlkampfkostenvorauszahlungen im Vorgriff auf die Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 zurückzuzahlen. Massive Einsparungen auf allen Ebenen, fortlaufende, nach und nach greifende Spendenaufrufe sowie das Eintreiben ausstehender Mitgliedsbeiträge führten gegen Ende des Jahres 1991 tatsächlich zu einer allmählichen Besserung der finanziellen Lage der -41 - NPD. So konnte der Schatzmeister Ende des Jahres 1991 vermelden, daß das Parteiorgan "Deutsche Stimme", das bislang einem der NPD nahestehenden Träger gehörte, wieder ganz in das Eigentum der NPD übergegangen sei. Gleichzeitig wurden die Leser der "Deutschen Stimme" aufgefordert, Gesellschafteranteile über 2.500,DM oder 5.000,DM zu zeichnen, um die vorgesehene Verdoppelung des GmbH-Kapitals auf 100.000,DM zu erreichen. Ob es der neuen NPD-Führung insgesamt gelingen wird, die Partei finanziell wieder zu sanieren, bleibt abzuwarten. "Junge Nationaldemokraten" (JN) Die "Jungen Nationaldemokraten" (JN), die seit 1969 aktive Jugendorganisation der NPD, vermochten ihr Ziel, von der Mutterpartei unabhängiger zu werden, nicht zu realisieren. Die Absicht der Jugendgruppe, durch Umwandlung in einen eingetragenen Verein mehr Selbständigkeit zu gewinnen, ist bisher praktisch fehlgeschlagen. Dieses Ziel wird freilich weiter verfolgt, wenn auch sicher nicht mit Rückendeckung durch den NPD-Bundesvorstand. Nach ihrem Statut sind die JN "eine Gemeinschaft junger Deutscher", die - entsprechend dem NPD-Programm - "eine staatliche Ordnung nach nationaldemokratischen Grundsätzen anstreben". Wie die NPD, so messen auch die JN dem Volk absolute Priorität vor dem Individuum zu: "Das Volk steht im Mittelpunkt; sein Wohlergehen ist Gegenstand, Inhalt, Aufgabe und Ziel nationalistischer Politik". Das naturgemäß auch von den JN behandelte Ausländerthema weist in seinen Grundaussagen eindeutig rassistische Merkmale auf. So stellen sie die Anwesenheit von Ausländern als zerstörerisch für das deutsche Volk dar: "Die Überfremdung der Völker und die daraus resultierende Verdrängung und Zerstörung der Nationalkulturen ist eine der imperialistischen Strategien der Internationalisten, um eine gleichförmige Weltzivilisation zu etablieren." Im Jahre 1991 sank die Zahl der JN-Mitglieder im gesamten Bundesgebiet nochmals um etwa 200 Personen auf nunmehr rund 550 Mitglieder. Auch der JN-Landesverband Baden-Württemberg mußte weitere Austritte hinnehmen. Die Mitgliederzahl verringerte sich hier auf 120 Personen (1990: 140), die zudem noch weitgehend inaktiv sind. Die Arbeit der JN kam 1991 in unserem Bundesland fast gänzlich zum Stillstand. Auch die Wahl des ehemaligen JN-Bundesvorsitzenden DECKERT zum neuen NPD-Vorsitzenden hat bisher -42keinen Motivationsschub bei den JN auslösen können. Trotzdem zeigt sich der im März 1991 auf dem 20. ordentlichen Bundeskongreß neugewählte JNVorsitzende zuversichtlich, den "Abwärtstrend" zu stoppen. Seinen Zweckoptimismus begründet er damit, daß die JN "auch weiter die mit Abstand politisch bewußteste und innovativste nationalistische Jugendgruppe" seien. * 3.3 "Nationaldemokratischer Hochschulbund" (NHB) Die Studentenorganisation der NPD, der "Nationaldemokratische Hochschulbund" (NHB), ist inzwischen fast bedeutungslos. Er zählt bundesweit noch etwa 50 Mitglieder, in Baden-Württemberg sind nur noch wenige Personen aktiv. An seiner rechtsextremistischen Haltung hat sich gleichwohl nichts geändert. In der vom NHB herausgegebenen Publikation "Vorderste Front" heißt es beispielsweise: "... Wir bleiben weiterhin der Meinung, daß nur die Dritte Position (zwischen Kapitalismus und Kommunismus) zielführend ist, und daß das herrschende System nicht mehr zu reformieren ist". 4. "National-Freiheitliche Rechte" 4.1 "Deutsche Volisunion" (DVU) Neben der 1991 von einer inneren Krise geschüttelten NPD und der um ihren Aufbau ringenden "Deutschen Liga" blieb die 1987 gegründete "Deutsche Volksunion" (DVU) die mitgliederstärkste rechtsextremistische Organisation in Deutschland. Sie konnte interne Querelen im großen und ganzen von sich fernhalten. Die von ihrem Bundesvorsitzenden und Münchner Verleger Dr. FREY straff geführte Partei zählte zum Ende des Jahres 1991 in ganz Deutschland etwa 24.000 Mitglieder , davon etwa 2.500 in den fünf neuen Bundesländern. In den alten Bundesländern blieb somit die Zahl der Mitglieder nahezu unverändert (Ende 1990: 22.000), in Baden-Württemberg stagnierte sie bei 2.900. Die DVU entwickelte auch während des Jahres 1991 nur spärliche öffentliche Aktivitäten. Ein Organisationsleben findet praktisch nicht statt. Die wenigen * Bis Februar 1991 nannte sich die Organisation "Deutsche Volksunion - Liste D" (DVU). Die Vereinigung "Deutsche Volksunion e.V." (DVU) besteht daneben unverändert weiter. ** Dr. FREY gibt höhere Zahlen an. -43Veranstaltungen verlaufen in der Regel weitgehend abgeschirmt von der Öffentlichkeit, zu größeren öffentlichen Versammlungen kommt es allenfalls im Vorfeld von Wahlen. So sind die von Dr. FREY herausgegebenen Wochenzeitungen "Deutsche National-Zeitung" (DNZ) und die "Deutsche WochenZeitung" (DWZ), die mit dem früheren Organ "Deutscher Anzeiger" (DA) fusionierte, sowie die von ihm verbreiteten Rundbriefe nach wie vor die wesentlichen Quellen, die über Ziele, Planungen und Aktivitäten der DVU und ihres Bundes Vorsitzenden Auskunft geben. Waren in den Jahren 1989 und 1990 vor allem die Wende in der früheren DDR und die anschließende Vereinigung Deutschlands das Hauptthema der FREYschen Zeitungen, so widmeten sie sich im Jahre 1991 wieder verstärkt der Ausländerthematik. Die FREYsche Presse schürte durch übertreibende Darstellungen und verzerrende Wertungen tatsächlicher Engpässe und scheinbarer Gefährdungen im Hinblick auf die weiter steigenden Ausländerzahlen bewußt Ängste in der Bevölkerung. Entstandene soziale Probleme werden von der DVU - wie von allen Rechtsextremisten - einseitig den Ausländern angelastet, unzulässig vereinfacht und schließlich für überwindbar erklärt mit der rassistisch unterlegten Heilsformel "Deutschland den Deutschen". Der primitiv ausländerfeindliche Tenor der FREYschen Zeitungen, der seinen Niederschlag auch wieder in heftigen Attacken gegen Israel, gegen im öffentlichen Leben stehende Menschen jüdischen Glaubens sowie gegen "Zigeuner" fand, nahm 1991 an Aggressivität und Heftigkeit spürbar zu. Die eindeutig ausländerfeindliche Agitation der DVU stieß am 29. September 1991 anläßlich der Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft (Landtagswahl) auf eine in diesem Ausmaß nicht erwartete Resonanz. Spezifische ökonomische Probleme sowie Schwierigkeiten in der Unterbringung von Ausländern schufen offensichtlich eine Stimmung in diesem Bundesland, die eine den Mitgliederkreis der DVU deutlich übersteigende Zahl von Wählern veranlaßte, dieser rechtsextremistischen Partei ihre Stimme zu geben. Die DVU, die mit der NPD in Bremen ein Wahlbündnis eingegangen war, wertete die erzielten 6,18 % der Stimmen (= 22.878 Stimmen) natürlich als "Triumph". Freilich verschwieg die DVU den kurze Zeit nach der Wahl wegen interner Querelen erfolgten Austritt eines wiedergewählten Abgeordneten aus der Partei sowie aus der Bremischen DVU-Fraktion und dessen Übertritt zur "Deutschen Liga". Mit den verbliebenen fünf Mandaten verfügt die DVU -44dennoch über Fraktionsstärke. Sie erhält zudem eine beträchtliche Wahlkampfkostenerstattung . Den propagandistischen Höhepunkt im öffentlichen Auftreten der DVU stellt alljährlich die Großveranstaltung der Partei in Passau dar, die am 16. Februar 1991 unter dem Motto "Deutschland den Deutschen" stattfand. Etwa 3.000 Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet und dem benachbarten deutschsprachigen Raum waren angereist. Unter den Teilnehmern befanden sich auch einige Skinheads, deren militante ausländerfeindliche Parolen und HITLERRufe Dr. FREY sich - angesichts der Öffentlichkeit der Veranstaltung - werbewirksam verbat. FREYs Erwiderung, die DVU sei keine ausländerfeindliche Partei, wirkte freilich wenig glaubwürdig und angesichts der sonstigen aggressiven Sprache eher deplaziert. Dr. FREY wurde auf der Veranstaltung, der auch der damals amtierende NPD-Parteivorsitzende beiwohnte, als Bundesvorsitzender der DVU wiedergewählt. Auch die DVU war im Jahre 1991 darum bemüht, in den fünf neuen Bundesländern Fuß zu fassen. Während aber einige neonationalsozialistische Gruppen sowie die NPD schon unmittelbar nach der Wende begonnen hatten, in der damals noch bestehenden DDR Aktivitäten zu entwickeln, hielt sich die DVU zunächst auffällig zurück. Im Jahr 1991 forcierte die Partei dann freilich energisch den Aufbau von Organisationseinheiten. So konnten neue Landesverbände der DVU für Berlin-Brandenburg, Thüringen, MecklenburgVorpommern, Sachsen-Anhalt und Sachsen gegründet werden. In den alten Bundesländern blieb die schwächliche Organisationsstruktur weitgehend unverändert. In Baden-Württemberg sind zwar dem Landesverband die Kreisverbände Mannheim/Heidelberg, Stuttgart, Nordwiirttemberg, Rems-Murr-Kreis, Karlsruhe, Hohenlohe, Heilbronn, Reutlingen und Ravensburg unterstellt, von diesen Organisationseinheiten sind aber praktisch keine erkennbaren Aktivitäten ausgegangen. Das einige Jahre praktizierte Wahlabkommen der DVU und NPD, bei Parlamentswahlen nicht gegeneinander zu kandidieren, aber die jeweilige Kandidatur der anderen Partei zu unterstützen, ist mit der Bundestagswahl im Dezember 1990 praktisch ausgelaufen. Wie die NPD sieht allerdings auch die DVU inzwischen in der neugegründeten "Deutschen Liga" einen "Spaltungsversuch", der das geregelte Nebenoder gar Miteinander des -45"nationalen Lagers" störe. Die Einladung an den damaligen amtierenden NPD-Bundesvorsitzenden zur Teilnahme in Passau sollte offenbar ein Zeichen der Solidarität im Kampf gegen neue "Miniaturgruppen" sein. Eine Neuauflage des Wahlabkommens bedeutet dies freilich nicht. Neben der Partei "Deutsche Volksunion" (DVU) tritt die bereits 1971 gegründete "Deutsche Volksunion e.V." (DVU) mit ihren Aktionsgemeinschaften "Aktion Oder-Neiße", "Volksbewegung für Generalamnestie" (VOGA), "initiative für Ausländerbegrenzung" (I.f.A.), "Aktion deutsches Radio und Fernsehen" (ARF), "Ehrenbund Rudel - Gemeinschaft zum Schutz der Frontsoldaten" (ER) "Deutscher Schutzbund für Volk und Kultur" kaum mehr eigenständig in Erscheinung. Sie bieten sich in der Regel in den FREYschen Zeitungen nur noch zum Beitritt an. Sonstige rechtsextremistische Organisationen "Deutsche Liga für Volk und Heimat" ("Deutsche Liga") Vor dem Hintergrund ausbleibender Erfolge und teilweise rückläufiger Mitgliederzahlen bei den rechtsextremistischen Parteien sowie den rechtsradikalen "Republikanern" konstituierte sich am 3. Oktober 1991 in VillingenSchwenningen eine "neue Rechtspartei" mit der Bezeichnung "Deutsche Liga für Volk und Heimat" ("Deutsche Liga"). Die Partei ging aus der am 18. Januar 1991 in München gegründeten "Deutschen Allianz - Vereinigte Rechte" (DA/VR) hervor, die vor allem von Funktionären und Mitgliedern der NPD, der DVU und der Partei "Die Republikaner" als "Sammlungsvereinigung demokratischer Patrioten" ins Leben gerufen worden war. Die DA/VR sah sich allerdings aufgrund einer einstweiligen Verfügung des Landgerichts München vom April 1991 wegen möglicher Namensverwechs- I -46lung mit einem Versicherungskonzern genötigt, eine Namensänderung vorzunehmen. Im August 1991 wurde dann der neue Parteiname endgültig auf "Deutsche Liga für Volk und Heimat" festgelegt. Neben der Partei bleibt der "Förderverein Vereinigte Rechte" als eingetragener Verein bestehen. Mit der moderaten Bezeichnung "neue Rechtspartei" und dem formalen Bekenntnis zur "Demokratie" versucht die "Deutsche Liga" den Eindruck zu erwecken, sie stünde außerhalb des rechtsextremistischen Lagers. Tatsächlich verschleiert auch sie ihre verfassungsfeindliche Grundposition. Verschiedene Programmaussagen, die politische Herkunft (extremistischer Vorlauf) eines Großteils ihrer Funktionäre, eindeutige interne Aussagen und publizistische Verlautbarungen bieten jedoch genügend Anhaltspunkte für ihre rechtsextremistische Zuordnung. Bezeichnend hierfür ist vor allem eine Reihe von programmatischen Forderungen, die ein auf die (Volks-) Gemeinschaft bezogenes Staatsverständnis deutlich hervorheben und sich im übrigen von ähnlichen Aussagen der NPD und DVU substantiell nicht unterscheiden. Wie andere rechtsextremistische Parteien will die "Deutsche Liga" die Rechte und die Stellung des einzelnen zugunsten der Gemeinschaft, des Staates, entscheidend beschneiden. Es gelte, die "Freiheit des einzelnen" dort zu begrenzen, wo der "Bestand der Gemeinschaft" gefährdet sei. Dies sei nötig, weil "Gruppenegoismen" der Parteien und Verbände vielfach die "Verantwortung für das Ganze" überlagerten. "Schäden am Gemeinschaftsbewußtsein" müßten unbedingt abgewendet werden. Ferner entfaltet die Partei inzwischen eine publizistisch aufwendige Agitation gegen Ausländer und Asylbewerber, deren Wesenskern überaus feindselig ist und an Rassendiskriminierung grenzt. In ihren politischen Erklärungen lehnt sie den angeblich drohenden "multikulturellen Einheitsbrei" ab. Gefordert werden dafür "NATION statt multikulturelle Gesellschaft" und eine Ausländerpolitik, die den "berechtigten Schutzinteressen des deutschen Volkes" entspreche. Der von der "Deutschen Liga" ständig vorgetragene "Patriotismus" ist seinem Wesen nach nationalistisch, ausländerfeindlich und damit den Minderheitenschutz gefährdend. Die rechtsextremistische Zielsetzung der "Deutschen Liga" überrascht freilich nicht sonderlich, sind doch zahlreiche verantwortliche Funktionäre zuvor - teilweise jahrelang - bereits für andere verfassungsfeindliche Parteien (z.B. die NPD) aktiv gewesen. Ihre Abwendung von diesen und die Hinwendung zur neuen Partei erfolgte nicht aus grundsätzlichen ideologischen Gründen, sondern aus der Überzeugung, daß NPD und DVU nicht in der Lage und -47auch nicht willens seien, sich von der Basis her zu erneuern und alte Parteistrukturen ("Betonköpfe") zu beseitigen. Die Kontinuität des über Jahre vertretenen politisch extremen Standpunkts - trotz Parteiwechsels in die "Deutsche Liga" - verkörpert beispielhaft Jürgen SCHÜTZ1NGER aus Villingen-Schwenningen. Er war langjähriger NPD-Landesvorsitzender und ist nun Mitglied des Sprecherrats (Bundesvorstand) der neuen Partei. Er äußerte im Februar 1991 im Zusammenhang mit der Kritik aus der NPD an seinen neuen Aktivitäten für die DA/VR: "... Wenn andere meinen, daß ihre Stunde jetzt gekommen sei, so hindert mich das keineswegs daran, auch fürderhin zum Wohle unseres Volkes im nationaldemokratischen Sinne zu wirken..." Bemerkenswert ist ferner, daß die "Deutsche Liga" offensichtlich den Beitritt ihrer Mitglieder zu anderen rechtsextremistischen Parteien und Vereinigungen nicht ausdrücklich beschränkt. Dadurch soll der "Sammlungscharakter" der Organisation unterstrichen werden. i Die "Deutsche Liga" - wie auch der Verein DA/VR - waren von Beginn an bemüht, ihren Bekanntheitsgrad möglichst rasch zu erhöhen und dem Ziel einer "nationalen Sammlungspartei" näherzukommen. Zu diesem Zweck fanden in den alten Bundesländern mehrere Großkundgebungen sowie Diskussionen und Informationsveranstaltungen statt. Dabei bildete Süddeutschland den Schwerpunkt dieser Aktivitäten, da die führenden Funktionäre der "Deutschen Liga" in den Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg beheimatet sind. Bei der offiziellen Gründung der Partei am 3. Oktober 1991 in VillingenSchwenningen wurden neben dem ehemaligen NPD-Funktionär Jürgen SCHÜTZINGER zwei frühere Mitglieder der "Republikaner" zu gleichberechtigten Vorstandssprechern gewählt. Einer von beiden war zudem früher ein enger Mitarbeiter des DVU-Vorsitzenden Dr. FREY. Aus Baden-Württemberg sind, außer SCHÜTZINGER, noch der ehemalige NPD-Bundesvorsitzende MUSSGNUG und der frühere NPD-Landesschatzmeister im Parteivorstand vertreten. Die Partei (Sitz: Berlin) verfügt im Bundesgebiet bisher - trotz aller Bemühungen - nur über eine unzureichende Infrastruktur mit lediglich vier Landesverbänden in Bayern, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Von den Ende 1991 etwa 800 Mitgliedern der "Deutschen Liga" waren rund 180 in dem in dem am 13. Oktober 1991 in Heidenheim/Brenz gegründeten Landesverband Baden-Württemberg organisiert. Dieser wird seit seiner Konstituierung von einem dreiköpfigen Spre- -48cherrat und zahlreichen Beisitzern geführt. Im Sprecherrat ist wiederum auch Jürgen SCHÜTZINGER vertreten. Zu den Beisitzern gehören neben Martin MUSSGNUG weitere ehemalige NPD-Mitglieder. Dem Landesverband Baden-Württemberg der "Deutschen Liga" sind derzeit ungefähr ein Dutzend Kreisverbände unterstellt. Überdurchschnittliche Aktivitäten entwickeln die Gliederungen der neuen Partei in den ehemaligen Hochburgen der NPD in Tuttlingen, Rottweil und im Schwarzwald-Baar Kreis. Dort bestehen zwar ebenfalls noch NPD-Kreisverbände, die aber aufgrund zahlreicher Übertritte ihrer Mitglieder zur "Deutschen Liga" weitgehend inaktiv oder spürbar eingeschränkt sind. Andere Kreisverbände der "Deutschen Liga" sind bisher lediglich mit einer dünnen Mitgliederdecke ausgestattet, so daß nur wenige politische Akzente gesetzt werden können. Bemerkenswert ist, daß die "Deutsche Liga" bereits in verschiedenen parlamentarischen Volksvertretungen repräsentiert ist, obwohl sie bisher an keiner Wahl teilgenommen hat. Durch einige Übertritte von Mandatsträgern rechtsradikaler sowie rechtsextremistischer Parteien zur "Deutschen Liga" ist sie sowohl im Europaparlament in Straßburg (Abgeordneter ist der frühere "Republikaner" und jetziges Bundesvorstandsmitglied der "Deutschen Liga", NEUBAUER) als auch seit November 1991 - durch den Übertritt eines DVUAbgeordneten - in der Bremischen Bürgerschaft vertreten. In Baden-Württemberg bildet SCHÜTZINGER bereits seit dem 1. Dezember 1990 mit zwei weiteren NPD-Stadträten und zwei Mandatsträgern, die früher den "Republikanern" angehörten, als "Vereinigte Rechte" eine Fraktionsgemeinschaft im Gemeinderat von Villingen-Schwenningen. Die drei Tuttlinger NPD-Stadträte sind ebenso wie ein "Republikaner"-Stadtrat in Pforzheim zur "Deutschen Liga" übergetreten und üben ihr Mandat faktisch nun für diese Partei aus. Als publizistisches "Sprachrohr" der "Deutschen Liga" erscheint in der RVGVerlagsund Vertriebs GmbH in Landshut monaüich die "Deutsche Rundschau" in einer Auflage von ca. 50.000 Exemplaren. Ihr Chefredakteur gehört dem Parteivorstand an. Trotzdem versteht sich die Publikation nicht als Parteiorgan, sondern als Zeitung für den "nationalgesinnten Mitbürger". Sie befaßt sich mit der gesamten Palette aktueller Politik, vorwiegend kommentiert sie in einschlägiger Form das Thema der Ausländerund Asylfrage. Daneben halten die mißbilligenden und gegen die Völkerverständigung gerichteten Vorwürfe wegen des deutsch-polnischen Grenzvertrags an. -49"Wiking-Jugend e.V." (WJ) Die im Jahre 1952 gegründete Wiking-Jugend zählt zu den ältesten rechtsextremistischen Jugend-Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland. Offizielles Abzeichen der WJ ist die "Odal-Rune". Die WJ hängt einer die germanischen Völker verherrlichenden Ideologie an. Sie wird nach dem Führerprinzip geleitet und steht - unwidersprochen - in der Tradition der "HITLERJugend". Der langjährige Bundesführer der WJ, Wolfgang NAHRATH aus Stolberg, übergab sein Amt beim 10. ordentlichen "Bundesüiing" am 6. Juli 1991 in Schmalkalden/Thüringen an seinen Sohn Wolfram NAHRATH. Die damit nach vierjähriger Einarbeitung angetretene "junge Führung" ist von Kindheit an in diese Aufgabe hineingewachsen. Sie stammt ohne Ausnahme aus sogenannten volkstreuen Familien, die ihr "volkstreues artbewußtes Gedankengut" an die junge Führungsmannschaft weitergegeben haben. Ihre Aufgabe sieht die Wiking-Jugend seit Jahren darin, Kindern und Jugendlichen in den alten und jetzt auch in den neuen Bundesländern (Gaugründungen sind dort bereits erfolgt) rechtsextremistisches Gedankengut zu vermitteln. In Lagern, bei Familienwandertagen, Erntedankund Heldengedenkfeiern sollen die jungen Mitglieder der WJ gegen die angeblich schädigenden Verlockungen einer pluralistischen Gesellschaft immun gemacht werden. Die WJ gibt jährlich einen "Wiking-Jugend Fahrtenplan" heraus, aus dem alle Termine der geplanten Veranstaltungen des Bundes zu entnehmen sind. Als Zentralorgan verbreitet sie bundesweit den "Wikinger" und auf "Gauebene" (etwa Länderebene) den "Odalbrief", in denen über die durchgeführten Treffen berichtet wird. Hatte die WJ in den vergangenen Jahren Kontakte zu neonationalsozialistischen Gruppen nicht gescheut, so fiel 1991 auf, daß offensichtlich wieder eine stärkere Annäherung an die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) vollzogen wurde. "Die Deutsche Freiheitsbewegung e.V." (DDF) und "Bismarck-Jugend" (BJ) "Die Deutsche Freiheitsbewegung e.V." macht nach dem Abgang ihres langjährigen Vorstands, Generalmajor a.D. REMER, lediglich noch mit ihrem Organ "Recht und Wahrheit" auf sich aufmerksam. Herausgegeben wird die zweimonatlich erscheinende Schrift von dem jetzigen Vorsitzenden der DDF, Georg Albert BOSSE. Auch ihm gelang es bislang nicht, die Organisation im neonationalsozialistischen Umfeld fester zu verankern. Unverändertes Ziel der Gruppierung ist die Schaffung eines nationalistisch-neutralistischen "Großdeutschland". Die im April 1989 entstandene Jugendorganisation der DDF, die "BismarckJugend" (BJ), hat vermutlich aufgrund von Zerwürfnissen mit der DDF-Organisationsleitung seit dem Jahreswechsel 1990/91 ihre Aktivitäten nahezu eingestellt. Wortführer bzw. "Gebietsleiter" der BJ war ein Aktivist aus Ulm. Dieser hielt seit etwa Anfang 1991 in unregelmäßigen Abständen und ohne organisatorische Bindung nur noch einen "Stammtisch für Deutschgesinnte" ab, an dem etwa 20 Personen aus dem regionalen Bereich oder der näheren Umgebung teilnahmen. REMER selbst machte 1991 noch durch die Herausgabe der Flugschrift "Remer-Depesche", auf sich aufmerksam, die u.a. den "Holocaust" während des "Dritten Reiches" verharmlost. Internationale Verflechtungen des Rechtsextremismus Das Bemühen um Vertiefung bereits seit Jahren bestehender grenzüberschreitender Kontakte zwischen rechtsextremistischen Aktivisten des Inund Auslands war kennzeichnend für das Jahr 1991. Persönliche Begegnungen sowie überregionale Treffen dienten der Intensivierung des gegenseitigen Informationsaustausches . Die international operierende Vereinigung "Europäische Neuordnung" (ENO) mit Sitz in Lausanne/Schweiz führte am 30. und 31. März 1991 in Haguenau/Elsaß ihre traditionelle Jahresversammlung durch. An ihr nahmen Personen aus der Bundesrepublik Deutschland, Argentinien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und der Schweiz teil. Auch eine weitere außerordentliche Veranstaltung im September 1991 in Haguenau wurde erneut von zahlreichen Teilnehmern aus verschiedenen europäischen Ländern besucht. Zu ihr hatte der ehemalige Leiter der 1991 aufgelösten neonationalsozialistischen "Bürgerund Bauerninitiative e.V." (BBI), Thies CHRISTOPHERSEN, eingeladen. -51Insbesondere jüngere deutsche Rechtsextremisten unterhalten seit einigen Jahren intensiver werdende Verbindungen zu der neonationalsozialistisch ausgerichteten spanischen Gruppierung "Circulo Espanol de Amigos de Europa" (CEDADE - Spanischer Kreis der Freunde Europas). Die Vereinigung hatte für den 16. und 17. November 1991 zu einem europäischen Treffen in Madrid aufgerufen, dem eine große Zahl von ausländischen Rechtsextremisten aus Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Österreich und der Schweiz folgte. Anlaß der Zusammenkunft waren der Todestag des ehemaligen spanischen Diktators FRANCO und die Ehrung von acht im spanischen Bürgerkrieg gefallenen deutschen Soldaten der damaligen "Legion Condor". Die Verbreitung einschlägiger neonationalsozialistischer Publikationen des Auslands in Deutschland hielt auch im Jahre 1991 unvermindert an: Der aus Deutschland stammende amerikanische Staatsbürger Gary Rex LAUCK lieferte den größten Teil seines NS-Propagandamaterials (vorwiegend Hakenkreuzaufkleber und Kleinplakate mit neonationalsozialistischer Agitation) von Lincoln/Nebraska aus ins Bundesgebiet. Als "Organisationsund Propagandaleiter" der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei/Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP/AO) verlegt und verbreitet er jeden zweiten Monat seine Zeitschrift "NS-Kampfruf". Die aggressiv antisemitische und rassistische Grundhaltung LAUCKs verdeutlicht das nachfolgende Beispiel. In der Mai-JuniAusgabe 1991 äußerte er sich unter der Schlagzeile "Juden Raus!" unter anderem wie folgt: "... Wir alle erleben in diesen Tagen, wie durch die tägliche Einschleusung von 200 bekennenden Juden aus Rußland und die tägliche, illegale Einwanderung von weiteren 800 sogenannten Asylanten aus aller Welt ein aggressiver, rassischer Angriff gegen unser Volk einem gefährlichen Höhepunkt entgegentreibt..." In diesem Zusammenhang bekräftigte er - sozusagen als Gegenmittel - die Forderung nach Unterstützung der NSDAP/AO. Aus Kanada wurde von dem dort lebenden Deutschen und international als "Revisionisten" (Leugner des "Holocaust") bekannten Ernst ZÜNDEL weiterhin einschlägiges politisches Aufklärungsmaterial in das Bundesgebiet verbracht. Im Rahmen seines "Samisdat-Verlages" gibt er seit Jahren sogenannte "Rundbriefe" mit dem Titel "Germania" heraus. Das Amtsgericht München verurteilte ZÜNDEL am 16. Dezember 1991 wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß zu einer Geldstrafe von 12.600,DM. -52ZÜNDEL hatte in Videos die Ermordung von Juden unter dem NS-Regime in Abrede gestellt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Eine weitere, seit langem regelmäßig erscheinende rechtsextremistische Agitationsschrift ist die Monatsschrift "SIEG" des Österreichers Walter OCHENSBERGER aus Sibratsgfäll. Nach einer Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Feldkirch vom 30. Mai 1991 wurde OCHENSBERGER in seinem mittlerweile vierten Gerichtsverfahren vorgeworfen, in mehreren Ausgaben seiner Publikation "SIEG" ausländerfeindlich und antisemitisch gehetzt und propagiert zu haben. OCHENSBERGER wurde am 9. Dezember 1991 vom Landgericht in Feldkirch wegen "Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinne" zu 3 Jahren Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Mit Beschluß vom 5. April 1991 ordnete das Amtsgericht München die Beschlagnahme aller Exemplare der Ausgabe Nr. 73 der Schriftenreihe "Kritik - die Stimme des Volkes" an, die im "Nordwind-Verlag" des Thies CHRISTOPHERSEN in Kollund/Dänemark erscheint. Der Titel der beschlagnahmten Schrift lautet "Auschwitz: Das Schweigen von Heidegger oder Kleine Einzelheiten". Die Publikation nahm in diesem Beitrag eine französische Fernsehsendung über den deutschen Philosophen Martin HEIDEGGER zum Anlaß, Adolf HITLER zu verherrlichen und Juden zu beschimpfen. Das Gericht stellte in seinem Beschluß fest, daß jede vorsätzliche Verbreitung des Druckwerkes die Tatbestände der Volks Verhetzung, der AufStachelung zum Rassenhaß, der Beleidigung, der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und des Vertreibens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen erfüllen würde. "Revisionismus'-Kampagne * Im internationalen Rechtsextremismus machte 1991 ein Personenkreis verstärkt auf sich aufmerksam: die sogenannten Revisionisten. Die Vertreter dieser im Sprachgebrauch als "Revisionismus" bezeichneten Bewegung stellen - neben einer für notwendig erachteten Korrektur der angeblich falsch dargestellten Geschichte des Nationalsozialismus und des "Dritten Reiches" - insbesondere die Leugnung der Massenvernichtung von Juden in Gaskammern durch die Nationalsozialisten, den sogenannten Holocaust, in den Mittelpunkt ihrer Agitation. Bei ihrem mit pseudowissenschaftlichen Methoden verfolgten Vorhaben, den Nationalsozialismus von seiner "größten Schuld" zu befreien, ( -53sind die "Revisionisten" allerdings gezwungen, geschichtliche Tatsache und Forschungsergebnisse zu mißachten bzw. zu negieren. Bereits seit Mitte der sechziger Jahre erschienen zahlreiche Publikationen, die sich mit der Leugnung des "Holocaust" befaßten. Die Autoren dieser Machwerke, darunter der Agrarjournalist Thies CHRISTOPHERSEN mit seiner Schrift "Die Auschwitz-Lüge" und der später suspendierte Richter Wilhelm STÄGLICH mit seinem Buch "Der Auschwitz-Mythos", versuchten mit abstrusen Behauptungen den historischen Nachweis zu führen, daß es in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten keine Tötung von Juden gegeben habe oder zumindest nicht in dem immer wieder behaupteten Ausmaß. Daß es sich bei dem "Revisionismus" um eine internationale Bewegung handelt, beweisen die Veröffentlichungen weiterer prominenter Vertreter dieser Auffassung aus dem Ausland. Dazu zählen neben dem in Kanada lebenden deutschen Neonationalsozialisten Ernst ZÜNDEL beispielsweise der umstrittene Schriftsteller David IRVING (Großbritannien), Professor Robert FAURISSON (Frankreich), Fred LEUCHTER (USA), Gerd HONSIK und Walter OCHENSBERGER (beide Osterreich) sowie Max WAHL (Schweiz). In den letzten Jahren intensivierten die "Revisionisten" ihre Agitationskampagne deutlich. Auslöser dafür war ein 1988 vor dem Bezirksgericht Toronto/Kanada gegen ZÜNDEL anhängiges Verfahren wegen der wissentlichen Verbreitung falscher Nachrichten. Der Angeklagte legte zu seiner Entlastung ein von dem Amerikaner LEUCHTER 1988 verfaßtes, angeblich wissenschaftlich fundiertes "Gutachten" vor, demzufolge in den von ihm untersuchten Konzentrationslagern des "Dritten Reiches" alle technischen Voraussetzungen für den Massenmord an Juden gefehlt hätten. Dieser in der Folgezeit zunehmend verbreitete "LEUCHTER-Bericht" gilt seither den Rechtsextremisten allgemein als Grundlage für ihre auf eine Rehabilitierung des Nationalsozialismus zielenden revisionistischen Aussagen, ungeachtet der Tatsache, daß die darin getroffenen Feststellungen von namhaften Wissenschaftlern und Forschungsinstituten inzwischen eindeutig widerlegt wurden. Im Rahmen ihrer verstärkt betriebenen Agitationskampagne waren die "Revisionisten" auch in der Bundesrepublik Deutschland darum bemüht, sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Der Verwirklichung dieses Vorhabens sollte unter anderem das am 23. März 1991 im Kongreßsaal des Deutschen Museums in München geplante "weltgrößte Revisionistentreffen" (Initiator: ZÜNDEL) dienen. Dieses Treffen konnte jedoch nicht wie vorgesehen stattfinden, nachdem die Verwaltung des Museums den Miervertrag I -54nach Bekanntwerden des rechtsextremistischen Hintergrundes gekündigt hatte und Rechtsbehelfe gegen diesen Entscheid erfolglos geblieben waren. Daraufhin waren führende "Revisionisten" wie FAURISSON, IRVING und LEUCHTER neben anderen auf einer vor dem Deutschen Museum als "Mahnwache" deklarierten Protestkundgebung vor etwa 350 Zuhörern aufgetreten, die ihre Ausführungen mit Beifall bedachten. In der Folgezeit fanden im Zuge der "Revisionismus"-Kampagne weitere Veranstaltungen in verschiedenen Bundesländern, unter anderen in BadenWürttemberg, statt. So traten LEUCHTER und ZÜNDEL am 3. November 1991 in Leinfelden-Echterdingen auf. Am 6. November 1991 referierte IRVING, der seit Jahren auch regelmäßig bei DVU-Veranstaltungen auftritt, vor etwa 70 geladenen Gästen in einer Gaststätte in Pforzheim-Büchenbronn, nachdem die Stadt Pforzheim den Mietvertrag für den ursprünglich angemieteten Saal gekündigt hatte. Dabei behauptete IRVING einmal mehr, es gebe keinen Beweis für den "Holocaust", Auschwitz sei "nur eine Touristenattrappe". Wenige Tage danach, am 10. November 1991, trat LEUCHTER in Weinheim auf einer von dem NPD-Bundesvorsitzenden Günter DECKERT organisierten Diskussionsveranstaltung auf. Dort, wo bereits am 1. September 1991 eine - frühzeitig verbotene - "Revisionistentagung" stattfinden sollte, verkündete LEUCHTER wiederum, daß er bei seinen "wissenschaftlichen Forschungen" in den KZ-Krematorien von Auschwitz und Majdanek keine Vergasungsanlagen habe feststellen können. Seiner Ansicht nach hätten damals täglich höchstens sechs bis sieben Tote verbrannt werden können. Demzufolge hätte es insgesamt 68 Jahre dauern müssen, um sechs Millionen Juden zu vernichten. Gesetzesverletzungen mit rechtsextremistischem Hintergrund In Baden-Württemberg wurden im Jahre 1991 - wie im übrigen Bundesgebiet - deutlich mehr Gesetzesverletzungen mit rechtsextremistischem Hintergrund bekannt als in den Vorjahren. Insgesamt belief sich die Zahl der erfaßten Delikte auf 610 (Vorjahr: 472). Insbesondere war ein erheblicher Anstieg von Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund zu verzeichnen, die sich schwerpunktmäßig gegen Unterkünfte von Asylanten richteten. Die Gewaltaktionen eskalierten bundesweit nach den Ausschreitungen in Hoyerswerda/Sachsen in der Zeit vom 17. - 22. September 1991. Ferner waren in Baden-Württemberg Schmierund Klebeaktionen sowie Aktionen gegen jüdische Mitbürger und Einrichtungen festzustellen. -55Seit Anfang 1991 haben auch Skinhead-Gewalttaten mit rechtsextremistischem Bezug bundesweit eine deutliche Zunahme erfahren. Die nachfolgenden Beispiele beschränken sich auf gravierende Straftaten dieses Personenkreises in Baden-Württemberg. Dabei sind nur Gewaltakte berücksichtigt, an denen Skinheads eindeutig beteiligt waren: 5. Februar 1991: Zwei Skinheads, die zunächst vorgaben, Polizeibeamte zu sein, drangen in ein Zimmer einer Asylantenunterkunft in Reutlingen ein und traktierten die Bewohner mit Faustschlägen und Fußtritten. 23. Februar 1991: In Friedrichshafen kam es zu einer gewalttätigen Aus- , einandersetzung zwischen Skinheads und türkischen Staatsangehörigen, in deren Verlauf "Skins" in ein Jugendhaus eindrangen, gezielt auf Ausländer einschlugen und Tränengas versprühten. Drei Türken wurden im Gesicht verletzt. 9. März 1991: Offensichtlich weil sie einen dunkelhäutigen Freund hatte, wurde eine Frau nach dem Verlassen eines Lokals in Reutlingen von zwei Skinheads festgehalten, während ein Dritter auf sie einschlug. 6. April 1991: Nachdem ein ursprünglich in Nellingen beabsichtigtes Skinhead-Konzert kurzfristig in ein Lokal in Stuttgart verlegt worden war, kam es durch einen Teil der etwa 80 Skinheads - die keinen Platz mehr in der Gaststätte gefunden hatten - zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Diese verhinderte durch ihr Einschreiten eine Konfrontation mit ebenfalls anwesenden Personen des "linken" Spektrums. 15. Juni 1991: Nach einem vorausgegangenen Wortgefecht in einer Gaststätte in Friedrichshafen stach ein Skinhead mit einem Schmetterlingsmesser auf einen Angolaner ein, der dabei tödliche Verletzungen erlitt. 6. Juli 1991: Während eines Grillfestes mehrerer türkischer Staatsangehöriger in Ostfildern-Ruit, an dem auch ein Deutscher teilnahm, erschienen vier Skinheads und verwickelten die Anwesenden in Tätlichkeiten, die zu schweren Körperverletzungen auf beiden Seiten führten. Der zunächst unbeteiligte Deutsche wurde von einem Skinhead durch Messerstiche lebensgefährlich verletzt. 7. September 1991: Mit zum Teil rußgeschwärzten Gesichtern überfielen sieben "Skins" in Metzingen einen Jugendklub und zertrümmerten die Einrichtung, weil sie dort einen Treffort von Personen des "linken" Spektrums sowie Rauschgiftkonsumenten vermuteten. Bereits am 9. Juni 1991 hatten dort 12 Skinheads eine gewalttätige Auseinandersetzung mit Jugendlichen der "linken" Szene ausgelöst, die von der Polizei beendet werden mußte. -562. Oktober 1991: Ein türkischer Staatsangehöriger wurde von mehreren Skinheads, darunter einer weiblichen Person, in Mannheim so zusammengeschlagen, daß er sich zwei Operationen unterziehen mußte. 5. Oktober 1991: Während eines Straßenfestes in Brühl wurden drei Nigerianer von fünf Personen, darunter drei Skinheads, massiv tätlich angegriffen und mißhandelt. Dabei würgten die Angreifer einen Afrikaner, bei einem anderen drückten sie eine Zigarette im Ohr aus. 19. Oktober 1991: In Ludwigsburg kam es im Bahnhofsbereich zu einer Konfrontation zwischen ca. 350 Ausländern und 30 Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum, dem auch Skinheads angehörten. Durch das Eingreifen der Polizei konnte eine Eskalation verhindert werden. 11. November 1991: Eine Gruppe von vier bis sechs Personen skandierte vor dem Asylantenwohnheim in Heidenheim ausländerfeindliche Parolen wie "Wenn Hitler hier wäre, wärt ihr nicht hier" und warfen dabei faustgroße Steine gegen Fenster des Wohnheims. Unter den Tätern waren drei Skinheads, die auch im Verdacht stehen, bereits am 12. Oktober 1991 vor einem anderen Asylantenwohnheim in Heidenheim randaliert zu haben. 23. November 1991: Ein Asylantragsteller, der sich in Begleitung einer Deutschen befand, wurde in Schwäbisch Gmünd in der Fußgängerzone von einem Skinhead mit den Worten "We want the Ku-Klux-Klan" angesprochen und anschließend mit Tränengas besprüht. Die deutsche Begleiterin beschimpfte der Skinhead als "Negerhure". 30. November 1991: Ein in Deutschland geborener 18jähriger Türke und dessen beide deutschen Freunde wurden in Mannheim in einer Fußgängerunterführung von drei Skinheads angerempelt. Auf die Frage, wer von ihnen der "ScheißTürke sei, gab sich der Türke als solcher zu erkennen, worauf ihn einer der Skinheads mit einer Schreckschußwaffe aus kurzer Distanz gegen den Kopf schoß und ihn an Stirn und Nasenrücken verletzte. Die Täter konnten unerkannt entkommen. Beispiele für sonstige Gewaltaktionen von Rechtsextremisten: 14./15. Januar 1991: Zum zweiten Mal stürzten unbekannte Täter auf dem jüdischen Friedhof in Ihringen/Kaiserstuhl zahlreiche Grabsteine um und besprühten andere mit rechtsextremistischen sowie pro-irakischen Parolen (ein ähnlicher Vorfall hatte sich bereits am 24725. August 1990 ereignet). -5713. Oktober 1991: Unbekannte Täter setzten in Oftersheim den PKW des Vorsitzenden des Zentralrats der Sinti und Roma in Brand; der dabei entstandene Sachschaden belief sich auf ca. 50.000,DM. 12. November 1991: Brandanschlag auf das Asylbewerberwohnheim in Gundelfingen. Der Täterschaft sind fünf Personen verdächtigt; eine Person legte ein Geständnis ab und wurde vom Amtsgericht Freiburg zu einer Jugendstrafe von 6 Monaten mit zweijähriger Bewährung verurteilt. 22. November 1991: Brandanschläge in Freiburg (Asylbewerberwohnheim) und auf zwei polnische Touristen, die bei Kenzingen in ihrem Auto übernachteten. 30. November/ Die Euthanasiegedenkstätte auf dem Hauptfriedhof in 2. Dezember 1991: Konstanz wurde mit neonazistischen Parolen - u.a. mit "Jude verrecke" - besprüht. In der Nähe der Gedenkstätte befindet sich der jüdische Friedhof. Als vermutliche Täter konnten drei Personen aus dem Raum Konstanz ermittelt werden. -59Linksextremismus Allgemeiner Oberblick Noch immer sind die linksextremistischen Terroristen die aggressivsten und brutalsten Gegner des freiheitlichen Rechtsstaats. Seit nunmehr über 20 Jahren existiert in der Bundesrepublik Deutschland das Phänomen des linksextremistischen Terrorismus. Nachdem 1968 die ersten Brandanschläge auf zwei Kaufhäuser in Frankfurt am Main verübt wurden, 1970 Andreas BAADER - einer der Brandstifter - gewaltsam aus der Strafhaft befreit wurde und 1971 der selbstgewählte Name "Rote Armee Fraktion" (RAF) erstmals auftauchte, bedient sich die Terrorgruppe des "bewaffneten Kampfes" mittlerweile bereits in der 4. Generation, um die eigenen verqueren politischen Vorstellungen durchzusetzen. Der gezielte Einsatz von Gewalt gegen Menschen und Sachen wird als "legitimes Mittel der Politik" deklariert. Auch die offensichtliche Aussichtslosigkeit dieser Vorgehensweise sowie der Zusammenbruch des kommunistischen Weltsystems haben bisher zu keiner Abkehr von der Gewalt geführt. Vielmehr hat die RAF im Jahre 1991 erneut mit zwei verbrecherischen Aktionen auf sich aufmerksam gemacht: Am 13. Februar 1991 - etwa vier Wochen nach Beginn des Golfkriegs - mit dem Schußwaffenanschlag auf die US-Botschaft in Bonn und am 1. April 1991 mit der Ermordung des Präsidenten der Treuhandanstalt, Dr. Detlev Karsten ROHWEDDER. Obwohl die RAF damit erneut unter Beweis gestellt hat, daß sie auch weiterhin willens und jederzeit in der Lage ist, das Mittel Terror brutal einzusetzen, hatten diese Aktionen nicht den beabsichtigten Erfolg. Stattdessen rissen die seit Jahren latent vorhandenen Differenzen zwischen den in der Illegalität agierenden "Kommandos" und dem am Rande der Legalität angesiedelten Unterstützerbereich weiter auf. Die durch die Bündelung aller Kräfte angestrebte "antiimperialistische Front" konnte nicht erreicht werden. Vielmehr löste die Terrorgruppe mit der unerwarteten Änderung ihres taktischen Vorgehens im Falle des Schußwaffenanschlags auf die US-Botschaft im RAFUmfeld erhebliche Irritationen und Verunsicherungen aus, die zu heftigen, kontrovers geführten Diskussionen führten. Letztlich konnten weder die terroristischen Anschläge der RAF, noch die ideologischen Öffnungsversuche ("Basisverbreiterung"), noch die Aufgabe des elitären Führungsanspruchs die Reihen der Unterstützer schließen oder gar einen länger anhaltenden Mobilisierungseffekt erreichen. -60Die Themen, die die terroristische Unterstützerszene 1991 besonders aufgriff, waren der Golfkrieg, die Wiedervereinigung Deutschlands sowie die Asylund Ausländerpolitik. Allerdings waren eigenständige Aktivitäten nur punktuell festzustellen, Gewaltakte aus der terroristischen Unterstützerszene blieben nahezu ganz aus. Immer häufiger engagiert sich das RAF-Umfeld am Rand einer allgemeinen Protestbewegung. Das Thema Zusammenlegung der inhaftierten terroristischen Gewalttäter führte im Sommer 1991 zu einem kurzfristigen Aufflackern der Unterstützeraktivitäten. Im März 1991 waren bei Zellendurchsuchungen Papiere sichergestellt worden, die den Verdacht nährten, daß die Inhaftierten zumindest in die Strategiediskussion der RAF aktiv eingebunden sind und über zuverlässige, unkontrollierte Kommunikationswege nach "draußen" verfügen. Der Druck auf die RAF durch die alsbald erfolgte Veröffentlichung dieser "Zellensteuerungstheorie" durch die Medien war offenbar so stark, daß die Kommandoebene sich zur Abgabe einer Gegendarstellung genötigt sah. Zu tiefgreifender Verunsicherung innerhalb der "Szene" führte zudem die Unsicherheit über das Ausmaß der Zusammenarbeit zwischen der RAF und dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR. Trotz eines Erklärungsversuchs durch den Inhaftierten POHL blieben bei vielen Unterstützern Unverständnis und Zweifel bestehen. Zahlenmäßig sind innerhalb des terroristischen Unterstützerbereichs BadenWürttemberg keine größeren Veränderungen feststellbar. Auch weiterhin kann von knapp 50 Aktivisten ausgegangen werden, die sich schwerpunktmäßig auf die Städte Stuttgart, Freiburg, Tübingen und Karlsruhe verteilen. Weiter verdichtet haben sich die Verflechtungen des terroristischen Umfelds mit den gewaltbereiten Autonomen. Sowohl der Bereich der Asylund Ausländerpolitik als auch der militante "Kampf gegen rechts" bieten sich derzeit in besonderer Weise als Feld für gemeinsame Aktionen an. In dem Bestreben, den "revolutionären Widerstand" auf eine breitere Basis zu stellen, treten unterschiedliche politische Standpunkte zunehmend in den Hintergrund. Allerdings läßt sich weder bei den Aktivitäten noch bei der zahldnmäßigen Entwicklung dieser "Szene" ein bundeseinheitlicher Trend erkennen. In einigen Regionen sind die Zahl der Gewalttaten und ihre Brutalität deutlich angestiegen. Demgegenüber bewegen sich Anzahl und Ausmaß der militanten Aktionen in Baden-Württemberg seit einigen Jahren auf einem etwas geringeren Stand. Auch die Personenzahlen lassen dieses Nord-Süd-Gefälle erkennen: während durch Zuwachs in einigen nördlichen Bundesländern die Zahl der bundesweit geschätzten militanten Autonomen auf etwa 2.700 (1990: -61 - 2.300) angestiegen ist, umfaßt das Spektrum in Baden-Württemberg durch eine anhaltend rückläufige Tendenz jetzt etwa 230 (1990: 250) Personen. Die existentielle Krise der meisten linksextremistischen Parteien und Zirkel hält an. Einige haben sich auf deutlich niedrigerem Niveau stabilisiert, andere sich sogar aufgelöst. Symptomatisch ist die Mitgliederentwicklung bei der ehemals stärksten extremistischen Kraft, der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP): zählte sie 1988 bundesweit noch rund 35.000 Mitglieder, so ging diese Zahl über 22.000 (1989), 11.000 (1990) auf nunmehr knapp 8.000 zurück. In Baden-Württemberg zählte sie Ende 1991 allenfalls noch 700 (1988: 2.400) Mitglieder. Selbst einige Gruppierungen der revolutionär-marxistischen "Neuen Linken" sind inzwischen in den Sog der weltweiten Krise des Marxismus-Leninismus geraten. Linksextremistischer Terrorismus Im Jahre 1991 hat sich erneut auf schreckliche Weise bestätigt, daß der linksextremistische Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland auch weiterhin eine lebensbedrohende Gefahr darstellt. Die terroristische Gewalt von "Rote Armee Fraktion" (RAF) und - in geringerem Maße "Revolutionären Zellen" (RZ) sowie deren Frauengruppe "Rote Zora" - forderte erneut ein Menschenleben; die Sachschäden bewegen sich in Millionenhöhe. Eine weitere Person kam durch linksextremistisch motivierte politische Gewalttäter, die wahrscheinlich einer dieser Gruppen nahestehen, ums Leben. Die linksextremistischen Terrorgruppen verfolgen mit ihren brutalen, gewalttätigen Aktionen den Zweck, dem demokratischen Gesellschaftssystem zu schaden und seine anerkannten Werte zu diffamieren. Hohe Funktionsträger, vornehmlich aus Politik und Wirtschaft, werden gezielt ermordet. Potentielle Nachfolger sollen so derart verunsichert werden, daß sich niemand mehr bereit findet, ein exponiertes Amt zu übernehmen. Diese Anschläge sind auf eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des gesellschaftlichen Systems ausgerichtet. Die abstrusen Vorstellungen der terroristischen Gewalttäter zielen darauf ab, aus einem gewaltsam herbeigeführten Chaos die Umsetzung der eigenen Ziele zu verfolgen, d. h. aus einer künstlich geschaffenen vorrevolutionären Situation die angestrebte kommunistische Gesellschaft zu errichten. Selbst der völlige Zusammenbruch und das dadurch sichtbar gewordene Versagen der sozialistischen Gesellschaftssysteme in Osteuropa konnten die wirren politischen Vorstellungen und die brutale, menschenverachtende 62 Vorgehensweise linksextremistischer Terroristen zumindest bisher nicht nachhaltig erschüttern. Allerdings haben die weltpolitischen Veränderungen in den Unterstützergruppen der Terroristen unübersehbare Spuren der Verunsicherung zurückgelassen. Die Auswahl der Anschlagsziele zeigte einmal mehr, daß terroristische Gruppierungen jede ihnen wichtig erscheinende tagespolitisch aktuelle Konfliktsituation aufzugreifen versuchen, um ihre eigenen politischen Ziele in Verbindung mit dem aktuellen Geschehen einer breiteren Öffentlichkeit näherzubringen. Insbesondere drei Themenbereiche boten RAF und RZ im Jahr 1991 Anlaß zu gewalttätigen Aktionen: o der Golfkrieg o der gesamte Entwicklungsprozeß im Osten Deutschlands o die Asylund Ausländerfrage. Die folgenschwersten Anschläge waren die Ermordung des Präsidenten der Treuhandanstalt, Dr. Detlev Karsten ROHWEDDER, am 1. April 1991 in Düsseldorf durch die RAF sowie der tödliche Ausgang eines Briefbombenattentats gegen den Berliner Regierungsbeamten Hanno KLEIN am 12. Juni 1991. Hier konnte der Täterkreis bisher jedoch noch nicht zweifelsfrei identifiziert werden. 2.1 "Rote Armee Fraktion" (RAF) Inhaftierte Diskussionen Info-Austausch RAF-Mltglleder illegale Militante Kämpfende *^*Einheiten gf-Rekrutier ung- - ^]" RAF - Unterstützerszene -632.1.1 RAF-Kommandoebene Aktionen Die aus der Illegalität heraus operierende Kommandoebene der "Rote Armee Fraktion" (RAF) wird auf etwa 15-20 Mitglieder geschätzt. Sie ist, wie sich auch im Jahre 1991 wieder zeigte, jederzeit zu schwersten Gewalttaten in der Lage. Die 1989 mit der Ermordung des Vorstandssprechers der Deutschen Bank AG, Dr. HERRHAUSEN, begonnene Angriffsphase der Teirorgruppe hat über das Jahr 1990 hinaus (geplanter Anschlag auf Bundeslandwirtschaftsminister KIECHLE und Sprengstoffattentat gegen Staatssekretär NEUSEL) im Jahr 1991 ihre Fortsetzung gefunden. Am Abend des 13. Februar 1991 beschossen Terroristen des "RAF-Kommandos Vincenzo SPANO* von der gegenüberliegenden Rheinseite aus die US-Botschaft in Bonn. Personen wurden hierbei nicht verletzt, die Einschüsse verursachten lediglich Sachschäden am Gebäude. Tod oder Verletzung von zufällig in der Schußlinie stehenden Botschaftsangehörigen wurden jedoch bei dieser wenig zielgerichteten Durchführung in Kauf genommen. Hintergrund des Anschlags war das am 17. Januar 1991 begonnene militärische Vorgehen der USA und ihrer Verbündeten gegen die irakischen Truppen am Golf, die Monate zuvor Kuwait überfallen hatten. Mit der Aktion versuchte die RAF, sich "in eine Reihe mit all denen" zu stellen, die "rund um den Globus gegen diesen US-NATO-Völkermord (Anmerkung: am irakischen Volk) aufgestanden sind". Sie spielte damit auf die breite Protestbewegung an, die der Krieg ausgelöst hatte. Weiter forderte die RAF ein "Zusammenwirken der verschiedensten Initiativen" einschließlich aller möglichen Aktionsformen von Terroranschlägen bis hin zu Blockadeaktionen, Demonstrationen und Mahnwachen. Der zweite Anschlag der RAF wurde in der Nacht des 1. April 1991 auf den Präsidenten der Treuhandanstalt, Dr. ROHWEDDER, verübt. Er wurde durch das geschlossene Fenster hindurch im Arbeitszimmer seines Düsseldorfer Wohnhauses erschossen. In der Taterklärung des "Kommandos Ulrich * Zwei Wochen später räumten die Illegalen ein, sich in der Kommandobezeichnung geirrt zu haben. Tatsächlich sei "Circo RIZATTO" der eigentlich beabsichtigte Name gewesen. Dieser Aktivist der französischen Terrorgruppe "Action Directe" war 1983 von der Polizei erschossen worden. SPANO hingegen saß in Frankreich in Haft. Die RAF benennt ihre Kommandos stets nach verstorbenen "Märtyrern". -64WESSEL"* wird in RAF-typischer, verzerrter Form gegen die Funktion des Präsidenten der Treuhandanstalt im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Aufbau der fünf neuen Bundesländer polemisiert. Die Terrorgruppe nahm damit die Schwierigkeiten und sozialen Härten der Bevölkerung Ostdeutschlands im Zuge der Umstellung auf die soziale Marktwirtschaft zum Anlaß für den Mord an Dr. ROHWEDDER. Auch bei diesem Verbrechen spekulierte die Gruppe auf Zustimmung zu ihrer Tat außerhalb der eigenen Reihen und erhoffte sich sogar Verständnis "von den Menschen in der Ex-DDR". Tatsächlich wurde aus Kreisen der militanten Autonomen Befriedigung und sogar Freude über die Ermordung von Dr. ROHWEDDER geäußert und das Opfer als "Spitzenschwein" diffamiert. Ferner hob die RAF in der Taterklärung nochmals ihre Bereitschaft zum gemeinsamen Vorgehen sowohl auf nationaler wie internationaler Ebene gegen die "neue Weltordnung" des "Imperialismus" hervor und forderte den "Aufbau revolutionärer Gegenmacht". Des weiteren unterstrich sie ihre besondere Verbundenheit mit den inhaftierten Terroristen: Bemühungen um deren Freiheit seien eine Frage der eigenen Identität. Öffnungsversuche In ihrem Bemühen, sich innerhalb des "revolutionären Widerstands" stärker zu verankern und nicht mehr wie früher als Avantgarde der Linken aufzutreten (nicht zuletzt dieser elitäre Anspruch hat die RAF sehr bald nach ihrem Entstehen in die politische Isolation gedrängt), betont die RAF seit einiger Zeit die Gleichrangigkeit aller revolutionären Bestrebungen. Auch hat sie sich inzwischen weitgehend ihres stereotypen, schlagwortartigen Vokabulars entledigt, das ihre Erklärungen früher häufig nur für Insider verständlich machte. Außerdem orientiert sie ihre Aktionen noch stärker am aktuellen Geschehen. Trotzdem vermochten die beiden Anschläge nicht den entscheidenden Impuls für die angestrebte breite "revolutionäre Gegenmacht" zu vermitteln. Parallelaktionen der "Kämpfenden Einheiten" der RAF oder ein entsprechendes Vorgehen breiter Unterstützerkreise wie bei früheren "Offensiven" blieben aus. Im Zusammenhang mit dem Beschüß der US-Botschaft mußten sich die Illegalen sogar heftige Kritik aus dem eigenen Umfeld gefallen lassen. Viele Unterstützer nahmen ihnen den "symbolischen Charakter" der Aktion (keine gezielte Tötungsabsicht) übel und zeigten wenig Verständnis für diese zuvor Der RAF Terrorist Ulrich WESSEL wurde bei dem Überfall auf die Deutsche Botschaft in Stockholm am 24. April 1975 getötet. -65nicht erklärte taktische Variante. In der Taterklärung zum ROHWEDDERMord führte die Kommandoebene deshalb aus, daß die Prämisse nunmehr sei, "als revolutionäre Bewegung... überall präsent zu sein". Dies beinhalte, künftig sowohl "in aktuelle Auseinandersetzungen zu intervenieren" (wie mit dem Botschaftsanschlag) als auch weiterhin "strategische Angriffe" zu führen (wie bei dem Mord an Dr. ROHWEDDER). Als derzeit herausragende Angriffslinien der RAF haben sich der "Kampf" gegen "Großdeutschland" und die europäische Einheit herauskristallisiert, was jedoch parallele Anschläge zu anderen Themenkomplexen nicht ausschließt. Zunehmende Bedeutung erlangt das "Mobilisierungsjahr" 1992, das neben der Verwirklichung des EG-Binnenmarktes u.a. auch die Reizthemen "500 Jahre Kolonialismus" (Entdeckung Amerikas 1492) und den Weltwirtschaftsgipfel im Juli 1992 in München beinhaltet. Weitere Geschehnisse Am 23. Juni 1991 nahmen die Illegalen der RAF in einer mehrseitigen Erklärung Stellung zu dem Vorwurf, die inhaftierten terroristischen Gewalttäter unterhielten ein verdecktes Informationssystem zum legalen Umfeld "draußen", möglicherweise sogar direkt zur Kommandoebene. Bekanntgewordene Hinweise aus vorangegangenen Zellendurchsuchungen bei einsitzenden Terroristen hatten in der Öffentlichkeit zu entsprechenden Vermutungen gefuhrt. Mit dem Papier versuchten die Illegalen, die "politischen Gefangenen" als Opfer einer gezielten "Kampagne der Bundesanwaltschaft" und "reaktionärster Teile der CDU/CSU" darzustellen. Als "Geiseln des Staates" seien sie zudem nach einem erfolgten "Angriff" der Kommandoebene Repressionen ausgesetzt. Entscheidend für die "weitere Entwicklung der Kämpfe hier" sei es, ob eine erneute breite Mobilisierung für die Durchsetzung der Zusammenlegungsforderung der inhaftierten Terroristen erreicht werden könne. Noch immer ungeklärt ist der Hintergrund eines ebenfalls im Juni 1991 aufgetauchten anonymen Schreibens zu angeblich geplanten Mordanschlägen gegen ranghohe bundesdeutsche Politiker durch die RAF. Der Informant gab als Grund für die Enthüllungen Unzufriedenheit mit der "falschen und überdrehten" Linie der RAF an. Bislang haben sich die Warnungen des vermeintlichen Aussteigers nicht bestätigt. Da aber nicht auszuschließen ist, daß es sich bei ihm um eine Person mit Insiderkenntnissen aus der Terrorgruppe handelt, müssen die Hinweise unverändert ernst genommen werden. -662.1.2 RAF-Unterstützerbereich Allgemeine Situation Die Kommandoebene der RAF kann sich unverändert auf eine größere Zahl von Personen stützen, die in der Legalität leben und sich für die Ziele der Terrorgruppe einsetzen. Die Unterstützungsarbeit umfaßt neben der Propagandatätigkeit und der vielfältigen materiellen Hilfen auch einen dauernden politischen Diskussionsprozeß, aus dem sich immer wieder neue Kampagnen oder Angriffslinien ergeben. Daneben werden inhaftierte RAF-Mitglieder von den Personen des RAF-Umfelds kontinuierlich betreut. Der Unterstützerbereich stellt zudem ein wichtiges Rekrutierungsfeld für die Illegalen dar. Insgesamt zeigte 1991 die RAF-Unterstützerszene sowohl in Baden-Württemberg als auch bundesweit tiefgreifende Motivationsprobleme. Für diese können neben der kritisierten Sprunghaftigkeit der Kommandoebene (beispielsweise der aus dem üblichen taktischen Konzept fallende Schußwaffenanschlag auf die Bonner US-Botschaft) auch weitere Ursachen ausgemacht werden, die teilweise Jahre zurückreichen: o Die nicht aufgearbeiteten ideologischen und innerstrukturellen Probleme der "Offensive" 1986 o Die entlarvenden Aussagen ehemaliger RAF-Terroristen, die als "Aussteiger" in der DDR eine bürgerliche Existenz geführt hatten, sowie die zunächst abgestrittene, dann doch eingestandene Verbindung der RAF zur Staatssicherheit der ehemaligen DDR. Beides hat in der Unterstützerszene dem Glanzbild der "Guerilla" geschadet. Der als Niederlage empfundene Ausgang des Hungerstreiks der RAFInhaftierten von 1989, der trotz großer Kraftanstrengungen des Umfelds nicht die Zusammenlegung der "politischen Gefangenen" erbrachte. Besonders einschneidend hat sich aber im Unterstützerfeld der Zusammenbruch des sogenannten realen Sozialismus in Osteuropa ausgewirkt. Er löste bei vielen Aktivisten Bestürzung aus und führte zumindest teilweise zu einer gewissen Orientierungslosigkeit in der "Szene". Zusammenlegungskampagne Trotz dieser zeitweiligen "Schwäche des Widerstands" versuchten die RAFUmfeldangehörigen, im Sommer 1991 eine neue Initiative für die Zusam- -67menlegung der Inhaftierten zu starten - wie sie von den Illegalen in der ROHWEDDER-Taterklärung gefordert worden war. Nach anfänglichen "Erfolgen" mit teilweise spektakulären Aktionen - dazu gehörten im Verlauf des Sommers der Brandanschlag auf Kraftfahrzeuge der Fa. Renault in Brühl/Nordrhein-Westfalen, Besetzungen von Zeitungsredaktionen in Hannover und Wiesbaden sowie einer Bank in Köln, des Frankfurter "Römer" und des Justizministeriums in Kiel, die Durchführung von "Knastdemos" in Bielefeld und Aichach und die Veröffentlichung von zwei Zeitungsaufrufen mit Unterschriftensammlung - stagnierten die Bemühungen schließlich. Die Asylund Ausländerpolitik und bald darauf die Krise in Jugoslawien beherrschten die öffentliche und szeneninterne Diskussion. Die im Juli 1991 eingestandene RAF/Stasi-Verbindung dämpfte gleichfalls die Einsatzbereitschaft der Unterstützer. Ein entscheidender Impuls, um die Zusammenlegungskampagne etwa mit einem Hungerstreik voranzutreiben, blieb aus. Erst gegen Ende des Jahres erhielt das Thema Zusammenlegung erneut Auftrieb. Von RAF-Unterstützern aus dem süddeutschen Raum, insbesondere aus Heidelberg und Karlsruhe, wurde am 7. Dezember 1991 eine zentrale Demonstration in der Bruchsaler Innenstadt und vor der dortigen Justizvollzugsanstalt initiiert (dort sitzen u.a. Christian KLAR und Günter SONNENBERG ein). An der Demonstration beteiligten sich etwa 200 bis 230 Szenenangehörige, zumeist aus Baden-Württemberg und den süddeutschen Bundesländern. Im Zeitraum November und Dezember 1991 wurden außerdem in mehreren Städten Baden-Württembergs mit einer aktiven RAF-Unterstützerszene Veranstaltungen zur Zusammenlegungsforderung durchgeführt, so u.a. in Tübingen, Heidelberg und Karlsruhe. Sonstige Aktivitäten Im Verlauf des Jahres 1991 klinkten sich die RAF-Unterstützer in BadenWürttemberg immer wieder in aktuelle Kampagnen ein. Zu Beginn des Jahres beteiligten sie sich im Rahmen des alles beherrschenden Themas Golfkrieg an den vielfältigen Protestaktionen im Lande. In dieser Zeit kam es in BadenWürttemberg, vor allem in Freiburg, zu mehreren Brandanschlägen, Anschlagsversuchen und Sachbeschädigungen. In der Nacht zum 20. Februar 1991 wurden ebenfalls in Freiburg Brandanschläge auf Büroräume bzw. Fahrzeuge amerikanischer Firmen verübt. Die Taterklärung läßt auf Urheber aus dem dortigen "antiimperialistischen" oder militant-autonomen Spektrum schließen. -68In der zweiten Jahreshälfte 1991 bildeten die ausländerfeindlichen Ausschreitungen den Diskussionsschwerpunkt des RAF-Umfelds. Wie schon Monate zuvor der Golfkrieg war jetzt das Thema Ausländerfeindlichkeit in den einschlägigen RAF-Publikationen vorherrschend. Dabei beteiligten sich "Szenen"-Angehörige an Demonstrationen und Flugblattaktionen, die von demokratischen Organisationen und linksgerichteten Gruppen organisiert worden waren. Festzuhalten bleibt allerdings, daß das terroristische Umfeld zu keinem Zeitpunkt diese Aktivitäten dominierte. Zu den wichtigen regionalen Bereichen des terroristischen Umfelds in BadenWürttemberg zählen die Städte Stuttgart, Tübingen, Karlsruhe, Freiburg, Heidelberg und Mannheim, die insgesamt knapp 50 Unterstützer umfassen. Die Mannheimer "Szene" trat 1991 nicht durch größere Aktivitäten hervor. Hingegen gewann der Tübinger Bereich, der enge Kontakte zu den Stuttgarter Aktivisten unterhält, weiter an Bedeutung. Sowohl von Stuttgart als auch von Tübingen aus werden intensive überregionale und internationale Verbindungen unterhalten. Ein weiterer Schwerpunkt der Tätigkeit dieser Gruppen stellt die Betreuung der RAF-Inhaftierten dar. Von dem Tübinger/Stuttgarter Bereich wird konspirativ die Schrift "Südwind" hergestellt und vertrieben, die sich als Sprachrohr und Informationsblatt des gewaltbereiten Spektrums etabliert hat und inzwischen bundesweit verbreitet wird. Eine ähnliche Publikation mit dem Titel "Ausbruch" veröffentlichen Freiburger Aktivisten, die sich schwerpunktmäßig auch mit dem Thema "politische Gefangene" befassen. In Karlsruhe und Heidelberg traten die jeweiligen Initiativgruppen für die Zusammenlegung wiederholt publizistisch in Erscheinung. "Kämpfende Einheiten" Anfang der 80er Jahre entwickelte die RAF das Konzept der "antiimperialistischen Front". Darin war u.a. auch der Einsatz sogenannter Kämpfender Einheiten vorgesehen, die in Abstimmung mit den Illegalen ebenfalls Gewalttaten durchführen sollten. Seit 1984 existieren solche konspirativ agierenden Organisationseinheiten, die sich weitgehend aus Aktivisten des Unterstützerbereichs rekrutieren. Ihre Aufgabe ist es, Brandund Sprengstoffanschläge auf in der Ziellinie der RAF liegende Einrichtungen und Gebäude durchzuführen, bei denen zumeist erheblicher Sachschaden entsteht. Anders als die Terroristen des Kommandobereichs tauchen Mitglieder der "Kämpfenden Einheiten" jedoch nicht auf Dauer in den Untergrund ab, son- -69dern lediglich für einen sehr begrenzten Zeitraum. Nach erfolgter Durchführung des Anschlags nehmen sie ihre gewohnte Lebensweise in der "legalen" RAF-"Szene" wieder auf und sind als Täter für die Sicherheitsbehörden kaum mehr auszumachen. Die letzten Anschläge, die "illegale Militante" - so die RAF-interne Bezeichnung der "Kämpfenden Einheiten - durchgeführt haben, datieren vom Februar 1990. Im Unterschied zu den Jahren zuvor begleiteten 1991 keine Gewalttaten dieser Organisationseinheiten die Anschläge der Kommandoebene. Die Gründe hierfür dürften mit den Motivationsproblemen des RAF-Unterstützerbereichs deckungsgleich sein. 2.1.4 RAF-Inhaftierte Auch in der Haft erfüllen die verurteilten Terroristen eine wichtige Funktion für die "Rote Armee Fraktion" (RAF). So wurden 1990 und 1991 bei Zellendurchsuchungen Papiere sichergestellt - darunter auch geheime Kassiber -, die offensichtlich belegen, daß inhaftierte Terroristen maßgeblich in die Strategiediskussion der Terrorgruppe eingebunden sind. Es besteht sogar der Verdacht einer gewissen Steuerung der RAF aus den Haftanstalten heraus. Dem angestrebten Ziel der Zusammenlegung in eine oder zwei große Gruppen kamen die Häftlinge allerdings auch 1991 nicht näher. Die vielbeschworene Homogenität des "Gefangenenkollektivs" ist indes inzwischen brüchig geworden. Ein von den drei in der Justizvollzugsanstalt Celle einsitzenden Terroristen durchgeführter Hungerstreik vom 23. September bis zum 4. Oktober 1991, mit dem nochmals die Zusammenlegungsforderung publik gemacht werden sollte, ließ dies besonders deutlich werden. Offenbar handelte es sich um einen eigenständigen Entschluß, der mit den anderen inhaftierten Terroristen nicht abgesprochen worden war. Nicht zuletzt deshalb fand der Hungerstreik weder in der "Szene" noch in der Öffentlichkeit eine nennenswerte Resonanz. Vielmehr trug er dazu bei, die Meinungsverschiedenheiten innerhalb des "Gefangenenkollektivs" noch zu verschärfen. In einem ausführlichen Interview mit einer Tageszeitung, das Anfang Juli 1991 publiziert wurde, räumte der als Sprecher der Inhaftierten auftretende Helmut POHL ein, daß die Zusammenarbeit der RAF mit der Staatssicherheit der ehemaligen DDR nicht nur die Aufnahme aussteigewilliger Illegaler um- -70faßt, sondern auch einen Informationsaustausch sowie praktische Unterstützung für die Aktiven, z.B. Schulungen an Waffen, beinhaltet habe. Wie sehr die inhaftierten RAF-Mitglieder von den Aussagen der in der früheren DDR untergetauchten ehemaligen Terroristen vor Gericht über Interna und Aktionen getroffen wurden, zeigte exemplarisch die Zeugenvernehmung von Christian KLAR, Brigitte MOHNHAUPT, Adelheid SCHULZ und Sieglinde HOFFMANN am 16. Mai 1991 in Stuttgart Stammheim während der Hauptverhandlung gegen Susanne BECKER geb. ALBRECHT vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. Dabei wurde die Angeklagte von ihren ehemaligen Gesinnungsgenossen mit heftigen Beschimpfungen bedacht. Der Auftritt ließ zugleich erkennen, daß zumindest diese RAF-Inhaftierten eine unverändert harte Haltung einnehmen. Aufgrund der Geständnisse der sogenannten Aussteiger (1991 wurde gegen Werner LOTZE, Henning BEER, Susanne BECKER, Silke MAIER-WITT, Inge VIETT, Sigrid FRIEDRICH geb. STERNEBECK und Ralf Baptist FRIEDRICH verhandelt) konnten bislang ungeklärte Sachverhalte aufgehellt werden. In einigen Fällen wurden neue Anklagen gegen bereits verurteilte und einsitzende Terroristen erhoben. So muß Christian KLAR zusammen mit Peter Jürgen BOOCK und Ingrid JAKOBSMEIER 1992 nochmals in Stuttgart-Stammheim vor Gericht. "Revolutionäre Zellen" (RZ) Die zweite bedeutende terroristische Organisation in der Bundesrepublik Deutschland sind die "Revolutionären Zellen" (RZ). Ihnen ist auch der feministische Ableger "Rote Zora" zuzurechnen, der jedoch 1991 keine Gewaltaktionen verübte. Im Frühjahr 1991 erschien lediglich ein Buch mit Texten der "Roten Zora". Die Absicht der unbekannten Verfasserinnen ging dahin, eine öffentliche Debatte über militante Organisierung unter Frauen auszulösen. Das Konzept der "Revolutionären Zellen" hat außerdem immer wieder zur Folge, daß sogenannte Resonanz-RZ deren Anschlagsart und Zielrichtung übernehmen. Darunter sind militante Kleingruppen mit wechselnden phantasievollen Gruppenbezeichnungen zu verstehen, die nach dem Muster der "Revolutionären Zellen" - ohne jedoch eine solche zu sein - Anschläge verüben. So bekannten sich beispielsweise die "Funkfeuerlöscher" zu einem Brandanschlag am 28. Oktober 1991 auf eine Flugsicherungsanlage in Gedern/Hessen. -71 - Tagespolitische Konfliktthemen nehmen die "Revolutionären Zellen" häufig zum Anlaß für ihre Anschläge, die dann mit einer pseudo-sozialrevolutionären Begründung unterlegt werden. 1991 war das Hauptthema für die RZ die Asylund Ausländerpolitik. In diesem Zusammenhang erfolgte seit vielen Jahren erstmals auch wieder ein Anschlag einer RZ in Baden-Württemberg. In der Nacht zum 22. August 1991 verursachte ein Sprengstoffanschlag auf die Ausländermeldestelle des Landratsamts in Böblingen einen Sachschaden in beträchtlicher Höhe. Einen Tag später ging bei einer örtlichen Tageszeitung die neunseitige Taterklärung einer "Revolutionären Zelle" ein, in der die Gewalttat mit dem "alltäglichen Rassismus" und "Vernichtungswillen" gegenüber den Flüchtlingen begründet wurde. Man müsse, so hieß es, Widerstand gegen die "Schreibtischtäter/innen, Abschiebeschweine und Gesetzesvollstrecker/innen mit weißen Kragen" leisten. Gewalttaten der RZ zielen nicht auf die Tötung von Menschen ab. In den vergangenen Jahren wurden aber wiederholt Personen durch "Bestrafungsaktionen" mittels SchußWaffenanschlägen schwer verletzt oder "versehentlich" getötet. Am 12. Juni 1991 fiel der Referatsleiter der Berliner Senatsverwaltung für Bauund Wohnungswesen, Hanno KLEIN, einem Briefbombenattentat zum Opfer. In der Taterklärung, die von keiner Gruppierung unterzeichnet war, wurde das Verbrechen mit den Folgen der Sanierungsmaßnahmen in Berlin begründet. Sein Tod sei jedoch nicht beabsichtigt gewesen. Der Tathintergrund erinnert zwar an Aktionen der RZ, die fehlende Bekennung hierzu sowie die im Bereich des deutschen linksextremistischen Terrorismus atypische Tatmodalität läßt jedoch eine Urheberschaft einer RZ zweifelhaft erscheinen. Insgesamt verübten "Revolutionäre Zellen" im Jahr 1991 11 Brandund Sprengstoffanschläge. In der ersten Jahreshälfte überwogen Gewalttaten zur Golfkriegs-Thematik. In Berlin und in Niedersachsen wurden insgesamt vier Anschläge mit diesem Begründungszusammenhang verübt. Weitere Anschläge der RZ in Berlin am 12. Juni 1991 galten dem Reichstag (Begründung: Hauptstadtentscheidung), am 17. Juni 1991 einem Bürocontainer der Dresdner Bank (Begründung: Arbeitslosigkeit in der Ex-DDR) und am 17. Juli 1991 der Filiale eines Verbrauchermarktes und dem Rohbau eines Supermarktes auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Ravensbrück (Begründung: Antifaschismus, Baustopp). Im Juli 1991 entfachte ein Kritikpapier einer "Gruppe aus dem Traditionszusammenhang der Revolutionären Zellen" (RZ) die Diskussion unter den Mi- -72litanten über Ziel und Praxis bewaffneter Aktionen neu. In dem Text wurde heftige Kritik an diversen Anschlägen des Jahres 1991 geübt, u.a. am Schußwaffenanschlag der RAF auf die US-Botschaft im Februar 1991 in Bonn und am Briefbombenattentat auf Hanno KLEIN im Juni 1991 in Berlin. Die Gewalttaten würden eine "verhängnisvolle Tendenz zum Militarismus" offenbaren und das beim Einsatz "revolutionärer Mittel" erforderliche besondere Maß an Verantwortung und Genauigkeit vermissen lassen. Bemerkenswert war eine in der "tageszeitung" (taz) dokumentierte Erklärung von Personen aus den Reihen der RZ vom 21. Dezember 1991. Diese nahmen die 1987 erfolgte, aber erst vor kurzem bekanntgewordene Ermordung eines ehemaligen Genossen durch Palästinenser zum Anlaß einer kritischen Auseinandersetzung mit dem "revolutionären" Selbstverständnis und der Praxis der RZ. Sie kamen zu dem Schluß, daß das leninistische Prinzip, wonach alle Mittel gerechtfertigt seien, wenn sie nur dem angestrebten revolutionären Ziel dienten, zur Disposition gestellt werden müsse. Allerdings, so betonten die Verfasser zugleich, bedeute dies nicht die Aufgabe der "revolutionären Praxis" an sich. Man schließe keineswegs "Frieden mit den Verhältnissen". Von einer Fortsetzung der terroristischen Aktivitäten der "Revolutionären Zellen" ist also auszugehen. Autonome und sonstige Anarchisten Autonome Gruppen Innerhalb des breiten und diffusen Spektrums sich anarchistisch verstehender Gruppen kommt den sogenannten Autonomen weiterhin eine besondere Bedeutung zu. Ein nicht unerheblicher Teil dieser "Szene" propagiert unverhohlen Gewalt zur Durchsetzung seiner Ziele und tritt mit militanten Aktionen immer wieder in Erscheinung. Die Autonomen verfugen weder über ein einheitliches ideologisches Konzept noch über feste organisatorische Zusammenhänge. Verschwommene anarchistische, teilweise nihilistische Vorstellungen finden jedoch in einem ausgeprägten Haß gegen die staatliche und gesellschaftliche Ordnung einen gemeinsamen Nenner. Da innerhalb der bestehenden Gesellschaft aus Sicht der Autonomen ein "selbstbestimmtes" Leben nicht verwirklicht werden kann, soll der Staat "zerschlagen" werden. Zunächst wird jedoch versucht, sich "Freiräume" zu erkämpfen, um von dort aus ungehindert agieren zu können. Entsprechend äußerten in einer Veröffentlichung vom Januar 1991 die inzwischen vom Eigentümer geduldeten Nutzer eines zuvor leerstehenden, -73im November 1990 "besetzten" Gebäudes in Karlsruhe die Absicht, in dem Haus ein "selbstbestimmtes Zentrum" einzurichten. Begründet wird das Vorhaben wie folgt: "... zum sich Treffen..., zum Informieren und Diskutieren und zum Organisieren gegen alle, die uns das Leben schwer machen, gegen die herrschenden Verhältnisse von Ausbeutung, Unterdrückung und Vereinzelung... Wir haben viele Gründe zu kämpfen und es hat gerade erst angefangen. Die Häuser denen, die sie brauchen!!!". Der Aktionsrahmen gewaltbereiter Autonomer reicht von Sachbeschädigungen bis hin zu Brandanschlägen und gezielten Angriffen auf Personen. Sogar politischer Mord wird unter gewissen Umständen befürwortet. So erklären "einige Frauen" in der Oktober-Ausgabe (Nr. 144) der militanten autonomen Publikation "Radikal": "Es gibt Formen des politischen Mordes, den wir z.B. voll und ganz politisch richtig fänden: Würde z.B. eine Frauengruppe einen Vergewaltiger töten, würden uns keine Gründe einfallen, die dagegen sprechen würden." Auch die "Verantwortlichen für Haftbedingungen" müßten damit rechnen, "dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden". Über Anlaß und Ausmaß von Gewaltanwendung - etwa auch bei militant verlaufenen Demonstrationen - wird innerhalb der Szene jedoch durchaus kontrovers diskutiert. Das autonome Spektrum befindet sich derzeit in einer Phase intensiver Auseinandersetzung und der Suche nach einer neuen Orientierung. Die Krise, in der sich der gesamte linksextremistische Bereich nach dem Niedergang des Kommunismus befindet, zeigt auch in autonomen Zirkeln Wirkung. In teilweise pessimistischen Lageeinschätzungen werden vermehrt Selbstkritik und Resignation deutlich. Durch die "erfahrene politische Ohnmacht" in den vergangenen Jahren zeigen sich "Zweifel an unseren Formen und Inhalten, an unseren Ritualen". Kritisiert wird vor allem das Fehlen einer für "politische Praxis" erforderlichen Kontinuität in den Aktivitäten der "Szene". In der Publikation "INTERIM", Nr. 162 vom 27. September 1991, stellt ein Autonomer fest: -74"Eine Politik, ... die statt strategischer Diskussionen krampfhafte Suche nach Anlässen betreibt... kann langfristig nur nach hinten losgehen..." und kommt zu dem Schluß: "Die kurzatmige Kampagnenpolitik ist die Folge der Weigerung, die Organisationsdebatte zu führen..." Die unterschiedlichsten Ansätze der Bestandsaufnahme münden letztlich in die Feststellung, das derzeit vorhandene "Bewegungsloch" nur mit der Schaffung verbindlicher Strukturen überwinden zu können. Einer solchen schon seit Jahren immer wieder erhobenen Forderung nach Organisierung steht allerdings das "autonome" Selbstverständnis entgegen. Obwohl sich im autonomen Spektrum also eine gewisse Stagnation abzeichnet, sind dessen Aktivitäten seit den vermehrten Angriffen rechtsorientierter Gewalttäter gegen Ausländer und "Linke" wieder leicht angestiegen. Zwar gelang es den militanten Autonomen nicht, die von breiten Bündnissen getragenen Protestdemonstrationen und -Veranstaltungen gegen den erstarkenden Rechtsextremismus maßgeblich zu beeinflussen, doch leisteten Autonome mit militanten Einzelaktionen wie Anschlägen, Farbschmierereien und sonstigen Sachbeschädigungen ihren eigenen Beitrag unter dem Motto "Kampf dem Faschismus". Propagiert wurde dabei auch der direkte Angriff auf Personen. In einem in Reutlingen verbreiteten Flugblatt wurde dazu aufgerufen: "Wir müssen die Schreibtischtäter und Faschisten in ihren weißen Westen und ihr mörderisches System auf allen Ebenen behindern und angreifen... greift die Nazis an!!!" Naheliegend für die Autonomen ist, daß auch bei diesem Thema der Staat als Feindbild herangezogen wird. In einem weiteren Flugblatt aus Reutlingen hieß es: "Wir kämpfen aber nicht nur gegen den Faschismus auf der Straße (Naziskins usw...), sondern auch gegen die genauso gefährlichen faschistischen Strukturen in Politik, Wütschaft und Gesellschaft. Wir dulden es nicht länger, daß dieser Staat sein faschistoides Gesicht so aggressiv zeigt... Unsere Antifaarbeit sehen wir als einen Weg zur Gesellschaftsveränderung... Wir kämpfen für eine freie und selbstbestimmte Zukunft..." -75Ein ebenfalls in Reutlingen festgestellter Aufkleber enthielt die Parole "Antifaschistischer Kampf heißt Kampf gegen das kapitalistische System", eine Farbschmiererei in Karlsruhe lautete "Nazis jagen! Staat zerschlagen". In mehreren Städten des Bundesgebiets kam es wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen des extremistischen rechten und linken Lagers. Ebenso verübten Autonome mehrfach gezielte Anschläge gegen "Faschos". In Baden-Württemberg hielt sich die Szene mit derartigen Aktionen bislang zwar weitgehend zurück, die Lage bleibt jedoch angespannt. Auch im Zusammenhang mit dem Golfkrieg machten Anfang des Jahres 1991 Autonome mit Sachbeschädigungen und sonstigen Aktionen auf sich aufmerksam. So wurde am 4. Februar 1991 in Tübingen eine Straße durch brennende Autoreifen blockiert. In einer Erklärung äußerten sich die Urheber zu ihrer Aktion: "Uns genügt es nicht, nur Nein zum Krieg zu sagen. Davon lassen sich die Herrschenden nicht beeindrucken. Unsere Aktionen sollen für sie unkalkulierbar bleiben... Wir wollen alle Möglichkeiten nutzen, um die Alltagsruhe durch Sabotage zu stören und den permanenten Ausnahmezustand sichtbar zu machen. Wir wollen aus unserer Handlungsunfähigkeit herauskommen und entschlossenen und radikalen Widerstand entwickeln. Uns gegen die Herrschenden zur Wehr zu setzen, ist aber nicht erst seit dem Golfkrieg unser Ziel." Die Aktivitäten gewaltbereiter Autonomer zeigen im Bundesgebiet kein einheitliches Bild. In einigen Regionen sind die Zahl der Gewalttaten und ihre Brutalität deutlich angestiegen. Demgegenüber bewegen sich Anzahl und Ausmaß der militanten Aktionen in Baden-Württemberg seit einigen Jahren auf einem etwas niedrigeren Niveau. Die durch Anschläge und Sachbeschädigungen verursachten Schäden - betroffen waren vor allem Firmen, Banken und staatliche Einrichtungen - sind dennoch auch in unserem Bundesland beträchtlich. Auch bei den Personenzahlen ist im Bundesgebiet eine unterschiedliche Entwicklung zu verzeichnen. Während durch Zuwachs in einigen nördlichen Bundesländern die Zahl der bundesweit geschätzten militanten Autonomen auf etwa 2.700 (1990: 2.300) angestiegen ist, umfaßt das Spektrum in BadenWürttemberg durch eine leicht rückläufige Tendenz jetzt etwa 230 (1990: 250) Personen. Örtliche Schwerpunkte bilden die Städte Freiburg, Karlsruhe, Stuttgart und die Region Tübingen/Reutlingen. -76Das seit einigen Jahren zu beobachtende partielle Zusammenwirken zwischen gewaltbereiten Autonomen und Anhängern der "Rote Armee Fraktion" hat sich weiter verfestigt. Das aus Taterklärungen erkennbare Bemühen der RAF, von ihrem bisherigen Führungsanspruch abzurücken und mit anderen Gruppierungen den Dialog zu suchen, hat eine Annäherung beider Bereiche weiter gefordert. In dem Bestreben, den "revolutionären Widerstand" auf eine breitere Basis zu stellen, treten unterschiedliche politische Standpunkte zunehmend in den Hintergrund. Anarchistische Gruppen Im Bundesgebiet agieren unverändert mehrere anarchistische Gruppierungen, deren Bedeutung allerdings gering ist. Das Ziel der anarcho-syndikalistischen "Freien Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" (FAU) ist eine "herrschaftslose, ausbeutungsfreie, auf Selbstverwaltung begründete Gesellschaft". Jeglichen Parlamentarismus lehnt sie entschieden ab. Die wichtigsten Schritte auf dem Weg zu einer angestrebten "libertären sozialen Revolution" sieht die FAU in der Betriebsarbeit und dem Aufbau einer "wirtschaftlichen (gewerkschaftlichen) Kampforganisation". Als Kampfmittel empfiehlt sie die "direkte Aktion" in Form von Besetzungen, Boykotts und Streiks. In Baden-Württemberg verfügt die bundesweit etwa 80 Mitglieder umfassende FAU über Kontaktstellen in Baden-Baden, Ludwigsburg, Schorndorf, Stuttgart und Tübingen/Reutlingen. Überregionales Sprachrohr der FAU ist die zweimonatlich erscheinende Publikation "direkte aktion". Die in Heidelberg gegründete "Freie Arbeiter-Union/Anarchistische Partei" (FAU/AP) lehnt - wie alle Anarchisten - jeglichen Staat entschieden ab. Das "kapitalistische System" soll durch die "bewaffnete sozialistische Revolution" gewaltsam zerschlagen und durch "rätedemokratische Strukturen" ersetzt werden. In ihrem Kampf für die "Umgestaltung hin zur freien klassenlosen Gesellschaft" tritt die FAU/AP verbal überaus militant auf. Ihr Wirkungsbereich blieb bislang freilich gering. Nebenorganisationen der FAU/AP sind die "Freie Arbeiter Union - Studenten" (FAUST) und die "Schwarze Garde" (SG). -77Die "Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen" (FÖGA) will in einer angeblich "gewaltfreien Revolution" durch Macht von der "Basis" her "alle Formen von Gewalt und Herrschaft" abschaffen. Unser jetziges Staatswesen soll "zurückgedrängt und zerstört" und durch eine "freiheitlich basisdemokratische Gesellschaft" ersetzt werden. Zu den Formen des von der FÖGA propagierten "zivilen Ungehorsams" gehören die gezielte Mißachtung von Gesetzen sowie Streiks, Boykottmaßnahmen, Besetzungen und Blockaden, jedoch auch Sabotageakte und Sachbeschädigungen. Die FÖGA engagierte sich 1991 vor allem in der "Antimilitarismusarbeit". Den Schwerpunkt bildeten hierbei Blockaden vor militärischen Einrichtungen, Bahnhöfen und Rüstungsfirmen. Das Sprachrohr der FÖGA, die monatlich erscheinende "Graswurzelrevolution", wird mit einer Auflage von etwa 4.000 Exemplaren in Heidelberg herausgegeben. Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund Die Zahl der in Baden-Württemberg bekanntgewordenen Straftaten mit linksextremistischem bzw. vermutetem linksextremistischem Hintergrund belief sich im Jahr 1991 auf insgesamt 671. Im Vorjahr waren 473 Fälle bekanntgeworden. Die quantitative Steigerung ist vor allem auf die Vielzahl der Delikte zurückzuführen, die aus Protest gegen den Golfkrieg in den ersten Monaten des Jahres begangen wurden. Vor allem in der zweiten Jahreshälfte diente den Tätern oftmals der Widerstand gegen "Faschismus", Rassismus und Fremdenfeindlichkeit als Motivation. Der Großteil der Straftaten entfiel auf Farbschmieraktionen. Straftaten, die eindeutig dem Unterstützerkreis der "Rote Armee Fraktion" zugeordnet werden können, sind hingegen in Baden-Württemberg nicht bekanntgeworden, nachdem 1990 immerhin noch 21 strafrechtlich relevante Aktionen des RAF-Umfelds verzeichnet worden waren. Von größerem Gewicht waren 1991 in Baden-Württemberg folgende linksextremistisch motivierte Straftaten: o am 20. Februar 1991 wurden auf die Firmen IBM und Coca-Cola in Freiburg Brandanschläge verübt. Beide Anschläge wurden in einer Taterklärung mit der Rolle der USA im Golfkrieg begründet, I -78am 3. März 1991 kam es in Achern, Weissach und Stuttgart zu drei Brandanschlägen gegen Firmen, die am Neubau der Justizvollzugsanstalt Heimsheim beteiligt waren. Der Sachschaden belief sich auf rund 1,3 Millionen DM. In einer schriftlichen Erklärung der Täter wurde die angebliche "Ausbeutung" von Gefangenen angeprangert, o am 22. August 1991 verübte eine "Revolutionäre Zelle" einen Sprengstoffanschlag gegen die Ausländermeldestelle des Landratsamtes Böblingen; es entstand ein Sachschaden von rund 100 000 DM. Die Intention der Tatbekennung richtete sich insbesondere gegen die Asylund Flüchtlingspolitik. am 30. Oktober 1991 detonierte bei einer Vermögensund Steuerberatungsfirma in Mosbach ein Sprengsatz. Zu dem Anschlag bekannte sich eine "Anarchistische revolutionäre 'Bewegung 3. Oktober'". 4. Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten 4.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und Umfeld 4.1.1 DKP Die 1968 gegründete "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) beharrt trotz des völligen Zusammenbruchs des kommunistischen Machtbereichs in Osteuropa und der Entmachtung der "Kommunistischen Partei der Sowjetunion" (KPdSU) auf ihrem Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus und auf ihrer Rolle als "revolutionäre Partei der Arbeiterklasse". Obwohl sie seit Ende 1988 mehr als drei Viertel ihrer Mitglieder und - wegen der ausbleibenden finanziellen Unterstützung durch die ehemalige "Sozialistische Einheitspartei Deutschlands" (SED) - auch weitgehend ihre politische Handlungsfähigkeit verloren hat, beschlossen die Delegierten des 11. Parteitags (10. bis 12. Mai 1991 in Bonn), die Partei weiterbestehen zu lassen. Noch im Jahre 1990 waren Forderungen erhoben worden, die entweder eine Auflösung der DKP oder einen Anschluß an die aus der SED hervorgegangene "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) vorsahen. -79So wird die DKP aus jetziger Sicht auch künftig dem dogmatischen Marxismus-Leninismus treu bleiben. Exemplarisch für die unverändert ideologische Ausrichtung stehen o die Erklärungen des DKP-Sprecherrats zu dem gescheiterten Putsch in der inzwischen aufgelösten und in die "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten" (GUS) umgewandelten Sowjetunion, in denen der von Altstalinisten und "Traditionalisten" inszenierte Putsch mehrheitlich verteidigt und positiv bewertet worden war, und o der Ablauf des 11. Parteitags und hier besonders die Wahl des Sprecherrats und des Partei Vorstands. Es zeigte sich einmal mehr, daß die verbliebene Rumpf-DKP zu einer Erneuerung nicht in der Lage ist. Der stalinistische Flügel aus "Traditionalisten" und "Betonköpfen" behielt eindeutig die Oberhand. Die unverändert verfassungsfeindliche Zielsetzung der Partei wurde bestätigt durch das von den Delegierten beschlossene Papier "Aufgabenstellung für die Erarbeitung eines neuen Parteiprogramms", das auf dem 12. Parteitag verabschiedet werden soll. Die darin enthaltenen Grundsätze legen die weiteren politischen Ziele der Partei fest. Danach kämpft die DKP für eine Politik, die "konsequent antikapitalistisch ist, die im Kampf um die alltäglichen Interessen der arbeitenden, ausgebeuteten und unterdruckten Menschen die grundlegenden Widersprüche dieser Gesellschaftsordnung aufdeckt, und die mit den monopolkapitalistischen Eigentumsverhältnissen brechen will; für die Errichtung einer neuen ausbeutungsfreien Gesellschaftsordnung kämpft und im Sozialismus die Zukunft sieht; im Klassenkampf die zentrale Triebkraft der Geschichte und in der Arbeiterklasse die entscheidende soziale Kraft für den gesellschaftlichen Fortschritt sieht; auf der materialistischen Wissenschaft basiert, die von Marx und Engels begründet und von Lenin und anderen Marxistinnen und Marxisten weiterentwickelt wurde." Der neugewählte Parteivorstand wurde von 50 auf 34 Mitglieder verkleinert. Der DKP-Bezirksverband Baden-Württemberg ist in diesem Gremium nur noch mit einer Funktionärin vertreten. -80Noch während des 11. Parteitags im Mai 1991 glaubte die DKP-Führung, daß die Partei ihren Tiefpunkt überwunden habe. Doch führten die Vorgänge um den gescheiterten Putsch in der damaligen Sowjetunion und insbesondere die damit verbundene positive Stellungnahme des DKP-Sprecherrats zu einem nachhaltigen Glaubwürdigkeitsverlust der Parteiführung. Viele Mitglieder, die bis dahin noch an die Möglichkeit einer Erneuerung der Partei geglaubt hatten, mußten nun erkennen, daß sie zu einer grundlegenden Reform nicht in der Lage ist. Eine neue Austrittswelle war die Folge. Ende 1991 gehörten der DKP bundesweit nur noch knapp 8.000 Mitglieder an (1990: 11.000, 1989: 22.000, 1988: 35.000). Außer diesen Mitgliederverlusten, die allerdings im Vergleich zu den Vorjahren geringer ausfielen, war das Jahr 1991 für die DKP gekennzeichnet durch einen fortschreitenden organisatorischen Verfall, eine zeitweise völlige Aktionsunfähigkeit und durch eine äußerst angespannte finanzielle Lage. Nahezu sämtliche Funktionen in der Partei werden mittlerweile ausschließlich ehrenamtlich wahrgenommen. Das früher als Tageszeitung erscheinende Parteiorgan "Unsere Zeit" (UZ) wurde auch 1991 nur als 14tägliche Wochenzeitung herausgegeben, wobei das regelmäßige Erscheinen allein durch ein ständiges Spendenaufkommen sichergestellt werden konnte. Wie im Bundesgebiet ist es der DKP in Baden-Württemberg noch nicht gelungen, den Abwärtstrend der Partei zu stoppen. Die Mitgliederzahlen waren auch hier 1991 weiter rückläufig.. Der DKP-Bezirksorganisation BadenWürttemberg mit Sitz in Stuttgart gehörten Ende 1991 allenfalls noch 700 Mitglieder (1990: 1.000, 1989: 1.800) an. Allem Anschein nach hat sich die Mehrzahl der ausgetretenen Mitglieder völlig aus dem politischen Leben zurückgezogen. Nur wenige traten in die PDS/"Linke Liste" ein oder betätigten sich für einige Zeit in dem von DKP-Erneuerern gegründeten "Sozialistischen Forum", das sich in Baden-Württemberg jedoch im Laufe des Jahres 1991 wegen mangelnden Interesses wieder auflöste. Zwangsläufig gingen auch die Aktivitäten auf Kreisund Ortsebene weiter zurück. Die 23 DKP-Kreisorganisationen in Baden-Württemberg sind zwar formal weiterhin existent, tatsächlich dürften einige jedoch nur noch auf dem Papier bestehen. In etwa der Hälfte der Kreisorganisationen existieren bereits keine Grundeinheiten (Wohngebiets-, Betriebsund Hochschulgruppen) mehr. Bemerkenswert ist auch der weitere Rückgang der Betriebsarbeit, einst traditionell das Hauptagitationsfeld der DKP. Ende 1991 bestanden nur noch -81 - 8 DKP-Betriebsgruppen (1990: 10, 1989: 20), von denen aber lediglich 4 Aktivitäten entwickelten. Um ihre Basis zumindest mittelfristig wieder zu verbreitern und wenigstens einen Teil ihres verlorengegangenen Einflusses zurückzuerlangen, strebten die Reste der DKP 1991 vorrangig Bündnisse und Aktionseinheiten mit anderen, vor allem linksextremistischen Gruppierungen an. Die Partei war dabei in viel stärkerem Maße als früher bereit, ideologische Differenzen - etwa zu Gruppen der "Neuen Linken" - zurückzustellen, um nur eine Aktionsbasis zu finden. Solche Bündnisse formierten sich vorzugsweise zu aktuellen Themenbereichen wie dem Golfkrieg oder den Anschlägen gegen Ausländer. 4.1.2 Nebenorganisationen der DKP Die Nebenorganisationen der DKP o "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) und o "Junge Pioniere-Sozialistische Kinderorganisation" (JP), die formal selbständig arbeiten und in der Vergangenheit im wesentlichen für die kommunistische Jugendarbeit zuständig waren, konnten aufgrund ihrer überaus engen Anbindung an die "Mutterpartei" und dem plötzlichen Ausbleiben finanzieller Zuwendungen den rapiden organisatorischen Verfall nicht aufhalten. Trotz der bestehenden erheblichen Probleme, insbesondere finanzieller Art, bekräftigte die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ), ihre Arbeit fortsetzen zu wollen. Die SDAJ bezeichnet es als ihr Hauptanliegen, eine "bundesweite linke föderative Jugendstruktur", insbesondere unter Beteiligung der "Freien Deutschen Jugend" (fdj), die aus der früheren DDR-Jugendorganisation FDJ hervorging, aufzubauen. Bundesweit hatte die SDAJ Ende 1991 - wie schon 1990 - noch etwa 250 Mitglieder (1989: 2.000); in Baden-Württemberg gehören ihr inzwischen i -82deutlich weniger als 50 Mitglieder an. Die meisten SDAJ-Gruppen im Land haben sich bereits aufgelöst. Aktivitäten finden kaum noch statt. Von der 1974 gegründeten DKP-Kinderorganisation "Junge Pioniere - Sozialistische Kinderorganisation" (JP), deren Landesverband in BadenWürttemberg formal noch besteht, gingen im Berichtszeitraum keine nennenswerten Aktivitäten mehr aus. Umfeld der DKP Die DKP propagierte jahrzehntelang über ihre "Vorfeldorganisationen" - die nach außen weitgehend unabhängig schienen, tatsächlich jedoch maßgeblich von der DKP beeinflußt oder gar gesteuert waren - Forderungen, die auch bei Demokraten auf breite Zustimmung stoßen konnten. Den Kommunisten gelang es deshalb immer wieder, über Aktionsbündnisse dieser Organisationen mit demokratischen Kräften die eigene Isolierung zu durchbrechen und als aktive "Streiter für eine gute Sache" akzeptiert zu werden. Zugleich aber waren die DKP-beeinflußten Organisationen seit jeher finanziell völlig abhängig von DKP und SED. Nach dem schlagartigen Wegfall dieser Gelder mit der Wende 1989/90 waren diese "Vorfeldorganisationen", insbesondere die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten" (VVN-BdA) und die "Deutsche Friedens-Union" (DFU), plötzlich auf sich selbst gestellt. Sie haben diese Krise unterschiedlich gemeistert: Vom DFU-Landesverband Baden-Württemberg, der Ende 1991 noch über kaum mehr als 100 Mitglieder (1990: 130) verfügte (der Bundesverband war bereits 1990 aufgelöst worden), gingen im Berichtszeitraum praktisch keine relevanten Aktivitäten mehr aus. Eine Auflösung des Verbandes darf erwartet werden. Demgegenüber blieb die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten" (VVN-BdA) auch im Jahr 1991 mit bundesweit über 10.000 Mitgliedern (1990: 12.000, 1989: 14.000) die mitgliederstärkste und gleichzeitig aktivste "antifaschistische" Organisation. Obwohl noch immer zahlreiche Mitglieder Kommunisten sind, hatte der Niedergang des "realen Sozialismus" keinen entscheidenden Einfluß auf die Mitgliederzahl der VVN-BdA. Sie stieg in Baden-Württemberg sogar leicht auf etwa 2.100 Ende 1991 an (1990: 2.000). -83Eine Erklärung hierfür dürfte sein, daß der "antifaschistische Kampf" unter Beteiligung der Vereinigung aufgrund der zunehmenden ausländerfeindlichen Aktionen an Bedeutung gewonnen hat. Ohne Zweifel engagieren sich in der VVN-BdA auch zahlreiche Bürger, die über die Organisation etwas gegen den erstarkenden Rechtsextremismus tun wollen und keinerlei Nähe zu kommunistischen Grundpositionen haben. Ungeachtet dessen übt gerade die DKP nach wie vor durch ihre in den Führungsgremien vertretenen Mitglieder auf Bundesund Landesebene einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Organisation aus. Ihre traditionelle Funktion als bündnispolitischer Arm der DKP in der "Antifaschismus"-Bewegung hat die VVN-BdA indes weitgehend verloren. Es bleibt abzuwarten, inwieweit es demokratischen Kräften gelingt, den in der VVN-BdA immer noch erkennbaren kommunistischen Einfluß noch weiter zu vermindern. "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Die 1982 gegründete "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) überstand - im deutlichen Gegensatz zu den meisten anderen linksextremistischen Organisationen - den Niedergang des "realen Sozialismus" und der kommunistischen Parteien in Osteuropa nahezu unbeschadet. Diese "sogenannten kommunistischen Parteien" - so die MLPD - seien bestrebt gewesen, eine Diktatur auf der Grundlage des "bürokratischen Kapitalismus" zu errichten. Demgegenüber vertrete sie, die MLPD, den wahren MarxismusLeninismus. Als selbsternannte "Partei der Arbeiterklasse" hält die MLPD unbeirrt an ihrem verfassungsfeindlichen Ziel fest, die "Diktatur der Monopolkapitalisten" zu stürzen und dann die "Diktatur des Proletariats" aufzurichten. Zur Durchsetzung ihrer Ziele hält sie seit jeher die Anwendung von "revolutionärer Gewalt" für unerläßlich. Nach ihrer jahrelangen, selbst auferlegten Isolation versuchte die MLPD 1991 verstärkt Bündnisse mit anderen linksextremistischen Gruppierungen einzugehen. Dieser Versuch scheiterte jedoch zumeist, weil die MLPD vom linksextremistischen Spektrum nicht akzeptiert wurde. Anfang 1991 verringerte die MLPD die Zahl ihrer Bezirksorganisationen in den alten Bundesländern von 16 auf 8. Grundlage hierfür war ein Beschluß vom Oktober 1990, der die "Ausrichtung und Neuformierung der Kräfte" zur "neuen faktischen Hauptaufgabe" der Partei erklärte. In unserem Bundesland -84wurden die bisherigen 4 Bezirke zum neuen Bezirk Baden-Württemberg zusammengefaßt. Eine weitere Konzentration der Kräfte kündigte der Vorsitzende der MLPD, Stefan ENGEL, in einem Interview im Zentralorgan "Rote Fahne", Nr. 26 vom 22. Juni 1991, an, in dem er zu dem Entwurf des Rechenschaftsberichts des Zentralkomitees (ZK) an den IV. Parteitag Stellung bezog. Das ZK beschloß demnach u.a.: o die Einstellung verschiedener Publikationen zugunsten einer Konzentration auf die "Rote Fahne" und das theoretische Organ "REVOLUTIONÄRER WEG", o die Auflösung und Übernahme der Mitglieder des "MarxistischLeninistischen Bundes Intellektueller" (MLBI) in die MLPD sowie o die Vereinigung der beiden Jugendverbände "Arbeiterjugendverband/Marxisten-Leninisten" (AJV/ML) und "MarxistischLeninistischer Schülerund Studentenverband" (MLSV) zu einem einzigen Jugend verband. Durch diese organisatorischen Maßnahmen will die MLPD der offensichtlichen Stagnation bei der Mitgliederentwicklung begegnen und die Organisation auch ideologisch festigen. Die Zahl der Mitglieder blieb im Berichtszeitraum mit bundesweit rund 1.500 im Vergleich zu 1990 nahezu konstant. Demgegenüber war 1991 in BadenWürttemberg ein leichter Rückgang zu verzeichnen, so daß die Mitgliederzahl jetzt unter 700 (1990: etwa 700) liegt. Sonstige Organisationen Der Bereich der revolutionär-marxistischen Gruppen ist gekennzeichnet durch ein vielfältiges Spektrum kleiner Organisationen. Auch sie blieben von der Umbruchsituation im Bereich des kommunistischen Lagers nicht verschont. Der vor allem in den nördlichen Bundesländern relativ stark gewesene "Kommunistische Bund" (KB) hat sich auf seinem 4. Kongreß am 20. April 1991 in Hamburg aufgelöst. Letztendlich scheiterte der KB an der Frage der Mitarbeit in der "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS). Während eine Mehrheit bereits seit einiger Zeit aktiv in der PDS mitarbeite- -85te, hatte eine Minderheit dies abgelehnt. Am 7. Juli 1991 beschloß die ehemalige KB-Minderheit, ihre politische Arbeit als "Gruppe K" fortzusetzen. Die "Marxistische Gruppe" (MG) gab am 21. Mai 1991 überraschend ihre Auflösung bekannt. Bis dahin galt sie als mitgliederstärkste Vereinigung der revolutionär-marxistischen "Neuen Linken". Zuletzt verfügte die MG bundesweit über mehr als 10.000 fest in die Organisation eingebundene Mitglieder, davon in Baden-Württemberg etwa 140 Mitglieder und Kandidaten sowie weitere 180 Personen, die den Sympathisantenzirkeln zugerechnet wurden. Mit der Auflösung verbunden waren die Liquidierung des umfangreichen Verlagswesens, der Druckereien und Buchläden sowie die Einstellung sämtlicher Aktivitäten. Die MG begründete ihre öffentlichkeitswirksam inszenierte Entscheidung in einem der Presse übermittelten "Auflösungsbeschluß" u.a. damit, daß sich die Vereinigung und ihre Mitglieder vom Staat und seinen Sicherheitsbehörden "verfolgt fühlten". Dazu hieß es: "Die Angriffe des Staates und seiner Sicherheitsbehörden auf unsere Organisation und auf die berufliche Existenz der Befürworter unserer Sache nötigen uns dazu, die Marxistische Gruppe aufzulösen". Ausschlaggebend für die überraschende Entscheidung war offensichtlich die vom Bundesinnenministerium im März 1991 veröffentlichte Broschüre über die MG. Darin wurden die Ideologie, Ziele und Arbeitsmethoden der Organisation als die eines kommunistischen Geheimbundes aufgezeigt. Derzeit muß offen bleiben, ob der Auflösung der MG andere Motive als die von ihr genannten zugrunde lagen, und ob der Beschluß eine endgültige Entscheidung darstellt. Neben den bereits genannten größeren Organisationen der revolutionärmarxistischen "Neuen Linken" besteht eine Anzahl weiterer Kleinstgruppen und Gruppierungen. Hier sind u.a. zu nennen: o "Vereinigte Sozialistische Partei" (VSP) o - "Bund Westdeutscher Kommunisten" (BWK) o "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) o diverse trotzkistische Vereinigungen. I -86Alle diese Organisationen bekennen sich zum Marxismus-Leninismus, allerdings in sehr unterschiedlichen Varianten. Gemeinsamkeiten ergeben sich jedoch bei ihrer Zielsetzung und Strategie, durch "Klassenkampf" und "proletarische Revolution" den "bürgerlich-demokratischen Staat" zu zerschlagen. Die schon im Jahr 1990 zu beobachtende verstärkte Zusammenarbeit dieser Splittergruppen untereinander und mit anderen linksextremistischen Organisationen wurde auch im Berichtszeitraum fortgesetzt. Verschiedene Sammlungsbewegungen wie die "Radikale Linke" und das "Sozialistische Forum" der aus der DKP ausgetretenen "Erneuerer" spielen inzwischen jedoch keine Rolle mehr. Ein verstärktes gemeinsames Vorgehen, das sich etwa während des Golfkriegs ergab, erstreckt sich nunmehr vor allem auf die Themenbereiche Ausländerfeindlichkeit und Asylpolitik sowie auf die sogenannten Runden (Roten) Tische, wo eine gemeinsame Plattform und Handlungsbasis gesucht werden. -87Sicherheitsgefährdende und extremistische Aktivitäten von Ausländern Allgemeiner Oberblick Die Zahl der in Baden-Württemberg gemeldeten ausländischen Staatsangehörigen hat sich gegenüber dem Vorjahr (31. Dezember 1990: 1.011.200) weiter geringfügig erhöht. Seit Jahren unverändert gilt aber die Feststellung, daß sich die übergroße Mehrzahl der hier lebenden Ausländer loyal zum Gastgeberland Bundesrepublik Deutschland verhält und der Agitation politischer Extremisten aus dem jeweiligen Heimatland widersteht. Ende 1991 waren in Baden-Württemberg etwa 8.380 Personen in Ausländervereinigungen mit extremistischer oder gar terroristischer Zielsetzung organisiert. Diese Zahl, die in etwa der des Vorjahres (8.430) entspricht, umfaßt damit weniger als 1 % der ausländischen Wohnbevölkerung. Das offensichtliche Versagen und der schließliche Zusammenbruch des "realen Sozialismus" in den Ländern des bisherigen Ostblocks, aber auch in Ländern der Dritten Welt, beschleunigte zugleich den Niedergang bislang Moskau-orientierter Ausländerorganisationen im Bundesgebiet. Deren Mitgliederzahl ist gegenüber dem Vorjahr noch einmal um ein knappes Drittel geschrumpft, wobei eine Reihe von Vereinigungen inzwischen in ihrer weiteren Existenz ernsthaft gefährdet ist. Dagegen konnten die religiös-nationalistischen Gruppen ihre bisher schon sehr starke Stellung weiter ausbauen. Sie stellen nunmehr über 40 % aller ausländischen Extremisten in Baden-Württemberg. Das Potential der extremen Nationalisten und der "Neuen Linken" blieb hingegen in etwa auf dem Niveau des Vorjahres. Seit Jahren unverändert bilden vor allem ethnische, religiöse, soziale und wirtschaftliche Konflikte sowie politische Krisen in den jeweiligen Herkunftsländern den Auslöser für Aktivitäten extremistischer Ausländerorganisationen. Daneben werden aber immer häufiger auch Themenstellungen der deutschen Politik aufgegriffen. Ferner versuchen ausländische Extremisten traditionell; vom Gastgeberland her gewaltsame politische Bestrebungen in den Heimatländern zu initiieren oder zu fördern, wodurch auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt werden. Insgesamt ist festzustellen, daß die Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland auch weiterhin durch international operierende Terroristen bedroht wird: -88So sind die Auswirkungen des Golfkonfliktes mit den in Gang gekommenen Friedensbemühungen im Nahen Osten noch nicht endgültig zu bewerten. Nach den politischen Verwerfungen in dieser Region müßten Anzeichen für ein Wiederaufleben des palästinensischen Terrorismus als besonders ernst bewertet werden. In erster Linie sind hier die mit Einzelmitgliedern auch im Bundesgebiet agierenden Gruppen "Abu-Nidal-Organisation" (ANO) und die "Volksfront für die Befreiung Palästinas - Generalkommando" (PFLP-GC) zu erwähnen. Die Freilassung nahezu aller ausländischen Geiseln im Libanon hat zu einer gewissen Entspannung geführt. Indes bleibt die Lage gerade im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland wegen der fortdauernden Geiselhaft der beiden Deutschen im Libanon und der im Bundesgebiet inhaftierten HAMADI-Brüder unverändert ernst. Bis in die jüngste Zeit gingen regelmäßig Hinweise auf angebliche Sprengstofftransporte schiitischer libanesischer Terroristen ein. Auch angesichts ihres Widerstands gegen die Nahost-Friedenskonferenz ist ständig von der Gefahr von Terrorakten aus diesem Bereich auszugehen. Die teilweise terroristisch operierende "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) präsentiert sich unverändert als straff organisierte Partei mit umfangreichem Anhängerpotential. Vor allem im Bundesgebiet verfügt sie über eine erhebliche Zahl von geschulten Kadern. Allerdings haben 1991 die Strafprozesse gegen PKK-Funktionäre eine spürbare Zurückhaltung der PKK bei Gewalttaten in der Bundesrepublik Deutschland bewirkt. Die Gewaltbereitschaft mehrerer Gruppen der türkischen "Neuen Linken", insbesondere der "Devrimci Sol" (Dev Sol) und der "Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten Leninisten" (TKP/ML), hält weiter an. Extremistische Sikhs und Tamilen erfordern wegen möglicher Verwicklungen in Terroranschläge im Ausland und wegen gewaltsamer Spendeneintreibungen im Bundesgebiet immer größere Beachtung durch die Sicherheitsbehörden. Die Lage im ehemaligen Jugoslawien ist unverändert kritisch. Die Spannungen zwischen den im Bundesgebiet lebenden teilweise ver- -89feindeten Nationalitäten sind noch immer gefährlich. Gewachsen ist nach der vor allem von der deutschen Politik forcierten internationalen Anerkennung Kroatiens und Sloweniens die Gefahr von Vergeltungsschlägen durch hier operierende serbische Gruppen. Türken Allgemeines Die Gesamtzahl der Anhänger türkischer und kurdischer extremistischer bzw. extremistisch beeinflußter Vereinigungen ist 1991 wieder leicht angestiegen. Vor allem religiös-nationalistische und extrem-nationalistische türkische Gruppen konnten ihre Positionen verbessern. Dagegen vermochten die orthodoxen Kommunisten ihr bereits in den letzten Jahren stark zusammengeschmolzenes Potential auch 1991 nicht zu halten. Die Anhänger der türkischen und kurdischen "Neuen Linken" bewegten sich in etwa auf dem Niveau des Vorjahrs. Die politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen im Heimatland bestimmen seit Jahren in auffälliger Weise die politischen Aktivitäten der im Bundesgebiet lebenden türkischen Extremisten. So übten die Sicherheitsbehörden in der Türkei im Jahre 1991 besonders starken Druck auf die Anhänger der gewaltorientierten "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und der diversen Vereinigungen, insbesondere der "Neuen Linken", aus. Dies führte sofort zu massiven Protesten von Angehörigen dieser Gruppen im Bundesgebiet. Parallel dazu war auch eine Zunahme gewaltsamer Übergriffe zu beobachten. Wegen dieser latenten Gewaltbereitschaft beanspruchten diese Gruppen 1991 besondere Beachtung. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) ist seit Jahren die aktivste und zugleich militanteste Vereinigung extremistischer Kurden. Zur Erreichung ihres politischen Ziels - der Schaffung eines unabhängigen kurdischen Staats bis zum Jahre 2000 - bedient sie sich im Heimatland in immer breiterem Umfang terroristischer Mittel und konspirativer Methoden. Völlig unbeeindruckt von den politischen Veränderungen in Osteuropa hält die Partei unter ihrem Vorsitzenden Abdullah ÖCALAN unverändert an dem "antiimperialistischen, I -90antikolonialen, antifeudalen und marxistisch-leninistischen Kampf" als einzigem Weg zur Lösung der Kurdenfrage fest. Mit der Gründung der "Freiheitspartei Kurdistans" (PAK) versuchte sie sogar, ihrem Alleinvertretungsanspruch für alle Kurden - auch im Irak - Nachdruck zu verleihen. Im Jahr 1991 verstärkte die PKK ihre militante Agitation. So wertete sie die Verlegung einer mobilen Einsatztruppe der NATO in dieses Land nach dem Ende des Golfkonflikts als weiteren Versuch einer "imperialistischen Okkupation" Kurdistans und als "kriegerische Aggression" gegen das kurdische Volk. In dem Sprachrohr ihrer Einflußorganisation "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK), dem "Kurdistan Report", ließ sie im August 1991 erklären, die Gefahr einer direkten Auseinandersetzung der bewaffneten Kräfte der PKK mit den Verbänden der NATO steige damit weiter an, denn die Soldaten der NATO-Einsatztruppe in Kurdistan würden als Feinde betrachtet und mit Gewalt bekämpft. Weltweites Aufsehen erregte die Partei 1991 mit der Entführung von Touristengruppen (darunter einer Gruppe von 10 Deutschen) in der Osttürkei durch Kommandos der "Volksbefreiungsarmee Kurdistans" (ARGK) sowie mit der Einführung von "Passierscheinen" für Touristen bei Aufenthalten in den kurdischen Landesteilen. In einem im türkischsprachigen Organ der Partei "BERXWEDAN" (Nr. 136 vom 31. Oktober 1991) veröffentlichten Interview mit der britischen Rundfunkgesellschaft BBC kündigte ÖCALAN zugleich Maßnahmen gegen solche Länder an, die die Türkei militärisch, wirtschaftlich und politisch unterstützen. Hierbei erwähnte er inbesondere die Bundesrepublik Deutschland. ÖCALAN führte aus: "Es ist klar, daß wir in der kommenden Periode den Krieg steigern werden. Ohnehin werden wir auch den Krieg gegen Wirtschaftsgesellschaften eröffnen. Nicht nur gegen die der Deutschen, darin sind alle Staaten eingeschlossen. Sie verstehen keine andere Sprache als Gewalt. Auch Deutschland nicht... Das bedeutet, wenn sie (die Türken) darauf bestehen, den Krieg zu fördern, wenn Deutschland diesbezüglich weitere Unterstützung leistet, wenn es seine Haltung nicht revidiert, dann verstärkt sich natürlich unser Vorgehen gegen die deutschen Firmen und gegen ihre Einrichtungen in der Türkei." -91 - Auf Nachfrage des Interviewers, ob darunter tatsächlich ein blutiger Krieg zu verstehen sei, betonte ÖCALAN: "Es laufen mit Sicherheit Vorbereitungen auf dieser Ebene... Wenn nicht auf diese Politik verzichtet wird, werden wir den 'Terror' verstärken. Wir werden die revolutionäre Härte in Ankara und auch in Istanbul verstärken." Die jüngsten Terrorakte in der Türkei beweisen, daß dies keine leere Drohung war. Die schlimmen Geschehnisse um die Vertreibung der irakischen Kurden als Folge des Golfkonflikts sowie die andauernden inneren Unruhen im Osten der Türkei bildeten 1991 wiederholt den Auslöser für zahlreiche Protestaktionen von Kurden in ganz Europa. Diese weltweite pro-kurdische Stimmung wurde von der PKK geschickt ausgenutzt für eine Stärkung ihrer eigenen Position. Während sich die Sympathisanten der PKK - entsprechend dem Kurs der Parteiführung - mit eigenen Aktionen zum Golfkrieg weitgehend zurückgehalten hatten, initiierten sie dann ab März 1991 mehrmals breit angelegte Protestwellen. Hierbei steigerten sie zusehends die Militanz ihrer Aktionen und gingen immer häufiger mit Farbbeuteln und Steinen gegen konsularische Einrichtungen der Türkei sowie gegen Zweigstellen türkischer Unternehmen im Bundesgebiet vor. Demgegenüber flauten die Protestaktionen gegen die bereits seit Oktober 1989 vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf laufende Hauptverhandlung gegen mehrere führende Parteifunktionäre wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie Mordes und weiterer Straftaten spürbar ab. Nach wie vor werden jedoch sowohl dieser Prozeß als auch weitere in der Bundesrepublik Deutschland anhängige Strafverfahren gegen PKK-Aktivisten als Teil eines von der NATO in Europa initiierten und der deutschen Regierung zur Ausführung Überlassenen Komplottes interpretiert, das als "zweite Front" die PKK schwächen solle. Aus Anlaß des 2. Jahrestags des Prozeßbeginns in Düsseldorf führten Anhänger der Partei am 26. Oktober 1991 regionale Protestmärsche durch. Auf Transparenten forderten die etwa 2.000 Teilnehmer des süddeutschen Aufzugs in Karlsruhe neben der "sofortigen Freilassung der kurdischen Politiker" einen Stopp der deutschen Militärund Wirtschaftshilfe für die Türkei. Für die PKK bilden die kurdischen Arbeitnehmer in den europäischen Staaten, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, weiterhin die vorran- -92gige Rekrutierungsund Finanzierungsquelle. In diesem Zusammenhang appellierte die Europavertretung der Partei Ende Januar 1991 in dem von der "Föderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereine aus Kurdistan in der BRD e.V." (FEYKA-Kurdistan) herausgegebenen "KurdistanRundbrief Extra" an die Anhänger im Ausland, in ihre Heimat zurückzukehren, den Kampf noch aktiver zu unterstützen und alle ihre Möglichkeiten einzusetzen, die Parteibasis in Europa weiter zu verbreitern. Die "Arbeiterpartei Kurdistans" und ihre Nebenorganisationen vergrößerten 1991 in Baden-Württemberg die Zahl ihrer Anhänger auf etwa 450 Sympathisante'n (1990: ca. 400). Über Vereine in Stuttgart, Basel und Ludwigshafen sowie zahlreiche regionale Zirkel betreut sie ihre Anhängerschaft im Land. 2.3 Organisationen der "Neuen Linken" Das Bild der türkischen "Neuen Linken" ist seit Jahren durch Spaltungen und Absplitterungen gekennzeichnet. Gewaltgeneigt und meist unter strenger Konspiration arbeitend zielen diese Vereinigungen auf die gewaltsame Abschaffung der gegenwärtigen türkischen Staatsform. Insbesondere die "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) und die "Devrimci Sol" (Dev Sol - Revolutionäre Linke), die auch unter der Bezeichnung "Avrupa 'da Dev Genc" (Revolutionäre Jugend in Europa) auftritt, erregten 1991 durch Anschläge und andere Gewaltaktionen in der Türkei, aber auch im Bundesgebiet öffentliche Aufmerksamkeit. So kam es im August 1991 in Berlin im Verlauf mehrerer Demonstrationen zu Übergriffen auf türkische Banken und das türkische Generalkonsulat durch TKP/ML-Aktivisten. Im Rahmen der alljährlich durchgeführten Spendenkampagne der TKP/ML zugunsten ihrer Kampforganisation "Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO) wurden unter dem Leitthema "Unterstütze die Guerilla" in Stuttgart, Mannheim und Weinheim Erpressungsversuche bei türkischen Geschäftsleuten bekannt. Zwei Täter konnten ermittelt werden. Am 28. Juni 1991 verurteilte das Landgericht Mannheim einen Parteiaktivisten aus Walldorf wegen fortgesetzter Erpressung zugunsten der TKP/ML zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 8 Monaten. Ein weiterer erhielt wegen einfacher Erpressung eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten zur Bewährung. -93An einer Gedenkveranstaltung am 18. Mai 1991 in Mannheim aus Anlaß des 18. Todestags des TKP/ML-Gründers Ibrahim KAYPAKKAYA nahmen etwa 1.500 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet und dem europäischen Ausland teil. In einem Flugblatt wurde dazu aufgefordert, "... in seinem Gedenken noch aktiver, noch militanter und mit mehr Opferbereitschaft zu arbeiten... (sowie) gegen das Anti-Terror-Gesetz anzutreten und den Befreiungskampf der Arbeiter, Jugendlichen , Inhaftierten und der kurdischen Nation zu unterstützen". Wie in den Vorjahren traten auch 1991 die von der TKP/ML beeinflußten Organisationen "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V." (ATIF) und die international aktive "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa e.V." (ATIK) öffentlich hervor. Die ATIK polemisierte dabei besonders vehement gegen das militärische Eingreifen der USA in Kuwait, aber auch gegen Themen wie die Unterdrückung in Äthiopien und Eritrea. Daneben bildete die Ausländerund Asylpolitik der Bundesregierung wieder einen Agitationsschwerpunkt. In deutschsprachigen Flugschriften wurde etwa dazu aufgefordert, "die antiimperialistische Kampffahne noch höher zu heben". Broschüren mit dem Titel "Ausländerfeindlichkeit in der BRD - Ein Machtinstrument in den Händen der herrschenden Klasse" wurden auch in Baden-Württemberg verteilt. Nach einem Brandanschlag auf eine türkische Bank am 8. März 1991 in Duisburg durchsuchten Polizeikräfte am darauffolgenden Tag die dortigen Vereinsräume der ATIK. Dagegen wandte sich die Vereinigung in einer bundesweit durchgeführten Öffentlichkeitskampagne. In Flugschriften, die u.a. in Stuttgart, Mannheim und Göppingen verteilt wurden, warf die Organisation der Bundesregierung eine "verlogene Diskriminierung" vor. Sie behauptete, der Druck der deutschen Staatsgewalt auf "fortschrittliche demokratische Organisationen" habe sich erheblich verschärft. Die staatliche Seite unternehme den Versuch, der ATIK den Stempel der Kriminalität aufzudrücken. Die TKP/ML Spaltergruppe "Bolsevik Partizan" (BP) bekundete im Frühjahr 1991 mit dem Flugblatt "Die ATIF darf nicht verboten werden" ihre Solidarität mit der Vereinigung. BP setzt sich vorwiegend für unterdrückte, angeblich von Imperialisten beherrschte Nationen ein. In einer anläßlich des "Kampftags gegen den imperialistischen Krieg" (1. September 1991) in Stuttgart verbreiteten Flugschrift protestierte die Gruppierung gegen jegliche -94"imperialistische Kampfhandlungen". Angesichts des militärischen Vorgehens der türkischen und irakischen Regierungen gegen das kurdische Volk sowie der militärischen Auseinandersetzungen in der Sowjetunion, in Jugoslawien und in Sri Lanka wurde dabei den Imperialisten "Unfähigkeit" vorgeworfen, dauerhaften Frieden zu schaffen: "Das heißt... der Weg zum wirklichen Frieden führt über die Bewaffnung der Arbeiterklasse und der Volksmassen". Während der Golfkrise verübte die "Devrimci Sol" (Dev Sol), eine Splittergruppe der "Türkischen Volksbefreiungspartei/-front" (THKP/-C), in der Türkei mehrere spektakuläre Terrorakte gegen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Neben türkischen Angriffszielen standen nun erstmals seit langer Zeit wieder US-amerikanische, aber auch britische, italienische und französische Objekte im Fadenkreuz der Organisation. Der "antiimperialistische Kampf" trat demgegenüber als Tatbegründung in den Hintergrund. In der Bundesrepublik Deutschland konnte die 1983 vom Bundesminister des Innern verbotene Dev Sol ihre öffentlichen Aktivitäten wieder erheblich ausweiten. Auch personell erfreut sich die Vereinigung eines stärkeren Zuspruchs. Neben der Deckbezeichnung "Avrupa 'da Dev Genc" (Revolutionäre Jugend in Europa) werden zugleich wieder offen der alte Name oder die Bezeichnung "Devrimci Sol Gücler" (Revolutionäre Linke Kräfte) verwendet. Im übrigen vollzogen sich die Protestaktionen im Bundesgebiet im Verlauf des Jahres 1991 zunehmend militanter. So diente die Aushebung von Stützpunkten der "Devrimci Sol" am 12. Juli 1991 in Istanbul und Ankara durch türkische Sicherheitskräfte als Vorwand für eine Welle von Brandanschlägen und gewalttätigen Besetzungen im Bundesgebiet, darunter auch in Stuttgart. Ziele dieser Aktionen waren ausschließlich türkische Einrichtungen. Die "Revolutionäre Kommunistische Partei der Türkei" (TDKP) entwickelte 1991 in Baden-Württemberg nur geringe Aktivitäten. Im Mittelpunkt stand dabei am 23. Februar 1991 in Leonberg-Eltingen eine Gedenkfeier zum 12jährigen Bestehen der TDKP, an der immerhin etwa 700 Personen aus Stuttgart, Nürtingen, Göppingen und Ulm teilnahmen. Am 8. März 1991 führte die TDKP außerdem in Stuttgart eine Veranstaltung zum "Internationalen Frauentag" durch. Die Gruppierung rief darüber hinaus am -9522. Juni 1991 in Stuttgart mit anderen deutschen und türkischen Linksextremisten zu einer Demonstration gegen das Anti-Terror-Gesetz in der Türkei auf. Dagegen trat die TDKP-beeinflußte "Föderation der türkischen demokratischen Arbeitervereine in Deutschland e.V." (DIDF) 1991 häufiger an die Öffentlichkeit. Sie forderte bessere Haftbedingungen in türkischen Gefängnissen und führte dazu im März und Oktober 1991 Veranstaltungen in Stuttgart durch. Weitere Themen bildeten die Golfkrise, das türkische Anti-Terror-Gesetz, die Kurdenverfolgung in der Türkei sowie die "Ausländerfeindlichkeit" im Bundesgebiet mit deren neonationalsozialistischen Erscheinungsformen. Besonders auffällig war die Zunahme der Aktivitäten der DIDF in Mannheim. Orthodox-kommunistische Organisationen Die ehedem Moskau-orientierten kommunistischen Türkenorganisationen machten 1991 im Bundesgebiet öffentlich kaum noch auf sich aufmerksam. Ursächlich dafür waren sowohl der allgemeine Niedergang im Bereich des marxistisch-leninistischen Lagers als auch Querelen und Disharmonien innerhalb der Heimatund Auslandsorganisationen. Die "Vereinigte Kommunistische Partei der Türkei" (TBKP) konnte sich trotz der im Frühsommer 1990 erfolgten Freilassung ihrer Parteiführer in der Türkei nicht regenerieren. Zwar hielt sie im Januar 1991 nach 70 Jahren Illegalität ihren ersten Parteitag in Ankara ab. Sie wurde allerdings bereits im Juli 1991 in ihrem Heimatland erneut für verfassungswidrig erklärt und somit deren beabsichtigte Reorganisation im Keim erstickt. Grundlage hierfür war ein im April 1991 in der Türkei verabschiedetes "Anti-Terror-Gesetz", gegen das türkische Linksextremisten auch im Bundesgebiet polemisieren. Islamisch-nationalistische Vereinigungen Die weiter erstarkte islamisch-nationalistische "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT) mit Site in Köln trat 1991 in BadenWürttemberg öffentlich nur wenig in Erscheinung. Sie verfügt hier über etwa 30 Stützpunkte bzw. von ihr beeinflußte Vereinigungen. Ihr Mitgliederpotential hat sich 1991 noch einmal erhöht und dürfte sich auf nunmehr etwa 2.300 -96(1990: 2.100) Personen belaufen. Wie in den Vorjahren gelang es der AMGT, ihr organisatorisches Netz bundesweit weiter auszubauen. Eigenen Angaben zufolge verfügt die Organisation in den alten Bundesländern nun über nahezu 400 Vereinigungen und Moscheen. Mehr als 100 weitere befinden sich angeblich in der Gründungsphase. Etwa 20.000 Mitglieder sollen regelmäßig Beiträge an die AMGT entrichten. Erklärtes Hauptziel der AMGT ist die Umwandlung der laizistischen türkischen Republik in einen theokratischen, auf Islam und Scharia gründenden Staat nach dem Vorbild des Iran. Die Vereinigung ist äußerst eng an die islamisch-extremistische, in der Türkei seit 1980 verbotene "Nationale Heilspartei" (MSP) und deren Nachfolgeorganisation "Wohlfahrtspartei" (RP) angelehnt. Als ihr Sprachrohr fungiert die in Deutschland erscheinende Tageszeitung "Milli Gazete" (Nationalzeitung). Der ehemalige Leiter der MSP und gegenwärtige Parteiführer der RP, Professor Necmettin ERBAKAN, referierte wiederholt auf Veranstaltungen der AMGT im Bundesgebiet. Etwa 15.000 türkische Muslime besuchten am 19. Mai 1991 die siebte Jahreshauptversammlung der Vereinigung in der Kölner Stadthalle. Auch hierzu war ERBAKAN aus der Türkei angereist. Nicht unbeträchtlich war die Unterstützung der AMGT für die RP anläßlich der türkischen Parlamentswahlen am 20. Oktober 1991, als eine Listenverbindung von RP und der rechtsextremistischen "Nationalistischen Arbeitspartei" (MCP) einen Stimmenanteil von etwa 17 % errang. ERBAKAN, der eine Abkehr von der "korrupten westlichen Welt", die von Zionisten beherrscht werde, und einen Austritt der Türkei aus der NATO propagiert, ist damit erstmals wieder seit den siebziger Jahren Mitglied des türkischen Parlaments. Der von Cemaleddin KAPLAN geführte islamisch extremistische "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V." (ICCB) hielt sich 1991 - in deutlichem Gegensatz zu früheren Jahren - auffällig zurück. Die etwa 20 dem ICCB zuzurechnenden Vereinigungen mit ihren gegenüber 1990 unverändert rund 800 Anhängern traten in Baden-Württemberg 1991 öffentlich kaum mehr in Erscheinung. KAPLAN, der ebenso wie ERBAKAN die Umwandlung der laizistischen Türkei in ein islamisches theokratisches Staatswesen nach iranischem Vorbild propagiert, lehnt im Gegensatz zu diesem allerdings die Existenz politischer Parteien ab. -97Publizistisch blieb der Verband auch 1991 aktiv. Sein auch in Baden-Württemberg verbreitetes Organ "Ümmet i Muhammed" (Die Gemeinde Mohammeds) diente ihm weiterhin als Sprachrohr zur Propagierung seiner extremistischen Ziele. Schon in der Vergangenheit waren dort wiederholt betont israelfeindliche islamistische Artikel erschienen. In der Ausgabe dieser Zeitung vom 1. Juni 1991 wurde unter dem Titel "Die Plage der Menschheit - Die unruhestiftenden Juden" erneut ein demagogischer Artikel veröffentlicht, der den israelischen Staat und seine Bürger massiv diffamiert. Extrem nationalistische Organisationen Die extrem nationalistische "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V." (ADÜTDF) entwickelte 1991 - wie bereits in den Vorjahren - kaum nennenswerte Aktivitäten. Sie konnte auch 1991 nicht die bereits vor Jahren vollzogene Abspaltung der "Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine e.V." (TIKDB) überwinden. Hieran vermochte auch der im Vorjahr vorgenommene vollständige Führungswechsel nichts zu ändern. Das Anhängerpotential beider Verbände dürfte sich landesweit leicht auf etwa 1.800 Personen erhöht haben (1990: 1.700). Ideologisch orientiert sich die ADÜTDF an dem Gedankengut der in der Türkei verbotenen "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP) des Alparslan TÜRKES, der jetzt die Nachfolgepartei, die "Nationalistische Arbeitspartei" (MCP), leitet. Mehrere Reisen führten TÜRKES im Februar, April und September 1991 in das Bundesgebiet, wo er Veranstaltungen von der Föderation angeschlossenen Vereinen besuchte, darunter auch in Philippsburg am 21. September 1991. In seinen Ansprachen befürwortete er die Eingliederung "klassischer" türkischer Siedlungsgebiete um Kirkuk und Mossul (Irak) und verdeutlichte dabei seine Vision von einem "großtürkischen" Reich. -98Araber Palästinenser Die auch in Baden-Württemberg agierenden palästinensischen Widerstandsorganisationen traten 1991 - insbesondere nach dem Ende des Golfkriegs - nur noch verhältnismäßig selten an die Öffentlichkeit. Verglichen mit den Vorjahren zeigten sich die Sozialrevolutionäre, nationalistische AL FATAH ebenso wie die orthodox-kommunistische "Demokratische Front für die Befreiung Palästinas" (DFLP) deutlich weniger aktiv. Lediglich die marxistisch-leninistische "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) intensivierte ihre konspirative extremistische Arbeit in kleinen Zirkeln. Ihre Aktivisten bemühten sich erfolgreich und mit viel Engagement um die ideologische Schulung und Betreuung von Mitgliedern und Sympathisanten. Während des Golfkriegs hatten nahezu alle palästinensischen Gruppierungen für die irakische Seite und Saddam HUSSEIN Partei ergriffen. Auch in Baden-Württemberg attackierten die palästinensischen Extremisten die westliche Staatengemeinschaft wegen deren Haltung in dieser Auseinandersetzung. In Palästinenserkreisen wurde besonders begrüßt, daß der irakische Regierungschef die Beendigung des Golfkonflikts - zumindest anfangs - mit der Lösung der Palästinenserfrage verknüpft hatte. Im Verlauf des Golfkonflikts waren die palästinensischen Extremisten auf zahlreichen Veranstaltungen und internen Treffen nicht selten von deutschen Gesinnungsgenossen unterstützt worden. Dabei rechtfertigten die Palästinenser häufig die irakische Annexion Kuwaits. Sie bezeichneten den Golfkrieg als defensiven Krieg, der sich gegen die westliche Aggression und die imperialistische Hegemonie gerichtet habe. Die rasche Niederlage des Irak im Golfkrieg bedeutete für die palästinensischen Extremisten eine schwere Enttäuschung, von der sie sich nur langsam erholten. Erst die 20. Tagung des "Palästinensischen Nationalrats" (PNC) der "Palästinensischen Befreiungsorganisation" (PLO) vom 23. bis 28. September 1991 in Algier führte zu einer Neuorientierung und zur Festlegung neuer politischer Positionen. Die internationalen Bemühungen zur Lösung des Nahostkonflikts und die Einberufung einer Serie von Konferenzen stießen im palästinensischen Lager keineswegs auf einhellige Zustimmung. Sie führten vielmehr zu einer erneu- -99ten und teilweise vertieften Spaltung der ohnehin unterschiedlichste Ziele verfolgenden, miteinander rivalisierenden palästinensischen Gruppierungen. Während zahlreiche gemäßigte Palästinenser und Teile der PLO, darunter auch deren Leiter und Chef der AL FATAH, Yassir ARAFAT, die Einberufung der Nahostfriedenskonferenz am 30. Oktober 1991 in Madrid begrüßten, lehnten weite Teile von DFLP und PFLP die Gespräche strikt ab. Ahmad JIBRIL, Chef der PFLP-Generalkommando (PFLP-GC), einer kleinen terroristischen palästinensischen Splitterorganisation, übte ebenso massive Kritik an ARAFATS Haltung wie die Gruppe ABU NIDALs, auch bekannt unter der Bezeichnung "FATAH-Revolutionärer Rat". Die gemäßigten palästinensischen Kräfte wurden von ihren politischen Widersachern als Verräter und Abtrünnige gebrandmarkt. Teilweise drohten ihnen die Radikalen sogar mit persönlicher Verfolgung. Insbesondere die gewaltorientierte PFLP hielt bislang vehement an ihrer Haltung fest, jegliche Friedensgespräche abzulehnen. Gegenüber Israel und den Juden besteht sie weiterhin auf ihrer von mangelnder Bereitschaft zu Konzessionen und Haß gekennzeichneten Position. Besonders deutlich wurde dies u.a. bei einer Rede, die der PFLP-Vorsitzende George HABBASH anläßlich einer Sitzung des Palästinensischen Nationalrats in Algier hielt. In seinen Ausführungen, die auch unter den hiesigen PFLP-Anhängern verbreitet und von den meisten einhellig begrüßt wurden, sprach sich der PFLPChef für eine gewaltsame Lösung des Palästina-Konfliktes aus. HABBASH hob insbesondere die Notwendigkeit der Fortführung des bewaffneten Kampfes gegen Israel hervor. Gleichzeitig stellte er deutlich heraus, daß die Vorstellungen der PFLP und gleichgesinnter palästinensischer Gruppen nicht mit denen der offiziellen PLO übereinstimmen. Die PLO-Führung wird von HABBASH dazu aufgerufen, den Staat Palästina durch Kampf zu realisieren. Dazu hält er unter anderem eine Steigerung der Intifada für erforderlich, um so dem Feind "unerträgliche" Menschen Verluste beizubringen. Die Mehrzahl der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden PFLP-Anhänger fühlt sich - nicht zuletzt auch aufgrund einer strengen Parteidisziplin - den politischen Zielvorstellungen der Parteiführung aufs engste verbunden und propagiert uneingeschränkt deren gewaltorientierten Kurs im Rahmen ihrer politischen Aktivitäten. Obwohl die PFLP in Europa seit mehreren Jahren keine Anschläge mehr durchgeführt hat, stellt sie, ebenso wie eine Reihe kleinerer palästinensischer - 100Splittergruppen, nach wie vor einen ernstzunehmenden Faktor im Hinblick auf die Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Dies gilt in noch stärkerem Maße für die PFLP-GC und die ABU NIDALOrganisation. Die Bedeutung dieser zahlenmäßig kleinen, aber äußerst gefährlichen nahöstlichen Terrororganisationen dürfte bei einem für sie negativen Ausgang der Friedensbemühungen und Konferenzen, die beide erklärtermaßen ablehnen, künftig eher noch zunehmen. Das Gewaltpotential und die Schlagkraft derartiger Organisationen wird beispielhaft durch die Verurteilung zweier Mitglieder der PFLP-GC durch das Oberlandesgericht in Frankfurt/M. am 3. Juni 1991 erhellt. Sie wurden für schuldig befunden, an Anschlägen auf US-Militärzüge in Niedersachsen am 31. August 1987 und am 26. April 1988 beteiligt gewesen zu sein, im Bundesgebiet Waffen und Sprengstoff gelagert sowie einen Radiorecorder als Sprengsatz präpariert zu haben. Gegen sie wurden u.a. wegen gemeinschaftlich versuchten Mordes sowie Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Sprengstoffgesetz Freiheitsstrafen von 15 bzw. 12 Jahren verhängt. Arabische Fundamentalisten Eine Gefährdung der Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland geht nach wie vor auch von den extremistischen fundamentalistischen arabischen Organisationen aus. Hierzu zählen vor allem die beiden miteinander konkurrierenden libanesischen schiitischen Terrororganisationen "Hizb'Allah" (Partei Gottes) und "AMAL" (Hoffnung) sowie die sunnitische multinationale Moslembruderschaft und ihr palästinensischer Ableger "HAMAS" (Begeisterung). Ihnen gemeinsam ist neben der Verbreitung einer islamistischen Ideologie vor allem der Haß auf Israel und die westliche Welt. Anhänger dieser Gruppierung gibt es auch in Baden-Württemberg. Sie traten im Berichtszeitraum allerdings kaum öffentlich in Erscheinung, sondern entwickelten ihre politische Aktivitäten überwiegend im Rahmen regelmäßig stattfindender interner Versammlungen. Führungskader sprachen sich dabei häufig für einen militanten, intoleranten Islam aus, der sich den westlichen Einflüssen wie dem gesamten abendländischen politischen und gesellschaftlichen Wertesystem mit freiheitlich-demokratischer, laizistischer Staatsordnung entgegenstellen müsse. Vor allem aber wurden immer wieder der bewaffnete - IOI - Kampf gegen Israel propagiert und der Versuch, eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts herbeizuführen, radikal abgelehnt. Unterstützt werden die islamischen Extremisten neuerdings wieder stärker durch iranische Kräfte. So wurde als Gegengewicht zur Madrider Nahostfriedenskonferenz im Oktober 1991 in Teheran eine "Internationale Konferenz für die Unterstützung der islamischen Revolution des palästinensischen Volkes" abgehalten, die von der Forderung nach verstärktem bewaffnetem Kampf gegen den israelischen Staat geprägt war. An der Versamiung beteiligten sich neben palästinensischen Extremistengruppen auch die "Hizb'Allah" und die "HAMAS". Ebenso wie die übrigen Teilnehmer erteilten beide Gruppen den internationalen Friedensbemühungen erneut eine klare Absage. Dabei griffen sie sowohl Rußland und die übrigen Länder des früheren Ostblocks als auch die "konservativen Mächte" unter Führung der Amerikaner scharf an. Die Gefahr gewaltsamer Aktionen islamischer Extremisten auch im Bundesgebiet ist unverändert hoch, zumal hier zwei "Hizb'Allah"-Anhänger u.a. wegen Geiselnahme, Verstoßes gegen das Sprengstoffund Luftverkehrsgesetz, Mord und Beteiligung an der Entführung eines US-amerikanischen Verkehrsflugzeugs inhaftiert sind. Im Libanon befinden sich immer noch zwei Bundesbürger als Geiseln in Händen schiitischer Extremisten. 4. Jugoslawen Die Situation der in den letzten Jahrzehnten auch militant agierenden jugoslawischen Emigrantengruppen im Bundesgebiet hat sich durch die krisenhafte Situation im Heimatland grundsätzlich geändert. Seit der politischen Wende und den Wahlerfolgen antikommunistischer Parteien in Kroatien und Slowenien im Frühjahr 1990 gehen von den in der Bundesrepublik Deutschland vertretenen Emigrantenorganisationen kaum noch Aktivitäten aus. Auch Gewaltakte haben kroatische Extremisten, die früher in Baden-Württemberg einen Operationsschwerpunkt besaßen, hier in den letzten Jahren nicht mehr verübt. Dennoch besteht unter den verschiedenen Vereinigungen Übereinstimmung, ihre Organisationen vorerst noch nicht aufzulösen, sondern zunächst die weitere Entwicklung im Heimatland abzuwarten. Einige der bisher in der Bundesrepublik Deutschland lebenden kroatischen Extremisten sind inzwischen in ihre Heimat zurückgekehrt und unterstützen die kroatischen Nationalgardisten aktiv. - 102 - Die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Gegner des Vielvölkerstaates - darunter auch die Anhänger des extrem-nationalistischen Dachverbands der kroatischen Emigrantenorganisationen "Kroatischer Nationalrat" (HNV) - nahmen den jugoslawischen Nationalitätenkonflikt und den Krieg in Kroatien sowie zuvor in Slowenien zum Anlaß für zahlreiche Protestkundgebungen und Solidaritätsaktionen, die bisher allesamt friedlich verliefen. Die Demonstrationen, an denen sich teilweise Tausende jugoslawischer Regimegegner beteiligten, richteten sich gegen die "chauvinistische Politik Serbiens", das gewaltsame Vorgehen der serbisch dominierten jugoslawischen Bundesarmee in Kroatien und Slowenien sowie gegen die brutale Unterdrückung der Kosovo-Albaner. Bedingt durch den sich immer weiter zuspitzenden Nationalitätenkonflikt in Jugoslawien hat sich die bisherige jugoslawische politische "Szene" in BadenWürttemberg stark aufgesplittert. Ein weites Netz kroatischer, kosovo-albanischer, aber auch serbischer Zirkel, die ein reges politisches Leben entfalten, ist über das ganze Land verteilt. Dabei bemühen sich diese Gruppen um enge Verbindungen zum jeweiligen Heimatland und um Einfluß auf die dortige Entwicklung. Vor allem die Solidaritätsaktionen der im Bundesgebiet lebenden Kroaten für die Heimat haben stark zugenommen. Gastarbeiter und Emigranten spenden erhebliche Summen. Dabei wird den Spendern nicht verschwiegen, daß die Gelder teilweise auch für den Kauf von Waffen zur Unterstützung kroatischer Einheiten verwendet werden sollen. Bei grenzpolizeilichen Kontrollen wurden in letzter Zeit vermehrt solche illegalen Waffenlieferungen festgestellt. Die Spannungen zwischen den in Baden-Württemberg lebenden Kroaten und Serben haben sich im vergangenen Jahr deutlich verschärft. Zwar reagieren die hier lebenden Kroaten noch immer meist friedlich auf die kriegerischen Ereignisse im Heimatland, doch sind in den letzten Monaten mehrfach heftige verbale, teilweise aber auch schon gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Nationalitätengruppen bekanntgeworden. Ebenso ist ein Anstieg von Farbschmierereien, kleineren Sachbeschädigungen und Drohanrufen oder -schreiben zu verzeichnen. - 103Als Zeichen einer erhöhten Gewalthereitschaft sind heispielsweise folgende Ereignisse zu werten: o Am 17.April 1991 entstand hei einem Sprengstoffanschlag auf die Paulskirche in München Sachschaden in Millionenhöhe. In der Kirche werden Gottesdienste für kroatische Christen abgehalten. Nach der Tat wurde eine serbische Schmierparole festgestellt. o Am 8. September 1991 wurden in Göppingen vor einem jugoslawischen Marktstand handgreifliche Auseinandersetzungen zwischen etwa 30 Jugoslawen unterschiedlicher landsmannschaftlicher Zugehörigkeit ausgetragen. Mehrere Personen mußten wegen Hiebund Stichverletzungen behandelt werden. Der Streit soll sich entzündet haben, nachdem eine Gruppe von Kosovo-Albanern eine am Marktstand angebrachte jugoslawische Fahne heruntergerissen hatte. o Am 2. Juli 1991 kam es in StuttgartDegerloch zu Streitigkeiten zwischen einem Serben und einem Slowenen, in deren Verlauf letzterer durch Messerstiche schwer verletzt wurde. Vorausgegangen waren persönliche und politische Meinungsverschiedenheiten. o Am 20. Oktober 1991 wurde in einer Gaststätte in Ludwigsburg wegen des Nationalitätenkonflikts eine Auseinandersetzung zwischen jugoslawischen Gästen ausgetragen. Im Verlauf der Streitigkeiten wurde der Gastwirt (Serbe) von einem Kroaten duch einen Messerstich verletzt. o Im September 1991 erhielten mehrere Kroaten in Winterlingen serbokroatisch abgefaßte Drohschreiben. Die Briefe enthielten Drohungen wie "Wir kommen, Du Ustascha, Dir den Kopf zu zerschlagen". Auf einem der Schriftstücke war eine schwarze Hand skizziert mit dem Zusatz "Schwarze Hand ist nahe". Trotz der anhaltend gespannten Situation zwischen den einzelnen Nationalitäten ist es bisher zu keiner weiteren Eskalation der Gewalt unter den hier lebenden Volksgruppen gekommen. Auch liegen keine Anhaltspunkte vor, daß Die "Ustascha" (Aufständische) war die tragende politische Kraft im "Unabhängigen Staat Kroatien" (1941 - 1945). Die "Schwarze Hand" wurde Anfang des Jahrhunderts als serbischer Geheimbund bekannt. Anhaltspunkte, ob die Vereinigungen wieder existent sind, liegen nicht vor. - 104 - extremistische jugoslawische, vornehmlich kroatische Gruppierungen, terroristische Aktionen in Deutschland oder anderen westlichen Staaten planen. Allerdings können Kurzschlußhandlungen fanatisierter Einzelpersonen oder Kleinstgruppen keineswegs ausgeschlossen werden, insbesondere dann nicht, wenn die Kriegshandlungen in den verschiedenen jugoslawischen Landesteilen weiter anhalten oder erneut aufflackern. Die in mehrere Flügel aufgespaltene linksextremistische kosovo-albanische Emigrantenorganistion "Volksbewegung für die Republik Kosovo" (LPRK) fordert unverändert die Schaffung einer "Republik Kosovo" innerhalb Jugoslawiens. Sie organisierte im Januar 1991 erneut anläßlich des Todestages ihrer früheren Funktionäre, der 1982 in Untergruppenbach/Kreis Heilbronn ermordeten Brüder GERVALLA und Enver KADRI, eine Demonstration in Stuttgart. Von der nationalistischen "Nationaldemokratischen Liga der Albanischen Treue" (N.D.SH.) mit Sitz in Donzdorf/Kreis Göppingen gingen kaum noch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten aus. Mitglieder dieser Vereinigung beteiligten sich aber an von kroatischen Emigrantenorganisationen durchgeführten antijugoslawischen Protestkundgebungen. Iraner Die Anhängerzahl der iranischen Extremistengruppen ist 1991 unverändert geblieben. Auch zwischen den verschiedenen Lagern haben sich keine nennenswerten Verschiebungen ergeben. Weiterhin die größte und aktivste Oppositionsbewegung ist die "Organisation der Volksmojahedin Iran" (PMOI). Ihre Anhänger sind im Bundesgebiet in der islamisch-fundamentalistischen, marxistisch geprägten "Iranischen Moslemischen Studenten-Vereinigung Bundesrepublik Deutschland e.V." (IMSV) organisiert. Mit Versammlungen, Demonstrationen und in Publikationen verurteilten sie in polemischer Weise u.a. den Besuch von Bundesaußenminister GENSCHER im Iran. Zusammen mit anderen linksextremistischen iranischen Oppositionsgruppen führten sie Ende Juni 1991 eine Reihe von Protestaktionen gegen den geplanten Staatsbesuch des iranischen Staatspräsidenten RAFSANJANI in Deutschland durch. Des weiteren richteten sie Angriffe gegen das iranische "Kulturfestival" vom 12. September bis 13' Oktober 1991 in Düsseldorf. Die orthodox-kommunistische "Tudeh-Partei" trat kaum mehr in Erscheinung. - 105Der "Rat der Konstitutionellen Monarchie des Iran in der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin" (R.K.M.I.) konnte seine Stellung als Sammelbecken iranischer Monarchisten nicht behaupten. Immer wieder splitterten sich Fraktionen ab und bildeten neue, monarchistisch ausgerichtete Vereinigungen. Die islamisch-extremistische "Union Islamischer Studentenvereine in Europa" (U.I.S.A.) vertritt nach wie vor als einzige Organisation im Bundesgebiet die religiös-politischen Ziele der Islamischen Republik Iran. Nennenswerte Aktivitäten konnten von ihr in Baden-Württemberg bislang nicht festgestellt werden. Sikhs Die Bestrebungen extremistischer Sikhs, im indischen Bundesstaat Punjab einen eigenen Staat Khalistan (Land der Reinen) zu gründen, führten auch 1991 im Heimatland zu zahllosen Morden und anderen Gewaltverbrechen. Die Welle des Sikh-Terrorismus schwappte dabei erneut auf Europa über. Nachdem bereits 1989 im Bundesgebiet zwei Sikhs - offenbar aus politischen Gründen - ermordet worden waren, kam es 1991 europaweit erneut zu Terrorakten: o Ermordung eines Funktionärs der extremistischen Sikhorganisation "International Sikh Youth Federation" (ISYF) in Frankfurt/Main im Mai 1991. o Mißglückter Mordanschlag auf den indischen Botschafter in Bukarest/Rumänien im August 1991. Starke Exilgruppen von Sikhs bestehen in Kanada, den USA und in Großbritannien. Dortige Aktivisten extremistischer Gruppen, wie der in verschiedene Flügel gespaltenen ISYF und der "Babbar Khalsa" (BK), unterhalten engste Kontakte zu ihren Gesinnungsfreunden in aller Welt, so auch zu entsprechenden Stützpunkten in der Bundesrepublik Deutschland. Politische Meinungsverschiedenheiten der Organisationen werden in der Regel in den Versammlungsstätten der Sikhs, den Tempeln ("Gurdwaras"), ausgetragen. Die Funktionäre dieser Gruppierungen versuchen dabei zunehmend, ihren Einfluß in den Tempelkomitees auszuweiten. Dabei kommt es immer -106häufiger zu Gewaltanwendungen oder Einschüchterungen. Sikhtempel existieren in Frankfurt am Main, Köln und Stuttgart. Den Aktionsschwerpunkt für die politische extremistische Betätigung der Sikhs im Bundesgebiet bildet der Tempel in Frankfurt am Main. Häufige Ausschreitungen, wie beispielsweise Schlägereien, sind dort nichts Außergewöhnliches. In Baden-Württemberg agieren in kleinen Zirkeln etwa 50 Aktivisten der "International Sikh Youth Federation" (ISYF) und der "Babbar Khalsa" (BK). Sie fördern die "Khalistan-Sache" hauptsächlich durch Geldsammlungen bei Landsleuten - meist in Asylantenwohnheimen -, die der Unterstützung der "Kämpfer" im Heimatland dienen. Stützpunkte bestehen in den Großräumen Stuttgart und Mannheim sowie in Südbaden. 7. Tamilen Ein Teil der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Tamilen aus Sri Lanka ist in der deutschen Sektion der international tätigen linksextremistischen "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) organisiert bzw. wird von ihr betreut. Ziel der Vereinigung ist die Schaffung eines unabhängigen Staates Tamil Eelam. Zur Verwirklichung ihres Ziels führt die LTTE bereits seit Jahren einen Guerillakampf gegen die überwiegend buddhistische, singhalesische Bevölkerungsmehrheit und die Regierung in Colombo, für dessen Finanzierung auch 1991 erhebliche Mittel benötigt wurden. Zur Deckung dieser Kosten zirkulieren auch im Bundesgebiet Spendenaufrufe bei Veranstaltungen anläßlich von "Heldengedenktagen" und bei "Politund Musiktourneen". Darüber hinaus werden seit Jahren gezielte Sammlungskampagnen bei Landsleuten durchgeführt, wobei in Einzelfällen auch erpresserische Mittel angewandt werden. In Baden-Württemberg existieren Aktionsschwerpunkte in Stuttgart, Ludwigsburg und Kirchheim/Teck. - 107 - Spionageabwehr Allgemeiner Überblick Die Autlösung des "Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe" (COMECON) und des Warschauer Pakts sowie der Zerfall der Sowjetunion hatten tiefgreifende Auswirkungen auch auf die dortigen Aufklärungsdienste. So führte der politische Umbruch bei diesen Diensten zu grundlegenden und noch längst nicht abgeschlossenen Umstrukturierungen. Ihre gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Aktivitäten waren im Jahre 1991 mehr oder minder deutlich reduziert. Der Grad der vom ehemaligen Ostblock noch ausgehenden Bedrohung läßt sich gegenwärtig nur schwer abschätzen. Zwar haben die Nachrichtendienste ihre Bedeutung als Instrument im Wettstreit der Gesellschaftsordnungen verloren, dennoch wird vor allem angesichts der bestehenden wirtschaftlichen Probleme und des technologischen Gefälles zwischen Ost und West auch künftig mit Ausforschungsbemühungen der verschiedensten Art zu rechnen sein. Eine aussagekräftige Bewertung läßt sich allerdings erst nach einer Konsolidierung der politischen Situation, dem Abschluß der Umstrukturierung der Dienste und einer ausreichenden Beobachtungsfrist vornehmen. Im Berichtsjahr wurde die Spionageabwehr noch immer in erheblichem Umfang durch die Aufarbeitung der Hinterlassenschaften des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Anspruch genommen. Im Vordergrund stand hierbei die Notwendigkeit, der durchaus konkreten Gefahr der Reaktivierung bislang unentdeckt gebliebener Agenten und hauptamtlicher Mitarbeiter des früheren MfS durch fremde Nachrichtendienste möglichst umfassend zu begegnen. So konnten aufgrund umfangreicher Vorermittlungen des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg auch in unserem Land mehrere Agenten enttarnt werden. Eine nennenswerte Bedrohung ging im Jahr 1991 im wesentlichen noch von den Aufklärungsdiensten der ehemaligen UdSSR aus. Aktivitäten entwickelte darüber hinaus z.B. auch Rumänien. Die Werbungsbemühungen gingen allerdings im Vergleich zu 1990 nochmals spürbar zurück. Im Mittelpunkt des Interesses standen wie bisher Wirtschaft und Wissenschaft - sowie nach einem Rückgang im Vorjahr - erneut der militärische Bereich. Hinsichtlich der Arbeitsweise ist eine Anpassung an die veränderten Umfeldbedingungen unverkennbar. I - 108 - Einzelerkenntnisse Nachrichtendienste der ehemaligen DDR Mit der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und der anderen Aufklärungseinheiten wurden auch deren organisatorische Strukturen zerschlagen. Noch immer jedoch ist von mindestens 350 unentdeckten hochwertigen Quellen des früheren MfS im Bundesgebiet auszugehen. Speziell die Aufklärungsdienste der UdSSR kannten aufgrund der intensiven Zusammenarbeit mit dem MfS Name, Anschrift und Hintergrund solcher Personen. Es gibt Belege dafür, daß - teilweise mit Unterstützung früherer Führungsoffiziere - nachrichtendienstliche Verbindungen einstmals verbündeter Staaten fortgeführt worden sind. Nachrichtendienste der ehemaligen UdSSR Im Laufe des Jahres 1991 ergaben sich im wesentlichen folgende Erkenntnisse: o Sowohl der zivile Nachrichtendienst KGB als auch der militärische Dienst GRU haben sehr frühzeitig versucht, sich auf die veränderten Bedingungen im Operationsgebiet einzustellen und waren deshalb intensiv bemüht, insbesondere auf dem Territorium der ehemaligen DDR ihre nachrichtendienstliche Infrastruktur auszubauen; o die Beobachtung der künftigen Politik des wiedervereinten Deutschlands und die Gewinnung von Informationen aus Wirtschaft und Wissenschaft standen im Vordergrund; o die Ansprache und Einschleusung von Aussiedlern und Asylbewerbern sowie die Werbung von Perspektivagenten wurden in kaum verändertem Umfang weiterbetrieben; o die diplomatischen und militärischen Einrichtungen in den neuen Bundesländern haben eine gewichtige Rolle bei der Führung von Agenten gespielt; o Lauschangriffe wurden auf Richtfunkstrecken der Deutschen Bundespost fortgesetzt. - 109Diese Erkenntnisse belegen, daß weder die Niederschlagung des Putsches im August noch die am 11. Oktober 1991 vom damaligen Staatsrat beschlossene Auflösung des KGB zu einer eindeutigen Neuorientierung bei der Auslandsaufklärung geführt hat. Inwieweit diese Feststellung allerdings in der Zukunft Bestand haben wird, läßt sich nur schwer prognostizieren. Zum Jahresende 1991 können jedenfalls angesichts der politischen Situation und der noch nicht abgeschlossenen Diskussion über die Zusammenarbeit der nunmehr souveränen Einzelstaaten auf dem Gebiet der inneren und äußeren Sicherheit keine verläßlichen Aussagen über Struktur und Ziele der Nachrichtendienste auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR getroffen werden. So ist teilweise noch nicht zu erkennen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Dienststellen, Einrichtungen und Mitarbeiter des KGB von den jeweiligen Republiken übernommen werden. Die Klärung der Frage, ob es zu einer Koordinierung ihrer Aufklärungsaktivitäten - zumindest die größeren GUSStaaten dürften auch weiterhin eigene Dienste unterhalten - oder gar zur Bildung eines zentralen Aufklärungsapparats kommen wird, hängt nicht zuletzt von finanziellen Überlegungen und der Beseitigung vorhandener Interessengegensätze ab. Bei fortschreitendem Demokratisierungsprozeß in diesen Staaten, die auf umfassende Unterstützung des Westens angewiesen sind und sich schon aus politischer Rücksichtnahme eine gewisse Zurückhaltung auferlegen dürften, ist ein weiterer Rückgang der Spionagebedrohung zu erwarten. Besonders in den neuen Bundesländern jedoch, wo noch bis 1994 militärische Einrichtungen der ehemaligen Sowjetstreitkräfte unterhalten werden dürfen, muß auch weiterhin mit Spionageaktivitäten gerechnet werden. Sonstige Nachrichtendienste der ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten Die Nachrichtendienste der übrigen Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts waren dem politischen und gesellschaftlichen Wandel ebenfalls - wenn auch in unterschiedlichem Maße - ausgesetzt. Dies hatte zum Teil auch Auswirkungen auf ihre Aktivitäten im Bundesgebiet. So haben Ungarn und die CSFR ihre operative Tätigkeit gegen die Bundesrepublik eingestellt oder wenigstens deutlich reduziert. Für die polnischen Nachrichtendienste dagegen stellt Deutschland neben der ehemaligen Sowjetunion nach wie vor ein wichtiges Aufklärungsziel dar. Ihr fortbestehendes Ausforschungsinteresse hat wirtschaftliche, aber - aufgrund leidvoller Erfahrungen der Vergangenheit - auch historische Gründe. Die rumänischen Nachrichtendienste, die nach dem Sturz CEAUSESCUs keinen nennenswerten Strukturveränderungen unterworfen waren, arbeiten nahezu unbeeinflußt von politischen Reformen weiter. Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stehen unverändert die rumänische Emigration sowie Informationen aus Wissenschaft und Technik. Baden-Württemberg ist aufgrund seiner geographischen Lage, wirtschaftlichen Stärke sowie der vielfältigen landsmannschaftlichen Verbindungen zwischen beiden Ländern ein bevorzugtes Operationsgebiet. Sonstige Nachrichtendienste Es sind Aktivitäten zu beobachten, die darauf hindeuten, daß die Volksrepublik China nicht nur bestrebt ist, ihre weltweite Isolierung zu durchbrechen, sondern auch ihre Aufklärungsarbeit - unter verstärkter Einbeziehung der Botschaften und Konsulate - zukünftig zu intensivieren. Diese Feststellung trifft in besonderem Maße auf den wissenschaftlichen Bereich, besonders an Universitäten, zu. Aber auch "gemischte Firmen" könnten in Zukunft zunehmende Bedeutung bei der Informationsbeschaffung erlangen. Der Beeinträchtigung sicherheitspolitischer Belange der Bundesrepublik Deutschland durch den Technologietransfer in Staaten des Nahen und Mittleren Ostens ist eine stärkere Bedeutung zuzumessen. Es wird immer deutlicher, daß verschiedene Länder, in erster Linie Libyen und Irak, erhebliche Aktivitäten auf diesem Gebiet entfalten, die unter Berücksichtigung der dort herrschenden politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten nur im Wege der nachrichtendienstlichen Steuerung denkbar sind. -111 - Anhang Mitgliedschaften in rechtsextremistischen Organisationen -- Deutschland und Baden-Württemberg -- 1989 - 1991 1989 1990 1991* B e r e i c h Bund Land Bund Land Bund Land Neonationalsoz. Organisationen und unorganisierte Neonazis 1500 160 1400 150 2100 190 hiervon: "Gesinnungsgemeinschaft der 130 5 200 10 400 10 Neuen Front" (GdNF) FAP 330 45 200 20 150 5 NF 60 10 80 10 130 10 rechtsextremisische Skinheads 4200 190 Nationaldemokrat. Organisationen 8000 1640 7300 1610 6700 1440 hiervon: NPD 7000 1500 6500 1450 6100 1200 JN 900 160 750 140 550 120 National-Freiheitl. Organisationen 25000 3200 22000 2900 24000 2900 DVU (bisher DVU-Liste D) 25000 3200 22000 2900 24000 2900 DVU e.V. ** sonstige Vereinigungen 3200 70 2900 70 3950 250 hiervon: "Deutsche Liga" 800 180 Summe der Mitgliedschaften 37700 5110 33600 4750 40950 4970 Tatsächliche Kitgliederzahl 35900 4900 32300 4700 39800 4875 -nach Abzug der MehrfachmitgliedschaftenZahl der Mitgliedschaften bezieht sich für 1991 auf ganz Deutschland (1990 und früher lediglich auf Westdeutschland). Die Mitglieder der DVU e.V. wurden im Jahre 1989 in die Partei DVU (bis Februar 1991 als DVU-Liste D aufgetreten) übernommen, so daß die Angehörigen beider Gruppen nahezu identisch sind und deren Gesamtzahl nur einmal aufzuführen ist. Dr. FREY geht von einer höheren Mitgliederzahl aus. - 112 Mitgliedschaften in linksextremistischen Organisationen -- Deutschland und Baden-Württemberg -- 1989 - 1991 1989 1990 1991 B e r e i c h Bund Land Bund Land Bund Land Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten Kernorganisationen 34200 2790 25200 2000 1 1700 hiervon: DKP 22000 1800 11000 1000 8000 700 unter MLPD 1400 700 1500 700 1500 700 Nebenorganisationen 7200 570 900 200 1 130 * * * ? 1 b e e m f l . Organisationen , 54600 2250 26500 2250 2340 Anarchisten und sonstige 4500 280 6 4600 4 250 6 1 230 6 Sozialrevolutionäre Mitgliedschaften insgesamt - 45900 3680 30700 2500 2100 Mitglieder - nach Abzug ca. ca. ca. ca. ca. von Mehrfachmitgliedschaften 41000 3200 29500 2200 1700 und Kinderorganisationen 1) Zahlen lagen bei Redaktionsschluß noch nicht vor. 2) Einschließlich nichtkommunistischer Mitglieder. 3) Erfaßt sind nur Gruppen, die feste Strukturen ausweisen'und über einen längeren Zeitraum aktiv waren. 4) Einschließlich der Autonomen aus dem ehemaligen Bereich Berlin (Ost). 5) Ohne Mitglieder beeinflußter Organisationen 6) Gewaltbereite Autonome Anhänger extremistischer bzw. extremistisch beeinflußter Ausländerorganisationen in Baden-Württemberg 19 91 (Zahl in Klammern: 1990) orthodoxNeue Linke extremreligösGesamtzahl kommunistisch sozial-revolutionär nationalistisch nationalistisch 1991 (1990) ARABER 40 ( 60) 270 ( 400) 290 (275) 600 ( 735) IRANER 75 ( 75) 190 ( 190) 120 ( 120) 30 ( 30) 415 ( 415) JUGOSLAWEN 100 ( 110) 245 ( 265) 345 .( 375) KURDEN 220 ( 260) 470 ( 410) 690 ( 670) TÜRKEN 250 ( 280) 915 ( 910) 1800 (1700) 3100 (2900) 6065 ( 5790) SONSTIGE 75 ( 280) 140 ( 105) ( 60) 50 265 ( 445) GESAMT 660 ( 955) 2085 (2125) 2165 (2145) 3470 (3205) 8380 ( 8430) -114Mitgliederentwicklung AUSLÄNDISCHER EXTREMISTENGRUPPEN in Baden-Württemberg 1981 - 1991 20000 15000 h 100001*"""* I I 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 - 115Seite Gruppenund Organisationsregister Abu-Nidal-Organisation (ANO) 88, 99 f Action Directe 63 Aktion deutsches Radio und Fernsehen (ARF) 45 Aktion Oder-Neiße 45 Aktionsffont Nationaler Sozialisten/Nationale 28 Aktivisten (ANS/NA) AL FATAH 98 f AMAL-Bewegung 100 Arbeiterjugendverband/Marxisten-Leninisten 84 (AJV/ML) Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 88 ff Avrupa 'da Dev Genc (Revolutionäre Jugend 92, 94 in Europa) Babbar Khalsa (BK) 105 f Bewegung 32 Bismarck-Jugend (BJ) 49 f Bolsevik Partizan (BP) 93 f Bürgerund Bauerninitiative e.V. (BB1) 50 Bund Reichstreuer Jugend (BRJ) 28 Bund Westdeutscher Kommunisten (BWK) 85 Circulo Espanol de Amigos de Europa 51 (CEDADE - Spanischer Kreis der Freunde Europas) Demokratische Front für die Befreiung 98 f Palästinas (DFLP) Deutsche Allianz/Vereinigte Rechte (DA/VR) 19, 37 f, 40, 45, 47 Deutsche Alternative (DA) 18, 24, 28 Deutsche Bürgerinitiative e.V. (DBI) 32 Der Deutsche Weg (DDW) 27 - 116Seite Deutsche Friedens-Union (DFU) 82 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 20 f, 61, 78 ff, 82, 86 Deutsche Liga für Volk und Heimat (Deutsche Liga) 19, 23, 33, 39 f, 42, 44 ff Deutsche Volksunion (DVU) 18 f, 38, 42 ff, 54 Deutsche Volksunion e.V. (DVU) 42,45 f Deutsche Volksunion - Liste D (DVU-Liste D) 42 Deutscher Schutzbund für Volk und Kultur 45 Deutsches Hessen (DH) 27 Devrimci Sol (Dev Sol -Revolutionäre Linke) 88, 92 ff, Devrimci Sol Gücler (Revolutionäre Linke Kräfte) 94 Die Deutsche Freiheitsbewegung e.V. (DDF) 49 f Ehrenbund Rudel - Gemeinschaft zum Schutz 45 der Frontsoldaten (ER) Europäische Neuordnung (ENO) 50 Föderation der Arbeiter aus der Türkei in 93 Deutschland e.V. (AUF) Föderation der patriotischen Arbeiterund 92 Kulturvereine aus Kurdistan in der BRD e.V. (FEYKA-Kurdistan) Föderation der Türkisch-Demokratischen 97 Idealistenvereine in Europa e.V. (ADÜTDF) Föderation der türkischen demokratischen 95 Arbeitervereine in Deutschland e.V. (DIDF) Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen (FÖGA) 77 Förderverein Vereinigte Rechte 46 Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union (FAU) 76 Freie Arbeiter-Union/Anarchistische Partei" 76 (FAU/AP) Freie Arbeiter Union - Studenten (FAUST) 76 Freie Deutsche Jugend (fdj) 81 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) 18, 24, 27 ff Freiheitspartei Kurdistans (PAK) 90 117 Seite Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) 18, 24 f,26. 27 f Gruppe K 85 HAMAS 100 f Heimattreue Vereinigung Deutschlands (HVD) 18, 32 f Hilfsorganisation für nationale politische 31 Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) Hizb'Allah 100 f Initiative für Ausländerbegrenzung (I.f.A.) 45 International Sikh Youth Federation (1SYF) 105 f Iranische Moslemische Studenten-Vereinigung 104 Bundesrepublik Deutschland e.V. (IMSV) Junge Nationaldemokraten (JN) 37, 41 f Junge Pioniere-Sozialistische KinderorganiSHsation (JP) Junges Deutschland SO Jungsturm 30 Kämpfende Einheiten 68 f Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) 78 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 85 Kommunistischer Bund (KB) 84 f Konföderation der Arbeiter aus der Türkei 93 in Europa e.V. (ATIK) Kroatischer Nationalrat (HNV) 102 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) 88, 106 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands 83 f (MLPD) Marxistisch-Leninistischer Bund Intellek84 tueller (MLBI) Marxistisch-Leninistischer Schülerund 84 Studentenverband (MLSV) Marxistische Gruppe (MG) 85 Militante/Gewaltbereite Autonome 20, 60 f,67. 72 ff 118Seite Moslembruderschaft 100 Nationaldemokratische Liga der Albanischen Treue 104 (N.D.SH.) Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 19, 37 ff, 44 ff. Nationaldemokratischer Hochschulbund (NHB) 42 Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) 90 Nationale Heilspartei (MSP) 96 Nationale Liste (NL) 25, 27 Nationale Offensive (NO) 18, 29, 33 Nationaler Block (NB) 27 Nationalistische Arbeitspartei (MCP) 96 f Nationalistische Front (NF) 18, 29 ff Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter51 partei/Auslandsund Aufbauorganisation (NSDAP/AO) Neonazikreis um Curt MÜLLER 26,31 Organisation der Volksmojahedin Iran (PMOl) 104 Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) 98 f Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) 97 Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 78, 84 f PDS/Linke Liste 80 Radikale Linke 86 Rat der Konstitutionellen Monarchie des Iran 105 in der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin (R.K.M.I.) Revisionisten 39, 51 ff Revolutionäre Kommunistische Partei der Türkei 94 f (TDKP) Revolutionäre Zellen (RZ) 61 f, 70 ff, 78 Rote Armee Fraktion (RAF) * ' 19 f, 59 ff, 76 f, RoteZora 61,70 Sächsische Nationale Liste (SNL) 27 - 119Seite Schwarze Garde (SG) 76 Schwarze Hand 103 Skinheads 17 f, 23 44, 55 f Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 81 f Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) 78,82 Sozialistisches Forum 80,86 Tudeh-Partei 104 Türkische Arbeiterund Bauern92 befreiungsarmee (TIKKO) Türkische Kommunistische Partei/Marxisten88, 92 f Uninisten (TKP/ML) Türkische Volksbefreiungspartei/-front (THKP/-C) 94 Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine e.V. 97 (TIKDB) Union Islamischer Studenten vereine in Europa 105 (U.I.S.A.) Ustascha 103 Verband der islamischen Vereine und Gemein96 f den e.V. (ICCB) Vereinigte Kommunistische Partei der Türkei 95 (TDKP) Vereinigte Rechte 48 Vereinigte Sozialistische Partei (VSP) 85 Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V. 95 f (AMGT) Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - 82 f Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) Volksbefreiungsarmee Kurdistans (ARGK) 90 Volksbewegung für die Republik Kosovo (LPRK) 104 Volksfront für die Befreiung Palästinas - 98 ff (PFLP) Volksfront für die Befreiung Palästinas - 88, 99 f Generalkommando (PFLP - GC) 120Seite Volksbewegung für Generalamnestie (VOGA) 45 Volkssozialistische Bewegung Deutschlands/ 28,34 Partei der Arbeit (VSBD/PdA) Volkstreue Außerparlamentarische Opposition 25 (VAPO) Volkstreue Liste (VL) 18, 27, 28 Wiking-Jugend (WJ) 49 Wohlfahrtspartei (RP) 96 - 121 - Gesetz über den Verfassungsschutz SS2 in Baden-Württemberg Organisation, Zuständigkeit (Landesverfassungsschutzgesetz - LVSG) (1) Zur Wahrnehmung der Aufgaben des VerfasVom 22. Oktober 1991 sungsschutzes unterhält das Land ein Landesamt für Verfassungsschutz. Das Amt hat seinen Sitz in StuttDer Landtag hat am 16. Oktober 1991 das folgende gart und untersteht dem Innenministerium. Gesetz beschlossen: (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im EinINHALTSÜBERSICHT vernehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. SS 1 Zweck des Verfassungsschutzes SS 2 Organisation, Zuständigkeit (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darfeiner SS 3 Aufgaben des Landesamtes für VerfassungsPolizeidienststelle nicht angegliedert werden. schutz, Voraussetzungen für die Mitwirkung an Überprüfungsverfahren SS 4 Begriffsbestimmungen SS 5 Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz. SS 6 Erhebung personenbezogener Daten mit Voraussetzungen für die Mitwirkung nachrichtendienstlichen Mitteln an überprüfungsverfahren SS 7 Speicherung, Veränderung und Nutzung per(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die sonenbezogener Daten " Aufgabe, Gefahren für die freiheitliche demokratiSS 8 Speicherung, Veränderung und Nutzung persche Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit sonenbezogener Daten von Minderjährigen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder frühzeitig zu erkennen und den zuständigen Stellen SS 9 Übermittlung personenbezogener Daten an zu ermöglichen, diese Gefahren abzuwehren. das Landesamt für Verfassungsschutz SS 10 Übermittlung personenbezogener Daten (2) Zur Erfüllung dieser Aufgaben sammelt das durch das Landesamt für Verfassungsschutz Landesamt für Verfassungsschutz Informationen, SS 11 Übermittlungsverbote insbesondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen von Organisationen SS 12 Unterrichtung der Öffentlichkeit und Personen über SS 13 Auskunft an den Betroffenen SS 14 Berichtigung, Löschung und Sperrung perso1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demonenbezogener Daten kratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet SS 15 Besondere Pflichten des Landesamtes für Versind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der fassungsschutz Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes SS 16 Parlamentarische Kontrolle oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, SS 17 Einschränkung von Grundrechten 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche SS 18 Erlaß von Verwaltungsvorschriften Tätigkeiten im Geltungsbereich des GrundgesetSS 19 Inkrafttreten zes für eine fremde Macht, SS1 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch die Anwendung von Gewalt oder Zweck des Verfassungsschutzes darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitgefährden, lichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschund wertet sie aus. Sammlung und Auswertung von land und ihrer Länder. Informationen nach Satz 1 setzen im Einzelfall vor- - 122aus. daß für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach (4) Die Mitwirkung des Landesamtes für VerfasSatz 1 Nummern 1 bis 3 tatsächliche Anhaltspunkte sungsschutz nach Absatz 3 setzt im Einzeifall voraus, vorliegen. daß der Betroffene und andere in die Überprüfung einbezogene Personen über Zweck und Verfahren (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt mit der Überprüfung einschließlich der Verarbeitung der erhobenen Daten durch die beteiligten Dienststellen 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, deunterrichtet werden. Darüber hinaus ist im Falle der nen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbeEinbeziehung anderer Personen in die Überprüfung dürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntderen Einwilligung und im Falle weitergehender Ernisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalmittlungen nach Absatz 3 Satz 3 die Einwilligung ten sollen oder ihn sich verschaffen können, des Betroffenen erforderlich. Die Sätze 1 und 2 gelten nur, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die ist. an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, SS4 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum B egriffsbeslim m üngen Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhal(1) Im Sinne dieses Gesetzes sind tungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte, 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel4. auf Anforderungen der Einstellungsbehörde bei und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem der Überprüfung von Personen, die sich um Einoder für einen Personenzusammenschluß. der stellung in den öffentlichen Dienst bewerben, sodarauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder wie auf Anforderung der Beschäftigungsbehörde eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben. bei der Überprüfung von Beschäftigten im öffentihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu lichen Dienst, bei denen der auf Tatsachen beruihm gehörendes Gebiet abzutrennen; hende Verdacht besteht, daß sie gegen die Pflicht zur Verfassungstreue verstoßen. 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes 5. bei der sicherheitsmäßigen Überprüfung von Einoder eines Landes solche politisch bestimmten. zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in eibürgerungsbewerbern, nem oder für einen Personenzusammenschluß. 6. bei der Überprüfung der Zuverlässigkeit von Perder darauf gerichtet ist, den Bund. Länder oder sonen nach SS 12 b des Atomgesetzes, deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; 7. bei der sicherheitsmäßigen Überprüfung von Personen, die zu sicherheitsempfindlichen Bereichen 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokrativon Flughäfen Zutritt haben, nach SS 29 c des sche Grundordnung solche politisch bestimmten. Luftverkehrsgesetzes. zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in ei8. bei sonstigen Überprüfungen, soweit dies im Einnem oder für einen Personenzusammenschluß. zelfall zum Schutz der freiheitlichen demokratider darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 geschen Grundordnung oder für Zwecke der Öffentnannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen lichen Sicherheit erforderlich ist. Näheres wird oder außer Geltung zu setzen. durch Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums bestimmt. Für einen Personenzusammenschluß handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen aktiv sowie zielund zweckgerichtet unterstützt. Verhaltensweisen von Die Mitwirkung des Landesamtes für VerfassungsEinzelpersonen, die nicht in einem oder für einen schutz nach Satz 1 erfolgt in der Weise, daß es eigePersonenzusammenschluß handeln, sind Bestrebunnes Wissen oder bereits vorhandenes Wissen der für gen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendie Überprüfung zuständigen Behörde oder sonstidung von Gewalt gerichtet sind oder auf Grund ihrer ger öffentlicher Stellen auswertet. In den Fällen des Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Satzes 1 Nummern 1 und 2 führt das Landesamt für Gesetzes erheblich zu beschädigen. Verfassungsschutz weitergehende Ermittlungen durch, wenn die für die Überprüfung zuständige Be(2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordhörde dies beantragt. nung im Sinne dieses Gesetzes zählen: -1231. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen SS6 und Abstimmungen und durch besondere Organe Erhebung personenbezogener Daten mit der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und nachrichtenäienstlichen Mitteln der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner unmittelbarer, freier, glei(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann Mecher und geheimer Wahl zu wählen, thoden, Gegenstände und Instrumente zur heimli2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfaschen Informationsbeschaffung, wie den Einsatz von sungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollVertrauensleuten und Gewährspersonen, Observaziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an tionen, Bildund Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere Gesetz und Recht, und Tarnkennzeichen anwenden (nachrichtendienstliche Mittel). Diese sind in einer Dienstvorschrift zu 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlabenennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordmentarischen Opposition, nung solcher Informationsbeschaffungen regelt. Die 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre VerantDienstvorschrift bedarf der Zustimmung des Innenwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, ministeriums, das den Ständigen Ausschuß des Landtags unterrichtet. 5. die Unabhängigkeit der Gerichte. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann per6. der Ausschluß jeder Gewaltund Willkürherrsonenbezogene Daten und sonstige Informationen schaft und mit nachrichtendienstlichen Mitteln erheben, wenn 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschentatsächliche Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, rechte. daß 1. auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 2 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen SS5 Quellen gewonnen werden können oder Befugnisse lies Landesamtes für Verfassungsschutz 2. dies zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrich(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann die tungen. Gegenstände und Quellen des Landesamzur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS3 erforderlites für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährchen Informationen verarbeiten. Die Verarbeitung dende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erfor- f personenbezogener Daten richtet sich insoweit nach derlich ist. den Vorschriften dieses Gesetzes und, soweit dort (3) Das in einer Wohnung nicht öffentlich gesprokeine Regelungen getroffen sind, nach den Vorchene Wort darf mit technischen Mitteln nur dann schriften des Landesdatenschutzgesetzes mit Ausheimlich mitgehört oder aufgezeichnet werden, wenn nahme der SSSS 8 und 11 Abs. 2 bis 5 sowie SSSS 12 bis 20 es im Einzelfall zur Abwehr einer gegenwärtigen gedes Landesdatenschutzgesetzes. meinen Gefahr oder einer gegenwärtigen Lebensgefahr für einzelne Personen unerläßlich ist und geeig(2) Werden personenbezogene Daten beim Betroffenete polizeiliche Hilfe für das bedrohte Rechtsgut nen mit seiner Kenntnis erhoben, so ist der Erhenicht rechtzeitig erlangt werden kann. Satz I gilt entbungszweck anzugeben. Der Betroffene ist auf die sprechend für den verdeckten Einsatz technischer Freiwilligkeit seiner Angaben und bei einer SicherMittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und heitsüberprüfung nach SS 3 Abs. 3 auf eine dienst-, arBildaufzeichnungen in Wohnungen. beitsrechtliche oder sonstige vertragliche Mitwirkungspflicht hinzuweisen. (4) Die Erhebung nach den Vorschriften der Absätze 2 und 3 ist unzulässig, wenn die Erforschung des (3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse Sachverhalts auf andere, den Betroffenen weniger stehen dem Landesamt für Verfassungsschutz nicht beeinträchtigende Weise möglich ist; eine geringere zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der AmtsBeeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn hilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst die Informationen durch Auskunft nach SS9 Abs. 4 nicht befugt ist. gewonnen werden können. Die Anwendung des (4) Von mehreren geeigneten Maßnahmen hat das nachrichtendienstlichen Mittels darf nicht erkennbar Landesamt für Verfassungsschutz diejenige zu wähaußer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden len, die den Betroffenen voraussichtlich am wenigSachverhalts stehen. Die Maßnahme ist unverzüglich sten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf keinen zu beenden, wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer VerhältAnhaltspunkte dafür ergeben, daß er nicht oder nis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. nicht auf diese Weise erreicht werden kann.- -124(5) Bei Erhebungen nach Absatz 3 und solchen nach (3) Die nach Absatz I Nummer 3 und Absatz 2 geAbsatz 2, die in ihrer Art und Schwere einer Bespeicherten personenbezogenen Daten dürfen nur schränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimfür die dort genannten Zwecke sowie für Zwecke nisses gleichkommen, zu denen insbesondere das verwendet werden, die der Wahrnehmung von AufAbhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gegaben nach SS 3 Abs. 2 Nr. 2 oder der Beobachtung sprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz techvon Bestrebungen, die durch Anwendung von Genischer Mittel gehören, ist der Eingriff nach seiner walt oder darauf gerichtete VorbereitungshandlunBeendigung der betroffenen Person mitzuteilen, sogen gegen die in SS 3 Abs. 2 Nr. 1 und 3 genannten bald eine Gefährdung des Zweckes der Maßnahme Schutzgüter gerichtet sind, dienen. ausgeschlossen werden kann. Einer Mitteilung an den Betroffenen bedarf es nicht, wenn sich auch (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die nach fünf Jahren noch nicht abschließend beurteilen Speicherungsdauer auf das für seine Aufgabenerfülläßt, ob diese Voraussetzung vorliegt. Die durch sollung erforderliche Maß zu beschränken. che Maßnahmen erhobenen Informationen dürfen nur nach Maßgabe des SS 7 Abs. 3 des Gesetzes zu Ar(5) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu tikel 10 Grundgesetz vom 13. August 1968 (BGBl. I Zwecken der Datenschutzkontrolle, der DatensicheS. 949) verwendet werden. SS2 Abs. 1 des Gesetzes rung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 GrundgeBetriebs einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert setz vom 13. Mai 1969 (GBl. S. 79) findet entsprewerden, dürfen nur für diese Zwecke und hiermit in chende Anwendung. Zusammenhang stehende Maßnahmen gegenüber Bediensteten genutzt werden. (6) Die Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz nach dem Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz bleiben unberührt. SS8 Speicherung. Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten von Minderjährigen (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf unter SS7 den Voraussetzungen des SS 7 Daten über Minderjährige vor Vollendung des 16. Lebensjahres in Akten, Speichening, Veränderung und Nutzung die zu ihrer Person geführt werden, nur speichern, personenbezogener Daten verändern und nutzen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Minderjährige eine (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann zur der in SS 2 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz geErfüllung seiner Aufgaben personenbezogene Daten nannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. speichern, verändern und nutzen, wenn In Dateien ist eine Speicherung von Daten über 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Minderjährige vor Vollendung des 16. Lebensjahres Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 2 vorliegen, nicht zulässig. 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 2 er(2) Sind Daten über Minderjährige in Dateien oder forderlich ist oder in Akten, die zu ihrer Person geführt werden, gespeichert, ist nach zwei Jahren die Erforderlichkeit der 3. das Landesamt für Verfassungsschutz nach SS 3 Speicherung zu überprüfen und spätestens nach fünf Abs. 3 tätig wird. Jahren die Löschung vorzunehmen, es sei denn, daß nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse (2) Zur Aufgabenerfüllung nach SS 3 Abs. 3 dürfen nach SS 3 Abs. 2 angefallen sind. Satz 1 gilt nicht, vorbehaltlich des Satzes 2 in automatisierten Dateien wenn das Landesamt für Verfassungsschutz nach SS 3 nur Daten über die Personen gespeichert werden, die Abs. 3 tätig wird. der Sicherheitsüberprüfung unterliegen oder in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen werden. Zur Erledigung von Aufgaben nach SS 3 Abs. 3 Satz l Nr. 4 SS9 dürfen in automatisierten Dateien nur Daten solcher Übermittlung personenbezogener Daten an das Personen erfaßt werden, über die bereits ErkenntnisLandesamt für Verfassungsschutz se nach SS 3 Abs. 2 vorliegen. Bei der Speicherung in Dateien muß erkennbar sein, welcher der in SS 3 (1) Die Behörden des Landes und die landesunmitAbs. 2 und 3 genannten Personengruppen der Betelbaren juristischen Personen des öffentlichen troffene zuzuordnen ist. Rechts sowie die Gerichte des Landes übermitteln - 125von sich aus dem Landesamt für Verfassungsschutz 2. zur Beobachtung von Bestrebungen, die durch die ihnen bekanntgewordenen personenbezogenen Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Daten und sonstigen Informationen, wenn tatsächliVorbereitungshandlungen gegen die in SS 3 Abs. 2 che Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die InformaNr. 1 genannten Schutzgüter gerichtet sind. tionen zur Wahrnehmung von Aufgaben nach SS 3 3. zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 Abs. 3 oder Abs. 2 Nr. 2 oder zur Beobachtung von Bestrebungen erforderlich sind, die durch Anwendung von Ge4. zum Schutz der Mitarbeiter und Quellen des Lanwalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlundesamtes für Verfassungsschutz gegen Gefahren gen gegen die in SS 3 Abs. 2 Nr. 1 und 3 genannten für Leib und Leben Schutzgüter gerichtet sind. erforderlich ist und die sonstige Übermittlung von Informationen aus den Akten oder den Registern (2) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der den Zweck der Maßnahmen gefährden oder das Perstaatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die sönlichkeitsrecht des Betroffenen unverhältnismäßig Polizeidienststellen dürfen darüber hinaus von sich beeinträchtigen würde. Über die Einsichtnahme aus dem Landesamt für Verfassungsschutz auch alle nach Satz 1 hat das Landesamt für Verfassungsanderen bekanntgewordenen personenbezogenen schutz einen Nachweis zu führen, aus dem der Daten und sonstigen Informationen über BestrebunZweck und die Veranlassung, die ersuchte Behörde gen nach SS 3 Abs. 2 übermitteln, wenn tatsächliche und die Aktenfundstelle hervorgehen; die Nachweise Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, Verfassungsschutz erforderlich ist. das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. (3) Soweit nicht schon bundesrechtlich geregelt, (6) Die Übermittlung personenbezogener Daten und können die zuständigen Stellen in den Fällen des SS 3 sonstiger Informationen, die auf Grund einer MaßAbs. 3 das Landesamt für Verfassungsschutz um nahme nach SS l 0 0 a der Strafprozeßordnung beAuskunft ersuchen, ob Erkenntnisse über den Bekanntgeworden sind, ist nach den Vorschriften der troffenen oder über eine Person, die in die ÜberprüAbsätze 1, 2 und 4 nur zulässig, wenn tatsächliche fung mit einbezogen werden darf, vorliegen. Dabei Anhaltspunkte dafür bestehen, daß jemand eine der dürfen die erforderlichen personenbezogenen Daten in SS 2 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz geund sonstigen Informationen an das Landesamt für nannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Verfassungsschutz übermittelt werden. Im Falle eiAuf die dem Landesamt für Verfassungsschutz nach ner Überprüfung nach SS 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 ist das Satz 1 übermittelten Unterlagen findet SS 7 Abs. 3 Ersuchen über das Innenministerium zu leiten. und 4 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz entsprechende Anwendung. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann vorbehaltlich der in SS 11 getroffenen Regelung von jeder öffentlichen Stelle nach den Absätzen 1 und 2 verSS10 langen, daß sie ihm die zur Erfüllung seiner AufgaÜbermittlung personenbezogener Daten ben erforderlichen personenbezogenen Daten und durch das Landesamt für Verfassungsschutz sonstigen Informationen übermittelt, wenn die Daten und Informationen nicht aus allgemein zugängli(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann perchen Quellen oder nur mit unverhältnismäßigem sonenbezogene Daten an Behörden und juristische Aufwand oder nur durch eine den Betroffenen stärPersonen des öffentlichen Rechts sowie an die Geker belastende Maßnahme erhoben werden können. richte des Landes übermitteln, wenn dies zur ErfülDas Landesamt für Verfassungsschutz braucht Ersulung seiner Aufgaben erforderlich ist oder der Empchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz des fänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen deBetroffenen dient oder eine Begründung den Zweck mokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der Maßnahme gefährden würde. Die Ersuchen sind der öffentlichen Sicherheit benötigt. Der Empfänger aktenkundig zu machen. darf die übermittelten Daten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck verwenden, (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Akzu dem sie ihm übermittelt wurden. ten anderer öffentlicher Stellen und amtliche Register unter den Voraussetzungen des Absatzes 4 und (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz übermitvorbehaltlich der in SS 11 getroffenen Regelung einsetelt der Staatsanwaltschaft und, vorbehaltlich der hen, soweit dies staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeidienststellen des Landes von sich aus die ihm 1. zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 Abs. 2 Nr. 2 bekanntgewordenen personenbezogenen Daten, und 3, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, - 126daß die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolnen entgegenstehen. Die Übermittlung ist aktenkungung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist. Dedig zu machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweilikte nach Satz 1 sind die in SSSS 74 a und 120 des Gesen, daß die übermittelten Daten nur zu dem Zweck richtsverfassungsgesetzes genannten Straftaten sowie verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm übermitsonstige Straftaten, bei denen auf Grund ihrer Zieltelt wurden und das Landesamt für Verfassungssetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbinschutz sich vorbehält, um Auskunft über die vorgedung zu einer Organisation tatsachliche Anhaltsnommene Verwendung der Daten zu bitten. punkte dafür vorliegen, daß sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchst, b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind. SSn Übermitthingsverbote (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann personenbezogene Daten an Dienststellen der Stationie(1) Die Übermittlung von Informationen nach den rungsstreitkräfte im Rahmen von Artikel 3 des ZuSSSS 5. 9 und 10 unterbleibt, wenn satzabkommens zu dem Abkommen zwischen den 1. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, daß unParteien des Nordatlantik-Vertrages über die Rechtster Berücksichtigung der Art der Informationen stellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bunund ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interesdesrepublik Deutschland stationierten auslandischen sen des Betroffenen das Allgemeininteresse an der Streitkräfte vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II Übermittlung überwiegen, S. 1183) übermitteln. Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf hinzuwei2. überwiegende Sicherheitsinteressen oder überwiesen, daß die übermittelten Daten nur zu dem Zweck gende Belange der Strafverfolgung dies erfordern verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm übermitoder telt wurden und das Landesamt für Verfassungs3. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen schutz sich vorbehält, um Auskunft über die vorgeentgegenstehen; die Verpflichtung zur Wahrung nommene Verwendung der Daten zu bitten. gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die (4) Personenbezogene Daten dürfen an andere als nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen. öffentliche Stellen nicht übermittelt werden, es sei bleibt unberührt. denn, daß dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der (2) Informationen über Minderjährige vor VollenSicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur dung des 16. Lebensjahres dürfen nach den VorAbwehr sicherheitsgefährdender oder geheimdienstschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder licher Tätigkeiten für eine fremde Macht erforderlich überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt ist und der Innenminister oder sein ständiger Vertrewerden. ter die Zustimmung erteilt hat; die Zustimmung kann auch für eine Mehrzahl gleichartiger Fälle vorSS12 weg erteilt werden. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Übermittlung aktenkundig zu machen. Unterrichtung der Öffentlichkeit Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur zu Das Innenministerium und das Landesamt für Verdem Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt fassungsschutz unterrichten die Öffentlichkeit periwurden. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeodisch oder aus gegebenem Anlaß im Einzelfall über schränkung und darauf hinzuweisen, daß das LanBestrebungen und Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 2. Dabei desamt für Verfassungsschutz sich vorbehält, um dürfen auch personenbezogene Daten bekanntgegeAuskunft über die vorgenommene Verwendung der ben werden, wenn die Bekanntgabe für das VerDaten zu bitten. ständnis des Zusammenhangs oder der Darstellung von Organisationen oder unorganisierten Gruppie(5) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann perrungen erforderlich ist und die Informationsinteressonenbezogene Daten an öffentliche Stellen außersen der Allgemeinheit das schutzwürdige Interesse halb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes sowie des Betroffenen überwiegen. an überund zwischenstaatliche Stellen übermitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher SicherheitsinterSS13 essen des Empfängers erforderlich ist. Die ÜbermittAuskunft an den Betroffenen lung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland, Belange der Länder oder (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffedem Betroffenen über zu seiner Person gespeicherte - 127Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft, soweit er schutzwürdige Belange des Betroffenen beeinträchhierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und tigt würden. In diesem Fall sind die Daten zu sperein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. ren. Sie dürfen nur noch mit Einwilligung des BeEs ist nicht verpflichtet, über die Herkunft der Datroffenen übermittelt werden. ten, die Empfänger von Übermittlungen und den Zweck der Speicherung Auskunft zu erteilen. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fri(2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit sten, spätestens nach fünf Jahren, ob in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch oder zu löschen sind. Gespeicherte personenbezogedie Auskunftserteilung zu besorgen ist, ne Daten über Bestrebungen nach SS 3 Abs. 2 Nr. I 2. durch die Auskunftserteilung Quellen gefährdet oder 3 sind spätestens 10 Jahre nach dem Zeitpunkt sein können oder durch die Ausforschung des Erder letzten gespeicherten relevanten Information zu kenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Lanlöschen, es sei denn, der Behördenleiter oder sein desamtes für Verfassungsschutz zu befürchten ist, Vertreter stellt im Einzelfall fest, daß die weitere Speicherung zur Aufgabenerfüllung oder aus dem in 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden Absatz 2 Satz 2 genannten Grunde erforderlich ist. oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Akten gespeicherten personenbezogenen Daten zu 4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung sperren, wenn es im Einzelfall feststellt, daß die nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen Speicherung unzulässig war. Dasselbe gilt, wenn es nach, insbesondere wegen der überwiegenden beim Einzelfall feststellt, daß ohne die Sperrung rechtigten Interessen eines Dritten, geheimgehalschutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinten werden müssen. trächtigt würden und die Daten für seine künftige Die Entscheidung trifft der Behördenleiter oder ein Aufgabenerfüllung voraussichtlich nicht mehr ervon ihm besonders beauftragter Mitarbeiter. forderlich sind. Gesperrte Daten sind mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen; sie dürfen nicht (3) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf mehr genutzt oder übermittelt werden. Die Sperrung keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der kann wieder aufgehoben werden, wenn ihre VorausAuskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Grünsetzungen nachträglich entfallen sind. Akten, in dede der Auskunftsverweigerung sind aktenkundig zu nen personenbezogene Daten gespeichert sind, sind machen. Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist zu vernichten, wenn die gesamte Akte zur Aufgabender Betroffene auf die Rechtsgrundlage für das Feherfüllung riicht mehr benötigt wird. len der Begründung und darauf hinzuweisen, daß er sich an den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden kann. SS 15 Besondere Pflichten des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft unSS14 verzüglich, ob die ihm nach den Vorschriften dieses Berichtigung, Löschung und Sperrung Gesetzes übermittelten personenbezogenen Daten personenbezogener Daten für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, daß sie nicht erforderlich sind, (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in hat es die Unterlagen zu vernichten. Die Vernichtung Akten oder Dateien gespeicherten personenbezogekann unterbleiben, wenn die Trennung von anderen nen Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; in Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erAkten ist dies zu vermerken. Wird die Richtigkeit forderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem der Daten von dem Betroffenen bestritten, so ist dies Aufwand möglich ist; in diesem Fall sind die Daten in der Akte zu vermerken oder auf sonstige Weise zu sperren. festzuhalten. (2) Erweisen sich personenbezogene Daten, nach(2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in dem sie durch das Landesamt für Verfassungsschutz Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu übermittelt worden sind, als unvollständig oder unlöschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder richtig, sind sie unverzüglich gegenüber dem Empihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr fänger zu berichtigen oder zu ergänzen, es sei denn, erforderlich ist. Die Löschung unterbleibt, wenn daß dies für die Beurteilung eines Sachverhalts ohne Grund zu der Annahme besteht, daß durch sie Bedeutung ist. - 128SS 16 Parlamentarische Kontrolle (1) Das Innenministerium unterrichtet den Ständigen Ausschuß des Landtags über die Tätigkeit des Verfassungsschutzes halbjährlich sowie auf Verlangen des Ausschusses und aus besonderem Anlaß. (2) Art und Umfang der Unterrichtung des Ständigen Ausschusses werden unter Beachtung des notwendigen Schutzes des Nachrichtenzuganges durch die politische Verantwortung der Landesregierung bestimmt. (3) Die Mitglieder des Ständigen Ausschusses sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen im Z u s a m m e n h a n g mit der Berichterstattung über die Tätigkeit des Verfassungsschutzes im Ständigen Ausschuß bekanntgeworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus dem Ständigen Ausschuß oder aus dem Landtag. (4) Die Unterrichtung umfaßt nicht Angelegenheiten, über die das Innenministerium das Gremium nach Artikel 10 des Grundgesetzes zu unterrichten hat. SS'7 Einschränkung von Grundrechten Auf G r u n d dieses Gesetzes kann das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der W o h n u n g (Artikel 13 des Grundgesetzes) eingeschränkt werden. SS 18 Erlaß von Verwaltungsvorschriften Das Innenministerium kann zur Ausführung des Gesetzes allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen. SS 19 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am I . J a n u a r 1992 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Gesetz über den Verfassungsschutz in Baden-Württemberg (Landesverfassungsschutzgesetz - LVSG) vom 17. Oktober 1978 (GBl. S. 553) außer Kraft. Das vorstehende Gesetz wird hiermit ausgefertigt und ist zu verkünden. STUTTGART, den 22. O k t o b e r 1991 Die Regierung des Landes Baden-Württemberg: TEUFEL WEISER SCHLEE D R . SCHULTZ-HECTOR VON TROTHA D R . OHNEWALD MAYER-VORFELDER SCHÄFER D R . VETTER DR.EYRICH D R . SCHÄUBLE BAUMHAUER Verteilerhinweis Diese Informationsschrift wird von der Landesregierung Baden-Württemberg im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Verpflichtung zur Unterrichtung der Öffentlichkeit herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von deren Kandidaten oder Helfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für alle Wahlen. Mißbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist auch die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer Wahl darf die vorliegende Druckschrift nicht so verwendet werden, daß dies als Parteinahme der Herausgeberin zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. 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