Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 1989 Terrorismus Linksextremismus Rechtsextremismus Ausländerextremismus Spionageabwehr Baden - Württemberg INNENMINISTERIUM Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 1989 Herausgeber: Innenministerium Baden-Württemberg, Dorotheenstraße 6, 7000 Stuttgart 1 August 1990 Gesamtherstellung: studiodruck Rolf Brändle, 7440 Nürtingen-Raidwangen Nachdruck nur mit Genehmigung des Herausgebers ISSN 0720-3381 -3Vorwort Die vergangenen Monate stehen unter dem Eindruck eines beispiellosen politischen und gesellschaftlichen Wandels in den osteuropäischen Staaten. Wer noch Mitte des Jahres 1989 behauptet hätte, daß die Grenze zwischen beiden deutschen Staaten bald offen sein werde, daß Menschen von Ost nach West fast ungehindert und fast ohne Kontrolle würden gehen können, wäre belächelt worden. Doch das, was sich in der DDR, in Ungarn oder der CSFR vollzieht oder vollzogen hat, hat auch mit dem Funktionieren einer freiheitlichen Ordnung bei uns in Westeuropa zu tun. Die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft, das Zusammenwachsen der freien Völker Europas hat den Ostteil unseres Kontinents erfaßt. Ohne Zweifel ist die Ausstrahlungskraft der Freiheit ein wesentlicher Faktor für die dramatische, kaum mehr umkehrbare Entwicklung in den Staaten des Warschauer Pakts gewesen. Die Veränderungen in Osteuropa lassen die politischen Extreme in der Bundesrepublik Deutschland nicht unberührt. Die orthodox-kommunistischen Gruppierungen teilen das Schicksal ihrer östlichen Bruderparteien. Sie befinden sich in einer existentiellen Identitätsund Organisationskrise. Die Zahl ihrer Anhänger und Mitglieder ist drastisch gesunken. Dennoch wäre es fatal zu glauben, unser freiheitlicher Rechtsstaat sei keinen Bedrohungen mehr ausgesetzt. In der Bundesrepublik und in Baden-Württemberg ist unverändert eine Vielzahl verfassungsfeindlicher Gruppierungen tätig, deren gemeinsames Ziel es ist, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen. Einzelnen dieser Gruppierungen ist nahezu jedes Mittel recht, um dieses Ziel zu erreichen. Sie schrecken selbst vor feigen und hinterhältigen Mordanschlägen nicht zurück. Nach wie vor besteht daher Anlaß, gegenüber Verfassungsfeinden wachsam zu sein. -4Dem Verfassungsschutz, dessen Aufgaben und Befugnisse schon im Grundgesetz und in zahlreichen Bundesund Landesgesetzen verankert sind, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Als eine Art politisches "Frühwarnsystem" obliegt ihm die Aufgabe, die politisch Verantwortlichen, aber auch die Bürger über alle Tätigkeiten und Bestrebungen zu informieren, die unseren freiheitlichen Rechtsstaat beschädigen oder zerstören wollen. Einen wichtigen Beitrag hierzu leistet die Veröffentlichung des jährlichen Verfassungsschutzberichts. Öffentlichkeit und Bürger erhalten hierdurch die notwendigen Informationen zur aktiven Auseinandersetzung mit Verfassungsfeinden von links und rechts; zugleich macht er die Arbeit des Verfassungsschutzes für den Bürger transparent. Allen Mitarbeitern des baden-württembergischen Landesamt für Verfassungsschutz danke ich für die Erfüllung ihrer schwierigen und verantwortungsvollen Tätigkeit. Ihre Arbeit verdient Achtung und besondere Anerkennung. /V 4-"< *\_j Dietmar Schlee, MdL Innenminister des Landes Baden-Württemberg -5Inhaltsverzeichnis Seite A. Verfassungsschutz in Baden-Württemberg 9 1. Gesetzliche Grundlagen 9 2. Aufbau und Organisation 10 3. Aufgaben des Verfassungsschutzes 11 4. Methoden des Verfassungsschutzes 12 5. Kontrolle 14 B. Verfassungsschutz durch Aufklärung 15 Jahresrückblick 17 D. Linksextremismus 25 1. "Alte Linke" 25 1.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 25 1.1.1 Der Zerfall der Partei 25 1.1.2 Auswirkung der Entwicklung in der DDR auf die DKP 29 1.1.3 Schwerpunkte der Agitation 32 1.2 Nebenorganisationen der DKP 35 1.2.1 "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) 35 1.2.2 "Marxistischer Studentinnenund Studentenbund (MSB) Spartakus" 37 1.2.3 "Junge Pioniere - Sozialistische Kinderorganisation" (JP) 38 1.3 DKP-beeinflußte Organisationen 38 1.3.1 "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten" (WN-BdA) 40 1.3.2 "Deutsche Friedens-Union" (DFU) 41 -6Seite "Neue Linke" 42 Revolutionär-marxistische "Neue Linke" 42 1 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) 42 2 "Marxistische Gruppe" (MG) 44 3 Sonstige Organisationen 47 Undogmatische "Neue Linke" 49 1 Autonome Gruppen 49 2 Anarchistische Organisationen 54 Linksextremistischer Terrorismus 55 "Rote Armee Fraktion" (RAF) 56 1 Der 10. Hungerstreik - Die Rolle der RAF-Inhaftierten 57 2 Fortsetzung des "bewaffneten Kampfes" -- Die RAF--Kommandoebene 60 3 internationale Aspekte des "bewaffneten Kampfes" 62 4 Die Unterstützungsaktivitäten - Das RAFUmfeld und die "Militanten der RAF" 64 "Revolutionäre Zellen" (RZ)/"Rote Zora" 65 Rechtsextremismus 67 Allgemeines 67 Neonazistische Bestrebungen 69 Die "Bewegung" 69 "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) 72 "Deutsche Frauenfront" (DFF)/"FAP-Frauenschaft" 76 "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) 76 "Nationalistische Front" (NF) 77 Neonazizentrum um Ernst TAG 78 Neonazikreis um Curt MÜLLER 78 -7Seite 2.8 "Deutsche Bürgerinitiative e.V." (DBI) 79 2.9 "Bürgerund Bauerninitiative e.V." (BBI) 79 3. Nationaldemokratische Organisationen 80 3.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 80 3.2 "Junge Nationaldemokraten" (JN) 85 3. 3 "Nationaldemokratischer Hochschulbund" (NHB) 86 4. "National-Freiheitliche Rechte" 87 4.1 "Deutsche Volksunion - Liste D" (DVU-Liste D) 88 4.2 "Deutsche Volksunion e.V." (DVU) 94 5. Sonstige rechtsextremistische Vereinigungen 95 5.1 "Wiking-Jugend" (WJ) 95 5.2 "Gesellschaft für Freie Publizistik" (GFP) 95 5.3 "Die Deutsche Freiheitsbewegung e.V." (DDF) 96 6. Einflußnahme auf jugendliche Randgruppen 96 7. Internationale Verflechtungen des Rechtsextremismus 99 8. Gesetzesverletzungen mit rechtsextremistischem Hintergrund 104 9. Maßnahmen gegen rechtsextremistische Aktivisten 106 F. Aktivitäten politisch extremer Ausländer 109 1. Allgemeiner überblick 109 2. Türken 111 2.1 Allgemeines 111 2.2 Linksextremistische kurdische Gruppierungen 112 2.2.1 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 112 2.2.2 Sonstige linksextremistische kurdische Organisationen 116 2.3 Organisationen der "Neuen Linken" 117 -8Seite 2.4 Orthodox-kommunistische Organisationen 121 2.5 Islamisch-nationalistische Vereinigungen 121 2.6 Rechtsextremistische Vereinigungen 123 3. Araber 124 4. Jugoslawen 127 4.1 "Kroatische Staatsbildende Bewegung" (HDP) 128 4.2 "Kroatische Nationalrat" (HNV) 129 4.3 "Vereinigte Kroaten Europas" (UHE) 130 4.4 Kosovo-albanische Gruppierungen 130 5. Iraner 131 6. Tamilen 132 G. Spionageabwehr 135 1. Allgemeiner Überblick 135 2. Zielrichtungen gegnerischer Spionageaktivitäten 13 6 2.1 Politische Spionage 136 2.2 Wirtschaftsspionage 136 2.3 Militärspionage 139 3. Militärspionage durch sowjetische Nachrichtendienste 139 4. Illegaler Technologietransfer 141 5. Einzelfälle 144 H. Geheimschutz - präventive Abwehr 145 1. Allgemeiner überblick 145 2. EDV-Sicherheit 146 3. Wirtschaftsschutz 149 Anhang Mitgliederübersichten 152 Gruppenund Organisationsregister 155 -9A. Verfassungsschutz in Baden-Württemberg Der Verfassungsschutz beobachtet verfassungsfeindliche Bestrebungen. Er informiert die politisch Verantwortlichen frühzeitig über davon ausgehende Gefahren. Hierdurch versetzt er die zuständigen staatlichen Stellen in die Lage, verfassungsfeindliche Kräfte rechtzeitig und angemessen zu bekämpfen. Der Verfassungsschutz verkörpert damit als Institution den Selbstbehauptungswillen unseres demokratischen Rechtsstaates. Er ist ein tragendes Element unserer streitbaren Demokratie. 1. Gesetzliche Grundlagen Der Verfassungsschutz agiert in keinem "rechtsfreien" Raum. Seine Aufgaben und Befugnisse sind gesetzlich genauestens festgelegt. Das (Bundes-)"Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes" ist Rechtsgrundlage für das Bundesamt für Verfassungsschutz und zugleich für die Tätigkeit der Landesbehörden für Verfassungsschutz. Der Bundesgesetzgeber hat in diesem Gesetz das Mindestmaß der von Bund und Ländern auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes gemeinsam zu erfüllenden Aufgaben umschrieben. Neben diesem Bundesgesetz bestehen in allen Bundesländern eigene Verfassungsschutzgesetze, in denen Aufgaben und Befugnisse der jeweiligen Landesbehörde gesetzlich geregelt sind. Für Baden-Württemberg ist dies das "Gesetz über den Verfassungsschutz in Baden-Württemberg" von 1978. Darüber hinaus finden sich in zahlreichen weiteren Bundesund Landesgesetzen Rechtsvorschriften, die die Verfassungsschutzbehörden zu beachten haben. -10Aufbau und Organisation Entsprechend ihrem föderativen Aufbau gibt es in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt 12 Verfassungsschutzbehörden. In jedem der 10 Bundesländer und in Berlin (West) arbeitet eine Landesbehörde für Verfassungsschutz. Als Zentralstelle fungiert das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln. Das Bundesamt hat gegenüber den Landesbehörden allerdings kein allgemeines Weisungsrecht. Es arbeitet mit ihnen aber eng zusammen. Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg in Stuttgart wird von einem Präsidenten geleitet. Es gliedert sich in fünf Abteilungen, die für zentrale Angelegenheiten, Beschaffung, Auswertung, Spionageabwehr sowie den Behördenund Wirtschaftsschutz zuständig sind. PRÄSIDENT ZentralPolitische Politische SpionageBehördenabteilung NachrichtenNachrichtenund und WirtVerwaltung beschaffung auswertung SabotageschaftsGrundsatzbekämpfung schütz fragen Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg ist dem Innenministerium unmittelbar unterstellt; ihm obliegt die Aufsicht über die Rechtund Zweckmäßigkeit der Aufgabenerfüllung. Zudem hat das Innenministerium über den ordnungsgemäßen Dienstbetrieb zu wachen (Dienstaufsicht). Der Personalbestand des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg ist im Haushaltsplan des Landes öffentlich ausgewiesen. Danach sind dem Amt für das Jahr 1989 insgesamt 411 Stellen für Beamte, Angestellte und Arbeiter zugewiesen. An Mitteln standen dem Landesamt im Jahr 1989 rd. 26,5 Millionen DM zur Verfügung. -113. Aufgaben des Verfassungsschutzes Die Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg sind im Landesverfassungsschutzgesetz (LVSG) geregelt. Danach hat die Behörde im wesentlichen den Auftrag, bestimmte als "Bestrebungen" bezeichnete Verhaltensweisen zu beobachten. Im einzelnen sind dies: - Bestebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Bei tatsächlichen Anhaltspunkten für den Verdacht, daß eine Organisation unsere Staatsordnung durch ein linksoder rechtsextremes Staatsgebilde ersetzen oder durch terroristische Gewalt beseitigen will, übernimmt der Verfassungsschutz die Beobachtung dieser Vereinigung. Er gibt seine Erkenntnisse an die Regierung und an andere staatliche Stellen weiter. Auf diese Weise zeigt er frühzeitig Gefahren für unsere verfassungsmäßige Ordnung und damit zugleich für die Freiheitsrechte der Bürger auf. Die Regierung wird dadurch in die Lage versetzt, nicht nur nachträglich durch strafrechtliche Sanktionen oder im Stadium konkreter Gefahr mit polizeilichen Mitteln auf verfassungsfeindliche Handlungen zu reagieren, sondern den Extremismus auch politisch rechtzeitig zu bekämpfen. - Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Unter "auswärtigen Belangen" der Bundesrepublik Deutschland ist das Interesse an möglichst belastungsfreien Beziehungen zu anderen Staaten zu verstehen. Ob die Bundesregierung zu diesen Staaten diplomatische Beziehungen unterhält, ist unerheblich. Eine Gefährdung auswärtiger Belange liegt beispielsweise vor, wenn linksoder rechtsextremistische Auslandsorganisationen ihr Heimatland von deutschem Boden aus mit Gewalt bekämpfen und dadurch unseren Staat möglicherweise in außenpolitische Konflikte und Zwangssituationen manövrieren. Bei der Beobachtung von "Bestrebungen" geht es dem Verfassungsschutz in erster Linie um Aktivitäten von Organisationen. Dabei müssen allerdings zwangsläufig auch die handelnden Personen, die Mitglieder dieser Organisationen sind oder deren Aktivitäten unterstützen, erfaßt werden. Der Begriff der verfassungsfeindlichen "Bestrebung" ist eng auszulegen. Er bedeutet, daß ein aktives, zielgerichtetes Handeln gegen un- -12sere Verfassung oder gegen auswärtige Belange erkennbar sein muß. Eine wertneutrale oder kritische Haltung dem Staat gegenüber kann niemals Gegenstand der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörde sein. - Weiter ist es Aufgabe des Verfassungsschutzes, sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht zu erkennen (Spionageabwehr). Die strafrechtliche Verfolgung der Spionage obliegt der Justiz und der Polizei. - Eine bloß mitwirkende Funktion hat das Landesamt für Verfassungsschutz beim vorbeugenden personellen und materiellen Geheimschutz. Der Verfassungsschutz unterstützt hierbei Behörden und außerbehördliche Stellen bei der Überprüfung von Geheimträgern und Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätig sind und berät sie, wie Verschlußsachen durch technische oder organisatorische Sicherheitsmaßnahmen geschützt werden können. - Auf Anforderung der Einstellungsbehörde wirkt das Landesamt für Verfassungsschbutz auch bei der Überprüfung von Personen mit, die sich für eine Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben. Hierbei stellt der Verfassungsschutz der Einstellungsbehörde, die verpflichtet ist, die Verfassungstreue des Bewerbers zu prüfen, auf Anfrage vorhandene Erkenntnisse zur Verfügung. 4. Methoden des Verfassungsschutzes Zur Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags ist der Verfassungsschutz darauf angewiesen, Informationen zu beschaffen, auszuwerten und zu speichern. Diese Nachrichten werden zum weit überwiegenden Teil auf offenem Wege beschafft, also so, wie sie jeder andere auch sammeln könnte. Die Mitarbeiter der Behörde werten Zeitungen und Zeitschriften, Flugblätter, Programme, Broschüren und sonstiges Material extremistischer Organisationen aus und besuchen auch deren öffentliche Veranstaltungen. Oftmals reichen die auf diese Art und Weise erlangten Erkenntnisse nicht aus, um einen objektiven und vollständigen Überblick über verfassungsfeindliche Aktivitäten oder das Tätigwerden gegnerischer Nachrichtendienste zu erhalten. Fehlende Informationen können das Bild verzerren und zu falschen Schlüssen und Entscheidungen führen, die vor allem in sicherheitsempflindlichen Bereichen schwerwiegende -13Nachteile bewirken können. Gerade die besonders brisanten, verbotenen und unsere Verfassungsordnung angreifenden Aktivitäten werden im Verborgenen gehalten. Agenten oder terroristische Gruppen agieren nicht "auf offenem Markte". Sie wollen gerade nicht durchschaut und entdeckt werden. Um an diese "Bestrebungen" heranzukommen, bedient sich der Verfassungsschutz nachrichtendienstlicher Mittel. Hierzu ist er nach dem Landesverfassungsschutzgesetz ausdrücklich befugt. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln gehören: - das Anwerben und Führen von Vertrauensleuten (V-Leuten) in extremistischen oder terroristischen Vereinigungen - die Observation verdächtiger Personen - das geheime Fotografieren sowie - sonstige Maßnahmen, mit denen verdeckt werden soll, daß der Verfassungsschutz Beobachtungen vornimmt (Tarnmittel). Darüber hinaus darf der Verfassungsschutz ausnahmsweise und nur unter ganz engen gesetzlich normierten Voraussetzungen den Brief-, Postund Fernmeldeverkehr überwachen. Polizeiliche Befugnisse stehen dem Verfassungsschutz nicht zu. Verfassungsschutz und Polizeibehörden sind in der Bundesrepublik Deutschland voneinander getrennt. Die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes haben keine polizeilichen Befugnisse; sie dürfen keinerlei Zwangsmaßnahmen (Festnahmen, Vorladungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen) durchführen. Verfassungsschutzbehörden dürfen auch keiner polizeilichen Dienststelle angegliedert werden. Diese organisatorische Trennung von Polizei und Verfassungsschutz soll sicherstellen, daß sich der Verfassungsschutz auch nicht ersatzweise polizeilicher Möglichkeiten bedient, um eigene Aufgaben wahrzunehmen. -14Erscheint aufgrund der dem Verfassungsschutz vorliegenden Informationen ein polizeiliches Eingreifen erforderlich, so wird die zuständige Polizeibehörde von den Beobachtungen unterrichtet. Diese entscheidet dann selbständig, ob und welche'Maßnahmen zu treffen sind. Maßgeblicher Grund dafür, den Verfassungsschutzbehörden den Einsatz von Zwangsmitteln generell zu verbieten, waren die leidvollen Erfahrungen mit der "allmächtigen" Geheimen Staatspolizei des NS-Regimes. Kontrolle Um sicherzustellen, daß die Verfassungsschutzbehörden den ihnen vorgegebenen gesetzlichen Rahmen beachten, wurde eine vielschichtige Kontrolle eingerichtet. Diese Kontrolle wird - neben entsprechenden innerbehördlichen Maßnahmen und der Rechtsund Fachaufsicht durch das Innenministerium - in erster Linie vom Parlament, aber auch von den Gerichten, der Landesbeauftragten für den Datenschutz und der öffentlichkeit ausgeübt. Die parlamentarische Kontrolle obliegt nach SS 7 Landesverfassungsschutzgesetz dem Ständigen Ausschuß des Landtags von Baden-Württemberg, dem Mitglieder aller Fraktionen angehören. Ihm ist halbjährlich sowie auf Verlangen des Ausschusses und aus besonderem Anlaß zu berichten. Für die Wahrnehmung der spezifischen parlamentarischen Kontrolle über die Durchführung des "Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses" (G 10) ist ein Gremium bestellt, das aus fünf Abgeordneten des Landtags besteht, über die Zuverlässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen entscheidet eine Kommission, die aus drei vom Landtag bestellten Persönlichkeiten besteht. Die Kontrollmaßnahmen umfassen somit die Rechtund Zweckmäßigkeit der Aufgabenerfüllung. Sie sind ein wirksames Instrument, um unzulässige Arbeitsweisen sowie den Mißbrauch von Informationen zu verhindern. Der Verfassungsschutz unterliegt mithin wie kaum ein anderer Bereich der öffentlichen Verwaltung einer umfangreichen und differenzierten Kontrolle. -15B. Verfassungsschutz durch Aufklärung Der Schutz unserer Verfassungsordnung kann dauerhaft nur durch eine geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus gesichert werden. Dem Verfassungsschutz kommt dabei eine wesentliche Bedeutung zu. Seine Tätigkeit gewährleistet, daß Regierung und Parlament, aber auch die Bürger über Aktivitäten und Absichten verfassungsfeindlicher Parteien und Organisationen informiert werden. Um aktuelle Fragen des Verfassungsschutzes einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, beschloß die Innenministerkonferenz am 9. Dezember 1974 die Konzeption "Verfassungsschutz durch Aufklärung". Sie beinhaltet sowohl Information als auch Aufklärung über - die Verfassung, insbesondere über die Rechte, Pflichten und politischen Beteiligungsmöglichkeiten, die sie Bürgern einräumt, - extremistische Strategien und Aktionen, verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen im Sinne der Verfassungsschutzgesetze und ihre ideologischen Hintergründe , - gesetzliche Grundlagen, Aufgaben, Organisationen, Arbeitsweise und Probleme des Verfassungsschutzes. - In Baden-Württemberg werden die Aufgaben des Verfassungsschutzes durch Aufklärung vom Referat "Verfassungsschutz" im Innenministerium und durch das Landesamt für Verfassungsschutz gemeinsam wahrgenommen. Im Rahmen dieser Konzeption können kostenlos Referenten zu Vorträgen und Diskussionen über Themen des politischen Extremismus und des Verfassungsschutzes zur Verfügung gestellt werden. Von dem Angebot machten auch im Jahre 1988 zahlreiche Institutionen Gebrauch, darunter - politische Parteien sowie deren Jugendund Studentenorganisationen - kirchliche Einrichtungen -16- - Schulen - Medien - Bundeswehr - Polizei. Beispielhaft sind hier einige Vorschläge für Vortragsbzw. Diskussionsthemen angeführt: o Verfassungsschutz im demokratischen Rechtsstaat o Verfassungsschutz und Konzeption der wehrhaften Demokrati o Rechtsgrundlagen, Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise der Ämter für Verfassungsschutz o Das Landesverfassungsschutzgesetz vom 17. Oktober 1978 o Die Befugnisse der Ämter für Verfassungsschutz und ihre politische, parlamentarische und gerichtliche Kontrolle o Verfassungsschutz und Datenschutz o Organisation, politische Strategien und ideologische Hintergründe - des Terrorismus - des Linksextremismus - des Rechtsextremismus - des Ausländerextremismus o Analyse rechtsextremistischer Propagandaund Agitationsmuster o Spionageabwehr Interessenten für Vorträge und Diskussionen können sich an folgende Kontaktanschriften wenden: Innenministerium Landesamt für Baden-Württemberg Verfassungsschutz Referat "Verfassungsschutz" Baden-Württemberg Postfach 10 24 23 - Öffentlichkeitsarbeit 7000 Stuttgart 10 Postfach 50 07 00 Tel.: 0711/2072-3768 7000 Stuttgart 50 oder 2072-3358 Tel.: 0711/56 61 01 -17Jahresrückblick 1989 Die zusammenfassenden Feststellungen für die verschiedenen Beobachtungsfelder des Verfassungsschutzes zum Jahre 1989 sind: Der Mord der "Roten Armee Fraktion" (RAF) am Vorstandssprecher der Deutschen Bank AG, Dr. Alfred HERRHAUSEN, am 30. November 1989 in Bad Homburg beendete die scheinbare Inaktivität der RAF-Kommandoebene. Inmitten einer Phase weitgehend gewaltloser Umwälzungen in der DDR und in Osteuropa mit dem Ziel der Abkehr vom Kommunismus versuchte die Terrorgruppe völlig unbeeindruckt von diesem historischen Ereignis, ihre diffusen politischen Zielvorstellungen ins Bewußtsein der öffentlichkeit zurückzuholen. Bereits einige Wochen vor dem Anschlag hatte der Sprecher der Inhaftierten der RAF, Helmut POHL, in einem Brief eine "neue Phase des Kampfes" angekündigt. Damit war die während des erneuten Hungerstreiks der Gefangenen (1. Februar bis 12. Mai 1989) begonnene Diskussionskampagne beendet worden, in der zeitweise eine Hinwendung zu "revolutionärer Politik" (statt "revolutionärer Gewalt") favorisiert worden war. Die technische Perfektion des Anschlags, die Drohung des Inhaftierten POHL, nunmehr " den Mechanismus, nach dem das ganze System funktioniert", treffen zu wollen sowie die Euphorie, mit der der Terroranschlag im Unterstützerbereich der RAF aufgenommen wurde, lassen befürchten, daß eine neue terroristische "Offensive" vorbereitet wird. Seit dem Mord an Dr. HERRHAUSEN muß die Möglichkeit ernsthaft in Betracht gezogen werden, daß die RAF wieder zu komplizierten und in ihren Folgen noch weitreichenderen Anschlägen fähig ist. Nicht sicher beurteilen läßt sich gegenwärtig der Grad der Zusammenarbeit der RAF mit anderen westeuropäischen Terrorgruppen. Es gibt indes sichere Hinweise auf Verbindungen etwa nach Italien und Spanien, so daß die Gefahr einer internationalen Kooperation der Terroristen fortbesteht. -18Der terroristische Unterstützungsbereich, der in Baden-Württemberg etwa 60 von bundesweit rund 260 Aktivisten umfaßt, hat nach dem Mord an Dr. HERRHAUSEN seine zeitweilige Desorientierung verloren. Der Anschlag hatte nach einer Zeit der Unsicherheit und Motivationslosigkeit geradezu eine "befreiende Wirkung" auf diese terroristische Randszene und hat deren militante Aktionsbereitschaft spürbar erhöht. Das Attentat wirkte insofern als Initialzünder für eine neue Welle von Anschlägen und gewalttätigen Aktionen von Personen unterhalb der Kommandoebene. Hierzu zählen mehrere Anschläge sog. "Kämpfender Einheiten", der zweiten "kämpfenden Ebene" der RAF, die sich aus langjährig erfahrenen Personen der Unterstützerszene rekrutiert, örtliche Schwerpunkte der RAF-Unterstützergruppen, aus deren Mitte seit Jahren immer wieder Aktivisten in den Untergrund zu den "Kommandos" (bundesweit etwa 15 bis 20 Personen) abtauchten, sind in Baden-Württemberg Stuttgart und Karlsruhe, mit einigem Abstand Heidelberg/Mannheim. Freiburq und Tübingen. Die seit Jahren erkennbare Annäherung zwischen militanten Autonomen und RAF-Umfeld hat insbesondere in Stuttgart und Karlsruhe weitere Fortschritte gemacht. So war vor allem der Hungerstreik der inhaftierten RAF-Mitglieder Anlaß für zahlreiche gemeinsame Solidaritätsaktionen. Im Gegensatz zu der Entwicklung auf Bundesebene, wo eine ungebrochene Gewaltbereitschaft dieser "Szene" festzustellen ist, ging die Zahl gewalttätiger Aktionen in Baden-Württemberg 1989 weiter zurück. Auch ist die Gesamtzahl dieser Militanten leicht zurückgegangen: landesweit zählen noch etwa 280 Personen (1988: 300) zu diesem Personenkreis. Bundesweit ist die Zahl von ungefähr 2.000 militanten Autonomen praktisch konstant geblieben. Trotz spürbar nachlassender Aktivitäten bildet Freiburq nach wie vor das Zentrum autonomer Gruppen im Lande. -19Die internationale Krise des Marxismus-Leninismus und insbesondere der rapide Machtverfall der kommunistischen Parteien in der DDR und in Osteuropa haben zu einer existentiellen Identltätsund Organisationskrise der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) geführt. Der Mitgliederstand der DKP ist bundesweit auf unter 22.000 gesunken (Baden-Württemberg von 2.400 auf 1.800). Parteiaustritte in großer Zahl, Abspaltungen und ein Versiegen der Finanzierung durch die SED trugen entscheidend zu dieser Schwächung der DKP und ihrer Nebenorganisationen bei. Große Teile der an GORBATSCHOW orientierten Reformkommunisten haben die Partei entweder verlassen oder organisieren sich als "Erneuerer" in neuen linksoppositionellen Zirkeln. Die noch immer an einem dogmatischen Marxismus-Leninismus festhaltenden "Bewahrer" der DKP hoffen hingegen auf ein "Gesundschrumpfen" der Partei, um wieder aktionsfähig zu werden. Die Organisationen der revolutionär-marxistischen "Neuen Linken" sind vom Niedergang der orthodoxen Kommunisten nicht berührt. Wegen ihrer traditionellen Gegnerschaft zum "real existierenden Sozialismus" fühlen sie sich in ihrer ideologischen Linie bestätigt und profitieren teilweise sogar von dessen Krise. So konnten sowohl die "Marxistische Gruppe" (MG) als auch die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) ihren Mitgliederstamm ausbauen. Bundesweit zählen insgesamt 9.3 00 Personen (1988: 7.100) zu dem aufgesplitterten Spektrum dieser Organisationen (Baden-Württemberg unverändert mindestens 1.000). Unter der Bezeichnung "Radikale Linke" sind revolutionär-sozialistische Kleinorganisationen, DKP-Reformer, linksextremistische Kräfte der Alternativbewegung und andere Zirkel seit einiger Zeit bemüht, einen Sammlungsund Selbstfindungsprozeß der bundesdeutschen "Linken" einzuleiten. Ob es gelingt, eine schlagkräftige neue Organisation aufzubauen, die Resonanz über die ideologischen Grenzen hinweg findet, bleibt abzuwarten. -20Die im Bundesgebiet aktiven rechtsextremistischen Parteien und Vereinigungen konnten im Jahre 1989 die Zahl ihrer Mitglieder wiederum erhöhen. Ende 1989 waren bundesweit in 70 Organisationen etwa 35.900 Personen organisiert (1988: 71 Gruppen mit 28.300 Mitgliedern). Davon entfallen allerdings allein auf die erst 1987 gegründete "Deutsche VolKsunion - Liste D" (DVU-Liste D) des Münchner Verlegers Dr. FREY rund 25.000 Mitglieder (1988: ca. 6.000). Die Angaben Dr. FREYS liegen höher. Ihr starkes Anwachsen ergab sich vornehmlich durch die Übernahme der Masse der rund 12.500 Angehörigen der schon seit 1971 aktiven sogenannten überparteilichen Vereinigung "Deutsche Volksunion e. V." (DVU e. V . ) . Darüber hinaus konnte Dr. FREY seiner Partei 1989 aber auch neue Mitglieder zuführen. Aufgrund eines großen Werbeeinsatzes hat er die DVU-Liste D zur eindeutig mitgliederstärksten rechtsextremistischen Organisation im Bundesgebiet ausbauen können. Die klare Niederlage der Partei bei der Europawahl am 18. Juni 1989, als sie nur 1,6 % der Stimmen errang und den angekündigten Einzug ins Europäische Parlament damit klar verfehlte, hat indes die Aufwärtsentwicklung spürbar verlangsamt. Gleichwohl will Dr. FREY das Organisationsnetz der Partei bundesweit systematisch ausbauen. In Baden-Württemberg bestehen innerhalb des Landesverbandes der DVU-Liste D derzeit sieben Kreisverbände. Insgesamt dürften in unserem Bundesland der Partei etwa 3.200 Anhänger zuzurechnen sein. Der vor 25 Jahren gegründeten "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) gelang es 1989 ebenfalls die Zahl ihrer bundesweit organisierten Mitglieder zu erhöhen: von 6.400 im Jahre 1988 auf rund 7.000 im Jahre 1989. Mit 1.500 Angehörigen (1988: 1.320) konnte der Landesverband Baden-Württemberg seine Stellung als stärkste Gliederung der Partei im Bundesgebiet festigen. Enttäuschung und - intern immer wieder geäußerte - Resignation waren die Reaktion auf die deprimierende Wahlniederlage der DVU-Liste D bei der Europawahl, auf deren Liste auch NPD-Funktionäre kandidiert hatten. Vorübergehend flammten wieder scharfe Diskussionen um das Für und Wider der Kooperation mit Dr. FREY in der Partei auf. Füh- -21rende NPD-Funktionäre konnten nur mit Mühe Kritiker aus den eigenen Reihen beschwichtigen. Zufrieden zeigte sich die Partei dagegen über die Mandatsgewinne im Jahr 1989 anläßlich von Kommunalwahlen in Hessen und Baden-Württemberg. In unserem Bundesland konnte die NPD immerhin 12 Mandate (1984: 3) erringen. Mit einer gewissen Genugtuung ist festzustellen, daß die Zahl der Anhänger von neonazistischen Gruppen im Bundesgebiet weiter rückläufig ist. Bundesweit waren 1989 noch etwa 1.300 Neonazis (1988: 1.480; 1987: 1.520) aktiv, die in zahlreichen Gruppen und Kleinstzirkeln wirken. Zu den bedeutenderen Vereinigungen gehört die sogenannte "Bewegung". die seit 1986 in den MOSLER-Flügel und den KÜHNEN-Flügel gespalten ist und zusammen über etwa 500 Anhänger verfügt. Im Verlauf des Jahres 1989 entwickelte der MOSLER-Flügel immer weniger eigenständige Aktivitäten, auch die Herausgabe des Organs "Die Neue Front" wurde eingestellt. Nahezu alle Mitglieder dieses Flügels sind inzwischen in der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP1 organisiert und für diese Partei aktiv. MOSLER wurde sogar Generalsekretär der FAP, die gegen Ende des Jahres 1989 noch etwa 330 Mitglieder (1988: 450; 1987: 520) zählte. Der KÜHNEN-Flügel blieb dagegen aktiv und tritt unter der Bezeichnung "Gesinnunqsgemeinschaft 'Die Neue Front'" (Titel des Organs dieser Gruppierung) auf. Diese Gruppe, die ihren Schwerpunkt in Hessen hat und - im Gegensatz zum übrigen Bundesgebiet - im dortigen FAP-Landesverband personell stark vertreten ist, zählt etwa 130 aktive Anhänger. Nach dem Verbot der Vereinigung "Nationale Sammlung" (NS) im Februar 1989 durch den Bundesminister des Innern wurden aus dem Kreis der KÜHNEN-Anhänger immer wieder Initiativen entwickelt, neue Organisationen zu bilden. Hierzu gehören die "Nationale Liste" in Hamburg und die "Deutsche Alternative" Bremen, die möglicherweise bundesweit ausgedehnt werden soll. -22Sorge bereitet nach wie vor die zunehmende Neigung der überwiegend jungen Neonazis zur Gewaltanwendung, die sich vor allem gegen Ausländer und politische Gegner richtet. Es besteht deshalb unverändert Anlaß, diesen Bereich mit großer Aufmerksamkeit zu beobachten. Auch im Jahre 1989 verhielt sich die große Mehrzahl der 960.700 in Baden-Württemberg lebenden Ausländer loyal zum Gastland. Insgesamt noch 10.155 Mitglieder (1988: 16.300) zählten die Vereinigungen mit extremistischer oder gar terroristischer Zielsetzung. Der starke Rückgang ist allerdings nur zum geringen Teil auf tatsächliche Mitgliederverluste der extremistischen Ausländergruppen zurückzuführen. Der größere Teil beruht auf dem Wegfall der Beobachtungsvoraussetzungen bei mehreren, bislang zumeist als extremistisch beeinflußt eingestuften Vereinigungen. Trotz der gesunkenen Zahl hält die Gefährdung der inneren Sicherheit und die Beeinträchtigung der außenpolitischen Belange der Bundesrepublik durch extremistische Ausländer aber an. Obwohl deren Aktivitäten sich zumeist gegen die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in ihren Herkunftsländern richten, sind immer häufiger auch politische Reizthemen in der Bundesrepublik Deutschland und Maßnahmen deutscher Behörden Gegenstand ihrer teilweise aggressiven Agitation. Sie schrecken bei der Durchsetzung ihrer politischen Ziele auch nicht vor Gewalt zurück. Bei der Gesamtstärke der verschiedenen Bereiche haben sich in Baden-Württemberg beachtenswerte Verschiebungen ergeben: Inzwischen stellen den zahlenmäßig stärksten Block unter den extremistischen Ausländergruppen die religiös-nationalistischen (3.125), gefolgt von den rechtsextremistischen (2.895) Vereinigungen. Orthodox-kommunistischen Gruppen gehören noch 2.220 und solchen der "Neuen Linken" 1.955 Personen an. -23Besondere Gefahren gingen auch 1989 von der militanten "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) aus. Sie führte die brutale Verfolgung von Abweichlern im benachbarten Ausland fort, hielt sich im Bundesgebiet jedoch - wohl aus taktischen Gründen - zurück. Besorgniserregend ist der weltweite Anstieg terroristischer Aktivitäten libanesischer Schiiten. Auch im Bundesgebiet konnten konkrete Anschlagsvorbereitungen insbesondere der "Hizb' Allah" erkannt werden. Im Bereich des palästinensischen Terrorismus bleibt die Lage angespannt. Die Hauptbedrohung geht derzeit von der "Volksfront für die Befreiung Palästinas - Generalkommando" fPFLPGC) aus. Zu einer besonderen Gefahr - insbesondere für die in Nordund Westdeutschland stationierten britischen Streitkräfte - entwickelten sich irische Nationalisten. Mordund Bombenanschläge belegen die zunehmende Ausweitung ihres Operationsgebiets auf den europäischen Kontinent. Ein ernstzunehmendes Gewaltpotential stellen nach wie vor auch die Anhänger einiger Organisationen der türkischen "Neuen Linken" dar. Trotz der tiefgreifenden Veränderungen in der DDR und den übrigen Staaten Osteuropas, die aller Voraussicht nach zu einer grundlegenden Änderung der ideologischen, politischen und gesellschaftlichen Strukturen dieser Staaten führen werden, bleibt festzustellen, daß die gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Soionaqeaktivitäten bis Ende des Jahres 1989 nicht entscheidend abgenommen haben. -25D. L I N K S E X T R E M I S M U S In das Beobachtungsfeld Linksextremismus, das in den letzten Jahren keine gravierenden Veränderungen erfuhr, ist 1989 Bewegung gekommen. Massiv betroffen hiervon ist die orthodox-kommunistische "Alte Linke" mit ihrem Geflecht von Nebenund beeinflußten Organisationen. Die der "Alten Linken" zuzurechnenden Gruppierungen befinden sich in einer bedrohenden Identitätsund Finanzkrise, die einen starken Mitgliederschwund verursacht. Die in viele Kleinorganisationen aufgesplitterte "Neue Linke" hat sich hingegen auf relativ niedrigem Niveau organisatorisch stabilisiert. Nach wie vor geht von gewaltorientierten Kleingruppen eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. Der linksextremistische Terrorismus ist, wie der Mordanschlag auf den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Dr. Alfred HERRHAUSEN, vom 30. November 1989 gezeigt hat, noch nicht bezwungen. Nach einer Phase scheinbarer Neuorientierung haben die "Rote Armee Fraktion" fRAFl und ihr militantes Umfeld erneut eine "Phase des Kampfes" begonnen. 1. "Alte Linke" 1.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 1.1.1 Der Zerfall der Partei Seit ihrer Gründung 1968 betrachtete sich die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP^ als Bruderorganisation der "Kommunistischen Partei der Sowjetunion" (KPdSU) un der "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED). Sie war ideologisch bis zum Amtsantritt GORBATSCHOWS auf die sowjetische kommunistische Partei ausgerichtet und wurde aus der DDR -26finanziert. Die mit dem Aufkommen von "Glasnost" und "Perestrojka" in der Sowjetunion eingeleiteten politischen Veränderungen führten dann aber unter den deutschen orthodoxen Kommunisten zu beträchtlicher Verunsicherung, die sich im Zuge der Demokratisierungsprozesse in den Ländern des "realen Sozialismus" noch verstärkte und mit dem Umbruch in der DDR ihren bisherigen Höhepunkt erreichte. Schon Anfang 1988 hatte sich in der DKP eine wachsende Opposition gegen die jede Veränderung ablehnenden "Traditionalisten" im Parteivorstand und gegen den DKP-Vorsitzenden Herbert MIES formiert. Die "Erneuerer" dagegen, die sich an GORBATSCHOWS Modernisierungskurs orientierten, forderten mehr innerparteiliche Demokratie, eine Abkehr von der Dogmatik des Marxismus-Leninismus sowie eine kritische Auseinandersetzung mit dem bisherigen "Leitbild DDR". Die sogenannten Betonköpfe in der Parteispitze warfen den vermeintlichen Abweichlern hingegen "Verrat an der Arbeiterklasse" und "Demokratieduselei" vor und entfernten mehrere oppositionelle Funktionäre von ihren Posten. In einem internen Papier wurde der Vorschlag gemacht, die Partei solle lieber den Verlust von zwei Dritteln ihrer Mitglieder riskieren als die bisherigen dogmatischen Glaubenssätze aufgeben. Auf einem von über 2.000 Teilnehmern besuchten "Kongreß Erneuerung" vom 20. bis 22. Oktober 1989 in Frankfurt am Main wurde mehrheitlich die Meinung vertreten, die DKP dürfe nicht länger Privateigentum der Parteiführung sein. Mehrere Redner wandten sich ausdrücklich gegen eine Revolution als Mittel zur Veränderung der Gesellschaft. Es wurde gar die Meinung vertreten, die kommunistische Bewegung alten Typs sei "historisch am Ende". Die "Erneuerer" stellten auf dieser Veranstaltung, die nach DKP-Angaben in einer "haßerfüllten, von Feindschaft gegen den Parteivorstand getragenen Atmosphäre" stattfand, ultimativ ihre Mindestforderungen vor. Dazu gehörten unter anderem der Verzicht einer DKP-Eigenkandidatur bei der Bundestagswahl 1990, die sichtbare Korrektur der totalen Abhängigkeit von den sozialistischen Ländern, kon- -27krete Schritte zur "Demokratisierung der Partei", Zulassung von Fraktionen innerhalb der Partei und der Rücktritt des Bundesvorstandes. Gefordert wurden ferner "Initiativen zur wahrheitsgetreuen, ungeschönten Aufarbeitung der Geschichte der kommunistischen Bewegung und des Stalinismus". Schließlich wurde verlangt, die SED müsse ihr Machtund Wahrheitsmonopol aufgeben. Diese Forderung wies die DKP-Spitze zu diesem Zeitpunkt noch als abenteuerlich und spalterisch zurück. Dabei vertraten Mitglieder des Parteivorstands offen die Meinung, daß die Spaltung der DKP von den "Erneueren" mit der Herausgabe eines eigenen Informationsdienstes "Korrespondenz Erneuerung", der Einrichtung eines Koordinierungsausschusses mit Büro in Köln sowie dem Abhalten diverser örtlicher und regionaler Treffen faktisch längst vollzogen sei. Nachdem die weiterhin am alten SED-Regime orientierte Mehrheit der Parteiführung nicht kompromißbereit war, traten gegen Ende des Jahres 1989 "Erneuerer" massenweise aus der DKP aus. Viele Mitglieder des Parteivorstands legten ihre Ämter nieder. Die Austrittswelle wurde noch verstärkt, als der Parteivorsitzende MIES öffentlich zugeben mußte, daß die DKP bisher maßgeblich von der SED finanziert wurde. Diese Tatsache war in der Vergangenheit stets bestritten und als "uralte Lüge" des Verfassungsschutzes dargestellt worden. Nachdem die Situation der DKP im Laufe des Jahres 1989 von der Krise zum Zerfall übergegangen war, wurden von den "Reformern" nicht nur eine "Erneuerung" der Partei, sondern auch sonstige Alternativen erörtert. Als Perspektiven boten sich dabei an: Eine neue kommunistische Partei modernen Zuschnitts, eine lose marxistische Assoziation, ein Verweisen der Mitglieder auf die GRÜNEN oder die SPD sowie eine Nicht(mehr)Organisierung. Eindeutige Festlegungen sind gegenwärtig nicht zu erwarten, da eine gemeinsame Ausrichtung der Reformkräfte nach wie vor fehlt. -28Gegen Ende 1989 hatten die "Erneuerer" auch in Baden-Württemberg ihre Basis verbreitert. Immer häufiger kam es zu Treffen auf regionaler und örtlicher Ebene. Der in unserem Land noch immer von "Traditionalisten" beherrschte Bezirks(also: Landes-) vorstand konnte die desolate Situation der Partei auf allen Ebenen trotz gegenteiliger Erklärungen nicht mehr verschleiern. Die Zahl der Austritte nahm erheblich zu, darunter auch die von Altgenossen sowie Funktionären und hauptamtlichen Mitarbeitern des Bezirksvorstands. Nennenswerte öffentlichkeitswirksame Aktivitäten konnte die zerstrittene Partei in Baden-Württemberg seit Mitte des Jahres 1989 nicht mehr entfalten. Wie sehr die DKP inzwischen von der Krise erfaßt ist, zeigt auch die Entwicklung der Mitgliederzahlen auf Bundesund Länderebene. Der Partei gehörten Ende 1989 allenfalls noch rund 22.000 Mitglieder (1988: 35.000; 1987: 38.000) an. In der für Baden-Württemberg zuständigen Bezirksorganisation mit Sitz in Stuttgart ging die Zahl der Mitglieder von 2.400 im Jahre 1988 (1987: 2.700) auf 1.800 zurück. Das bedeutet einen erneuten Rückgang von 25 %. Seitdem sind wiederum zahlreiche Mitglieder ausgetreten. Ein Endpunkt bei diesem Abwärtstrend ist derzeit nicht auszumachen. Zwar sind in unserem Land die 2 3 Kreisorganisationen noch formal existent, doch arbeiten von den ehemals 167 aktiven DKP-Grundeinheiten (Wohngebiets-, Betriebsund Hochschulgruppen) derzeit allenfalls noch 108. Besonders eklatant ist dabei der Rückgang der Betriebsarbeit. Auf diesem traditionellen Agitationsfeld der DKP sind gegenwärtig noch knapp 20 Betriebsgruppen aktiv (1988: 3 9 ) . Spürbar abgenommen hat auch die Zahl der DKP-Kleinzeitungen auf Ortsund Betriebsebene. Die finanzielle Krise wird diese Abwärtsentwicklung weiter beschleunigen. Derzeit noch unbeeinflußt von der krisenhaften Entwicklung zeigt sich die - wiederholt durch höchstrichterliche Rechtsprechung festgestellte - verfassungsfeindliche Zielsetzung der Rest-DKP, die auch Teile der "Erneuerer"-Bewegung einschließt. Allerdings beginnen sich größere Bereiche der Er- -29neuerungsströmung mit der Abkehr vom dogmatischen MarxismusLeninismus von den grundlegenden verfassungsfeindlichen Zielen der DKP zu lösen. 1.1.2 Auswirkung der Entwicklung in der DDR auf die DKP Durch die revolutionäre Entwicklung in der DDR gerieten die jahrzehntelang an der SED orientierten Mitglieder in der DKP, die auch jetzt noch unbeirrt an der bisherigen politischen Linie festhalten wollten, in zunehmende ideologische Bedrängnis. Nachdem der SED in zunehmendem Maße die Kontrolle über die sich überschlagenden Ereignisse im Lande entglitt, inszenierte auch die DKP nun eilig ihre politische "Wende". Noch Anfang Oktober 1989 hatte der DKP-Vorsitzende MIES auf einer Parteiveranstaltung zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR die Staatsgründung als "Wendepunkt der Geschichte" bezeichnet und die Anstrengungen der SED gewürdigt, den Sozialismus auf deutschem Boden als "unumkehrbar" zu sichern. Gleichzeitig hatte MIES seine tiefe Besorgnis über die Umwälzungen in Polen und Ungarn geäußert. Im Zuge der dramatischen Veränderungen im November und Dezember 1989 in der DDR ging nun die bisher SED-ergebene DKP-Führung erstmals auf eine gewisse Distanz zu ihrer "Bruderpartei" und übte Kritik an der bisherigen Politik der SED. Im DKP-Zentralorgan "Unsere Zeit" (UZ) wurde Mitte November 1989 öffentlich die führende Rolle der SED im Umwälzungsprozeß der DDR bestritten. Die SED habe, so hieß es, im Gegensatz zur KPdSU nicht die Kraft gehabt, selbst die Wende einzuleiten. Vielmehr sei der Umschwung von den Zehntausenden, die nach Westen flüchteten, und den Hunderttausenden, die in den Städten und Dörfern demonstrierten, erzwungen worden. Als Folge einer "SED-Propaganda", die jahrzehntelang materielle Fülle als "Gütesiegel eines entwickelten Sozialismus" angab, aber "den eigenen Anspruch nicht einlösen konnte", sei Verständnis dafür geboten, daß viele DDR-Bürger unter gesellschaftlicher "Perspektive" vor allem die persönliche wirtschaftliche Besserstellung verstünden. -30Diese Äußerungen zeigen, daß die politischen Veränderungen in der DDR nicht ohne Auswirkungen auf die Berichterstattung in der bis Ende 1989 täglich erscheinenden Parteizeitung UZ blieben. Allerdings sank deren Gesamtauflage rapide und-lag Ende 1989 nur noch bei höchstens 20.000 (1989: 21.000) Exemplaren. Dies und die katastrophale Finanzlage der Partei zwang sie, die UZ nur noch als Wochenzeitung mit einer Auflage von 25.000 Exemplaren herauszugeben. Während für die Parteizeitung vor dem Sturz HONECKERs die DDR das sozialistische Paradies ohne Makel gewesen war, werden jetzt sogar Interviews mit Repräsentanten der demokratischen Bewegung in der DDR veröffentlicht. Wie sehr sich auch das Parteiblatt im Eilverfahren der Entwicklung in der SED anpaßte, beweisen Aussagen, daß in den DDR-Medien "völlig neue Töne" zu hören seien und daß sich die Volkskammer bei der Wahl von Egon KRENZ zum Staatsratsvorsitzenden der DDR vom "Ritual der Einstimmigkeit" verabschiedet habe. Selbst die "Beseitigung der Mauer" und die neuen Reisemöglichkeiten der DDR-Bürger wurden mit der "Einschränkung positiv gewürdigt, daß wesentliche Gründe für den Bau der Mauer im Jahre 1961 heute "noch immer nicht entfallen" seien. Dazu gehöre auch die "Anerkennung zweier unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen in ihrer eigenständigen Staatlichkeit". Das totale Scheitern der SED, das schließlich sogar zur Aufgabe des in der Verfassung der DDR festgeschriebenen Machtmonopols der Staatspartei führte, blieb aber bisher ohne sichtbare Konsequenzen für die DKP-Führung. Zwar stellte sie selbstkritisch fest, daß sie trotz "vielfältiger Kontakte zur SED" und zum realen Leben in der DDR "auf allen Ebenen" nicht früh genug differenzierte Positionen zur Krise des Sozialismus in der DDR bezogen habe, jedoch ergab sich für die DKP bisher keine zwingende Notwendigkeit für Schlußfolgerungen hinsichtlich einer grundlegenden Änderung der Parteipolitik und des Auswechseins ihrer Repräsentanten. Stattdessen betont die DKP noch immer ihre Stellung als "revolutionäre Partei der Arbeiterklasse dieses Landes", deren Rolle durch die -31"Bedingungen des Klassenkampfes im eigenen Land" bestimmt werde. Von großer Bedeutung sei dabei, daß der Sozialismus in der DDR erhalten bleibe und sich erneuere. Gegenwärtig steht für die DKP eine Politik gegen die Wiedervereinigung beider deutscher Staaten im Vordergrund ihrer Aktivität. Sie trägt eine von Teilen der revolutionär-marxistischen "Neuen Linken" und demokratischen Kräften initiierte Kampagne mit, die sich unter dem Motto "Wider die Wiedervereinigung - Anerkennung der DDR jetzt" gegen ein neues, "in Europa dominierendes Großdeutschland" richtet. Im Spätjähr 1989 geriet die von Flügelkämpfen erschütterte DKP im Zuge des Umbruchs in der DDR in eine dramatische Finanzkrise. Die SED/PDS lehnte eine weitere finanzielle Unterstützung ihrer "Bruderpartei" mit der Begründung ab, daß harte Devisen in der DDR jetzt anderweitig dringend gebraucht würden. Die DKP müsse künftig überwiegend mit eigenen Mitteln auskommen. Aufgrund dieser die DKP-Führung völlig überraschenden Entwicklung wurden eiligst einschneidende Maßnahmen eingeleitet. So wurde der Stamm der hauptamtlichen Mitarbeiter von bisher 500 auf etwa 50 reduziert sowie die weitgehende Aufgabe von Parteibüros, die Einstellung zahlreicher Publikationen und die Auflösung von parteieigenen Verlagen, Druckereien und Buchhandlungen veranlaßt. Mit dieser Entwicklung wurde die von der Partei stets als Verleumdung antikommunistischer Kräfte vehement bestrittene totale finanzielle Abhängigkeit von der SED bestätigt. Allein mit den zuletzt etwa 70 Millionen DM, die der DKP und damit auch ihren Nebenund Vorfeldorganisationen jährlich auf zumeist konspirativem Wege aus der DDR zuflössen, war die Partei in der Lage, ihren kostspieligen und aufwendigen Apparat zu unterhalten und damit großangelegte bundesweite Kampagnen durchzuführen. Vermutlich hat die weitgehende Einstellung der materiellen Unterstützung durch die SED der DKP einen organisatorischen Schaden zugefügt, der sich zusammen mit ihrer Identitätskrise auf lange Zeit lähmend auf die Partei auswirken wird. -321.1.3 Schwerpunkte der Agitation Die DKP hatte seit ihrer Neukonstituierung 19 68 den Anspruch erhoben, ihre gesamte offene und verdeckte Tätigkeit an der "konsequenten Vertretung der sozialen, demokratischen und Friedensinteressen der Arbeiterklasse und der übrigen Werktätigen" auszurichten. Angesichts des inzwischen auch von den Kommunisten nicht mehr bestrittenen Ausbleibens des baldigen Zusammenbruchs des Kapitalismus und der revolutionären Machtübernahme in der Bundesrepublik Deutschland sah sich die DKP schon vor Jahren gezwungen, eine Strategie der "stufenweisen Transformatison" einzuschlagen: vom "staatsmonopolitischen Kapitalismus" zunächst zu einer "antimonopolitischen Demokratie", d.h. einem Volksfrontbündnis unter ihrer Führung, und erst dann in einem weiteren Schritt zum Sozialismus und schließlich zur klassenlosen Gesellschaft des Kommunismus. Als potentielle Bündnispartner für diese Politik wurden vor allem die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften gesehen. So hatten sich seit Jahren gemäß einer Parteiverpflichtung knapp dreiviertel der DKP-Mitglieder in den Gewerkschaften organisiert. Nicht unbeachtlich war auch die Zahl von bundesweit über 1.500 DKP-Betriebsräten und gewerkschaftlichen Funktionsträgern. Die DKP glaubte sich in den DGB-Gewerkschaften fest verankert. Neben der Gewerkschaftsarbeit spielte für die DKP auch die Betriebsarbeit eine wichtige Rolle, zumal dort Parteimitglieder - so die DKP - seit langem ein "hohes Ansehen" erreicht hätten. Hier ist allerdings zu vermuten, daß die Erfolge der Belegschaftsvertreter aus der DKP weniger in Zusammenhang mit ihrer Parteimitgliedschaft standen, als vielmehr mit ihrem Engagement für Arbeitnehmerinteressen. Ausblickend auf die Betriebsratswahlen 1990 stellte die Partei noch 1989 stolz fest, daß bei den letzten Wahlen die Zahl der gewählten Kommunisten um 25 % zugenommen habe. -33Die Krise der DKP führte somit ganz zwangsläufig zu einem Einbruch auch bei der Betriebsarbeit. In Baden-Württemberg mußte die Partei - wie schon im Vorjahr - weitere herbe Rückschläge hinnehmen. Die Zahl der noch aktiven DKP-Betriebsgruppen liegt inzwischen unter 20 (1987: rund 50). Die betrieblichen Aktivitäten gingen insgesamt spürbar zurück. Selbst in einer DKP-Betriebsgruppe des Daimler-Benz-Konzerns, der in Baden-Württemberg das Hauptziel der klassenkämpferischen Agitation der DKP darstellt, wurde - wie auch in einem Teil der noch tätigen betrieblichen Grundeinheiten der Partei - über eine Auflösung diskutiert. Ein weiteres wichtiges Feld war für die DKP traditionell die Kommunalpolitik, die sie als zweites Standbein ihrer "Arbeiterund Massenpolitik" sah. Auf dem "Kampffeld Kommune" sollten sich "neue Chancen zur Erweiterung der Massenbeziehungen und zur Formierung politischer Mehrheiten links von der CDU unter Einschluß der DKP" bilden. So hatte sich die DKP bei der Kommunalwahl am 22. Oktober 1989 in Baden-Württemberg das Ziel gesetzt, in den "Schwerpunktstädten" Mannheim. Heidenheim und Tübingen ihre Mandate zu verteidigen und in weiteren Städten zu Wahlabsprachen und gemeinsamen Kandidaturen mit anderen linken Kräften zu kommen. Diese Bemühungen führten erstmals in Baden-Württemberg zur Kandidatur von DKP-Mitgliedern auf Bündnislisten gemeinsam mit Angehörigen der revolutionär-marxistischen "Neuen Linken" und auch mit Autonomen. Trotz der Krise der Partei und den erheblichen Schwierigkeiten bei der Mobilisierung der Mitglieder im Wahlkampf konnte die DKP weiterhin überraschend ihre Mandate behaupten und ist jetzt in folgenden Gemeinderäten und Kreistagen vertreten: Vertreter im Gemeinderat Tübingen 2 Mannheim l Heidenheim 1 Löffingen 1 Mandat im Kreistag Tübingen 1 -34Ortsbeiräte Tübingen 4 Sonstige Kommunalvertreter der DKP: - Bezirksbeiräte Mannheim 2 - Mitglied im RegionalverMannheim 1 band "Unterer Neckar" Breiten Raum bei den Aktivitäten der DKP nahm - im Zusammenwirken mit anderen Linksextremisten und Demokraten - die Beteiligung an der "Antifaschismuskampaqne" ein. Hierbei wirkt die kommunistische Antifa-Konzeption als bündnispolitische Integrationsideologie für alle linksorientierten Kräfte, welche die Gesellschaft in "Faschisten" und "Antifaschisten" einteilt. Bei zahlreichen "antifaschistischen" Aktionen, die gegen Veranstaltungen und sonstige Aktivitäten rechtsextremistischer und rechtsgerichteter Organisationen zielten, trat die Partei zusammen mit der von ihr beeinflußten "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten" (WN-BdA) nach eigenen Angaben als "Initiator und Motor" auf. Inzwischen haben sich bundesund landesweite "Antifaschistische Aktionskonferenzen" und "Ratschläge" gebildet, die unter maßgeblicher Beteiligung von DKP und W N - B d A den Kampf gegen den politischen Gegner von "Rechts" koordinieren. Dabei fielen die Anhänger der "Neuen Linken" häufig durch militanten Aktionismus auf. In einem gemeinsamen Appell von DKP, der "Sozialistischen Einheitspartei Westberlins" (SEWi und der SED an "alle friedliebenden und antifaschistisch-demokratisch gesinnten Menschen Europas" warnten die drei kommunistischen Parteien im Mai 1989 vor einem alarmierenden "Wiedererstarken neonazistischer Kräfte" in der Bundesrepublik, während in der DDR die historischen Wurzeln von Faschismus und Krieg angeblich endgültig beseitigt seien. Weitere Agitationsschwerpunkte waren die "Friedensbewegung" und der Mieterschutz. -35Insgesamt gesehen versuchte die DKP auch 1989 wieder, mit öffentlichkeitswirksamen Losungen ihren Einfluß in den verschiedensten Bereichen für die Partei nutzbar zu machen. Obwohl ihre aktive Bündnispolitik in einigen Bereichen von vielen - auch nichtkommunistischen - Organisationen anerkannt wurde, war sie jedoch vor allem in der zweiten Jahreshälfte nur noch in wenigen Fällen in der Lage, ihre Vorhaben in der vorgesehenen Breite zu verwirklichen. Die Aktionsfähigkeit der Partei wurde durch die anhaltenden innerparteilichen Auseinandersetzungen und die zunehmenden finanziellen Probleme stark gehemmt. Gerade im traditionellen Wirkungsbereich der "Kampagnenfähigkeit" dürfte sich der Verfall der "Deutschen Kommunistischen Partei" und ihrer Hilfsund Nebenorganisationen massiv auswirken. 1.2 Nebenoraanisationen der DKP Die formal selbständigen Nebenorganisationen der Partei wurden einst gegründet, um der DKP Einflußund Rekrutierungsmöglichkeiten im Jugend-, Studentenund Kinderbereich zu sichern. 1989 hat sich der Loslösungsprozeß großer Teile der ParteiJugend von der Mutterpartei, der man Dogmatismus vorwirft, drastisch verschärft. 1.2.1 "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" fSDAJi Das Jahr 1989 stand für die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" fSDAJ) im Zeichen tiefgreifender Veränderungen. Die seit 1987 andauernde krisenhafte Entwicklung unter dem Einfluß gegensätzlicher Strömungen steigerte sich bis zum 10. SDAJ-Bundeskongreß am 17./18. Juni 1989 in Dortmund, in dessen Verlauf es zur faktischen Spaltung der DKP-Jugendorganisation kam. Bis zum Bundeskongreß hatte es noch den Anschein, als ob die "Erneuerer" unter der Führung der bisherigen Bundesvorsitzenden Birgit RADOW die Oberhand in der Leitung der SDAJ behalten würden. Durch geschicktes Taktieren gelang es jedoch -36den DKP-treuen "Traditionalisten", die reformwilligen SDAJ-Anhänger "kaltzustellen". Eine führende Rolle kam dabei dem SDAJ-Landesverband Baden-Württemberg zu, der nahezu geschlossen dem reformfeindlichen Flügel des Jugendverbandes zuzurechnen ist. Der bisherige Landesvorsitzende Patrik KÖBELE übernahm als exponierter Vertreter der "Traditionalisten" den Vorsitz im neugegründeten SDAJ-Bundesarbeitsausschuß (BAA^. der dann auf dem außerordentlichen Bundeskongreß am 21./22. Januar 1990 als Vorsitzender der SDAJ bestätigt wurde. Von der DKP wurde der BAA als das allein vertretungsberechtigte Organ der SDAJ anerkannt und zugleich den "Erneuerern" der bisherigen SDAJ jegliche organisatorische und finanzielle Unterstützung entzogen. Diese innere Krise wirkte sich im Verbund mit der allgemeinen Entwicklung in den Ländern des "real existierenden Sozialismus" massiv auf den Mitgliederstand der SDAJ aus. Aus dem ehemals mitgliederstarken DKP-Jugendverband (1987: 15.000; 1988: 6.500 Mitglieder bundesweit) wurde im Verlauf des Jahres 1989 eine gespaltene RumpfOrganisation mit noch knapp 2.000 Anhängern. Daneben existiert faktisch noch ein zweiter, etwa gleichstarker SDAJ-Verband, der jedoch als nicht parteikonform von der DKP boykottiert wird. In Baden-Württemberg verringerte sich die Mitgliederzahl 1989 auf knapp 300 (1987: rund 1.000; 1988: 600 Mitglieder). Die sich Ende 1989 überschlagenden Ereignisse in der DDR und den Ländern Osteuropas vertieften die innere Krise der SDAJ. Vor allem die Enthüllungen über das SED-Regime, das die SDAJ jahrzehntelang als Vorbild gesehen hatte, schockierten viele Mitglieder. Hinsichtlich dieser "Vorbildfunktion" der DDR räumte die SDAJ inzwischen selbstkritisch ein, daß sie ihre sozialistische Identität zu sehr aus deren Existenz abgeleitet habe. Aus Angst, mit einer offenen Diskussion über die Probleme in der DDR den eigenen Gegnern in die Hände zu spie- -37len, sei diese unterblieben. Dennoch bleibe es auch künftig das Ziel der SDAJ, eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Das zu erwartende Ausbleiben finanzieller Mittel von DKP bzw. SED dürfte allerdings die weitere Arbeit der Jugendorganisation in Frage stellen. Sie wird nicht umhin kommen, das Gros ihrer hauptamtlichen Mitarbeiter zu entlassen und die angemieteten Büroräume zu kündigen. Ein erster Schritt wurde bereits mit der Einstellung verschiedener Publikationen, darunter die "Jugendpolitischen Blätter" und das auflagenstarke Jugendmagazin "elan", getan. 1.2.2 "Marxistischer Studentinnenund Studentenbund (MSB) Spartakus" Auch der ehemals mitgliederstärkste Studentenverband der Bundesrepublik Deutschland, der "Marxistische Studentinnenund Studentenbund (MSB) Spartakus", befindet sich derzeit in einer schweren Organisationsund Identitätskrise. Dies äußert sich sowohl in erheblichen Mitgliederverlusten als auch in dem abnehmenden Einfluß in den studentischen Gremien. So liegt die Mitgliederzahl bundesweit allenfalls noch bei 1.800 Personen (1988: 3.600; 1987: 5.000). In Baden-Württemberg ist die Anhängerzahl auf ca. 50 (1988: 150) zurückgegangen. Die "roten blätter", das Verbandsorgan des MSB, die 1988 noch in einer Auflage von 9.000 Stück erschienen, sanken 1989 zunächst auf 6.500 ab und wurden Ende des Jahres aus finanziellen Gründen eingestellt. Der "Sozialistische Hochschulbund" (SHB). der seit langem mit dem MSB auf das engste zusammenarbeitete, leidet ebenfalls an personeller Auszehrung. Der MSB hat sich inzwischen weitgehend von der DKP gelöst und wird nun mehrheitlich von undogmatischen "Erneuerern" getragen. Er strebt einen neuen, parteiunabhängigen Zusammenschluß -38an, um so eine "Reorganisierung" des linksextremistischen studentischen Spektrums zu erreichen. 1.2.3 "Junge Pioniere - Sozialistische Kinderorqanisation" fJP) Die Kinderorganisation der DKP, die "Jungen Pioniere" (JV). war von der krisenhaften Entwicklung der orthodox-kommunistischen Organisationen ebenso betroffen. Ihr Mitgliederstand sank bundesweit von fast 3.000 Kindern und Jugendlichen im Jahr 1988 auf rund 800 Ende 1989. In Baden-Württemberg können nur noch in wenigen Ortsgruppen überhaupt Aktivitäten wahrgenommen werden. Bezeichnend für die auch bei den "Jungen Pionieren" vorherrschende innere Zerrissenheit ist der Rücktritt des seitherigen Bundesvorsitzenden, der als Grund für seine Entscheidung insbesondere die zu enge Anbindung der Kinderorganisation an die DKP und die SDAJ nannte. Durch diese Verflechtungen sei es in der Vergangenheit zu verstärkter Fremdbestimmung, zu undemokratischen Absprachen und zur Unterordnung der JP gekommen. Die machtpolitische Durchsetzung einseitiger Meinungen müsse künftig verhindert werden. 1.3 DKP-beeinflußte Organisationen Die DKP bediente sich bis in die jüngste Zeit eines ganzen Geflechts von Vorfeldorganisationen, um ihrem erklärten Etappenziel, der Bildung einer "antimonopolistischen" Einheitsfront aller linken und linksextremistischen Kräfte unter der Führung der "Partei der Arbeiterklasse", näherzukommen. Insbesondere die sogenannten Aktionsbündnisse, die bei aktuellen, politisch umstrittenen Themen ins Leben gerufen wurden, waren massiven Beeinflussungsversuchen kommunistischer Hilfsund Tarnorganisationen ausgesetzt. Kennzeichnend für diese von der DKP beeinflußten Gruppierungen waren -39- - keine direkte verfassungsfeindliche Zielsetzung - die weitgehende Akzeptanz auch bei nichtkommunistischen Kräften - die Zugehörigkeit auch von Nicht-DKP-Mitgliedern und gelegentlich sogar von Angehörigen demokratischer Parteien - andererseits die Kontrolle der Organisation durch die Besetzung der wichtigsten Funktionen mit Kommunisten - die weitgehende Finanzierung durch die DKP bzw. die SED. Durch diese Bündnisorganisationen verstand es die DKP in der Vergangenheit, in gesellschaftliche Bereiche vorzustoßen, in denen Kommunisten sonst auf Ablehnung stießen oder als Machtfaktor nicht ernst genommen wurden. Dabei genügte es ihr häufig, wenn diese Vereinigungen politische Forderungen vertagten, die mit den taktischen Nahzielen der DKP übereinstimmten, und diese in die jeweiligen "Aktionsbündnisse" einbrachten. Durch die Besetzung vieler Führungspositionen mit Kommunisten hatte die DKP zugleich sichergestellt, daß die von ihr beeinflußten Gruppierungen keine politische Arbeit betreiben konnten, die gegen ihre eigenen Interessen gerichtet war. Als solche "Transmissionsriemen" für tagespolitische Forderungen der DKP fungierten bisher insbesondere folgende Vereinigungen: - die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten" (WN-BdA) - die "Deutsche Friedens-Union" (DFU) - das "Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit" (KFAZ) - die "Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) e.V." (VDJ) - die "Demokratische Fraueninitiative" (DFI). -40Der Zusammenbruch der Fremdfinanzierung der DKP hat zum Jahresende 1989 alle von ihr beeinflußten Organisationen in existenzielle Nöte gebracht. Mit einer spürbaren Einschränkung ihrer Aktivitäten ist deshalb zu rechnen. 1 "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten" (WN-BdA) Die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten" (WN-BdAl war im Bereich der "Alten Linken" 1989 die Vereinigung, die von der Organisationsund Identitätskrise am wenigsten berührt war. So blieb sie mit bundesweit etwa 14.000 Mitgliedern (in Baden-Württemberg mindestens 2.000) die bei weitem mitgliederstärkste DKP-beeinflußte Organisation und Hauptträgerin der Partei in der "Antifaschismus-Kampagne . Personell spiegelt sich die enge Bindung der WN-BdA an die DKP darin wider, daß beispielsweise mehr als die Hälfte des baden-württembergischen Landesvorstands - ähnlich wie das Bundespräsidium - aus DKP-Mitgliedern bestand. Inwieweit sich durch die anhaltende Krise der Mutterpartei hier Änderungen ergeben, bleibt abzuwarten. Wenngleich die WN-BdA keine verfassungsfeindlichen Ziele verfolgt, fußt ihre "Faschismusanalyse" auch heute noch auf einer orthodox-kommunistischen Theorie aus den dreißiger Jahren, die davon ausgeht, daß dem "kapitalistischen System" die Möglichkeit der Entwicklung zu einer "faschistischen" Herrschaftsform latent innewohnt. Die Fähigkeit der WN-BdA, bundesweite "Antifa"-Kampagnen im Sinne der Bündnispolitik der DKP zu initiieren und zu beeinflussen, blieb bis Ende 1989 nahezu ungebrochen. Allerdings mehrten sich die Anzeichen dafür, daß die Richtungskämpfe in der DKP nun auch auf die von ihr beherrschte WN-BdA übergegriffen haben. In mehreren WN-BdA-Führungsgremien stehen sich inzwischen ebenfalls "Erneuerer" und "Traditionalisten" gegenüber. Sie streiten insbesondere darüber, wie die völlig -41unkritische Haltung der 1947 gegründeten Organisation zu den Verbrechen während der STALIN-Ära aufgearbeitet werden und ein "moderner Antifaschismus" aussehen soll. Obwohl auch die W N - B d A seit Jahresende mit großen finanziellen Problemen zu kämpfen hat, kann derzeit nicht von einer existenzgefährdenden Finanzkrise gesprochen werden. Allerdings sah sie sich gezwungen, zum 31. Dezember 1989 ihre Bundesgeschäftsstelle in Frankfurt am Main aufzulösen, alle hauptamtlichen Mitarbeiter zu entlassen un d die Herausgabe ihres Verbandsorgans "antifaschistische rundschau" einzustellen. In welchem Umfang die W N - B d A künftig ihre Arbeit fortsetzen wird, ist derzeit ungewiß. Das von ihren politischen Gegnern bereits behauptete Ende der Organisation ist indes wohl nicht zu erwarten. 1.3.2 "Deutsche Friedens-Union" (DFU) Im Gegensatz zur W N - B d A erscheint die weitere Existenz der "Deutschen Friedens-Union" (DFU) akut bedroht. Sie, die 1960 als Tarnorganisation der 1956 verbotenen KPD gegründet worden war, geriet gegen Ende 1989 infolge der Einstellung der finanziellen Unterstützung durch die SED bzw. die DKP in eine eklatante Finanzund Identitätskrise. Daraufhin war die DFU, der zuletzt noch etwa 1.000 Mitglieder (davon 130 in Baden-Württemberg) angehörten, gezwungen, nahezu alle hauptamtlichen Mitarbeiter zu entlassen und den Großteil ihrer Geschäftsstellen aufzulösen. Mit dieser drastischen Verkleinerung ihres Organisationsapparats dürfte die weitere Aktionsfähigkeit der DFU, die bis dahin eine Schlüsselstellung in der Bündnis-Politik der DKP einnahm, in Frage gestellt sein. Das bisher stark von DKP-Mitgliedern geprägte Bundespräsidium der DFU begründete die desolate Finanzlage offen mit der "Entwicklung in der DDR" und dem daraus resultierenden "Ver- -42siegen einer Finanzquelle". Damit bestätigte die DFU selbst die zuvor stets bestrittene völlige finanzielle Abhängigkeit von SED und DKP. Dieses Eingeständnis hat zum Jahresende zu einer inneren Zerreißprobe geführt. Das weitere Schicksal der Organisation ist offen. "Neue Linke" 1 Revolutionär-marxistische "Neue Linke" 1.1 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) blieb von der Identitätskrise anderer linksextremistischer Organisationen verschont. Sie verfügt über ein ideologisch geschlossenes Weltbild und hat sich den "Sturz der Diktatur der Monopolkapitalisten" durch die "Errichtung der Diktatur des Proletariats" zum Ziel gesetzt. Offenbar völlig unbeeindruckt von der aktuellen Entwicklung beruft sie sich auf die Lehren von MARX, ENGELS, LENIN, STALIN und MAO TSE-TUNG, denen sie sich als "politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse" besonders verpflichtet fühlt. Scharf kritisierte die Partei 1989 die KPdSU, die SED und die DKP als "revisionistisch entartet". Der Sozialismus sei von ihnen verraten und durch eine kapitalistische "Bürokratenherrschaft" ersetzt worden. Von Anfang an propagierte die MLPD zur Durchsetzung ihrer Ziele die Anwendung "revolutionärer Gewalt". Dies machte sie in einem Kommentar zur Ermordung des Vorstandsprechers der Deutschen Bank, Dr. Alfred HERRHAUSEN, am 30. November 1989, erneut deutlich. Zwar verurteilt sie "individuellen Terror" als "ebenso sinnlos wie schädlich", weist aber gleichzeitig darauf hin, daß "den Entschluß, die Diktatur der Herrhausen und Co. zu stürzen... nur die Massen selbst fassen" können. Diese Entscheidung durchzufechten, werde dann nur "mit revolutionärer Gewalt" möglich sein. Gleichzeitig stellte die MLPD die Behauptung auf, daß der Herrhausen-Mord dem "Staatsterror" Vorwände für die "Verfolgung fortschrittlicher Kräfte" liefere. -43Ein gut ausgebautes Publikationswesen dient der MLPD zur Verbreitung ihres verfassungsfeindlichen Gedankenguts. Als Zentralorgan fungiert die Wochenzeitung "Rote Fahne", deren Auflage auch 1989 bei etwa 10.000 Exemplaren lag. Andere Publikationen wie die Zeitschrift "Lernen und Kämpfen" (LuK) dienen der Schulung und Anleitung der Mitglieder. Gegenüber 1988 (1.300 Mitglieder) pendelte sich die Mitgliederzahl inzwischen bundesweit bei etwa 1.400 ein und nahm damit geringfügig zu. In Baden-Württemberg stagniert die personelle Entwicklung der MLPD bei rund 700 Personen, obwohl sie hier ihre traditionellen Hochburgen hat. Bundesweit verfügt die Partei nach wie vor über mehr als 100 Ortsgruppen, wohingegen die erkannte Zahl in unserem Bundesland auf 26 (1988: 29) zurückging. Auch die Zahl der festgestellten Kleinzeitungen ging 1989 landesweit auf 19 (Vorjahr: 26) zurück. An ihrer geringen Resonanz in der Bevölkerung änderte auch die erstmalige Beteiligung der Partei an der Europawahl am 17. Juni 1989 nichts. Sie erhielt dabei bundesweit lediglich 10.162 Stimmen (0,0 % ) , in Baden-Württemberg 0,1 %. Einen Achtungserfolg konnte sie dagegen bei der Kommunalwahl am 22. Oktober 1989 in Baden-Württemberg erzielen, bei der sie mit eigenen Listen lediglich in Stuttgart und in Albstadt/Zollernalbkreis auftrat. Die Partei errang in Albstadt mit 1,0 % der Gesamtstimmenzahl ein relativ gutes Ergebnis. In einigen Gemeinden nahmen einzelne MLPD-Mitglieder zusammen mit Angehörigen anderer linksextremistischer Gruppen auf gemeinsamen Listen an der Wahl teil. Die weitgehend verdeckt laufende Betriebsund Gewerkschaftsarbeit bildet nach wie vor einen Schwerpunkt der Aktivität. Die MLPD hält ihre Mitglieder an, aktiv in den Gewerkschaften tätig zu werden, um sie zu "starken KampfOrganisationen der Arbeiterklasse" zu machen. Immer wieder - so auch 1989 - muß- -44te sie dabei jedoch Rückschläge durch den Ausschluß von Mitgliedern aus den Gewerkschaften hinnehmen. Ein weiterer Schwerpunkt der Agitation ist die Bekämpfung der europäischen Einigungsbemühungen. Unter der Parole "Europapläne vom Tisch!" konnte sie im Europawahlkampf eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Zu der Demokratisierungsbewegung in der DDR nimmt die MLPD eingeschränkt positiv Stellung. Sie ruft zur Beseitigung der "Bürokratenherrschaft der revisionistischen SED" auf, warnt aber zugleich vor den "imperialistischen Großmachtplänen in der BRD" in Richtung DDR und setzt sich für die Einheit der deutschen Nation unter sozialistischen Vorzeichen ein. Um möglichst weite Bevölkerungskreise anzusprechen, bedient sich die MLPD mehrerer "Massenorganisationen", die bundesweit tätig sind: - ARBEITERJUGENDVERBAND/Marxisten-Leninisten" (AJV/ML) mit der Kinderorganisation "ROTFÜCHSE" - "Marxistisch-Leninistischer Schülerund Studentenverband" (MLSV) und - "Marxistisch-Leninistischer Bund Intellektueller" (MLBI). Diese Organisationen konnten jedoch bisher die von der Parteiführung in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. 1.2 "Marxistische Gruppe" (MGi Die in den siebziger Jahren entstandene "Marxistische Gruppe" (MGI ist mit nunmehr mindestens 5.000 Mitgliedern (1988: 3.000) die mit Abstand größte Organisation der "Neuen Linken". Hinzu kommt eine wesentlich größere Zahl von Anhängern, die in sogenannten Sympathisantenplena zusammengefaßt sind. -45Der relative Erfolg der MG ist insofern beachtenswert, als die Gruppierung bis heute keine politischen Grundsatzdokumente wie Programm und Statut vorgelegt hat, die zu einer eindeutigen Bestimmung ihres politischen Standorts beitragen könnten. Vielmehr sind ihre Zielvorstellungen nur aus einer Vielzahl von Veröffentlichungen herauszulesen, in denen diese zumeist in verschleierter Form dargestellt werden. Die Agitation der MG zeichnet sich durch Zynismus und eine überaus negative und grob verzerrende Kommentierung vielerlei politischer und gesellschaftlicher Ereignisse aus. So waren die Übersiedler ebenso das Ziel verächtlicher Verlautbarungen wie die Demokratiebewegung in der DDR. Positive Vorstellungen und Forderungen werden nicht publiziert. Durch ihren außergewöhnlichen Agitationsstil übt sie aber offenbar auf intellektuelle Kreise, aus denen sie ihre Anhängerschaft überwiegend rekrutiert, einen gewissen Reiz aus. Die ideologischen Grundzüge der MG lassen sowohl marxistische, leninistische als auch anarchistische Positionen erkennen. Sie bezeichnet sich selbst als kommunistische Organisation, auch wenn sie sich nicht ausdrücklich auf den Marxismus-Leninismus beruft. Vielmehr beschränkt sie sich auf die intensive Auseinandersetzung mit den Schriften von Karl MARX. In ihren Aussagen versucht die MG nachzuweisen, daß die gegenwärtige politische Ordnung und alle gesellschaftlichen Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland so offensichtlich von der Gesellschaftsform des Kapitalismus geprägt werden, daß nur die völlige Zerschlagung dieses Staates durch eine "sozialistische Revolution" eine grundlegende Änderung herbeiführen könne. Obwohl sie dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt - wohl aus taktischen Gründen - nicht offen ausspricht, hält die MG die Anwendung von Gewalt in einer sozialistischen Revolution für unumgänglich. Um im Falle einer von ihr initiierten revolutionären Entwicklung an den entscheidenden Hebeln der Macht zu sitzen, ist sie derzeit vordringlich darum bemüht, ihre Gefolgsleute auf wichtige Positionen in Staat und Gesellschaft zu placieren. In dieser planmäßigen Unter- -46wanderung von Institutionen ist momentan die eigentliche Gefahr durch die MG begründet. Die Struktur der Organisation ist gekennzeichnet durch einen streng hierarchischen Aufbau, straffe Disziplin und intensive Schulung ihrer Anhänger sowie durch strenge Abschirmung des Verbandslebens nach innen und außen. Die MG, deren organisatorischer Schwerpunkt unverändert in Bayern liegt, bemühte sich auch 1989 wieder darum, ihre Organisationsstruktur und die Zusammensetzung der Führungsgremien selbst Sympathisanten gegenüber strikt geheimzuhalten. Sie entspricht insoweit auch den Merkmalen einer leninistischen Kaderpartei. Der Kult, der um die Führungsfunktionäre betrieben wird, drängt hingegen eher den Vergleich mit einer Sekte auf. Beachtlich sind die Geldmittel der Gruppe, die sich offenbar über sehr hohe Mitgliedsbeiträge und durch den Verkauf ihrer zahlreichen Publikationen finanziert. Dies sind in erster Linie die zentralen Publikationsorgane "MSZ - Marxistische Streitund Zeitschrift - Gegen die Kosten der Freiheit" und die "Marxistische Arbeiterzeitung" (MAZ). Neben einer Vielzahl örtlicher Hochschulund Schulzeitungen sowie Betriebs-, Branchenund Regionalausgaben der MAZ erscheint das theoretische Organ der Gruppe unter dem Namen "Resultate". Obwohl die MG in Baden-Württemberg relativ schwach vertreten ist, konnte sie ihre Organisation hier weiter ausbauen. Ihr Mitgliederbestand umfaßt jetzt etwa 140 Personen (1988: 120). Hinzu kommt ein weiterer Anhängerund Sympathisantenstamm von etwa 180 Aktivisten, örtliche Schwerpunkte der MG, die in den vergangenen Jahren in mehreren Universitätsstädten Stützpunkte errichtete, sind in Baden-Württemberg unverändert Tübingen und Stuttgart. -472.1.3 Sonstige Organisationen - "Vereinigte Sozialistische Partei" (VSPi Das erklärte Ziel der "Vereinigten Sozialistischen Partei" (VSP^ ist es, als Sammelbecken aller revolutionär-marxistischen Kräfte eine "revolutionäre sozialistische Massenpartei" zu schaffen. Deshalb strebt sie seit ihrer Gründung 1986 vor allem den Zusammenschluß mit dem "Bund Westdeutscher Kommunisten" (BWK) an, ohne aber bisher den entscheidenden Durchbruch geschafft zu haben. Auch mit anderen revolutionär-sozialistischen Organisationen bemüht sich die VSP um Einigungsgespräche. Sehr aktiv betrieb sie die Gründung gemeinsamer Wahllisten sämtlicher linksextremistischer Gruppen und die Organisation von Diskussionsforen zum Thema Einigung der "Radikalen Linken". Der VSP gehören derzeit im Bundesgebiet etwa 400 Mitglieder an (1988: 450), davon etwa 50 bis 60 in Baden-Württemberg. - "Bund Westdeutscher Kommunisten" fBWKl Von den Mitgliederverlusten der letzten Jahre konnte sich der 1980 gegründete marxistisch-leninistische "Bund Westdeutscher Kommunisten" fBWK) auch 1989 nicht erholen. Seine Mitgliederzahl stagniert im Bundesgebiet bei unter 300 Personen. In Baden-Württemberg gehören der Organisation mittlerweile noch etwa 60 Personen an. Über die politische Bedeutungslosigkeit können auch die mitunter führenden Funktionen von BWK-Mitgliedern in den verschiedensten Aktionsbündnissen nicht hinwegtäuschen. Nach wie vor rege ist allerdings die publizistische Tätigkeit des BWK, der sich dabei der eigenen "Gesellschaft für Nachrichtenerfasssung und Nachrichtenverbreitung. Verlagsgesellschaft Politische Berichte mbH" (GNN^ bedient. Neben dem 14tägig erscheinenden Verbandsorgan "Politische Berichte" werden dort auch zahlreiche Publikationen von Aktions- -48bündnissen und anderen linksextremistischen Organisationen gedruckt. Eines der wenigen Betätigungsfelder, auf denen sich der BWK behaupten konnte, ist sein bestimmender Einfluß in der "Volksfront gegen Reaktion. Faschismus und Krieg" (VOLKSFRONT) . in der - wie schon 1988 - bundesweit etwa 600 Personen organisiert sind. Hauptsächliches Tätigkeitsfeld der VOLKSFRONT ist seit Jahren der "antifaschistische Kampf". Des weiteren sind zu nennen: - "Kommunistischer Bund" (KB) Der unverändert 400 Mitglieder starke revolutionär-marxistische "Kommunistische Bund" (KB). der schwerpunktmäßig im Hamburger Raum agiert, beteiligte sich 1989 besonders aktiv an den Diskussionen der neuen Sammlungsbewegung "Radikale Linke". Sein Zentralorgan "Arbeiterkampf" (AK) wirkt dabei als wichtiges Diskussionsforum. Der KB ist in Baden-Württemberg von geringer Bedeutung. - "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) Von der durch zahlreiche Spaltungen geschwächten ehemals stalinistischen KPD (Marxisten-Leninisten) spielt in Baden-Württemberg nur noch die in Albanien orientierte KPD (Gruppe Möller) in Stuttgart eine bescheidene Rolle. Bundesweit hat diese Splittergruppe nicht mehr als 50 Mitglieder. - "Trotzkistische Vereinigungen" Der Trotzkismus in der Bundesrepublik Deutschland befand sich 1989 in einem leichten Aufwind. Neben zahlreichen Kleinzirkeln spielte die "Internationale Sozialistische Arbeiterorganisation" (ISA) mit bundesweit etwa 150 Mitgliedern eine gewisse Rolle. Sie kandidierte zur Europa- -49wahl am 18. Juni 1989 und erzielte unter der Tarnbezeichnung "Für das Europa der Arbeitnehmer/innen und Demokratie" bundesweit immerhin 10.358 Stimmen (0,0%). Daneben beteiligte sich auch der 150 Mitglieder starke trotzkistische "Bund Sozialistischer Arbeiter" (BSA^ an der Europawahl. Er erhielt 7.813 Stimmen (0,0 % ) . 2.2 Undoqmatische "Neue Linke" 2.2.1 Autonome Gruppen Ohne feste organisatorische Zusammenhänge und ohne ein geschlossenes ideologisches Weltbild agieren die Anhänger der undocrmatischen "Neuen Linken" zumeist mit großer Militanz gegen unser Gemeinwesen. Innerhalb des breiten und diffusen Sprektrums, dessen Ziel eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" ist, kommt unter Sicherheitsaspekten vor allem den qewaltbereiten autonomen Gruppen besondere Bedeutung zu. Jene losen Zusammenschlüsse aus häufig vermummt auftretenden Personen machen mit spontanen Gewaltaktionen immer wieder auf sich aufmerksam. Die meist nur schwer auszumachenden politischen Vorstellungen sind stark anarchistisch orientiert. Ihr Ziel, selbstbestimmt, das heißt autonom und ohne gesellschaftliche und staatliche Zwänge, leben und handeln zu wollen, bringt sie ständig mit dem Gesetz in Konflikt. Der eigene Anspruch auf Selbstverwirklichung, verbunden mit abgrundtiefem Haß gegen den Staat und seine Repräsentanten, findet Ausdruck in einem Aktionismus, der nicht selten in purer Zerstörungswut endet. Der angeblich politische Hintergrund wird allerdings immer wieder betont: "Unsere Politik besteht nicht darin, Krawall zu machen. Es geht um die Umwälzung des herrschenden Systems... Wenn das Ziel die Revolution ist, dann muß es in Richtung einer befreiten Gesellschaft vorangehen." (Interview mit Kreuzberger Autonomen, "Spiegel" Nr. 19 vom 8. Mai 1989) -50Der Aktionsrahmen reicht von Hausbesetzungen über Sachbeschädigungen und Diebstahl bis hin zu Brandanschlägen und gezielten Angriffen auf Personen. Polizeibeamte sind seit langem besondere Zielscheiben des Hasses, da sie dem Ziel einer gesetzlosen (herrschaftsfreien) Gesellschaft zwangsläufig entgegenstehen. Spätestens seit den tödlichen Schüssen auf zwei Polizeibeamte am 2. November 1987 an der Frankfurter Startbahn West ist die ohnehin künstliche Differenzierung zwischen Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Personen als Grenze des Handelns aufgegeben worden. Vielmehr werden - wenn es zweckmäßig erscheint - Personenschäden nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern auch gezielt geplant. In einer im März 1989 verbreiteten Schrift mit dem Titel "Versuch, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen", wird dies wie folgt bestätigt: "momentan liegt unser praktischer Schwerpunkt auf größtmöglicher Sachbeschädigung oder behinderung kapitalistischer und patriarchaler projekte. wir wollen unbeteiligte Personen durch unsere aktionen nicht gefährden... direkte angriffe auf personen... schließen wir aber als revolutionäre handlung prinzipiell nicht aus..." Bereits seit Jahren haben autonome Zirkel erkannt, daß ohne ein Mindestmaß an Koordination und Verbindlichkeit ihre Aktionen lediglich den Charakter von "Nadelstichen" haben können. Da die bisherigen Bemühungen zum Aufbau autonomer Strukturen aus ihrer Sicht relativ erfolglos blieben, wurde dies gelegentlich skeptisch bemängelt: "Für uns... ist es notwendig, daß wir lernen, das System zu durchschauen, es zu überlisten... es immer wieder anzugreifen. Wir müssen verdeckte Kanäle und Strukturen aufbauen und unser gesamtes Wissen, unsere grenzenlose Phantasie gegen den Imperialismus mobilisieren." (aus "clockwork 129a", Nr. 4) Die Bandbreite der Themen, mit denen sich die Autonomen auseinandersetzen, umfaßt unterschiedlichste Bereiche. Ihr "Widerstand" richtet sich unter anderem gegen Kapitalismus, Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus, neue Technolo- -51gien, Ausbeutung der 3. Welt und Asylpolitik sowie gegen "Rassismus, Sexismus und Patriarchat". Ein Schwerpunktthema, dem durch das verstärkte Auftreten der Partei "Die Republikaner" besondere Aktualität zukam, war die sogenannte Antifaschismusarbeit. Immer wieder kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der äußerst rechten und linken Flügel des politischen Spektrums. Unter der Parole "Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft" sind meist Autonome die Initiatoren militanter Auseinandersetzungen. Die bei diesen Auseinandersetzungen einschreitenden Polizeibeamten werden dabei unweigerlich zur "Zielscheibe" der politischen Gegner. In der autonomen Untergrundpublikation "Radikal" Nr. 138 heißt es zu diesem Thema: "Eine radikale antifaschistische Arbeit muß vermitteln, daß Militanz gegen Faschisten legitim und notwendig ist." Am 17. November 1989 wurde bei einem Polizeieinsatz anläßlich einer Schlägerei zwischen rechtsorientierten Skinheads und Angehörigen des linksextremistischen Spektrums in Göttingen eine Demonstrantin bei einem Verkehrsunfall tödlich verletzt. Unmittelbar danach fanden im gesamten Bundesgebiet zumeist gewalttätige Protestaktionen statt, wobei behauptet wurde, die Polizei habe den Tod der "Antifaschistin" verschuldet. Der Tenor der vorwiegend den Autonomen zuzurechnenden Proteste lautete sinngemäß: "Bullen hetzten Antifaschistin in den Tod". Auch in Baden-Württemberg fanden in mehreren Städten, darunter in Freiburq. Demonstrationen statt, die teilweise zu Sachbeschädigungen führten. Ein weiterer Schwerpunkt, der mit dem immer knapper werdenden billigen Wohnraum wieder zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist der "Häuserkampf". Mit der Losung "Wohnraum für alle, sonst gibt's Krawalle" versuchten Autonome und immer häufiger auch Angehörige des terroristischen Umfelds, das Wohnungsproblem aufzugreifen. Tatsächlich geht es diesem Personenkreis allerdings vor allem darum, sich - gegebenen- -52falls durch Hausbesetzungen - eigene "Freiräume" und Kommunikationszentren zu schaffen. In Freiburq und Tübingen gab es aus diesem Anlaß vielfältige Aktionen und Sachbeschädigungen von erheblichem Ausmaß. Auch in Karlsruhe und Stuttgart entwickelte sich das Wohnraumproblem zum Dauerthema für die linksextremistische Szene. Bundesweit verursachten militante Autonome auch im Jahr 1989 wieder zahlreiche Personenund große Sachschäden. Bevorzugte Ziele waren politische Gegner, Polizeibeamte, Firmen und Banken sowie öffentliche Einrichtungen. Im Vergleich zum Bundestrend, der eine ungebrochene Gewaltbereitschaft anzeigt, ist bei gewaltsamen Aktionen der Autonomen in Baden-Württemberg eine rückläufige Tendenz zu beobachten. Ursächlich hierfür dürften vor allem die effektiven polizeilichen Sicherungsmaßnahmen und eine konseguente Strafverfolgung sein. Dies verstärkte die allgemeine Frustration und die Identitätskrise im linksextremistischen Lager, die sich seit geraumer Zeit auch in autonomen Kreisen eingestellt hat. Selbstkritische Stimmen mehren sich. In einer Schrift der "Autonomen studis" aus Freiburq vom Juni 1989 heißt es etwa: -53"An die Stelle der realen revolutionären Aktion tritt ... die reine Dokumentation revolutionären Willens. Das drückt sich dann aus in der leeren Symbolik der Haßkappen und schwarzen Lederjacken, der hohlen Fighterrituale und vielzitierten Ghettomentalität, dem sinnund leider immer mehr auch ziellosen Aktivismus." Solche und ähnliche Stimmen machen deutlich, daß bei den Autonomen ein Überdenken des bisherigen politisch erfolglosen Aktionismus eingesetzt hat. Eine solche zeitweilige Phase der Unsicherheit kann jedoch - wie es in der Vergangenheit bei diesen unberechenbaren Zirkeln immer wieder zu beobachten war - bei plötzlich auftretenden neuen Reizthemen sehr rasch überwunden werden, zumal sich das personelle Potential nur unwesentlich verringert hat. Im Bundesgebiet dürften dem Bereich der gewaltbereiten Autonomen unverändert bis zu 2.000 Personen zuzurechnen sein; in Baden-Württemberg sind es etwa 280 (1988: 300). Sie konzentrieren sich in unserem Bundesland auf die Städte Freiburg, Karlsruhe. Stuttgart. Heilbronn und Tübingen. Die Verflechtungen zwischen der autonomen Szene und Angehörigen des terroristischen Umfelds haben sich weiter verfestigt. Die Ablehnung des seitherigen Dogmatismus der RAF trat zugunsten eines partiellen Zusammenwirkens vielfach in den Hintergrund. Dies wurde nicht zuletzt anläßlich des letzten Hungerstreiks der RAF-Inhaftierten deutlich, bei dem sich auch die Autonomen die Forderungen der Häftlinge zu eigen machten und Solidaritätsaktionen unterstützten. Um dem Hauptfeind, dem verhaßten "Staatsapparat" besser begegnen zu können, bestimmt "kritische Solidarität" das immer häufiger werdende gemeinsame Handeln beider Bereiche. -542.2.2 Anarchistische Organisationen Seit Jahren agieren im Bundesgebiet mehrere anarchistische Organisationen, deren Bedeutung freilich gering ist. Das Ziel der anarchosyndikalistischen "Freien Arbeiter Union" (FAU) ist eine "herrschaftlose, ausbeutungsfreie, auf Selbstverwaltung gegründete Gesellschaft". Eine "radikale Umwälzung" soll insbesondere von den Betriebsbelegschaften ausgehen. Deshalb bezeichnet es die FAU als ihre wichtigste Aufgabe, eine militant-revolutionäre Gewerkschaftsbewegung aufzubauen. Von dieser soll schließlich die anarchistische Revolution durch geeignete Kampfformen wie Streiks, Boykottmaßnahmen, Fabrikbesetzungen und Sabotage ausgelöst werden. Nach eigenen Angaben verfügt die bundesweit allenfalls 150 Mitglieder zählende FAU in Baden-Württemberg nach wie vor über Stützpunkte in Baden-Baden. Heidelberg. Mannheim und Stuttgart. Wie andere anarchistische Gruppierungen lehnt auch die "Freie Arbeiter Union/Anarchistische Partei" (FAU/AP) jeglichen Staat entschieden ab. Sie propagiert deshalb die "gewaltsame Zerschlagung" der Bundesrepublik Deutschland und setzt sich für eine "Rätedemokratie" ein. Ideologisch vertritt sie eine skurrile Mischung aus Stalinismus, Maoismus und anarchistischen Elementen. Die FAU/AP tritt in ihren Publikationen überaus militant und ihre tatsächlichen Möglichkeiten völlig überschätzend auf. Mit der im Juni 1989 vorgenommenen Namensänderung der in Heidelberg ansässigen Gruppe - hinzu kam der Zusatz "Anarchistische Partei" (AP) - soll offensichtlich der Eindruck einer vorhandenen breiten Anhängerbasis suggeriert werden. Außer aus Heidelberg sind aber nennenswerte Aktivitäten dieser "Partei" bisher nur in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen bekanntgeworden. -55Als Nebenorganisationen der FAU/AP agieren die "Freie Arbeiter Union - Studenten" (FAUST) und die sogenannte Massenorganisation "Schwarze Garde" (SG). Die anarchistische "Förderation Gewaltfreier Aktionsgrupen" (FÖGA) wurde aus einem Zusammenschluß mehrerer sogenannter Gewaltfreier Aktionsgruppen gebildet. Ihr Ziel ist die Abschaffung aller Formen von Gewalt und Herrschaft. Mit einer angeblich gewaltfreien Revolution, der sogenannten "Graswurzelrevolution", will sie einen jeden Staat mitsamt seinen Herrschaftsstrukturen abschaffen. Trotz propagierter Gewaltlosigkeit ruft die FÖGA zur Durchsetzung dieser Vorstellungen neben Demonstrationen und Boykottaktionen auch zu Blockaden, Streiks und Sabotage auf. Die Aktivität ihrer bundesweit etwa 500 Anhänger konzentrierte sich im Jahre 1989 insbesondere auf die Bereiche Antimilitarismus, Umweltzerstörung und Antisexismus. Sprachrohr der FÖGA ist die in einer Auflage von 3.000 Exemplaren erscheinende Monatszeitung "Graswurzelrevolution". Herausgeber ist der Verlag "Graswurzelrevolution e. V. in Heidelberg. 3. Linksextremistischer Terrorismus Die Aktivitäten der zum Teil seit Jahren im Bundesgebiet operierenden terroristischen Gruppierungen geben auch weiterhin Anlaß zur Besorgnis. Die am längsten aktive ist die seit Beginn der siebziger Jahre bestehende deutsche terroristische Vereinigung "Rote Armee Fraktion" (RAF) sowie die einige Jahre später entstandenen "Revolutionären Zellen" (RZ) und deren Frauengruppe "Rote Zora". Von zeitweiligen Umund Restruktierungsphasen abgesehen zeigen sie seit nahezu zwei Jahrzehnten ein in ideologischer wie in aktionistischer Hinsicht weitgehend konstantes Erscheinungsbild. -56Vor allem die "Rote Armee Fraktion" hat sich mit ihrem starren, avantgardistischen und einzig auf den "bewaffneten Kampf", also die Tötung von Menschen, zielenden Konzept als eine der gefährlichsten Organisationen erwiesen. Durch ihr kompromißlos menschenverachtendes Agieren und die daraus resultierende scharfe Abgrenzung zu anderen linksextremistischen Strömungen hatte sie sich schon bald nach ihrem Entstehen politisch völlig isoliert. Das fanatische Festhalten an ihrer blutigen Strategie und das Wissen um ihre "Planungstreue" machte sich auch in Zeiten scheinbarer Ruhe zum Beobachtungsund Fahndungsschwerpunkt der Sicherheitsbehörden. Wie berechtigt und notwendig diese Einstufung ist, zeigte gerade erneut der feige Mordanschlag auf den Vorstandssprecher der Deutschen Bank AG, Dr. Alfred HERRHAUSEN, am 30. November 1989 in Bad Homburg. 3.1 "Rote Armee Fraktion" (RAF) Die RAF stützt sich seit Jahren auf folgende - durch eine spezifische Aufgabenverteilung gekennzeichnete - innere Struktur: - die Kommandoebene: hierbei handelt es sich um im Untergrund agierende Aktivisten, denen die Durchführung von "militärischen" Aktionen, also von Mordanschlägen, obliegt. Derzeit wird die personelle Stärke dieser Illegalen auf 15 bis 20 Mitglieder geschätzt. - die "Kämpfenden Einheiten": dies ist die "zweite kämpfende Ebene" der RAF. Es sind seit 1984 bestehende Organisationseinheiten, die sich vorrangig aus besonders erfahrenen Personen des Unterstützerbereichs zusammensetzen und häufig parallel zur Kommandoebene Brandund Bombenanschläge gegen Behörden, Firmen und sonstige Institutionen verüben. Entgegen der RAF-internen Bezeichnung "illegale Militante" ist wohl nur von einem zeitweisen "Abtauchen" auszugehen. Ihre derzeitige Mitgliederzahl ist unbekannt. - der Unterstützerbereich: er stellt das große Potential von zuverlässigen Helfershelfern der RAF dar, das die politische, logistische und propagandistische Arbeit trägt und als "Rekrutierungsbasis" für "Kommandos" und "Kämpfende Einheiten" dient. Zum engeren RAF-Unterstützerbereich zählen insgesamt etwa 2 60 Personen, davon rund 60 in Baden-Württemberg. -57- - die Inhaftierten: das "Gefangenenkollektiv" hat nicht nur Vorbild-, Lehrund Märtyrerfunktion für den Unterstützerbereich - die angeblich inhumanen Haftbedingungen bieten seit Jahren Anlaß zu Dauerpolemik gegen den Staat. Der Protest dagegen dient bei dafür empfänglichen jungen Menschen oft als Köder zum Einstieg in die terroristische Unterstützerszene. Das "Kampfmittel" Hungerstreik steht zudem bei Bedarf als Mobilisierungsinstrument der Inhaftierten für Aktionen "draußen" zur Verfügung. 3.1.1 Der 10. Hungerstreik - Die Rolle der RAF-Inhaftierten Verlauf Beherrschendes Ereignis der RAF-Aktivität in der ersten Jahreshälfte 1989 war der 10. kollektive Hungerstreik der Inhaftierten, der am 1. Februar 1989 begann. Ihm schlössen sich zeitweilig über 4 0 Häftlinge an. Erstmals wurde eine neue Streikvariante gewählt, die die sukzessive Erweiterung des Teilnehmerkreises in bestimmten Zeitabständen beinhaltete mit der Folge eines kontinuierlich wachsenden Drucks auf die staatlichen Instanzen. In der von Helmut POHL, einem der Anführer der RAF-Inhaftierten, verfaßten Hungerstreikerklärung hieß es, man werde "nicht loslassen", ehe die Forderungen unter anderem nach - Zusammenlegung der einsitzenden RAF-Mitglieder in eine oder zwei große Gruppen, - Freilassung von vier angeblich haftunfähigen Gefangenen und - freie politische Information und Kommunikation mit allen gesellschaftlichen Gruppen erfüllt seien. Entgegen dem ursprünglichen taktischen Konzept befanden sich bereits Mitte April 1989 alle terroristischen Gewalttäter im Hungerstreik, was vermutlich auf die breite öffentiche Resonanz zurückzuführen war. Am 14. April 1989 brachen die ersten beiden Glieder in der Hungerstreik"Kette", Karl-Heinz DELLWO und Christa ECKES, unerwartet die -58Aktion ab, um die "Zuspitzung" für kurze Zeit "wegzunehmen". Die anderen Gefangenen setzten die Nahrungsverweigerung indessen fort. Einen Monat später stand fest, daß eine bundesweit einheitliche Veränderung der Haftsituation im Sinne der RAF-Inhaftierten nicht Zustandekommen würde. In Konsequenz dessen beendeten am 12. Mai 1989 alle am Hungerstreik Beteiligten endgültig die Aktion. Unterstützunaskampaqne für die Hungerstreikenden Der RAF-Unterstützerbereich versuchte, den Forderungen der Häftlinge durch eine Vielzahl von öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten wie Demonstrationen und Kundgebungen, Pressekonferenzen, Besetzungsaktionen, Veranstaltungen sowie durch zahlreiche Informationsschriften Nachdruck zu verleihen. Besonders auffällig war hierbei die enge Zusammenarbeit mit den Autonomen. Durch die Betonung des humanitären Aspekts, dem auch das Ausbleiben von Anschlägen der Kommandoebene diente, konnte über das Spektrum der RAF-Unterstützer hinaus bis hin zu Gruppierungen und Einzelpersonen aus dem nichtextremistischen Bereich Resonanz erzielt werden. Einen der Höhepunkte der Kampagne für die Hungerstreikforderungen stellte die zentrale Demonstration am 29. April 1989 in Bonn dar, an der sich rund 8.000 Personen beteiligten. Trotz der inhaltlichen Vorgaben der Hungerstreikenden, die dieses Mal statt auf Gewalt auf eine breite politische Solidarisierung und den Druck der "Straße" setzten, kam es zu mehr als 20 Brandanschlägen mit zum Teil erheblichen Sachschäden und zu anderen militanten Aktionen. Die folgenschwersten waren -59- - ein Überfall auf die Wertpapierbörse in Frankfurt am Main am Vormittag des 12. April 1989, bei dem sechs Vermummte zahlreiche mit brennbarer Flüssigkeit gefüllte Flaschen in die Räumlichkeiten schleuderten und Brandschäden in Höhe von etwa 5 0 0 . 0 0 0 , -- DM anrichteten; - ein Brandanschlag auf eine AEG-Filiale in Münster, ebenfalls am 12. April 1989, mit einem geschätzten Schaden von über 2 Millionen DM. Nennenswert in Baden-Württemberg waren - ein Brandanschlag auf die Karlsruher CDU-Geschäftsstelle am 21. April 1989 (das Feuer breitete sich nicht aus, so daß nur geringer Schaden entstand); - ein Brandanschlag auf eine Niederlassung der Firma DAIMLER-BENZ in Freiburg am 2. Mai 1989 mit etwa 1 0 0 . 0 0 0 , -- DM Sachschaden. Die Rolle der RAF-Inhaftierten Im Verlauf des Hungerstreiks wurde immer deutlicher, daß die Aktion als eigenständiger Versuch der Inhaftierten angelegt war, ihre Haftsituation auf diese Weise zu verbessern. Anders noch als beim letzten Hungerstreik im Winter 1984/85 hatte er keine begleitende Funktion für eine "Offensive" der "Guerilla". Die im Zusammenhang mit dem Hungerstreik verfaßten Erklärungen der RAF-Häftlinge entsprachen in Form und Inhalt dieser veränderten Zielsetzung: Sie waren in ihrer Diktion vom formatierten RAF-Jargon früherer Jahre weit entfernt. So fehlten stereotype Bekennungen zur "Einheit des Kampfes in der antiimperialistischen Front". Stattdessen gaben die einsitzenden Terroristen vor, mit der Zusammenlegung als Ausgangspunkt dem - unveränderten - politischen Ziel der "Umwälzung des Systems" auf der Grundlage einer "großen politischen Auseinandersetzung", einer "politisch-inhaltlichen Diskussion" mit vielen Richtungen des linken Spektrums näherkommen zu wollen. Auf diesem Wege war als Fernziel sogar die Freilassung ins Auge gefaßt. Das gleichzeitige Stillhalten der "kämpfenden Ebenen" der RAF (dieses Konzept sollte durch "kontraproduktive" Gewalttaten nicht gefährdet werden) unterstrich den innerhalb der Terrorgruppe bestehenden -60Konsens für diese Stoßrichtung. Danach sollte dem "bewaffneten Kampf" zwar nicht abgeschworen, dessen unbedingte Vorrangigkeit und Alleinwirksamkeit aber auch nicht mehr verfochten werden, denn "die Fragen sind jetzt andere" (Eva HAULE in einem Brief vom 16. März 1989). Weniger als ein halbes Jahr nach Hungerstreikende erklärte dann der als Wortführer des "Gefangenenkollektivs" auftretende Helmut POHL in einem Brief von "Ende Oktober 1989" dieses Kommunikationsprojekt für im Grundsatz gescheitert, da die Zusammenlegung als Voraussetzung hierfür nicht im erwarteten Umfang erfolgt sei. Er kündigte zugleich eine "neue Phase des Kampfes" an. Auch die aus Rücksicht auf den vorher gesteuerten Kurs der RAF-Häftlinge geübte weitgehende Zurückhaltung der übrigen RAF-Bereiche wurde nicht mehr eingefordert, vielmehr sollten sie ausdrücklich wieder die Initiative übernehmen. Damit hatte POHL auch jenes militante Potential wieder motiviert, das dem Diskussionskonzept von vornherein mit wenig Verständnis gegenübergestanden war. Im weiteren redete POHL indirekt auch wieder dem "bewaffneten Kampf" das Wort: greifbare Veränderungen seien nur dann tatsächlich durchsetzbar, wenn "in den Mechanismus, nach dem das ganze System funktioniert", getroffen werde. Einen Monat später wurde Dr. Alfred HERRHAUSEN ermordet. 3.1.2 Fortsetzung des "bewaffneten Kampfes" - Die RAF-Kommandoebene Am 30. November 1989 erschütterte der Mord des "RAF-Kommandos Wolfgang BEER" am Vorstandssprecher der Deutschen Bank AG, Dr. Alfred HERRHAUSEN, in Bad Homburg weite Teile der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Über ein Jahr, seit dem mißglückten Anschlag der RAF auf den Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Dr. TIETMEYER vom 20. September 1988, hatte der Kommandobereich der Terrorgruppe keine Gewalttaten mehr durchgeführt. Nun zeigte sich erneut, daß die bei der RAF immer wieder auftretenden Phasen äußerer Inaktivität nicht gleichzusetzen sind mit einer Schwächung ihrer Schlag- -61kraft. Dem Kommandobereich, der die Bluttat vermutlich schon lange vor Ausführung geplant hatte, war der Weg durch die Absageerklärung Helmut POHLS an das Diskussionsprojekt offiziell freigegeben worden. Daß dieser Mordanschlag ausgerechnet in einer Phase der weitgehend friedlichen Umwälzungen in Osteuropa mit dem Ziel der Abwendung von überholten kommunistischen Ideologien durchgeführt wurde, weist auf ihre Realitätsferne hin, die nur noch als menschenverachtender Zynismus bezeichnet werden kann. In der Selbstbezichtigung der RAF, die wenige Tage später mehreren Zeitungen und Nachrichtenagenturen zuging, wurde die "Hinrichtung" Dr. HERRHAUSENs mit der Drohung verknüpft, daß die "Akteure dieses Systems" von ihren "erbitterten Feinden", den "revolutionären Guerialla-Einheiten", an keinem Ort der Welt sicher sein könnten. Weitere zentrale Punkte in der Kommando-Erklärung waren die Inhaftiertenproblematik sowie die derzeitige Situation des "revolutionären Widerstands". Der steht nach Meinung der RAF in Westeuropa vor einem "neuen Abschnitt", was auf der Basis von "Diskussion und Praxis" eine Frontbildung mit anderen radikal systemfeindlichen Gruppen und Personen erfordere. Die Rolle der RAF-Häftlinge in diesem "Prozeß" wurde besonders hervorgehoben und mit der Forderung nach Zusammenlegung und einer Perspektive für ihre Freiheit gekoppelt. Damit hat die Kommandoebene inhaltliche Konzeptionen übernommen, die von den Inhaftierten bereits früher formuliert worden waren. Eigene Anstöße fehlten in dem Papier hingegen gänzlich. Im Zuge der Fahndung nach den Mördern Dr. HERRHAUSENs konnten am 7. Dezember 1989 in der Nähe von Husum, SchleswigHolstein, ein Mann und eine Frau festgenommen werden, die bereits seit Frühjahr 1988 "abgetaucht" waren. Der von den Festgenommenen, Holger DEILKE und Ute HLADKI, genutzte Pkw war gestohlen und als "Doublettenfahrzeug" umgerüstet worden. Neben einer Waffe wurden weitere für ein Leben im Untergrund spezifische Gegenstände sowie eine Materialsammlung zu anschlagstypischen Bereichen sichergestellt. Gesicherte Er- -62kenntnisse über eine Zugehörigkeit zur RAF-Kommandoebene liegen nicht vor, indes muß von der Einbindung in eine militante Struktur innerhalb des RAF-Spektrums ausgegangen werden. Am 12. Dezember 1989 wurde in Lasbeck, Schleswig-Holstein, eine konspirative Unterkunft entdeckt, die von vier Personen, darunter DEILKE und HLADKI, genutzt worden war. Von zwei dort aufgefundenen gestohlenen Motorrädern war eines bereits mit Doublettenkennzeichen versehen. Weitere sichergestellte technische Geräte belegen die ausgezeichnete logistische Ausstattung der mutmaßlichen RAF-Mitglieder. Als potentielle Angriffsziele der RAF kommen auch künftig in Frage: - Wirtschaftlicher Bereich - insbesondere Personen und Institutionen, die im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Europäischen Binnenmarkts stehen (also supranationale Gremien und Unternehmen); im Bereich der "industriellen Umstruktuierung" vor allem High-Techsowie Elektronikund Forschungsindustrie; im Bereich Rüstung der "militärisch-industrielle Komplex" (MIK) - Politisch-diplomatischer Bereich (3. Welt-Problematik, Nahost) - Justiz/Polizei ("Repressionsapparat"), vor allem auch der Bereich der Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Einheit. 3.1.3 Internationale Aspekte des "bewaffneten Kampfes" Die beim TIETMEYER-Anschlag angekündigte "gemeinsame Offensive" der RAF mit der italienischen Terrorgruppe "Briaate Rosse - P.C.C." ("Rote Brigaden - Für den Aufbau der kämpfenden kommunistischen Partei") wurde trotz Betonung des westeuropäischen Akzents in der neuen Selbstbezichtigung nicht mehr ausdrücklich erwähnt. Noch am 16. März 1989 waren in Rom und Neapel Erklärungen der BR aufgetaucht, worin sie nach- -63träglich ihre Übereinstimmung mit dem Mordversuch vom September 1988 bekannten und das Bündnis mit der RAF bekräftigten. Allerdings dürfte sich die Festnahme von zahlreichen BR-Mitgliedern in Italien und Frankreich während des Jahres 1989 nachhaltig auf die Aktionsfähigkeit der italienischen Terrorgruppe ausgewirkt haben. Die RAF allerdings hat nun erneut verdeutlicht, daß sie jederzeit auch eigenständig zu agieren und zur Durchführung schwerster Verbrechen in der Lage ist. Dennoch muß langfristig von einer Zusammenarbeit von RAF und BR ausgegangen werden. Inhaftierte der BR jedenfalls haben bereits wenige Tage nach der Ermordung Dr. HERRHAUSENs ihre Solidarität mit der RAF bekundet. Einen weiteren Beleg für die Internationalität terroristischer Gruppierungen hat zum Jahresende die griechische ELA gegeben. Ihre Selbstbezichtigung zu Sprengstoffanschlagen am 9. Dezember 1989 in Athen gegen eine EG-Einrichtung und eine Polizeidienststelle enthielt eine Grußadresse an die RAF. Auch außerhalb der Kommandoebene gibt es seit Jahren Kontakte zu Gesinnungsgenossen in westeuropäischen Ländern. Während des Hungerstreiks trafen denn auch zahlreiche ausländische Solidaritätsbekundungen bei den inhaftierten oder ihren in der "Angehörigengruppe" organisierten Verwandten ein. Die seit 1987 einsitzenden Terroristen des früheren französischen Aktionspartners der RAF, "Action Directe" CAD). verwiesen während ihres Hungerstreiks vom 20. April bis 21. Juli 1989 auf die Verbundenheit mit den RAF-Häftlingen. Ein für die Situation auf internationaler Ebene symptomatisches Ereignis war die Besetzung des Gebäudes der EG-Kommission in Brüssel am 11. Mai 1989, also unmittelbar vor Beendigung des Hungerstreiks der RAF. Die mehr als 40 Aktivisten aus der Schweiz, den Niederlanden, Dänemark und dem Unterstützerbereich der RAF wollten nach ihrer Erklärung nicht nur einen Beitrag zur Durchsetzung der Hungerstreikforderungen der Gefangenen von RAF und AD leisten, sondern zugleich ein Fanal gegen das "vereinigte Europa des Kapitals" setzen -64und einen weiteren Schritt in Richtung auf landerubergreifene "Widerstandsstrukturen" machen. Ein ähnliches Ereignis mit internationalem Charakter stellte die Aktionswoche Militanter vom 7. bis 10. September 1989 in Den Haag gegen das gleichzeitig dort stattfindende offizielle "Europafestival" dar. 3.1.4 Die Unterstützunqsaktivitäten - Das RAF-Umfeld und die "Militanten der RAF" Das RAF-Umfeld ist seit Jahren das Bindeglied zwischen den verschiedenen Ebenen der RAF und damit der Garant für die Kontinuität der Terrorgruppe. Dabei ist davon auszugehen, daß einzelne Aktivisten des engeren RAF-Umfelds mit Illegalen in Kontakt stehen. Aber auch zu den einsitzenden ehemaligen Angehörigen der Kommandoebene bestehen enge Bindungen. Die intensive persönliche und briefliche Betreuung der Inhaftierten dient nicht nur dem Informationsaustausch, sondern auch der gegenseitigen Bestärkung der "politischen Identität". Die Umsetzung von Informationen und die Planung und Vorbereitung von Veranstaltungen erfol88d*n szenentypischen Treffpunkten. Solche Kommunikationszentralen bestehen beispielsweise in besetzten Häusern, Infobüros und -laden oder "Volxküchen". Während des Hungerstreiks wurden in nahezu allen größeren Städten des Bundesgebiets sogenannte HungerstreikInfobüros eingerichtet. Diese Strukturen wurden in Teilen auch nach Beendigung des Streiks beibehalten als Ansatz für einen weiterreichenderen "Vernetzungsversuch". Gegen Ende 1989 wurde durch das terroristische Umfeld die Kampagne um die Inhaftierung Günter SONNENBERG erneut aufgegriffen. Mit regelmäßigen Kundgebungen und Demonstrationen zumeist vor dem Stuttgarter Justizministerium und der entsprechenden Justizvollzugsanstalt sollte auf die zuständigen Behörden Druck hinsichtlich der sofortigen Freilassung des angeblich haftunfähigen RAF-Terroristen ausgeübt werden. -65Das RAf-Umfeld in Baden-Württemberg konzentriert sich seit Jahren auf die Städte Stuttgart. Karlsruhe und Mannheim/Heidelberg. In Freiburg und Tübingen agiert eine lose strukturierte terroristische Randszene. Teilweise gibt es Überschneidungen mit dem Bereich der militanten Autonomen, die sich insbesondere in Form von gemeinsamen Aktionen wie Demonstrationen äußern. Eine breite Einbeziehung Autonomer in interne Abläufe der RAF ist jedoch nicht gegeben. Die "Militanten der RAF", die als "Kämpfende Einheiten" die "zweite kämpfende Ebene" der Terrorgruppe bilden, haben im Dezember 1989 erstmals seit drei Jahren wieder ein Zeichen ihrer Aktionsfähigkeit gegeben. Nachdem am 10. Dezember 1989 in Monheim/Nordrhein-Westfalen vorzeitig eine Selbstbezichtigung einer "kämpfenden einheit sheban atlouf/conny wissmann" aufgefunden wurde, konnte eine SprengstoffVorrichtung auf dem Gelände des dortigen Forschungszentrums der Firma BAYER AG rechtzeitig entdeckt und entschärft werden. Der Anschlag sollte sich laut Taterklärung gegen die von BAYER betriebene Biound Gentechnologie richten. In dem Schreiben wurden ferner die Situation der Inhaftierten aufgegriffen sowie die Forderung nach einer "gemeinsamen Organisierung von Gegenmacht" formuliert. Der zeitliche Zusammenhang zu dem wenige Tage zuvor verübten Mordanschlag auf Dr. HERRHAUSEN - als Beitrag der "Militanten der RAF" innerhalb einer gemeinsamen "Offensive" - ist offensichtlich. 3.2 "Revolutionäre Zellen" (RZ)/"Rote Zora" Die terroristischen "Revolutionären Zellen" (RZ) und die Frauengruppe "Rote Zora" agieren als Kleingruppen ohne gefestigte Strukturen und dogmatische Leitlinien. Ihre Anschlagsziele orientieren sich an tagespolitischen Konfliktthemen. Ihre Brandund Sprengstoffanschläge zielen darauf, möglichst hohe Sachund Vermögensschäden an Gebäuden, Institutionen -66oder logistischer Ausstattung zu verursachen. Das gezielte Töten von Menschen ist - anders als bei der RAF - kein ausdrückliches Kampfmittel, indes kamen wiederholt Personen durch Gewaltakte dieser Terroristen zu Schaden. In den letzten Jahren wurden Anschlagsopfer auch durch Knieschüsse schwer verletzt. Nach exekutiven Maßnahmen der Sicherheitsbehörden im Dezember 1987 kam die Aktivität der RZ bzw. "Roten Zora", die im Jahre 1987 noch rund 20 Gewalttaten verübt hatten, 1988 mit nur einem Anschlag nahezu zum Erliegen. Im Jahre 1989 meldeten sich die "Revolutionären Zellen" mit insgesamt vier Anschlägen wieder zurück: - 9. Mai 1989: Sprengstoffanschläge gegen die Gebäude des Verwaltungsgerichts in Düsseldorf und des Oberverwaltungsgerichts in Münster. Begründet wurden die Aktionen mit der "imperialistischen Flüchtlingspolitik" und der Situation der Menschen in Ländern der 3. Welt. - 12. November 1989: Brandanschlag gegen die "Informationsund Beratungsstelle der Stadt Köln für ethnische Minderheiten". - 14. November 1989: Brandanschlag gegen die "Behörde für Arbeit und Soziales" der Hansestadt Hamburg. In Selbstbezichtigungsschreiben wurden in beiden Fällen die Unterstützung von (angeblich repressiven Maßnahmen ausgesetzten) Roma und Sinti als Tatmotiv genannt. In Baden-Württemberg wurden auch im Jahre 1989 keine Gewalttaten durch "Revolutionäre Zellen" oder die "Rote Zora" verübt. Nach wie vor gibt es keine Hinweise auf die Existenz einer solchen terroristischen Gruppe in unserem Bundesland. -67E. R E C H T S E X T R E M I S M U S 1. Allgemeines Der Rechtsextremismus im Bundesgebiet wird unverändert durch zahlreiche, in Mitgliederstärke und -engagement sehr unterschiedlich strukturierte Parteien und Organisationen verkörpert. Mit umfangreichen Aktivitäten wie Plakatierungsund Schmieraktionen, Demonstrationen, Kundgebungen und anderes machten sie öffentlich auf ihre Ziele aufmerksam. Insgesamt konnten sie erneut eine Mitgliederzunähme und - auf kommunaler Ebene - auch Mandatsgewinne verbuchen. Diese Erfolge gelangen einerseits durch den aktiven Einsatz vor allem lokal bekannter Funktionäre, andererseits aber auch durch die gestiegene Akzeptanz ihrer programmatischen Zielvorstellungen, ohne daß sich diese seit Jahren wesentlich verändert hätten. Alle rechtsextremistischen Parteien und Vereinigungen in der Bundesrepublik Deutschland hielten auch im abgelaufenen Jahr teils unzweideutig, teils verschleiert an der Absicht fest, die freiheitliche demokratische Grundordnung ganz oder in Teilen zu bekämpfen und deren Wertcharakter zu diffamieren. Die Skala der Vorstellungen reicht dabei von der Bildung eines stark autoritär geprägten Staates bis hin zur Wiederherstellung der nationalsozialistischen Strukturen des Dritten Reiches. Die teilweise wenig verfestigten ideologischen Vorstellungen der Rechtsextremisten sind unverändert gekennzeichnet durch - einen betonten Nationalismus, der kompromißlos die deutschen Interessen über jene anderer Länder und Völker stellt - die Schmähung der pluralistischen Verfaßtheit von Staat und Gesellschaft unter gleichzeitiger Überbetonung der über den Individualrechten angesiedelten "Staatsräson" oder "Volksgemeinschaft" bzw. Artgemeinschaft" -68- - eine fortgesetzte aggressive, häufig rassistisch unterlegte Fremdenfeindlichkeit, die in jüngster Zeit durch den stark angeschwollenen Zustrom der betont als Deutsche charakterisierten Ausund Übersiedler an Schärfe (insbesondere gegen Asylanten) gewann - die Verherrlichung des Dritten Reiches oder zumindest die Verharmlosung der von den Nationalsozialisten begangenen Verbrechen. Keinen Hehl aus ihrer totalen Ablehnung unserer pluralistischen Demokratie machten die zahlreichen neonzistisehen Gruppen und Zirkel. Eine taktische Verschleierung ihrer wahren Absichten liegt ihnen fern. Dagegen verhalten sich die nationaldemokratischen und national-freiheitlichen Organisationen vorsichtiger: Unzweideutig formulierte und öffentlich abgegebene rechtsexremistische Ziele sind ihnen nur vereinzelt oder in Teilbereichen nachzuweisen. Demzufolge unterscheiden sich häufig deren öffentliche Erklärungen vom Inhalt intern geäußerter Absichten und Wertungen. -692. Neonazistische Bestrebungen 2.1 Die "Bewegung" Die seit Jahren in die sogenannten MOSLERund KÜHNEN-Flügel gespaltene neonazistische "Bewegung" hat 1989 nach außen kaum bemerkbare Strukturänderungen erfahren. Die MOSLER-Gruppierung entwickelte immer weniger eigenständige Aktivitäten, sie stellte sogar das Erscheinen ihres Organs "Die Neue Front" ein. Vermutliche Ursachen hierfür waren einerseits die schon 1988 eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen MOSLER und weitere führende Aktivisten seines Kaders. Zum anderen hat die Gruppe ihr Hauptaugenmerk auf die totale Infiltration der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) gerichtet. Mit MOSLER als Generalsekretär der FAP (bezeichnenderweise war er bislang Generalsekretär der von ihm geführten "Bewegung") konzentrierte sich das Interesse der von ihm geführten Neonazis nahezu vollständig auf diese Organisation, die - bedingt durch ihre Wahlteilnahmen - inzwischen wohl den sicheren Status einer Partei erlangt hat. Der von dem neonazistischen Aktivisten Michael KÜHNEN geführte Flügel der "Bewegung" nennt sich nunmehr wieder "Gesinnungsgemeinschaft der NEUEN FRONT" (nach dem Organ dieser Gruppierung). Diese KÜHNEN-Gruppe dürfte bundesweit noch etwa 130 Anhänger zählen (1988 hatten beide Flügel insgesamt etwa 500 Mitglieder). Freilich begnügte sich KÜHNEN nicht allein mit den Aktivitäten seiner "Gesinnungsgemeinschaft". Aufgrund einer Vereinbarung zu Beginn des Jahres 1989 mit MOSLER blieb KÜHNEN das Bundesland Hessen, in dem seine Anhänger konzentriert sind, als "sein" politisches Terrain. Von ihm immer wieder versuchte organisatorische Neugründungen sollen seinen Anhängern eine politische Heimat in Vereinigungen schaffen, die möglichst bald den Parteistatus erwerben sollen, um vereinsrechtlichen Verboten entgehen zu können. Hierzu zählte die am -7015. Juli 1988 in Frankfurt am Main gegründete "Nationale Sammlung" fN.S.). Diese Vereinigung wurde mit Verfügung des Bundesministers des Innern vom 27. Januar 1989 wegen Verstoßes gegen die verfassungsmäßige Ordnung verboten. Das Verbot wurde am 9. Februar 1989 mit umfangreichen polizeilichen Durchsuchungsmaßnahmen bundesweit vollzogen. Die N.S. hatte sich zuletzt öffentlich während des hessischen Kommunalwahlkampfes unzweideutig zum Nationalsozialismus bekannt. Der Vereinigung gehörten zum Schluß etwa 2 00 KÜHNEN-Anhänger an, die bundesweit - mit Schwerpunkt in Hessen - aktiv waren und ihre verfassungsfeindliche Zielsetzung in besonders aggressiv-kämpferischer Form verfolgten. KÜHNEN und seine Anhänger begannen nun, neue Wege der Betätigung zu suchen. Unmittelbar nach dem Verbot kündigte der offensichtlich unbelehrbare KÜHNEN die Gründung einer "Initiative Volkswille" an, die sich mit einer "Freiheitscharta 1989" an das "deutsche Volk" wandte. In der Flugschrift wurde das Verbot der N.S. als verfassungsfeindlich und undemokratisch bezeichnet. Entgegen der mit dem MOSLER-Flügel getroffenen Vereinbarung wurden die KÜHNEN-Anhänger aber auch wieder innerhalb der FAP in Hessen aktiv. Auf dem FAP-Landesparteitag am 11. März 1989 in Albungen (Hessen) wählten die etwa 90 Neonazis den ehemaligen Spitzenkandidaten der KÜHNEN-treuen N.S. bei der hessischen Kommunalwahl 1989 zum neuen FAP-Landesvorsitzenden von Hessen. Ferner kam es bundesweit zu weiteren von KÜHNEN und seinen Anhängern initiierten Gründungen neuer neonazistischer Vereinigungen: - Anhänger KÜHNENs schlössen sich am 13. März 1989 zu einer auf das Land Hamburg begrenzten neuen Partei mit der Bezeichnung "Nationale Liste" (N.L.l zusammen. Nach ihrem Programm will die N.L. eine Partei des neuen Nationalismus sein, die die "Überfremdung unseres Vaterlandes" bekämpft. -71- - Am 5. Mai 1989 lösten KÜHNEN-Anhänger in Bremen ihren bis dahin formell bestehenden FAP-Landesverband auf und gründeten die "Deutsche Alternative" (DA). Neben der "Förderung eines gesunden Nationalstolzes und Nationalbewußtseins" ist für die Partei "unverrückbares Fernziel ... Die Rückgewinnung der geraubten Ostgebiete". Im Verlauf des Jahres 1989 wurden vereinzelt Aktivitäten der DA auch in anderen Bundesländern bekannt. Es gibt Hinweise für die Annahme, daß die DA als bundesweite Partei in Konkurrenz zur FAP aufgebaut werden soll. Damit scheint sich die Anhängerschaft KÜHNENs weitgehend mit Ausnahme Hessens aus der bundesweit tätigen FAP zurückgezogen zu haben. Im Gegensatz dazu ist der mitgliederstärkere MOSLER-Flügel der (ehemaligen) "Bewegung" praktisch in der FAP aufgegangen. Die kleine Zahl neonazistischer Aktivisten in Baden-Württemberg, die der "Bewegung" zuzuordnen waren, sind meist MOSLER-Anhänger. Wie im übrigen Bundesgebiet engagieren sie sich - wenig öffentlichkeitswirksam - hauptsächlich in den schwachen FAP-Untergliederungen unseres Bundeslandes. Daneben machten in Baden-Württemberg einzelne Neonazi-Zirkel auf sich aufmerksam wie die "Freiheitlich-Sozialistische Deutsche Volkspartei" (FSDVP) in Weissach und die "Heimattreue Vereinigung Deutschlands" (HVD) in Böblingen, die im Herbst 1989 Gegenstand exekutiver Maßnahmen wurde. Höhepunkt der Aktivitäten deutscher und ausländischer Neonazis sollten im Jahre 1989 die Veranstaltungen zu HITLERS 100. Geburtstag werden. Schon lange vor dem 20. April 1989 war bekanntgeworden, daß Neonazis aus diesem Anlaß interne Jubiläumsfeiern, angeblich aber auch spektakuläre Aktionen planten. Offensichtlich wurden solche Informationen bewußt lanciert, um die Öffentlichkeit zu irritieren. Zwischen dem 20. und 22. April 1989 kam es dann zu folgenden nennenswerten Aktionen von Neonazis: -72- - Am 20. April 1989 drangen in Essen fünf Neonazis, unter ihnen der FAP-Bundesgeschäftsführer Volker JASCHKE, in ein Gebäude des WDR ein und hißten vom Balkon des dort untergebrachten dpa-Büros ein Spruchband mit HITLER-Parolen. Gegen die vorläufig festgenommenen Täter wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet. - In Braunschweig kam es am gleichen Tag zu einer Konfrontation von Rechtsextremisten, darunter auch Angehörige der FAP, mit Mitgliedern einer alternativen Wohngemeinschaft. Bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen nahm die Polizei sieben Personen vorläufig fest. - In Mainz trafen sich am 22. April 1989 rund 80 Anhänger der "Bewegung" (vor allem der MOSLER-Gruppe) zu einem internen Treffen auf dem Gärtnereianwesen des bekannten Neonazis Curt MÜLLER. Die Veranstaltung verlief störungsfrei. - In mehreren Städten des Bundesgebiets und in Berlin (West) wurden ab dem 20. April 1989 Sprüh-, Schmierund Klebeaktionen mit Parolen zum HITLER-Geburtstag festgestellt. In Baden-Württemberg kam es lediglich vereinzelt zu Schmieraktionen. Verschiedene "HITLER-Feiern" fanden im benachbarten Ausland statt, teilweise mit Beteiligung der Neonazis. Das bereits 1984 von Neonazis gegründete "Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Adolf HITLERs" (KAH)* das immer wieder als Initiator entsprechender Veranstaltungen auftrat, hat inzwischen seine Tätigkeit eingestellt. 2.2 "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) Die 1979 gegründete "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) ist im Jahre 1989 vollends in die Hände überzeugter Neonazis geraten. Die Wahl Jürgen MOSLERs aus Duisburg zum FAP-Generalsekretär sowie die Übernahme mehrerer Funktionen durch seine Anhänger führten zwischenzeitlich praktisch zur Beherrschung dieser Partei. Freilich mußte dies mit weiteren Mitgliederverlusten erkauft werden. Die mangelnde Attraktivität der Splitterpartei sowie der weitgehende Auszug der -73KÜHNEN-Anhänger reduzierten die Mitgliederzahl der FAP bis Ende 1989 bundesweit auf etwas über 330 (1988: 450). In Baden-Württemberg blieb die Anhängerzahl mit etwa 45 Personen konstant. Nach den Unterlagen des Bundeswahlleiters verfügte die FAP im Oktober 1989 bundesweit noch über fünf Landesverbände (Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern). Der bayerische Landesverband wurde erst am 23. September 1989 in Nürnberg gegründet. Zum Landesvorsitzenden wurde der Münchner Neonazi Michael SWIERCZEK, Mitglied des Generalsekretariats und verantwortlicher Presseleiter der FAP, gewählt. Unübersichtlich ist die Lage in Hessen. Eine zum Jahresende in dem offiziellen Parteiorgan "FAP-Intern", 11/89, veröffentlichte "Gemeinsame Erklärung" von KÜHNEN und MOSLER bestätigte die Existenz eines FAP-Landesverbandes in Hessen, der jedoch - als einzige Gliederung im Bundesgebiet - ausschließlich aus KÜHNEN-Anhängern besteht. Am 13. Mai 1989 veranstalteten etwa 120 FAP-Anhänger in Eversen (Kreis Celle) einen Sonderparteitag zur Vorbereitung der Europawahl 1989. Neben den Wahlkampfvorbereitungen war weiteres Hauptthema die Erörterung und Verabschiedung des Manifests "Unser Weg in die 90er Jahre", das die wesentlichen programmatischen Aussagen der FAP für die kommenden Jahre formuliert. Es enthält deutlich ausländerfeindliche Thesen und assoziiert in einigen Passagen die Vorstellungswelt und den Sprachgebrauch des NSDAP-Programms. Im Vorwort bezeichnet sich die FAP als radikal und kämpferisch. Die Aktivität der Partei erschöpfte sich 1989 überwiegend in internen Zusammenkünften sowie in Schmier-, Klebeund Flugblattaktionen mit ausländeroder asylantenfeindlichem Charakter. Interne Quellen in der Führungsspitze offenbarten den insgesamt desolaten Zustand der FAP. So war in der Juli-Ausgabe des Parteiorgans "FAP-Intern" mitgeteilt worden, daß der am 5. November 1988 gewählte FAP-Bundesvorsitzende BUSSE aus angeblich gesundheitlichen Gründen seinen Rücktritt angekün- -74digt habe. Später wurde bekannt, daß BUSSE trotz vielfacher Kritik an seiner Person auf dem nächsten Parteitag doch wiedergewählt werden soll. Dieser war zunächst für November 1989 vorgesehen, wurde dann aber auf unbestimmte Zeit verschoben. Bezeichnend für die interne Lage der Partei ist ein weiteres Vorkommnis. Nachdem "FAP-Intern" im Sommer 1989 mehrfach über ein Parteiausschlußverfahren gegen den ehemaligen Bundesvorsitzenden und FAP-Gründer Martin PAPE aus Stuttgart berichtet hatte, entschied man sich offensichtlich aus Furcht vor einer drohenden gerichtlichen Auseinandersetzung, ihn vorerst weiter in der Partei zu dulden. PAPE selbst versuchte unbeirrt - wenn auch mit wenig Erfolg -, wieder Einfluß auf die Partei zu erlangen, den er durch das Vordringen neonazistischer Funktionäre gänzlich verloren hat. So ging er vergeblich gerichtlich gegen seinen Nachfolger BUSSE vor, dessen FAP-Mitgliedschaft er amtlich als nicht bestehend feststellen lassen wollte. Inzwischen erschöpfen sich PAPEs Aktivitäten weitgehend in der Herausgabe seiner Zeitung "Deutscher Standpunkt" (DS) . Größere öffentliche Aktivität entwickelt die FAP hauptsächlich im Rahmen von Wahlkämpfen, wobei es häufig zu - teilweise auch militanten - Gegenaktionen von politischen Gegnern kommt. So wollten rund 200 FAP-Angehörige am 4. Februar 1989 im niedersächsischen Rotenburg (Wümme) eine öffentliche Kundgebung zum Auftakt des Europawahlkampfes durchführen und sich anschließend zum Landesparteitag der FAP Niedersachsen versammeln. Wegen einer Gegendemonstration mit etwa 1.3 00 Teilnehmern, darunter einer großen Anzahl militanter Autonomer, .wich die FAP auf Anraten der Polizei von der angemeldeten Kundgebungsstrecke ab. Gewaltsame Ausschreitungen beider Gruppen konnten nur durch massiven Polizeieinsatz verhindert werden. Am 17. Juni 1989 führte die FAP in Bonn eine - weitgehend störungsfrei verlaufende - Kundgebung zur Europawahl durch, an der rund 120 Personen teilnahmen. -75Bei der Europawahl am 18. Juni 1989 erzielte die FAP bundesweit 0,1 % = 19.151 Stimmen. Trotz des erwarteten geringen Stimmenanteils ist zu beachten, daß diese inzwischen eindeutig neonazistische Partei ein Vielfaches ihrer Anhängerzahl an Wählern zu mobilisieren vermochte. So bezeichnete denn auch die FAP in offiziellen Verlautbarungen die Teilnahme an der Europawahl als Erfolg. Es sei damit vor allem der Parteistatus gesichert worden. Zugleich habe die Wahl die FAP im "nationalen Lager" als "radikalste Partei" salonfähig gemacht, intern jedoch empfanden führende FAP-Funktionäre das Abschneiden als enttäuschend. Verschiedentlich wurde erwogen, bei künftigen Wahlen andere Parteien des "nationalen Lagers" zu unterstützen. Wie zu erwarten, fand die Agitation der FAP zur Europawahl auch in Baden-Württemberg wenig Resonanz. Das Ergebnis von ebenfalls 0,1 % = 3.597 Stimmen entspricht den bislang bei Wahlen erzielten Resultaten. Von dem im September 1986 gegründeten FAP-Landesverband Baden-Württemberg gingen keine besonderen wahlbezogenen Impulse aus. Öffentliche Wahlveranstaltungen gab es in unserem Bundesland nicht. Außerdem war kein beachtenswerter Anstieg von Klebeund Schmieraktionen festzustellen. Die FAP beteiligte sich an der Kommunalwahl in Baden-Württemberg am 22. Oktober 1989 erwartungsgemäß lediglich in der Landeshaupstadt Stuttgart mit einer Kandidatenliste. Das Ergebnis von 0,0 % der Stimmen spricht für sich. Der im Oktober 1987 gewählte 76jährige Landesvorsitzende hat offensichtlich resigniert. Die überregionalen Verbindungen hält ein seit Jahren aktiver Neonazi aus dem Raum Tübingen aufrecht. Die Partei konnte sich auch 1989 nicht organisatorisch kräftigen. Es blieben die wenig aktiven FAP-Zirkel in den Räumen Stuttgart. Tübingen/Reutlingen und Freiburg, denen jeweils nur einige Personen angehören. Die übrigen Mitglieder sind über das Land verstreut. -762.3 "Deutsche Frauenfront"