Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 1986 Terrorismus Linksextremismus Rechtsextremismus Ausländerextremismus Spionageabwehr BadenWürttemberg INNENMINISTERIUM I Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 1986 Herausgeber: Innenministerium Baden-Württemberg, Dorotheenstraße 6, 7000 Stuttgart 1 Mai 1987 Gesamtherstellung: Druckhaus Robert Kohlhammer, 7022 Leinfelden-Echterdingen Nachdruck nur mit Genehmigung des Herausgebers ISSN 0720-3381 Vorwort für den Verfassungsschutzbericht 1986 Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes ist für den Fortbestand unserer freiheitlichen Grundordnung unverzichtbar. Die Väter des Grundgesetzes haben dies erkannt. Sie haben sich vor dem Hintergrund der bitteren Erfahrungen der Weimarer Republik für die streitbare, die wehrhafte Demokratie und damit für den Verfassungsschutz als ein tragendes Element dieser Staatsordnung entschieden. Der Verfassungsschutz als Institution verkörpert geradezu den Selbstbehauptungswillen unseres demokratischen Rechtsstaates; er ist ein Stück Freiheitsgarantie. Die Hauptursachen für die kritische Einstellung zum Verfassungsschutz sind fehlendes Wissen über diese Behörde und ihre Bedeutung sowie falsche Vorstellungen über ihre Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise. Deshalb ist es notwendig, den Verfassungsschutz dem Bürger näherzubringen. Die Öffentlichkeit muß wissen, was diese Behörde tut und wozu sie es tut. Vorhandenes Mißtrauen muß abgebaut werden. Einen wichtigen Beitrag hierzu leistet die Veröffentlichung des jährlichen Verfassungsschutzberichts. Der Jahresbericht 1986 zeigt, welche wichtigen Aufgaben das Landesamt für Verfassungsschutz wahrzunehmen hat: Die Beobachtung und Aufklärung terroristischer, linksund rechtsextremistischer Aktivitäten sowie die Spionageabwehr. Dies verdeutlicht, daß sich der Verfassungsschutz ausschließlich mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen und mit gegnerischen Nachrichtendiensten befaßt, also mit Kräften, die unsere freiheitliche Staatsordnung beeinträchtigen und beseitigen wollen. Die kritische Meinungsäußerung, die Wahrnehmung der Demonstrationsfreiheit, der umfassende politische Meinungsstreit machen die Freiheitlichkeit unserer Staatsordnung aus. Hier hat der Verfassungsschutz nichts zu suchen. Es wäre ein Widerspruch zu glauben, der Verfassungsschutz befasse sich mit Angelegenheiten, von denen unsere Demokratie geradezu lebt. / Un *-<--^j I U^Oc Dietmar Schlee, MdL / Innenminister des Landes Baden-Württemberg 3 Inhaltsübersicht Seite I. Linksextremistische Bestrebungen 17 1. Allgemeiner Überblick 17 2. Linksextremistischer Terrorismus 20 2.1 "Rote Armee Fraktion" (RAF) 20 2.1.1 RAF-Kommandoebene 20 2.1.2 "Militante der RAF" 25 2.1.3 Unterstützerbereich der RAF 28 2.2 "Revolutionäre Zellen" (RZ) 32 3. Zusammenschlüsse der "Neuen Linken" 35 3.1 Anarchistische Bestrebungen 35 3.1.1 Autonome Gruppen 35 3.1.2 Anarcho-syndikalistische Gruppen 39 3.1.3 Anarchistische "Gewaltfreie Aktionsgruppen" 39 3.2 Revolutionär-marxistische Organisationen 40 3.2.1 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) 40 3.2.2 "Vereinigte Sozialistische Partei" (VSP) 44 3.2.3 "Bund Westdeutscher Kommunisten" (BWK) 45 3.2.4 "Kommunistischer Bund" (KB) 46 3.2.5 "Marxistische Gruppe" (MG) 46 3.3 Trotzkistische Vereinigungen 47 4. Organisationen der "Alten Linken" 48 4.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 48 4.1.1 Ideologisch-politischer Standort 48 4.1.2 Organisation, Mitgliederentwicklung und Finanzierung 49 4.1.3 Publikationswesen und Schulung 51 4.1.4 Verlage und Druckereien 53 4.1.5 Parteitag 53 4.1.6 Haltung zur Kernenergie 54 4.1.7 Beteiligung an Wahlen 55 4.1.8 Bündnis-und Aktionseinheitspolitik 57 4.1.9 Schwerpunkte der Agitation 59 4.2 Nebenorganisationen der DKP 60 5 4.2.1 "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) 60 4.2.2 "Junge Pioniere-Sozialistische Kinderorganisation" (JP) 62 4.2.3 "Marxistischer Studentenbund Spartakus" (MSB Spartakus) 63 4.3 Von der DKP beeinflußte Organisationen 64 4.3.1 "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten" (WN-BdA) 65 4.3.2 "Deutsche Friedens-Union" (DFL)) 65 II. Rechtsextremistische Bestrebungen 67 1. Allgemeiner Überblick 67 2. Neonazistische Bestrebungen 69 2.1 Neonazistische Gruppen 69 2.1.1 "Die Bewegung" 69 2.1.2 "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) 70 2.1.3 "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) 73 2.1.4 "Deutsche Frauenfront/Mädelbund" (DFF/MB) 73 2.1.5, "Nationales Zentrum" in Weidenthal/Pfalz 74 2.1.6 NS-Gruppe Curt MÜLLER 74 2.1.7 "Deutsche Bürgerinitiative e.V." (DBI) 74 2.1.8 "Bürgerund Bauerninitiative e.V." (BBI) 75 2.1.9 "Nationalistische Front" (NF) 75 2.2 Einflußnahme auf jugendliche Randgruppen 76 2.3 Gesetzesverletzungen mit rechtsextremem Hintergrund 77 2.4 Maßnahmen gegen rechtsextreme Aktivisten 78 2.5 Internationale Verflechtungen des Rechtsextremismus 79 3. Nationaldemokratische Organisationen 82 3.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 82 3.2 "Junge Nationaldemokraten" (JN) 85 3.3 "Nationaldemokratischer Hochschulbund" (NHB) 86 4. "National-Freiheitliche Rechte" 86 5. Sonstige rechtsextreme Vereinigungen 88 5.1 "Die Deutsche Freiheitsbewegung" (DDF) 88 5.2 "Wiking-Jugend" (WJ) 88 5.3 "Gesellschaft für Freie Publizistik e.V." (GFP) 89 6 III. Aktivitäten politisch extremer Ausländer 91 1. Allgemeiner Überblick 91 2. Türken 94 2.1 Allgemeines 94 2.2 Organisationen der "Neuen Linken" 95 2.3 Orthodox-kommunistische Organisationen 99 2.4 Linksextreme kurdische Gruppierungen 99 2.5 Islamisch-nationalistische Vereinigungen 103 2.6 Rechtsextreme Vereinigungen 104 3. Araber 105 4. Jugoslawen 107 4.1 Allgemeine Übersicht 107 4.2 "Kroatische Staatsbildende Bewegung" (HDP) 108 4.3 "Kroatischer Nationalrat" (HNV) 109 4.4 Kosovo-albanische Organisationen 110 IV. Spionageabwehr 111 1. Allgemeine Feststellungen 111 2. Nachrichtendienstliche Aktivitäten der Ostblockstaaten 114 3. Einzelfälle 115 V. Geheimund Sabotageschutz - präventive Abwehr 119 1. Allgemeiner Überblick 119 2. Vorbeugender Geheimschutz 119 3. Vorbeugender Sabotageschutz 123 4. Reisen in kommunistisch regierte Länder 124 5. Verhalten bei nachrichtendienstlichen Kontakten 125 VI. Anhang 127 Übersicht der Mitgliederentwicklung der wichtigsten extremistischen Gruppierungen 127 Gruppen-, Organisationsund Publikationsregister 131 7 A. Rechtliche Grundlagen 1. Grundgesetz Art. 73 Nr. 10 Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung ü b e r . . . die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder... zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz) . . . Art. 87 Abs. 1 Satz 2 Durch Bundesgesetz können . . . Zentralstellen . . . zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes und des Schutzes gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, eingerichtet werden. 2. Gesetz über den Verfassungsschutz in Baden-Württemberg (Landesverfassungsschutzgesetz - LVSG) vom 17. Oktober 1978 (GBl. S. 553) SS1 Zweck des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder. SS2 Zuständigkeit (1) Die Aufgaben des Verfassungsschutzes werden vom Landesamt für Verfassungsschutz wahrgenommen. Das Amt hat seinen Sitz in Stuttgart; es untersteht dem Innenministerium und ist ausschließlich für die Wahrnehmung dieser Aufgaben zuständig. 9 (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im Einvernehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. Die Zuständigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz bleibt unberührt. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden. SS3 Aufgaben des Verfassungsschutzes (1) Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist die Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten und sonstigen Unterlagen über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern verfassungsmäßiger Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht im Geltungsbereich des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt mit 1. bei der Überprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimzuhaltende Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. bei der Überprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimzuhaltenden Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte, 4. auf Anforderung der Einstellungsbehörde bei der Überprüfung von Personen, die sich um Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben, sowie auf Anforderung der Beschäftigungsbehörde bei der Überprüfung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst, bei denen der auf Tatsachen beruhende Verdacht besteht, daß sie gegen die Pflicht zur Verfassungstreue verstoßen. SS4 Befugnisse des Verfassungsschutzes (1) Bestehen Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten im Sinne des SS 3 Abs. 1, ist das Landesamt für Verfassungsschutz in10 nerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken berechtigt, bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben die nachrichtendienstlichen Mittel anzuwenden, die nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich erscheinen. (2) Dem Landesamt für Verfassungsschutz und seinen Angehörigen stehen polizeiliche Befugnisse nicht zu. SS5 Amtshilfe und Auskunftserteilung (1) Die Behörden und Einrichtungen des Landes, die Gemeinden, die Gemeindeverbände, die sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts sowie die Gerichte des Landes und das Landesamt für Verfassungsschutz leisten sich gegenseitig Rechtsund Amtshilfe. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann über alle Angelegenheiten, deren Aufklärung zur Wahrnehmung seiner Aufgaben erforderlich ist, von den in Absatz 1 genannten Stellen Auskünfte und die Übermittlung von Unterlagen verlangen, soweit nicht gesetzliche Vorschriften entgegenstehen. (3) Die in Absatz 1 genannten Stellen unterrichten von sich aus das Landesamt für Verfassungsschutz über alle Tatsachen, die sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Bestrebungen erkennen lassen, die durch Anwendung von Gewalt oder dahin gehende Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind; die Polizeidienststellen und -behörden übermitteln darüber hinaus auch alle ihnen bekannten Tatsachen und Unterlagen über Bestrebungen und Tätigkeiten im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1. SS6 Weitergabe von Erkenntnissen an Dritte Das Landesamt für Verfassungsschutz darf seine Erkenntnisse nicht an andere als staatliche Stellen weitergeben, es sei denn, daß dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes erforderlich ist. Die Entscheidung über die Weitergabe trifft der Innenminister oder sein ständiger Vertreter. SS7 Parlamentarische Kontrolle (1) Das Innenministerium unterrichtet den Ständigen Ausschuß des Landtags über die Tätigkeit des Verfassungsschutzes halbjährlich sowie auf Verlangen des Ausschusses und aus besonderem Anlaß. 11 (2) Art und Umfang der Unterrichtung des Ständigen Ausschusses werden unter Beachtung des notwendigen Schutzes des Nachrichtenzuganges durch die politische Verantwortung der Landesregierung bestimmt. (3) Die Mitglieder des Ständigen Ausschusses sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Tätigkeit des Verfassungsschutzes im Ständigen Ausschuß bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus dem Ständigen Ausschuß oder aus dem Landtag. (4) Die Unterrichtung umfaßt nicht Angelegenheiten, über die das Innenministerium das Gremium nach Artikel 10 Grundgesetz zu unterrichten hat. SS8 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft. Gleichzeitig tritt die Verordnung der vorläufigen Regierung über die Errichtung eines Landesamts für Verfassungsschutz vom 10. November 1952 (GBl. S. 49) außer Kraft. 3. Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes vom 27. September 1950 (BGBl. S. 682), geändert durch Gesetz vom 7. August 1972 (BGBl. S. 1382) SS1 (1) Der Bund und die Länder sind verpflichtet, in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. (2) Die Zusammenarbeit besteht auch in gegenseitiger Unterstützung und Hilfeleistung. SS2 (1) Für die Zusammenarbeit des Bundes mit den Ländern errichtet der Bund ein Bundesamt für Verfassungsschutz als Bundesoberbehörde. Es untersteht dem Bundesminister des Innern. (2) Für die Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund bestimmt jedes Land eine Behörde zur Bearbeitung von Angelegenheiten des Verfassungsschutzes. 12 SS3 (1) Aufgabe des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der nach SS 2 Abs. 2 bestimmten Behörden ist die Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten und sonstigen Unterlagen über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern verfassungsmäßiger Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich dieses Gesetzes für eine fremde Macht, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. (2) Ferner wirken das Bundesamt für Verfassungsschutz und die nach SS 2 Abs. 2 bestimmten Behörden mit 1. bei der Überprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände und Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. bei der Überprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensund verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. (3) Polizeiliche Befugnisse oder Kontrollbefugnisse stehen dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht zu. Zur Wahrung seiner Aufgaben nach Absatz 1 und Absatz 2 ist es befugt, nachrichtendienstliche Mittel anzuwenden. Das Amt darf einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden. (4) Die Gerichte und Behörden und das Bundesamt für Verfassungsschutz leisten sich gegenseitig Rechtsund Amtshilfe (Artikel 35 GG). SS4 (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz unterrichtet die in jedem Lande gemäß SS 2 Abs. 2 bestimmte Behörde über alle Unterlagen, deren Kenntnis für das Land zum Zwecke des Verfassungsschutzes erforderlich ist. (2) Die in den Ländern bestimmten Behörden unterrichten das Bundesamt über alle Angelegenheiten des Verfassungsschutzes, von denen sie Kenntnis erhalten und die für den Bund, die Länder oder eines von ihnen von Wichtigkeit sind. 13 (3) Ist gemäß SS 2 Abs. 2 eine andere als die Oberste Landesbehörde bestimmt, so ist die Oberste Landesbehörde gleichzeitig zu benachrichtigen. SS5 (1) Die Bundesregierung kann, wenn ein Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes erfolgt, den Obersten Landesbehörden die für die Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund auf dem Gebiete des Verfassungsschutzes erforderlichen Weisungen erteilen. (2) Der Bundesminister des Innern kann im Rahmen des SS 3 den nach SS 2 Abs. 2 bestimmten Behörden Weisungen für die Zusammenarbeit in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes erteilen. SS 4 Abs. 3 gilt sinngemäß. SS6 Das Gesetz tritt am Tage der Verkündung in Kraft. 14 B. Verfassungsschutz durch Aufklärung Vorträge und Diskussionen zu Themen des politischen Extremismus und des Verfassungsschutzes Der Schutz unserer Verfassungsordnung wird nicht nur dadurch erreicht, daß die Verfassungsschutzbehörden Aktivitäten verfassungsfeindlicher Parteien und Organisationen beobachten, auswerten und Regierung und Parlament davon unterrichten, sondern insbesondere auch dadurch, daß die Bürger selbst über Strategie und Taktik extremistischer Vereinigungen informiert werden. Die Auseinandersetzung mit dem politischen Extremismus kann auf lange Sicht wirkungsvoll nicht nur repressiv vom Staat, sie muß auch geistig-politisch von den Bürgern geführt werden. Dies setzt qualifizierte Information voraus. Von dieser Überlegung ausgehend beschloß die Innenministerkonferenz am 9. Dezember 1974 die Konzeption "Verfassungsschutz durch Aufklärung". Sie umfaßt Information und Aufklärung über - die Verfassung, insbesondere über die Rechte, Pflichten und politischen Beteiligungsmöglichkeiten, die sie den Bürgern einräumt, - extremistische Strategien und Aktionen, verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Bestrebungen im Sinne der Verfassungsschutzgesetze und ihre ideologischen Hintergründe, - gesetzliche Grundlagen, Aufgaben, Organisation, Arbeitsweise und Probleme des Verfassungsschutzes. In Baden-Württemberg werden die Aufgaben des Verfassungsschutzes durch Aufklärung vom Referat "Verfassungsschutz" im Innenministerium wahrgenommen. Im Rahmen dieser Konzeption bietet das Innenministerium an, einen Referenten zu Vorträgen und Diskussionen über Themen des politischen Extremismus und des Verfassungsschutzes zu entsenden. Die entstehenden Kosten trägt das Innenministerium. Das Angebot richtet sich an alle Träger der politischen Bildungsarbeit, an Lehrer, Studenten und Schüler, an Einrichtungen der Erwachsenenund Jugendbildung, an politische Parteien, Gewerkschaften, Berufsund Wirtschaftsverbände sowie an kirchliche Institutionen. 15 Vorschläge für Vortragsbzw. Diskussionsthemen: * Verfassungsschutz im demokratischen Rechtsstaat * Verfassungsschutz und die Konzeption der wehrhaften Demokratie * Verfassungsschutz und Grundrechte * Rechtsgrundlagen, Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise der Ämter für Verfassungsschutz * Das Landesverfassungsschutzgesetz vom 17. Oktober 1978 * Die Befugnisse der Ämter für Verfassungsschutz und ihre politische, parlamentarische und gerichtliche Kontrolle * Verfassungsschutz und Datenschutz * Verfassungsschutz und Amtshilfe * linksextremer Terrorismus * rechtsextremer Terrorismus Organisation * orthodoxer Kommunismus politische * K-Gruppen Strategien und * undogmatische Neue Linke ideologische * alte Rechte Hintergründe * neonazistische Gruppen * Ausländerextremismus * Bündnispolitik der kommunistischen Parteien und Organisationen * Verhältnis des orthodoxen Kommunismus zum Eurokommunismus * Analyse rechtsextremer Propagandaund Agitationsmuster * Verfassungstreue im öffentlichen Dienst: Rechtslage und Durchführung des Beschlusses der Landesregierung * Spionageabwehr Interessenten für Vorträge oder Diskussionen können sich an die nachstehend angegebene Kontaktanschrift wenden: Innenministerium Baden-Württemberg Referat "Verfassungsschutz" Postfach 277, 7000 Stuttgart 1 Tel.: 0711/2072-3768 oder 2072-3358 16 I. Linksextremistische Bestrebungen 1. Allgemeiner Überblick Die aktuelle Sicherheitslage wird im Bereich des Linksextremismus nach wie vor in erster Linie durch schwere Gewaltakte der terroristischen "Roten Armee Fraktion" (RAF) geprägt; daneben aber auch durch zahlreiche militante Aktionen ihrer Unterstützer und der gewalttätig agierenden "Revolutionären Zellen" (RZ). Sie hat sich weiter verschärft durch eine rapide wachsende Zahl von Sprengstoffund Brandanschlägen gewaltbereiter sogenannter militanter Autonomer. Die terroristische "Offensive" der RAF dauert an. Die heimtückischen Morde an dem Vorstandsmitglied der SIEMENS AG Professor Dr. BECKURTS und seinem Fahrer GROPPLER am 9. Juli 1986 in Straßlach bei München sowie an Ministerialdirektor Dr. von BRAUNMÜHL am 10. Oktober 1986 in Bonn haben die besondere Brutalität des Kommandobereichs dieser terroristischen Vereinigung erneut unter Beweis gestellt. Die RAF verfügt gegenwärtig über einen Bestand von etwa 20 Kommando-Mitgliedern sowie über ein größeres Unterstützerund Sympathisantenpotential. Die internationalen Verflechtungen der Terroristen sind stärker und feinmaschiger geworden. Insbesondere der Verbindung der RAF zur französischen "Action Directe" (AD) kommt besondere Bedeutung zu. Dennoch ist ein entscheidender Durchbruch zu der angestrebten einheitlichen "westeuropäischen Front" noch nicht festzustellen. Besondere Beachtung erfordert die strukturelle Verbreiterung der RAF durch die Herausbildung einer sogenannten zweiten kämpfenden Ebene: der "Militanten der RAF". Diese bezeichneten sich zunächst als "illegale Militante", seit einiger Zeit treten sie jedoch nahezu ausschließlich als "Kämpfende Einheiten" auf. Sie unterscheiden sich von der im Untergrund operierenden Kommandoebene, die "militärische" - vornehmlich gegen Menschen gerichtete - Anschläge begeht, vor allem dadurch, daß sie zwar schwerste "militante Angriffe", allerdings keine auf Tötung von Menschen zielende Gewaltakte verüben. Die Mitglieder dieser "zweiten kämpfenden Ebene" rekrutieren sich aus dem RAF-Unterstützerbereich und leben - zumindest überwiegend - nicht im Untergrund. Die Anschläge "Kämpfender Einheiten" auf das Ausbildungszentrum des Bundesgrenzschutzes am 11. August 1986 in Swisttal-Heimerzheim und auf das Bundesamt für Verfassungsschutz am 8. September 1986 in Köln ließen erken17 nen, daß die RAF neben Angriffen auf Persönlichkeiten und Einrichtungen im Bereich der NATO sowie von Unternehmen mit rüstungsrelevantem Produktionsprogramm auf eine weitere Angriffslinie, die staatlichen Sicherheitsbehörden und darüber hinaus den politischen Bereich, einzuschwenken beginnt. Der Mord an Dr. von BRAUNMÜHL hat diese Befürchtung blutig bestätigt. Eines der vorrangigen taktischen Ziele der RAF ist die Einbeziehung des zahlenmäßig großen Potentials linksextremer gewaltbereiter Gruppierungen in eine "gemeinsame Front". Den wichtigsten Teil dieses Spektrums bilden inzwischen die "militanten Autonomen", die die Mehrzahl der Brandund Sprengstoffanschläge der letzten Monate begangen haben. Die terroristischen Aktivitäten der "Revolutionären Zellen" und ihrer Frauengruppe "Rote Zora" blieben 1986 mit 14 vollendeten oder versuchten Anschlägen im Vergleich zu 1985 nahezu gleich. Allerdings richteten diese Terrorgruppen erstmals nach 1981 wieder eine ihrer Aktionen gezielt gegen einen Menschen: sie schössen dem Leiter der Berliner Ausländerbehörde in die Beine und verletzten ihn schwer. Regionale Schwerpunkte der RZ waren im Jahre 1986 Nordrhein-Westfalen, Berlin und Hamburg. In Baden-Württemberg kam es seit April 1985 zu keinem Gewaltakt der RZ mehr. Vereinzelt festgestellte Farbschmierereien weisen zwar auf diese Gruppen hin. Sie begründen jedoch keinen Verdacht auf deren Existenz in unserem Bundesland. Die Gewaltbereitschaft zahlreicher Gruppen der undogmatischen "Neuen Linken" hat weiter zugenommen. So beteiligten sich militante autonome GrupVon militanten Kernkraftgegnern gefällter Hochspannungsmast 18 pen, deren Potential in Baden-Württemberg etwa 350 Personen beträgt, mehrfach an gewalttätigen Ausschreitungen insbesondere gegen staatliche Einrichtungen und solche der Wirtschaft. Dabei waren gegenüber den Vorjahren eine bessere Planung und größere Koordination der Aktionen zu erkennen. Deutlich zugenommen haben nach dem Unglück im Kernkraftwerk Tschernobyl Anschläge auf Strommasten sowie Brandstiftungen und Sachbeschädigungen bei Energieversorgungsunternehmen. Trotz unterschiedlicher Vorstellungen innerhalb des militanten undogmatischen Spektrums über das eigene Selbstverständnis und die konkreten Aktionsformen besteht bei diesen Gruppen Einvernehmen über die Notwendigkeit, "Widerstand" gegen die derzeitige Staatsund Gesellschaftsordnung zu leisten. Ein stärker werdender Teil bekennt sich offen zur Anwendung "revolutionärer Gewalt" und sucht Verbindung zu terroristischen Gruppen. Die zahlreichen Zusammenschlüsse der dogmatischen "Neuen Linken", deren größte Aktivität in den siebziger Jahren lag, erregten nur noch wenig Aufmerksamkeit. Sie konnten zwar ihren in den letzten Jahren stark rückläufigen Mitgliederbestand weitgehend stabilisieren, vermochten jedoch ihrem Anspruch als revolutionär-sozialistische Alternative nicht gerecht zu werden. Alle Versuche, ein breiteres "Bündnis revolutionärer Sozialisten" zustande zu bringen, schlugen fehl: Weder der "Bund Westdeutscher Kommunisten" (BWK) noch der "Kommunistische Bund" (KB) oder die "Volksfront gegen Reaktion, Faschismus und Krieg" (VOLKSFRONT) waren in der Lage, größere Aktivitäten zu entfalten und blieben nahezu bedeutungslos. Einzig die maoistische "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) mit 1.300 Mitgliedern im Bundesgebiet (Baden-Württemberg: 650) und die "Marxistische Gruppe" (MG) mit 1.700 Mitgliedern (Baden-Württemberg: 85) konnten durch breitere Aktivität auf sich aufmerksam machen. Ob der Zusammenschluß einer Fraktion der "Kommunistischen Partei Deutschlands (Marxisten-Leninisten)" - KPD mit der trotzkistischen "Gruppe Internationale Marxisten" (GIM) zur "Vereinigten Sozialistischen Partei" (VSP) zu einem neuerlichen Aufschwung einer Organisation führt, erscheint fraglich. Die weitaus stärkste linksextremistische Organisation bleibt die führende Kraft der "Alten Linken", die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP). Mit rund 40.000 Mitgliedern (Baden-Württemberg: 2.850) stellt sie die eigentliche "Bruderorganisation" der "Kommunistischen Partei der Sowjetunion" (KPdSU) und der "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED) in der Bundesrepublik Deutschland dar. Zwar konnte sie seit Jahren ihren Mitgliederbestand nicht weiter ausbauen, doch ist ihr Einfluß in verschiedenen Bereichen kontinuierlich gewachsen. So konnte diese Organisation auf ihrem 8. Parteitag im Mai 1986 eine gestiegene Akzeptanz bei nichtextremistischen Gruppen und Personen feststellen. Zugunsten ihrer verstärkt betriebenen Aktionseinheitspolitik verzichtete die DKP erstmalig seit 1969 bei einer Bundestagswahl sogar auf eine eigene Kandidatur; statt dessen kandidierten die Angehörigen der DKP und ihrer Vorfeldorganisationen in dem Personenbündnis "Friedensliste", das sich nur um die Erststimme bemühte. 19 2. Linksextremistischer Terrorismus 2.1 "Rote Armee Fraktion" (RAF) 2.1.1 RAF-Kommandoebene Nach einer scheinbaren Ruhephase von nahezu einem Jahr (seit dem Anschlag der linksterroristischen "Roten Armee Fraktion" auf die US-Air Base in Frankfurt am Main am 8. August 1985), in der keine Aktionen der RAF-Kommandoebene und nur vereinzelte Aktivitäten ihrer "Militanten" zu verzeichnen waren, leiteten die Terrorgruppe und ihre gewaltbereiten Unterstützer mit dem Mord an dem SIEMENS-Vorstandsmitglied Professor Dr. Karl-Heinz BEKKURTS und seinem Fahrer Eckhard GROPPLER am 9. Juli 1986 in Straßlach bei München eine neue Serie schwerster Gewalttaten ein. Die Täter hatten einen Sprengsatz an einem Alleebaum entlang der üblichen Fahrtstrecke des Managers befestigt und beim Passieren des Fahrzeugs durch Fernzündung per Kabel zur Explosion gebracht. Professor Dr. BECKURTS und sein Fahrer waren sofort tot; ein Begleitfahrzeug des firmeneigenen Personenschutzes wurde durch die Detonation leicht beschädigt. Mit Professor Dr. BECKURTS sei - so heißt es in der Selbstbezichtigung eines RAF-"Kommandos Mara CAGOL" - eine "zentrale Figur" in der "politischen, ökonomischen und militärischen Strategie des imperialistischen GesamtsyRAF-Anschlag Straßlach 20 stems", ein maßgeblicher Repräsentant des "militärisch-industriellen Komplexes" (MIK), "angegriffen" worden. Die durch die Kritik autonomer Gruppen und auch von Teilen des terroristischen Umfelds an der Ermordung des amerikanischen Soldaten Edward PlMENTAL in der Vorphase der Air-Base-Aktion im August 1985 ins Stocken geratene terroristische "Offensive" fand damit ihren Fortgang. Sie erreichte mit dem brutalen Mord eines RAF-"Kommandos Ingrid SCHUBERT" an Ministerialdirektor Dr. Gerold von BRAUNMÜHL am 10. Oktober 1986 vor dessen Haus im Bonner Stadtteil Ippendorf einen weiteren blutigen Höhepunkt. Mit Dr. von BRAUNMÜHL, dem Leiter der Politischen Abteilung im Auswärtigen Amt, ist erstmals im Verlauf der RAF-Offensive seit Winter 1984/1985 ein Repräsentant aus dem Bereich der Politik ermordet worden. Die Tat zielte - so führt die RAF in einem Selbstbezichtigungsschreiben aus - in erster Linie "auf den aggressiven BRD-Staatsapparat in seiner Funktion als Kernstaat der politischen Formierung Westeuropas in der imperialistischen Kriegsstrategie". Die unveränderte Gefährlichkeit der RAF-Terroristen zeigt sich in ihrem erschreckend brutalen Vorgehen, das gezielt und erbarmungslos gegen Menschen gerichtet ist und offensichtlich Verunsicherung hervorrufen soll. Der im Untergrund operierende Kommandobereich der RAF verfügt gegenwärtig über einen gefestigten personellen Bestand von etwa 20 Mitgliedern - ausgestattet mit Waffen und falschen Papieren. Darüber hinaus steht der RAF mit ihrem engeren Umfeld ein breites, fanatisches und langjährig erfahrenes Potential zur Verfügung, aus dem sie jederzeit weitere Kommando-Angehörige rekrutieren kann. Zahlreiche Erkenntnisse belegen, daß die Mitglieder der Kommandoebene im Gegensatz zur RAF der früheren Jahre wesentliche Aufgaben an ihre Unterstützer abgegeben haben. Dadurch verbleibt dem "harten Kern" ein größerer Freiraum, sich als reine "Killertruppe" auf die Durchführung des nächsten Terrorakts zu konzentrieren. Weitere schwere Gewalttaten gegen Repräsentanten und Institutionen aus - Militär - rüstungstechnischem Bereich ("militärisch-industrieller Komplex" - MIK) - Elektronikund Forschungsindustrie - Justiz und Polizei (sogenannter Repressionsapparat) - Politik und Medien sind daher zu befürchten. Daneben versucht die RAF, die bereits in ihrem Grundsatzpapier vom Mai 1982 mit dem Titel "Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front" geforderte Bildung einer "antiimperialistischen Front in Westeuropa" voranzutreiben. 21 Wie die blutigen Anschläge des Jahres 1986 in der Bundesrepublik Deutschland und im benachbarten Ausland zeigen, sind die Terroristen diesem Ziel nähergekommen. Dies gilt insbesondere für die Kooperation mit der französischen Terrorgruppe "Action Directe" (AD). Schon im Jahre 1985 hatte sich eine partielle Zusammenarbeit dieser beiden Organisationen auf logistischer und propagandistischer Ebene erkennen lassen, die 1986 ihre Fortsetzung fand und sich vor allem an dem aufeinander abgestimmten Vorgehen beider Gruppen erkennen läßt. So verübte am Tag des RAF-Anschlags auf Professor Dr. BECKURTS ein Kommando der "Action Directe" ein Bombenattentat auf das Gebäude der Pariser Polizeipräfektur, bei dem ein Beamter getötet und weitere 23 zum Teil schwer verletzt wurden. Bereits am 15. April 1986 hatte die AD in Paris einen Mordanschlag auf den Präsidenten des französischen Arbeitgeberverbandes Guy BRANA versucht. Auch BRANA wurde - wie wenige Monate später Professor Dr. BECKURTS - als Repräsentant des "militärischindustriellen Komplexes" (MIK), als "Zentralfigur der Wirtschaftsund Industriepolitik" bezeichnet. In einem Selbstbezichtigungsschreiben der "Action Directe" zum Sprengstoffanschlag auf das Büro der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) am 21. Juli 1986 in Paris bezog sich die französische Terrorgruppe eindeutig auf die deutsche RAF und bezeichnete die letzten Anschläge beider Organisationen als Teil einer "Generaloffensive" für den Aufbau einer "Befreiungspolitik in Westeuropa": "Die Aktionen der Kommandos KASSIMIS gegen BRANA (am 15. April 1986 in Paris), ,Kepa' GALLENDE gegen Interpol (am 16. Mai 1986 in Paris) und CAGOL gegen BECKURTS (am 9. Juli 1986 bei Straßlach) bieten unerläßliche strategische Hinweise für eine neue Generaloffensive. Mit dem Angriff auf die . . . OECD halten wir an unserer Offensive und am Aufbau einer proletarischen Befreiungspolitik in Westeuropa f e s t . . . " In einem "Interview" mit "Genossen aus der Action Directe", das in der Ausgabe Nr. 7 der RAF-Untergrundzeitschrift "Zusammen Kämpfen" vom Juli 1986 abgedruckt ist, betonte die AD, daß die "gemeinsame Offensive" durch ihre Breite und Dauer die "am weitesten entwickelte kollektive Ebene des organisierten revolutionären Kampfes für den Kommunismus hier und in Westeuropa" sei. Dem Anschlag der RAF auf Dr. von BRAUNMÜHL im Oktober 1986 folgte erneut die "Action Directe" mit einem blutigen Attentat: am 17. November 1986 ermordeten Mitglieder der AD in Paris den Generaldirektor des französischen Automobilkonzerns RENAULT, Georges BESSE. Sowohl der in der Tatbezichtigung enthaltene Aufruf zur "politisch-militärischen Front in Westeuropa" als auch das Anschlagsziel deuten darauf hin, daß der Mord vor dem Hintergrund des "gemeinsamen Kampfes der westeuropäischen Guerilla" gesehen werden soll: Georges BESSE war vor seiner Tätigkeit bei RENAULT - ebenso wie das am 9. Juli 1986 durch die RAF getötete Vorstandsmitglied der SIEMENS AG, Professor Dr. BECKURTS - in der Kernenergieforschung tätig. 22 vervielfältigen - weitergeben I vervielfältigen - weitergeben ! Ausgaben des RAF-Organs "Zusammen Kämpfen" Einige Ausgaben des RAF-Organs "Zusammen Kämpfen" verdeutlichen darüber hinaus, daß diese Untergrundzeitschrift von der RAF offensichtlich verstärkt dazu benutzt wird, auf publizistischer Ebene den Eindruck einer sich festigenden "westeuropäischen Front" zu vermitteln. So war eine Sonderausgabe im April 1986 der AD, die Nr. 6 vom Mai 1986 den italienischen terroristischen "Roten Brigaden" (BR) gewidmet. Entsprechend dem Bemühen der RAF, die westeuropäischen Terrorgruppen in einer "gemeinsamen Front" zusammenzuführen, versucht sie im Bundesgebiet , die Isolation früherer Jahre zu durchbrechen und sich dem gewaltorientierten "autonomen Spektrum" zu nähern. Dieser taktische Schwenk muß vor dem Hintergrund der vielfältigen Kritik aus dem "militanten Widerstand" und Teilen des eigenen Umfelds der RAF an der Ermordung des US-Soldaten PlMENTAL im Sommer 1985 gesehen werden. Als Folge dieser tiefgreifenden Differenzen war die gemeinsame terroristische "Offensive der antiimperialistischen Front von Guerilla und militantem Widerstand" ins Stocken geraten. In ihrer Erklärung zum Anschlag auf Professor Dr. BECKURTS (9. Juli 1986) hat die Kommandoebene erstmals deutlich "Sozialrevolutionäre" Akzente (wie Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf, Arbeitslosigkeit, Streikrecht) einbezogen, die in der Vergangenheit vorrangig von militanten Teilen der Protestbewegung, insbesondere von den "autonomen Zirkeln", aufgegriffen worden waren. Dies muß als eine Konzession an diese Kräfte, aber auch an die "Kritiker" im eigenen Umfeld verstanden werden mit dem Ziel, Vorbehalte gegenüber der Praxis der RAF abzubauen und diese "diskussionsfähig" erscheinen zu 23 lassen. Ob dieser teilweisen Öffnung gegenüber anderen, der RAF bisher ablehnend gegenüberstehenden linksextremen Gruppen ein beständiger "Erfolg" beschieden sein wird, bleibt abzuwarten. Immerhin bestätigen erste Reaktionen diesen Kurs der RAF. So wurde in der Ausgabe Nr. 132 vom Juli 1986 der Autonomen-Zeitschrift "radikal" folgende "Grußadresse" an die Mörder des SIEMENS-Managers abgedruckt: "wir grüßen die genossen/innen aus der stadtguerilla, die siemens-vorstandsmitglied beckurts liquidiert haben. Siemens steht für beteiligung an sdi, europäisierung, mik, akw-forschung, Umstrukturierung, ausbeutung, weltweit. hier hat der revolutionäre kämpf seine kraft entwickelt, und den verantwortlichen nochmal verdeutlicht, daß wir sie nicht vergessen werden!! kraft und liebe allen kämpfenden menschen!" Eine punktuelle Schwächung ihres Kommandobereichs mußte die RAF durch die Festnahme der mit Haftbefehl gesuchten mutmaßlichen Terroristin Eva HAULE-FRIMPONG am 2. August 1986 in Rüsselsheim hinnehmen. Die ehemalige Stuttgarter RAF-Unterstützerin hatte sich vermutlich im Februar 1984 dem illegalen Kern der Terrorgruppe angeschlossen. Sie war mit einiger Wahrscheinlichkeit zumindest an der Vorbereitung des versuchten Sprengstoffanschlags der RAF auf die NATO-Schule in Oberammergau am 18. Dezember 1984 beteiligt. Nach Frau HAULE-FRIMPONG wurde auch im Zusammenhang mit dem durch die "Rote Armee Fraktion" verübten Raubüberfall am 5. November 1984 auf ein Waffengeschäft in Maxdorf bei Ludwigshafen gefahndet. Eine großkalibrige Waffe aus dieser Beute führte die mutmaßliche Terroristin bei ihrer Festnahme mit sich. In ihrer Begleitung befanden sich am 2. August 1986 zwei Düsseldorfer RAF-Unterstützer, die - wie Eva HAULE-FRIMPONG - im Besitz gestohlener beziehungsweise gefälschter Personaldokumente waren. Im Jahre 1986 wurde gegen mehrere, in den Vorjahren festgenommene mutmaßliche RAF-Mitglieder verhandelt. Auffällig ist, daß die Hauptverhandlungen - im Gegensatz zu früheren Verfahren - nur noch auf begrenzte Resonanz in der terroristischen Unterstützerszene stießen. Lediglich die Verhandlung gegen die beiden RAF-Unterstützerinnen Ingrid BARABASS (Frankfurt am Main) und Mareile SCHMEGNER (Hannover) wurde im RAF-Umfeld interessiert verfolgt. Die Frauen hatten unter falschem Namen im Frühjahr 1985 in Offenbach eine Wohnung angemietet, die von mit Haftbefehl gesuchten RAF-Mitgliedern als konspirative Unterkunft genutzt werden sollte. In zahlreichen Flugschriften wurde dieser Prozeß aufgegriffen. Dabei wurde behauptet, "was die raf und ad in der offensive 84/85 als möglichkeit aufgerissen haben: zusammen kämpfen, ist jetzt permanente auseinandersetzung - die entwicklung der revolutionären front in Westeuropa." 24 2.1.2 "Militante der RAF" Bereits im Verlauf des Jahres 1984 - insbesondere mit Beginn der durch den Hungerstreik der RAF-Gefangenen eingeleiteten "Offensive" im Winter 1984 - zeichnete sich eine Entwicklung ab, die in den terroristischen Aktivitäten des Jahres 1986 einen erkennbaren Höhepunkt erreichte: Die RAF hat - getreu ihrem "Grundsatzpapier" vom Mai 1982, in dem sie die "Einheit des bewaffneten Kampfes aus der Illegalität und des politisch-militanten Widerstandes aus der Legalität" gefordert hatte - einen grundsätzlichen Wandel ihrer personellen Struktur vollzogen. Sie stützt sich inzwischen auf eine "zweite kämpfende Ebene", die die bisherige Organisation RAF - Kommandobereich, Gefangene und (zuarbeitend) Unterstützerszene - erweitert. Unter der Bezeichnung "Kämpfende Einheiten" begehen diese "Militanten der RAF", die sich auch schon als "Illegale Militante" bezeichnet haben, in enger Abstimmung mit dem Kommandobereich schwerste Gewalttaten. Diese richten sich gegen militärische und zivile Einrichtungen und zielen - im Gegensatz zu den Anschlägen des "harten Kerns" - nicht auf die Tötung von Menschen. Dadurch sollen die Aktionen der gewaltbereiten "autonomen" Szene eher vermittelbar werden und diese zu solidarischem Handeln ermuntern. Die "Militanten der RAF" rekrutieren sich aus dem RAF-Umfeld und bewegen sich - im Gegensatz zum Kommandobereich der RAF - überwiegend nicht im Untergrund. Lediglich zur Planung und Vorbereitung ihrer Aktionen (gegebenenfalls auch zu Treffen mit Kommandoangehörigen) entziehen sie sich für unterschiedlich lange Zeiträume der Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden. Inzwischen fungiert auch das Spektrum der "militanten Autonomen" als neu erschlossenes Rekrutierungsfeld der RAF. Ursprünglich bei der gewaltbereiten extremen Linken eingebunden und in ideologischer und taktischer Distanz zur RAF stehend, haben sich diese nun stark der neuen RAF-Taktik angenähert und akzeptieren diese als Verbündete: "zur revolutionären klassenfront zählen wir ausdrücklich auch die raf, denn auch ihr ziel ist eine rekonstitution der klasse, die .einheit des metropolenproletariats'. wir denken, daß die raf in ihrem programm noch offen ist für kritik und sie entwickelt sich mit uns welter, nicht gegen uns." So treten jetzt auch "Autonome" - nach nur kurzer Einbindung in die RAF-eigene Struktur - als Angehörige "Kämpfender Einheiten" in Erscheinung. Gesicherte Erkenntnisse belegen, daß die "Militanten der RAF" Kontakte zu den im Untergrund agierenden Kommandomitgliedern unterhalten. Wie eng die beiden "kämpfenden Ebenen" der RAF mittlerweile zusammenarbeiten, wird an verschiedenen Faktoren deutlich: 25 - Die "Militanten der RAF" können auf die Logistik des "harten Kerns" der Terrorgruppe zurückgreifen. In mehreren Fällen wurden sowohl bei Anschlägen der RAF-"Kommandos" als auch der "Kämpfenden Einheiten" gleichartige Tatmittel verwendet. Zudem werden die Aktionen - wie durch die Festnahme der aus Baden-Württemberg stammenden mutmaßlichen Terroristin Eva HAULE-FRIMPONG und ihrer Begleiter am 2. Juli 1986 ermittelt werden konnte - offensichtlich gemeinsam abgestimmt. - Eine augenfällige Übereinstimmung lassen auch die Selbstbezichtigungen beider "kämpfenden Ebenen" erkennen. Die Erklärungen der "Militanten" entsprechen in Argumentation und Inhalt denen des RAF-"Kommandos" und sind wie diese häufig sehr umfangreich. Teilweise werden dieselben Formulierungen verwendet. - W i e die "Kommandos" der RAF benutzen auch die "Kämpfenden Einheiten" zumeist die Namen ums Leben gekommener ausländischer "Genossen" ("Märtyrer") für die Bezeichnung der für den Anschlag verantwortlichen Tätergruppe. - Bei der Auswahl ihrer Angriffsobjekte orientierten sich die "Militanten der RAF" an der jeweils aktuellen Angriffslinie des Kommandobereichs. Der Ermordung von Personen, die von der RAF den Bereichen "Militärmaschine" und "militärisch-industrieller Komplex" zugeordnet wurden, folgten Sprengstoffanschläge "Kämpfender Einheiten" gegen entsprechende militärische oder zivile Einrichtungen. Nach der ersten Anschlagswelle um die Jahreswende 1984/1985 löste dann der Anschlag eines RAF-"Kommandos" auf Professor Dr. BECKURTS am 9. Juli 1986 eine neue Serie terroristischer Gewalttaten der "Militanten" aus, von der u. a. auch Baden-Württemberg betroffen war: - A m 24. Juli 1986 verübte eine "Kämpfende Einheit Sheban ATLOUF" - der Palästinenser war im Februar 1986 in Gaza/Israel erschossen worden - einen Sprengstoffanschlag auf das Fraunhofer-Institut für Lasertechnik in Aachen. - A m 25. Juli 1986 detonierte vor dem Gebäude der Firma DORNIER in lmmenstaad eine Autobombe. Die Attentäter kündigten den Anschlag wenige Minuten vorher telefonisch an - ein für die RAF atypisches Verhalten. Eine "Kämpfende Einheit", die sich auf eine peruanische Terroristin bezog, die am 20. Juni 1986 bei einem von ihr verübten Raketenanschlag auf das Tagungsgebäude der "Sozialistischen Internationale" in Lima ums Leben kam, bezichtigte sich der Aktion. - A m 23. August 1986 war eine Elektronikfirma in Wuppertal Ziel des Anschlags einer "Kämpfenden Einheit". - Eine "Kämpfende Einheit Anna Maria LUDMANN" (Frau LUDMANN, Angehörige der italienischen Terrorgruppe "Rote Brigaden", war 1980 bei einem Schußwechsel mit der Polizei getötet worden) verübte am 15. September 1986 einen Sprengstoffanschlag auf ein Bürogebäude der Firma PANAVIA in München, bei der rüstungstechnische Projekte bearbeitet werden. Auch bei dieser Aktion erfolgte eine telefonische Vorwarnung. 26 RAF-Anschlag Immenstaad - Unter der Bezeichnung "Kämpfende Einheit Hind Alameh" - eine Frau dieses Namens soll zu den Entführern der Lufthansamaschine "Landshut" nach Mogadischu im Jahre 1977 gezählt haben - begingen am 16. November 1986 "Militante der RAF" einen Sprengstoffanschlag auf das IBM-Forschungszentrum in Heidelberg. Auch dieser war - wie die Aktionen in Immenstaad und München - vorher telefonisch angekündigt worden. In der Selbstbezichtigung zu diesem Anschlag wird das Selbstverständnis der "zweiten kämpfenden Ebene der RAF" unterstrichen: "Mit unserer aktion greifen wir die offensive auf, die von action directe und raf mit den angriffen gegen brana und beckurts eröffnet und durch die aktionen der militanten und der guerilla weiterentwickelt wurde." Noch vor dem "harten Kern" richteten "Kämpfende Einheiten" im Sommer 1986 ihre Angriffe gegen den "Repressionsapparat": - Eine "Kämpfende Einheit Crespo ,Cepa' GALLENDE" verübte am 11. August 1986 einen Sprengstoffanschlag auf dem Kasernengelände des Bundesgrenzschutzes in Swisttal-Heimerzheim. (Den Namen des spanischen Terroristen GALLENDE hatte sich auch ein Kommando der französischen "Action Directe" gegeben, das am 16. Mai 1986 auf das Interpol-Gebäude in St. Cloud bei Paris einen Anschlag verübt hatte.) Wenige Tage später wurden 27 drei Angehörige des terroristischen Umfelds in Nordrhein-Westfalen als mutmaßliche Täter festgenommen. - Eine "Kämpfende Einheit Christos TSOUTSOUVIS" - der Grieche wurde bei gewalttätigen Ausschreitungen 1985 in Athen getötet - erklärte, am 8. September 1986 den Bombenanschlag auf das Gebäude des Bundesamts für Verfassungsschutz in Köln begangen zu haben. Bei der Tat, bei der erheblicher Sachschaden entstand, wurde eine zufällig am Tatort anwesende Person leicht verletzt. Diesen Anschlägen war keine Aktion der Kommandoebene, der in der Vergangenheit jeweils eine "Signalfunktion" zukam, vorausgegangen. 2.1.3 Unterstützerbereich der RAF Die Unterstützer erfüllen in erster Linie die Funktion, in Übereinstimmung mit den anderen Ebenen der RAF (Kommandobereich, "Militante" und Gefangene) die Strukturen dieser Terrorgruppe zu verfestigen und zu erweitern. Hierzu zählen die "klassischen" Unterstützertätigkeiten wie Häftlingsbetreuung und Öffentlichkeitsarbeit für die RAF, aber auch Informationsbeschaffung und logistische Zuarbeit. Darüber hinaus nehmen die Unterstützer wichtige Aufgaben im Vorfeld und bei der Nachbereitung von Anschlägen wahr. Ohne die kontinuierliche Zuarbeit einer größeren Zahl fanatischer Helfershelfer wäre eine Terrororganisation wie die RAF, die ihr Hauptziel darin sieht, aus angeblich politischen Motiven planmäßig schwerste Straftaten bis hin zum Mord zu begehen, kaum in der Lage, ihre Vorhaben zu verwirklichen. Sie benötigt für diese unerläßliche Unterstützungsarbeit absolut zuverlässige und überzeugte Personen, damit sie ihre Anschlagsziele festlegen, ungestört zuschlagen und sich anschließend in relativ sichere Ruheräume zurückziehen kann. Erst das reibungslose Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen der RAF ermöglicht den Terroristen ihre Aktionen. Bundesweit verfügt die "Rote Armee Fraktion" gegenwärtig über einen Bestand von nahezu 200 aktiven Unterstützern. Hinzu kommen etwa 2.000 Sympathisanten. Das RAF-Umfeld in Baden-Württemberg konzentriert sich räumlich und personell auf die Städte Karlsruhe, Stuttgart, Heidelberg, Mannheim und Freiburg. Auch in Tübingen hat sich mittlerweile eine terroristische Randszene etabliert. Seit einiger Zeit versucht das terroristische Umfeld verstärkt, durch das "Einklinken" in aktuelle Kampagnen des linksextremen, gewaltbereiten Spektrums in diesen Kreisen neue Sympathisanten für die RAF zu werben. So schlossen sich terroristische Unterstützerzirkel im Jahre 1986 ganz betont dem Widerstand gegen den Ausbau der Kernenergie und dem Protest gegen die Libyenpolitik der USA an, um ihre "Nähe zu linker Politik" zu unterstreichen. Obwohl diese Bemühungen, in linksextremen Kreisen mehr Akzeptanz zu erreichen, 28 tniernaiionctie Diskussionsund Intomaiionstage mit Genossjimt/en aus der BRD, Spanien, Italien, Griechenland, Portugal, Irland... eingeladen Sinti Anwälte und. Angehörige von politischen Gefangenen RAF-Publikation zum sogenannten "antiimperialistischen und antikapitalistischen Kongreß" in Frankfurt 29 nicht neu sind, konnten nun erstmals intensive Kontakte geknüpft werden. Ob sie dauerhaft sein werden, bleibt abzuwarten. Das RAF-Umfeld sieht es darüber hinaus als seine Aufgabe an, die Fortsetzung der terroristischen "Offensive der RAF" auf nationaler und westeuropäischer Ebene zu propagieren. Dies wirkt auch auf die Unterstützer mobilisierend und läßt sie eigene Aktionsmöglichkeiten zur Entwicklung der "gemeinsamen Front" suchen: "Guerilla und Kämpfende Einheiten greifen die aktuellen strategischen Projekte der politischen, ökonomischen und militärischen Formierung des imperialistischen Systems in Westeuropa an . . . Diese Angriffe sind Orientierung für die vielen Initiativen und Angriffe des Widerstandes, die sich in den politischen Zusammenhang stellen und so die Front mitentwickeln: Angriffe auf Banken, Demos zu den Gefangenen, Flugblattaktionen und Veranstaltungen . . . " Tatsächlich wurde auch 1986 von Angehörigen des terroristischen Umfelds wieder eine beträchtliche Anzahl kleinerer Brandund Sprengstoffanschläge sowie Sachbeschädigungen verübt. Noch immer kommt dem RAF-Unterstützerbereich besondere Bedeutung zu als personelles Reservoir für die Kommandoebene und nun auch für die "Kämpfenden Einheiten" der RAF. Daneben gibt es Beweise, daß die Terroristen zunehmend die Hilfe der Unterstützerzirkel im logistischen Bereich in Anspruch nehmen (beispielsweise bei der Beschaffung von konspirativen Wohnungen, bei der Zusammenstellung von Ausspähungsunterlagen und aktuellem Informationsmaterial). Beherrschendes Thema in den ersten Monaten des Jahres 1986 war ein vom terroristischen Umfeld initiierter und getragener "antiimperialistischer und antikapitalistischer Kongreß" vom 31. Januar bis zum 4. Februar 1986 in Frankfurt am Main. Dieser Veranstaltung, an der nahezu 1.000 Personen aus dem ganzen Bundesgebiet, dem westeuropäischen Ausland und dem Nahen Osten teilnahmen, wurde von der RAF und ihren Unterstützern in doppelter Hinsicht erhebliche Bedeutung beigemessen. Zum einen sollte der im Zusammenhang mit der Ermordung des US-Soldaten PIMENTAL durch die RAF im August 1985 aufgekommenen massiven Kritik begegnet werden, zum anderen sollte dieser "Kongreß" Anstoß zur Motivation und Fortsetzung der "Offensive" auf nationaler und westeuropäischer Ebene werden. Rechtzeitig zum "Frankfurter Kongreß" erschien die Ausgabe Nr. 5 der illegal hergestellten und vertriebenen RAFSchrift "Zusammen Kämpfen - Zeitung für die antiimperialistische Front in Westeuropa". 30 Diese Ausgabe enthielt neben einem Beitrag der RAF-Kommandoebene, in dem der Mord an Edward PIMENTAL bezeichnenderweise selbstkritisch "aufgearbeitet" wurde, zwei Texte von "Militanten", die diese Tat hinsichtlich ihrer Vermittelbarkeit deutlich kritisierten, trotzdem aber grundsätzlich billigten. Damit sollte offensichtlich unter die heftigen Kontroversen der vergangenen Monate ein Schlußstrich gezogen werden, nachdem die Kritik vor allem militanter "autonomer Zirkel" das von der RAF angestrebte Ziel der Verbreitung der "gemeinsamen Front" zunächst unmöglich gemacht hatte. Die Haltung der "Autonomen" in dieser Frage war in einem auf dem "Kongreß" verbreiteten Flugblatt nochmals deutlich gemacht worden: "Was auf der Air Base und in Wl (Wiesbaden, Tatort der Erschießung des US-Soldaten) passiert ist, war keine revolutionäre Aktion, sondern Terror! . . . " Trotz teilweise überaus kontrovers geführter Diskussionen konnten die RAF und ihr Umfeld - nachdem man aus taktischen Erwägungen einige Positionen zurückgesteckt hatte - die Veranstaltung insgesamt als Erfolg für sich buchen. Inzwischen ist es ihr sogar gelungen, durch betontes Anlehnen an "Sozialrevolutionäre" Thesen und durch den Angriff von auch im Visier gewaltorientierter "autonomer" Gruppen liegender Zielobjekte tragfähige Brücken zu diesem Personenkreis zu schlagen. Schriften der RAF 31 Seit der Jahreswende 1985/1986 versucht das terroristische Umfeld, die zeitweilig abgeflachte Diskussion über die Haftbedingungen einsitzender Terroristen neu zu beleben. Tatsächlich rückte dieser Themenkomplex - vor allem unter dem Aspekt der Forderung nach Zusammenlegung der Inhaftierten und Freilassung des Terroristen Günter SONNENBERG - in der Folgezeit immer stärker in das Blickfeld der RAF und ihrer Unterstützer. Sowohl bei Veranstaltungen als auch in verschiedenen Publikationen der terroristischen "Szene" steht dieser Aspekt immer häufiger im Mittelpunkt des Interesses. So wurde in der Nacht zum 20. Oktober 1986 an einer Brücke über der Bundesautobahn A 656 Heidelberg-Mannheim in der Nähe von Edingen ein Transparent mit folgender Parole angebracht: "Den revolutionären Widerstand in Westeuropa organisieren. Zusammenlegung der Gefangenen aus RAF und Widerstand." Auch die Illegalen und die "Militanten der RAF" haben sich dieser neuerlichen Kampagne zur Durchsetzung der Forderung nach Zusammenlegung einsitzender Terroristen zwischenzeitlich angeschlossen. Alle Selbstbezichtigungen der jüngeren Zeit heben auf dieses Thema ab. So hieß es in der Erklärung der "Kämpfenden Einheit Sheban ATLOUF" zum Anschlag auf das Fraunhofer-Institut in Aachen am 24. Juli 1986: "Was ansteht, ist die Zusammenlegungsforderung der gefangenen genossen und genossinnen durchzusetzen . . . ist auch unsere Sache, konkret zu überlegen, wie wir die Zusammenlegung erkämpfen können, weil wir nur zusammen, die gefangenen drinnen und wir draußen, das kräfteverhältnis dafür schaffen können. ZUSAMMENLEGUNG DER GEFANGENEN AUS RAF UND WIDERSTAND UND ALLER KÄMPFENDEN GEFANGENEN! FREILASSUNG VON GÜNTHER SONNENBERG!" 2.2 "Revolutionäre Zellen" (RZ) Nach einem auffälligen Rückgang der Aktivitäten "Revolutionärer Zellen" (RZ) im ersten Halbjahr 1986 verübten diese terroristischen Kleingruppen im Herbst 1986 vor allem in Norddeutschland erneut mehrere schwere Brandund Sprengstoffanschläge. Regionaler Schwerpunkt des RZ-Terrorismus blieb auch im Jahre 1986 das Land Nordrhein-Westfalen. In Baden-Württemberg kam es zu keinen Gewaltakten der RZ, so daß es derzeit keine Anhaltspunkte für die Existenz einer "Revolutionären Zelle" in unserem Bundesland gibt. Immerhin lassen einige Anzeichen darauf schließen, daß das Vorgehen der RZ auch in unserem Land auf eine gewisse Sympathie stößt: In Mannheim wurde in der Nacht zum 8. Oktober 1986 am Gebäude der Deutschen Bank ein Auf32 Aufkleber der RZ kleber mit RZ-Parolen angebracht. Neben dem Text "Feuer und Flamme für diesen Staat" sind die Initialen RZ abgebildet. Auch in Stuttgart waren im Juli 1986 entsprechende Farbschmierereien festgestellt worden. Die Serie gewalttätiger Aktionen dieser nicht im Untergrund operierenden Zirkel eröffnete die Frauengruppe innerhalb der RZ, die "Rote Zora", am 5. August 1986 mit einem Brandanschlag auf das Humangenetische Institut der Universität Münster. In ihrer Selbstbezichtigung griff die "Rote Zora" vor allem die Biound Gentechnologie an und kritisierte die angeblich frauenfeindliche Sozialstruktur unserer Gesellschaft. Sie bewegte sich damit in ihrer Argumentation in dem Rahmen der seit 1983 wiederkehrenden Themen der "Revolutionären Zellen". Dabei wird versucht, umstrittene politische Aspekte aufzugreifen, die - in einen aktuellen Zusammenhang gestellt - als vermeintliche Anliegen größerer Bevölkerungsgruppen "aktualisiert" werden sollen. Die auf diese Weise "begründeten" Gewalttaten sollen dadurch besser "vermittelt" werden können. Wenige Wochen später, am 18. September 1986, verübten Angehörige der "Roten Zora" erneut einen Sprengstoffanschlag, diesmal auf die Gesellschaft für biotechnologische Forschung in Braunschweig. 33 Weitere aktuelle Anknüpfungspunkte für militante Aktionen "Revolutionärer Zellen" bietet derzeit die Asylrechtsdiskussion in der Bundesrepublik Deutschland. Mit einer ganzen Serie von Brandund Sprengstoffanschlägen vorwiegend im norddeutschen Raum unterlegten die RZ in den Monaten August bis Oktober 1986 ihren "Kampf gegen die verantwortlichen Instanzen der imperialistischen Flüchtlingspolitik in der BRD". Ziel ihrer Anschläge waren in erster Linie Verwaltungsund Justizeinrichtungen, die mit ausländerund asylrechtlichen Angelegenheiten betraut sind. Die Selbstbezichtigungsschreiben zu diesen Aktionen erschienen zusammengefaßt als neue Ausgabe des "Revolutionären Zorn", die überraschend im Oktober 1986 verbreitet wurde. "In den vergangenen Wochen haben wir eine Reihe von Aktionen gegen Institutionen der Abschreckung und Kontrolle von Flüchtlingen gemacht, die wir hier zusammenhängend dokumentieren." Dieses Sprachrohr der "Revolutionären Zellen" war in den Jahren 1975 bis 1981 nahezu regelmäßig einmal jährlich herausgegeben und unter konspirativen Umständen verbreitet worden. Die letzte Ausgabe war im Januar 1981 erschienen. Die neue Anschlagswelle der RZ erreichte am 28. Oktober 1986 einen vorläufigen Höhepunkt. Der Leiter der Berliner Ausländerbehörde wurde von zwei Unbekannten durch gezielte Schüsse in beide Beine schwer verletzt. In den am selben Tag bei verschiedenen Nachrichtenagenturen eingegangenen Selbstbezichtigungen wurde der Beamte als "Menschenjäger und Schreibtischtäter" bezeichnet, der für "den täglichen Terror" gegen Ausländer verantwortlich sei. Mit dieser Tat haben die "Revolutionären Zellen" ihren Grundsatz, in bewußtem Gegensatz zur RAF Angriffe nicht direkt gegen Personen zu richten, ein weiteres Mal verlassen. Bereits am 31. Mai 1978 hatten RZ-Angehörige - nach dem Beispiel der italienischen Terrorgruppe "Rote Brigaden" - durch ein Pistolenattentat einen Pflichtverteidiger im damaligen Strafverfahren gegen die Mörder des Kammergerichtspräsidenten von DRENKMANN in Berlin verletzt. Am 11. Mai 1981 fiel der hessische Wirtschaftsminister Heinz-Herbert KARRY in Frankfurt am Main einem Anschlag der RZ zum Opfer. Die unbekannt gebliebenen Täter hatten damals in einer Erklärung ihre Tötungsabsicht bestritten und den Tod des Ministers als Unfall dargestellt. 34 3. Zusammenschlüsse der "Neuen Linken" 3.1 Anarchistische Bestrebungen Anarchisten wollen jede staatliche Ordnung zersetzen oder zerschlagen, um schließlich den "Staat ganz abzuschaffen" und eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu errichten. Die Vorstellungen über die dabei einzuschlagenden Wege und einzusetzenden Mittel sowie über das genaue Ziel sind überaus unterschiedlich. 3.1,1 Autonome Gruppen Aufgrund ihrer weiter gewachsenen Militanz sind "die Autonomen" zunehmend in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Obwohl diese gewaltbereiten, häufig anarchistisch orientierten losen Zusammenschlüsse bereits seit Anfang der achtziger Jahre aktiv sind, haben Heftigkeit und Ausmaß der Auseinandersetzungen seit dem Reaktorunfall in der UdSSR im April 1986 stark zugenommen. Gewalttätige Ausschreitungen bei Demonstrationen - etwa gegen die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks in Brokdorf oder gegen den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in Wackersdorf - haben mögliche letzte Zweifel an den wirklichen Absichten dieser Extremisten beseitigt. Nicht die Besorgnis über die mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie verbundenen GefahPublikationen der "Neuen Linken" 35 ren ist das eigentliche politische Leitmotiv der "Autonomen", sondern die Möglichkeit, den verhaßten Staat anzugreifen. Dies läßt sich nicht nur an der gewachsenen Brutalität der Gewalttäter ablesen, sondern auch an ihren Parolen: "Wir begreifen unsere Demos . . . als Teil des Widerstands gegen dieses System." Mit gleicher Deutlichkeit wird in der "autonomen" Zeitschrift "Freiraum" Nr. 12 formuliert: "Die Notwendigkeit, daß dieser Staat zerschlagen werden muß, wird immer offensichtlicher, eben nicht nur wegen Wahnsinnsprojekten wie der WAA, sondern wegen dem ganzen Schweinesystem, was zugegebenermaßen ziemlich reibungslos funktioniert." Die militanten Autonomen sind bundesweit inzwischen offenkundig besser ausgerüstet und organisiert als in den vergangenen Jahren. Obwohl ein zentrales Steuerungsgremium nach wie vor fehlt, haben die koordinierenden Kontakte zwischen den zahlreichen örtlichen Zusammenschlüssen deutlich zugenommen. Darüber hinaus wirken illegale Sender, Telefonketten sowie die verschiedenen Publikationen dieser "Szene" als Steuerungsinstrumente. Beleg für die inzwischen erlangte Schlagkraft und die gewachsenen Möglichkeiten der Abstimmung war, daß sich die Autonomen am 7. Juni 1986 gleichzeitig auf Großdemonstrationen gegen das Kernkraftwerk in Brokdorf und gegen den Bau der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in Wackersdorf aufteilen konnten, ohne an Wirkung einzubüßen. In beiden Fällen kam es aus dem Schutz der Masse friedlicher Demonstranten heraus zu schwersten Ausschreitungen. Am gleichen Tag mobilisierten außerdem "autonome Antifaschisten" eine Protestaktion gegen den in Stuttgart stattfindenden Bundesparteitag der neonazistisch gesteuerten "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP): "Trotz Wackersdorf und Brokdorf halten wir es für wichtig, nach Stuttgart zu gehen, um unsere kräfte gleichzeitig aufzuteilen. Wir begreifen die demos nicht als konkurrenzkämpfe, sondern als gleichwertigen teil eines Widerstandes gegen dieses System . . . Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft! Drei Aktionen - ein kämpf!" Insgesamt ist unübersehbar, daß die Militanten aus den Erfahrungen früherer Auseinandersetzungen gelernt haben und dadurch gefährlicher geworden 36 sind. Zudem ist die Hemmschwelle bei der Anwendung von Gewalt deutlich gesunken. Erschreckend ist dabei die zunehmende Brutalität, mit der diese Gewalttäter inzwischen gegen Polizeibeamte, gegen politische Gegner und immer häufiger auch gegen Unbeteiligte vorgehen. Der sprunghaft gestiegene militante Aktionismus zeigt sich deutlich auch außerhalb gewaltsam verlaufender Veranstaltungen. Brandanschläge, Sabotagehandlungen und Sachbeschädigungen vernichten täglich hohe Sachund Vermögenswerte. Die Anschläge mit Millionenschäden - etwa auf Computeranlagen, Geldinstitute, Firmen, Maschinenparks, Bundeswehreinrichtungen und öffentliche Gebäude - häufen sich und werden ergänzt durch eine Vielzahl kleinerer Gewaltakte. So wurde am 23. Juni 1986 in Heidelberg auf ein Unternehmen, das von den Tätern mit dem Bau der WAA in Wackersdorf in Verbindung gebracht wurde, ein Brandanschlag verübt. In einer Erklärung zu dieser Aktion heißt es: "Wir tragen (damit) den Kampf gegen die WAA in Wackersdorf dorthin, wo die Betreiber, Unterstützer und Profiteure in Ruhe sitzen und planen . . . Mit direkten "Angriffen auf alle an diesem Geschäft Beteiligten wollen wir diesen die Ruhe und Sicherheit nehmen, aus der sie heute noch planen und handeln können: zerstören auch damit ihre Hoffnung, daß sich der Widerstand vor dem Bauzaun austobt und totläuft." Seit dem Reaktorunfall in Tschernobyl sind insbesondere Strommasten zum bevorzugten Anschlagsziel militanter Autonomer geworden. Bis Ende 1986 sind bundesweit auf insgesamt 135 Masten Anschläge verübt worden und immense Sachschäden entstanden. In zahlreichen Schriften der autonomen "Szene" wurde das Sprengen und Umsägen solcher Strommasten detailliert beschrieben nach dem Motto: " . . . wir hoffen, i h r . . . habt vor allen dingen erkannt, daß diese art der militanz nicht nur notwendig, sondern für jeden machbar ist. Schließt euch an, bezieht positiv Stellung!" Mit besonderer Aufmerksamkeit muß der Tatsache begegnet werden, daß einzelne militante Zirkel immer deutlicher Sympathie gegenüber dem Vorgehen terroristischer Gruppen wie der RAF äußern. Diese Annäherung, die - wie bereits ausgeführt - von der RAF und deren Unterstützern ermutigt und gefördert wird, könnte zu einer weiteren Stärkung des terroristischen Potentials führen. 37 Aufkleber militanter Autonomer Das Potential der zahlenmäßig schwer eingrenzbaren gewaltbereiten Autonomen ist in Baden-Württemberg wieder auf etwa 350 Personen gestiegen. Eindeutiger Schwerpunkt blieb Freiburg, weitere "autonome" Zusammenschlüsse agieren in Karlsruhe, im Raum Stuttgart, in Tübingen sowie in Ravensburg. In Freiburg spielt auch der "Häuserkampf" noch immer eine gewisse Rolle. Bei der Räumung von zwei seit Jahren besetzten Häusern kam es im Juli und August 1986 erneut zu gewalttätigen Ausschreitungen. Offensichtlich im Zusammenhang mit der Räumung eines dieser Gebäude stand auch ein Brandanschlag auf das technische Rathaus der Stadt am 5. August 1986, bei dem ein Sachschaden von mindestens 100.000 DM entstand. In einem damals verbreiteten Flugblatt formulierten Angehörige der Freiburger "Szene" ihr eigentliches Ziel: "Wir müssen Landesregierung und Stadtverwaltung einen Strich durch die Rechnung machen. Bringen wir ständig .Unruhe' und ,Chaos' in diese Stadt 38 3.1.2 Anarcho-syndikalistische Gruppen Nach wie vor sind im Bundesgebiet auch verschiedene anarcho-syndikalistisch geprägte Gruppierungen mit unterschiedlichen Vorstellungen aktiv. Dominierend unter diesen Zirkeln ist die nach internen Streitigkeiten neu formierte "Freie Arbeiter-Union" (FAU). Sie verfügt bei etwa 150 Mitgliedern bundesweit über mehr als 20 Kontaktstellen bzw. Stützpunkte (in Baden-Württemberg in Stuttgart und Baden-Baden). Ihre wichtigste Aufgabe sieht sie im Aufbau einer militant-revolutionären Gewerkschaftsbewegung und in der Organisierung des Widerstandes in den Betrieben. Die FAU propagiert die Selbstorganisation der Arbeiter in "unabhängigen Basisgruppen, die ihre eigenen Entscheidungen treffen" und "miteinander auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zusammengeschlossen sind". Ihr Ziel ist die Schaffung einer herrschaftslosen, ausbeutungsfreien, auf Selbstverwaltung begründeten Gesellschaft, die sie mittels sogenannter direkter Aktionen wie Streik, Boykott, Fabrikbesetzung und Sabotage zu verwirklichen hofft. Überregionales Sprachrohr der "Freien Arbeiter-Union" (FAU) ist die zweimonatlich erscheinende Publikation "direkte aktion". Die bislang ausschließlich im Heidelberger Raum tätige "Freie Arbeiter Union - Heidelberg (Anarchisten) - FAU-HD (A) will ihre politische Arbeit nicht auf Betriebe und Gewerkschaften beschränken. Sie strebt im Gegensatz zur anarcho-syndikalistischen FAU die "bundesweite Organisierung der revolutionären Anarchisten" und damit den Aufbau einer anarchistischen Partei als "Avantgardeorganisation" an. Unter Führung dieser Partei soll dem "kapitalistischen Ausbeutersystem durch die bewaffnete Revolution ein Ende gesetzt werden, um dann unter der Diktatur des Proletariats die sozialistische Umgestaltung bis hin zur klassenlosen, freien Gesellschaft voranzutreiben". Publizistisch macht die FAU-HD (A) durch ihre vierteljährlich erscheinende Zeitung "Fanal" auf sich aufmerksam. Eine Zeitschrift mit gleichem Titel wird von der ihr angegliederten Studentenorganisation FAUST veröffentlicht. Als Herausgeber der bundesweit vertriebenen anarchistischen Vierteijahresschrift "schwarzer FADEN" kommt dem "Forum für libertäre Information" (FLI) in Grafenau/Kreis Böblingen eine gewisse überregionale Bedeutung zu. Dem FLI geht es vor allem darum, den "Kommunikationsgrad unter den Anarchisten hierzulande zu fördern". 3.1.3 Anarchistische "Gewaltfreie Aktionsgruppen" Die aus verschiedenen "Gewaltfreien Aktionsgruppen" bestehende "Graswurzelbewegung" mit ihren insgesamt etwa 800 Anhängern ist unverändert die mitgliederstärkste und zugleich aktivste Strömung innerhalb der anarchistischen Bewegung. 39 Bundesweite Koordinierungsstelle der "Graswurzelbewegung" blieb die bereits 1980 durch den Zusammenschluß mehrerer Gruppen gegründete, anarchistisch ausgerichtete "Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen" (FöGA). Ideologische, organisatorische und finanzielle Streitigkeiten haben indes 1986 zu größeren internen Schwierigkeiten und zu einer größeren Fluktuation der Anhänger geführt. In Baden-Württemberg gehören der FöGA nur wenige "Gewaltfreie Aktionsgruppen" an. Ideologische Grundposition der FöGA ist das Konzept einer "gewaltfreien Revolution", der sogenannten Graswurzelrevolution, mit der eine "tiefgreifende gesellschaftliche Umwandlung" erreicht werden soll. Durch die "Macht von der Basis her" will sie alle Arten von "Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt" beseitigen. Ziel ist eine "dezentralisierte Gesellschaftsordnung, die auf Selbstregierung oder Anarchie beruht". Der Weg zu dieser Gesellschaftsveränderung ist nach Auffassung der FöGA allerdings nicht ohne Konfrontation mit dem Staat möglich. Wesentlicher Teil des "Kampfes" sind die verschiedenen Formen des "Zivilen Ungehorsams" durch gezielte und bewußte Übertretung von Gesetzen (Besetzungen, Blockaden). Entgegen dem von der FöGA offiziell propagierten Prinzip der Gewaltlosigkeit wird auch Sabotage - unter Ausschluß personenverletzender Gewalt - als geeignete Maßnahme zur Vernichtung der bestehenden Herrschaftsstrukturen angesehen. Die FöGA konzentrierte sich im Jahre 1986 außer auf aktuelle Themen vor allem auf die Bereiche Antimilitarismus, Ökologie, Friedenssowie Anti-AKWAktionen. Sprachrohr der Föderation ist das monatlich erscheinende Organ "Graswurzelrevolution". 3.2 Revolutionär-marxistische Organisationen 3.2,1 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) war 1982 als Nachfolgeorganisation des "Kommunistischen Arbeiterbundes Deutschlands" (KABD) gegründet worden. Dieser Schritt wurde damit gerechtfertigt, daß die "westdeutsche Arbeiterklasse" nach der "revisionistischen Entartung der 1956 verbotenen KPD" dringend eine wirklich revolutionäre Partei benötige. Mit der Gründung der MLPD ist nach Meinung der handelnden Kommunisten die Grundvoraussetzung für den erfolgreichen Kampf der Arbeiterklasse zur Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung geschaffen worden. Erklärtes Ziel der Partei ist der "Sturz der Diktatur der Monopolkapitalisten" und die "Errichtung der Diktatur des Proletariats" auf der Grundlage der Lehren von MARX, ENGELS, LENIN, STALIN und MAO TSE-TUNG. Sie verteidigt 40 insbesondere MAOs Idee von der "Großen Proletarischen Kulturrevolution", die gezeigt habe, "wie der Sozialismus nicht nur errichtet, sondern auch erhalten und gefestigt werden kann". Unverändert scharf ist daher auch die Kritik der MLPD an den meisten kommunistischen Parteien der Welt, denen sie vorwirft, auf den "revisionistischen Kurs" der "Kommunistischen Partei der Sowjetunion" (KPdSU) eingeschwenkt zu sein. Der "Kommunistischen Partei Chinas" (KPCh) wirft sie vor, nach dem Tode MAOs den Kapitalismus restauriert zu haben. Für die MLPD stellt sich deshalb die "Beseitigung der kapitalistischen und die Errichtung der sozialistischen Gesellschaftsordnung" gleichermaßen für alle "Werktätigen in Ost und West" als zwingende geschichtliche Notwendigkeit dar. Die Organisation ließ auch im vergangenen Jahr keine Zweifel daran aufkommen, daß dieses Ziel nur unter Anwendung von "revolutionärer Gewalt" zu erreichen ist. Dies verdeutlichte eine "Presseerklärung des Zentralkomitees der MLPD zum Attentat der RAF in Straßlach bei München", veröffentlicht im Zentralorgan der Partei "Rote Fahne" Nr. 28 vom 12. Juli 1986. Darin wird zunächst die Ermordung des SIEMENS-Managers und seines Fahrers "ganz entschieden" als ein "Akt individuellen Terrors" verurteilt, der dem "berechtigten Kampf der Werktätigen . . . für eine sozialistische Gesellschaft" schade und der nur helfe, "die bürgerlich demokratischen Rechte und Freiheiten" weiter abzubauen. Nach Ansicht des "Zentralkomitees" nützten solche Taten letztendlich nur dem "Staatsapparat", dem es dadurch ermöglicht werde, " . . . die Arbeiterbewegung und ihr revolutionäres Ziel, den Sozialismus, zu kriminalisieren und den Marxismus-Leninismus als geistigen Vater des individuellen Terrors zu diffamieren. So soll den werktätigen Massen das Recht abgesprochen werden, sich zum gegebenen Zeitpunkt und nach freiem Entschluß mit revolutionärer Gewalt von Ausbeutung und Unterdrückung zu befreien . . . " Trotz eines mit erheblichem Aufwand betriebenen "sozialistischen Wettbewerbs zur Gewinnung neuer Mitglieder" vermochte es die MLPD im vergangenen Jahr nicht, ihren Mitgliederbestand weiter zu erhöhen. Er blieb bundesweit mit rund 1.300 Personen praktisch unverändert. Ähnlich verlief die Entwicklung in Baden-Württemberg, wo nach wie vor etwa 650 Personen in der Partei organisiert sind. Daneben kann sich die Organisation auf einen zahlenmäßig nur schwer eingrenzbaren Kreis von Sympathisanten stützen. Die MLPD hat sich 1986 verstärkt darum bemüht, den Aufbau des Parteiapparats weiter voranzutreiben. Nach Abschluß der von der Partei durchgeführten "Reorganisation" der Bezirke (Teilung von bestehenden sowie Gründung neuer Bezirke) verfügt die MLPD derzeit bundesweit über 15 Bezirksverbände (1985: 11 Bezirke), die vom Führungsgremium der Partei, dem "Zentralkomitee" (Sitz: Essen), politisch angeleitet und straff geführt werden. Auch die Bezirke in Baden-Württemberg waren im vergangenen Jahr von Änderungen in der Organisationsstruktur betroffen. Danach gliedert sich die MLPD jetzt in die 41 vier Bezirksverbände Nordbaden, Südbaden, Nordwürttemberg und Südwürttemberg, denen derzeit insgesamt 29 Orts-, Stadtteilund Wohngebietsgruppen nachgeordnet sind. Der Finanzbedarf der MLPD für den gesamten Parteiapparat und für die vielfältigen Aktivitäten wurde offenbar auch im Jahre 1986 allein aus dem Beitragsund dem nicht unerheblichen Spendenaufkommen der Mitglieder und Anhänger bestritten. Hinweise über eine Fremdfinanzierung liegen nicht vor. Zur Steigerung ihres Bekanntheitsgrades und zur Mobilisierung für die "sozialistische Alternative" beteiligte sich die MLPD erstmals an der Bundestagswahl am 25. Januar 1987. Bisher hatte die Organisation nur bei Landtagsund Kommunalwahlen kandidiert. Um ihre ohnehin nur geringen Erfolgsaussichten zu verbessern, hatte sie zunächst die anderen Vereinigungen der "Neuen Linken" zur Bildung einer "Aktionseinheit bei den Bundestagswahlen '87" in Form einer "offenen Liste zur MLPD" aufgefordert. Nachdem die MLPD durchweg auf Ablehnung stieß, entschloß sie sich, allein zu kandidieren. Unter der Parole "Vorwärts mit unserer sozialistischen Alternative" nominierte die MLPD in allen Bundesländern Landeslisten. Die MLPD erreichte jedoch nur 13.422 Zweitstimmen ( = 0,0%) - in Baden-Württemberg 3.512 Zweitstimmen ( = 0,1%). Ein weiterer Schwerpunkt der Parteiarbeit war im abgelaufenen Jahr wiederum die - überwiegend verdeckt betriebene - Betriebsund Gewerkschaftsarbeit. Welch hohen Stellenwert die MLPD diesem Bereich beimißt, ergibt sich aus den eigens hierfür erstellten "Richtlinien für die Betriebsund Gewerkschaftsarbeit": Jeder Kommunist muß aktiv in den Gewerkschaften arbeiten, das heißt, sich für die Ausbreitung und Stärkung der Gewerkschaften einsetzen, um beizutragen, daß die Gewerkschaften zu starken Kampforganisationen der Arbeiterklasse werden . . . In der gewerkschaftlichen Aktivität müssen sie vorwärtstreibend vorangehen, sich mutig an die Spitze stellen, um so die führende Rolle der Partei zu verwirklichen." Äußerst empfindlich reagierte die MLPD deshalb auf die zunehmende Zahl von Gewerkschaftsausschlüssen einzelner Mitglieder. Dies führte auch 1986 wieder zu scharfen Angriffen gegen Einzelgewerkschaften, die in der Forderung "Weg mit den undemokratischen Unvereinbarkeitsbeschlüssen" gipfelten. Bei ihrer öffentlichen Agitation stützt sich die MLPD auf ein umfangreiches Publikationswesen. Druck und Vertrieb der zahlreichen Zeitschriften, Broschüren und Flugblätter erfolgen im wesentlichen über den Verlag "Neuer Weg" (dessen Sitz 1986 von Stuttgart nach Düsseldorf verlegt wurde) sowie über die "Ernst-Thälmann-Buchhandlungen" in Stuttgart und Essen. Wichtigstes Propagandamittel ist das in einer wöchentlichen Auflage von etwa 10.000 Exemplaren erscheinende Zentralorgan "Rote Fahne". Ferner werden von der MLPD 42 MLPD-Zeitungen die Zeitschriften - "Revolutionärer Weg" und - "Lernen und kämpfen" herausgegeben, die vorrangig für Mitglieder bestimmt sind und in denen vor allem ideologische Fragen und Probleme des Parteiaufbaus erörtert werden. Unter dem Namen "Arbeiter und Bauern im ganzen Land kämpfen gemeinsam Hand in Hand" gibt die MLPD seit 1986 auch eine eigene "Zeitung für Kleinund Mittelbauern" heraus. Mit großem Nachdruck wird ferner die Herstellung sogenannter Kleinzeitungen in den einzelnen Bezirksverbänden betrieben. In Baden-Württemberg hat sich allerdings die Gesamtzahl der in unterschiedlicher Aufmachung verbreiteten Betriebs-, Branchenund Stadtbzw. Stadtteilzeitungen vermindert: Zahl der MLPD-Kleinzeitungen in Baden-Württemberg (Zahlen in Klammern: Stand 1985) Betriebszeitungen Branchenzeitungen Stadt-/Stadtteilzeitungen 27 (35) 2 (2) 12 (12) 43 Als eine der wichtigsten parteiinternen Aufgaben betreibt die MLPD die Schulung ihrer Mitglieder und Anhänger. So hat die Organisation in GelsenkirchenHorst ein ehemaliges Lehrlingsheim gekauft, um dort ein "Arbeiterbildungszentrum" einzurichten. Zur Unterstützung und Durchsetzung ihrer politischen Ziele bedient sich die MLPD ihrer bundesweit tätigen Nebenorganisationen: - "ARBEITERJUGENDVERBAND (Marxisten-Leninisten)" - AJV/ML - "Marxistisch-Leninistischer Schülerund Studentenverband" (MLSV) - "Marxistisch-Leninistischer Bund Intellektueller" (MLBI). Die Partei hat 1986 die in den Vorjahren begonnene Reorganisation ihrer sogenannten Massenorganisationen weiter vorangetrieben. Sichtbares äußeres Zeichen hierfür war die - bereits Ende Dezember 1985 - vorgenommene Umbenennung des "Revolutionären Jugendverbands Deutschlands" (RJVD) in "ARBEITERJUGENDVERBAND (Marxisten-Leninisten)" - AJV/ML. Gleichzeitig wurde mit dem Aufbau einer Kinderorganisation "ROTFÜCHSE" begonnen. 3.2.2 " Vereinigte Sozialistische Partei" (VSP) Die älteste Gruppierung der "Neuen Linken", die 1968 gegründete "Kommunistische Partei Deutschlands (Marxisten-Leninisten)" - KPD, und die trotzkistische "Gruppe Internationale Marxisten" (GIM) haben 1986 ihre seit zwei Jahren geführte Diskussion über einen Zusammenschluß der beiden Organisationen mit einem "Vereinigungskongreß" beendet. Auf der am 4. und 5. Oktober 1986 durchgeführten "Gründungskonferenz einer neuen sozialistischen Organisation" beschlossen die paritätisch aus den Reihen der GIM und der KPD gewählten Delegierten die Fusion der beiden Gruppen unter dem Namen "Vereinigte Sozialistische Partei" (VSP). Darüber hinaus wählten die Delegierten das neue - 32 Personen umfassende - "Zentralkomitee" und verabschiedeten das Programm und das Statut sowie eine "Resolution zum Selbstverständnis der neuen Organisation". Die neue Gruppierung versteht sich "als eine, wenn auch kleine, revolutionäre Arbeiterpartei", deren vordringliche Aufgabe es ist, die weitere "Zersplitterung der sozialistischen Linken" zu verhindern und damit einen Beitrag zum "Aufbau einer wirklichen sozialistischen Massenpartei" zu leisten. Erklärtes Ziel ist der "Sturz der kapitalistischen Herrschaft" und die Eroberung der politischen Macht durch die "Arbeiterklasse". Um dieses Ziel zu erreichen, wird auch die Anwendung von Gewalt nicht ausgeschlossen. Wegen der Vereinigungsbestrebungen war es sowohl innerhalb der KPD als auch der GIM zu teilweise heftigen Auseinandersetzungen gekommen, die dazu führten, daß zahlreiche Anhänger ihre Organisation schon vor dem Zusammenschluß verließen. Die VSP verfügt derzeit bundesweit über einen Mitglie44 derbestand von knapp 600 Personen. In Baden-Württemberg sind etwa 50 bis 60 Personen der neuen Gruppierung zuzurechnen. Einer der ersten Beschlüsse für die künftige praktische politische Arbeit regelt die Herausgabe einer neuen gemeinsamen Zeitung mit dem Titel "Sozialistische Zeitung" (SoZ). Sie erscheint vierzehntäglich; die erste Ausgabe wurde bereits am 6. November 1986, wenige Tage nach der Organisationsgründung, verbreitet. Die ehemalige Jugendorganisation der KPD, die "Kommunistische Jugend Deutschlands" (KJD), und die 1984 mit Unterstützung der GIM gegründete .Revolutionär-Sozialistische Jugend - Roter Maulwurf" (RSJ-Roter Maulwurf) hatten bereits am 20./21. September 1986 in Hagdorn ihren Vereinigungskongreß durchgeführt und sich zu einer neuen Organisation mit dem Namen "Autonome Sozialistische Jugendgruppen" (ASJG) zusammengeschlossen. 3.2.3 "Bund Westdeutscher Kommunisten" (BWK) Der im September 1980 von ehemaligen Angehörigen des "Kommunistischen Bundes Westdeutschland" (KBW) gegründete "Bund Westdeutscher Kommunisten" (BWK) setzte seine in den Vorjahren begonnene Strategieund Programmdiskussion fort, ohne jedoch bislang das seinerzeit vom KBW übernommene Programm - mit klarem Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus - außer Kraft zu setzen. Im Zentrum dieser Diskussion standen die Bemühungen um eine Verbesserung der Zusammenarbeit aller "revolutionären Sozialisten". Offensichtlich hat der BWK aus diesem Grund seinen früher erhobenen Anspruch aufgegeben, die einzige Organisation zu sein, die in der Lage ist, den "gesamten Widerstand der unterdrückten Massen in einer kommunistischen Partei" zu organisieren. Eine "Reihe von Aufgaben, die bisher im Organisationsrahmen des BWK abgewickelt worden sind", werden deshalb jetzt im "Rahmen von Bündnissen" durchgeführt. Diese Entwicklung habe die Organisation gewollt und werde sie "weiter fördern". Auf der 7. ordentlichen Delegiertenkonferenz Anfang 1987 soll deshalb eine Neufassung des Statuts des BWK beschlossen werden. Folge dieser bündnispolitischen Konzeption war, daß es dem BWK im Jahre 1986 gelang, seinen Einfluß in der ehemaligen KPD-"Massenorganisation" VOLKSFRONT weiter auszubauen. So sind inzwischen knapp ein Drittel der insgesamt etwa 600 VOLKSFRONT-Mitglieder gleichzeitig Angehörige des BWK. Die verstärkten Bündnisbemühungen vermochten jedoch die seit Jahren anhaltende Aktionsmüdigkeit der eigenen Mitglieder nicht zu überwinden. Gleichwohl verzichtete der BWK nicht gänzlich auf öffentliche Aktivitäten. So kandidierte er - ohne nennenswerten Erfolg - als einzige Organisation der "Neuen Linken" im November 1986 bei der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft. 45 Daneben war der BWK bemüht, sich mit der Herausgabe seiner vierzehntäglich im Verlag "Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung -Verlagsgesellschaft Politische Berichte mbH" (GNN) in Köln erscheinenden Zeitschrift "Politische Berichte" wenigstens in bescheidenem Maße öffentliche Beachtung zu verschaffen. Die Mitgliederzahl der Organisation stagniert bundesweit bei etwa 400 Personen, die nach wie vor in sieben Landesverbänden organisiert sind. Dem Landesverband Baden-Württemberg gehören unverändert etwa 100 Personen an. 3.2.4 "Kommunistischer Bund" (KB) Der im November 1971 gegründete "Kommunistische Bund" (KB), der unverändert über etwa 400 Mitglieder verfügt, konzentrierte seine Aktivitäten auch 1986 weitgehend auf den norddeutschen Raum. In Baden-Württemberg sind nur wenige Anhänger aktiv, die sich fast ausschließlich auf das Verbreiten der monatlich erscheinenden Zeitung "Arbeiterkampf" sowie auf die gelegentliche Beteiligung an Aktionsbündnissen unterschiedlicher Zielrichtungen beschränken. 3.2.5 "Marxistische Gruppe" (MG) Eine Sonderstellung innerhalb der "Neuen Linken" nimmt nach wie vor die "Marxistische Gruppe" (MG) ein, die Ende der siebziger Jahre aus den Hochschulgruppen der "Roten Zellen" entstanden ist. Sie hat sich mittlerweile zur mitgliederstärksten Organisation der "Neuen Linken" entwickelt. Die MG ist gekennzeichnet durch einen streng hierarchischen Aufbau, straffe Disziplin und intensive Schulung ihrer Anhänger sowie durch strenge Abschirmung des Verbandslebens nach innen wie nach außen. Sie entspricht insoweit einer marxistisch-leninistischen Kaderorganisation. Programmatisch lehnt sie jedoch den Leninismus in seiner dogmatischen Form ab und greift nur dann auf ihn zurück, wenn ihr dies aus taktischen Gründen opportun erscheint. Die MG hat bis heute keine politischen Grundsatzdokumente wie Programm und Statut veröffentlicht, die zu einer verläßlichen Bestimmung ihres politischen Standorts hätten beitragen können. Ihre Zielvorstellungen ergeben sich statt dessen aus einer Vielzahl von Dokumenten und sind auch dort häufig in verschleierter Form dargestellt. Allerdings läßt die Vereinigung keinen Zweifel daran, daß sie den Staat zerschlagen will. Die MG diffamiert die Demokratie als "Staatsform der bürgerlichen Ausbeutung" und tritt dafür ein, diese auf dem Weg über die sozialistische Revolution abzuschaffen. Voraussetzung dafür sei der "Klassenkampf", an den die Organisation das "Proletariat" heranführen will. Zur Realisierung dieser Absicht schließt die MG - ähnlich wie andere extremistische Vereinigungen - auch die Anwendung von Gewalt nicht aus. 46 Organisatorischer Schwerpunkt der Vereinigung ist nach wie vor Bayern. Allerdings gelang es der MG im Jahre 1986 nicht, ihren Mitgliederbestand weiter auszubauen. Bundesweit verfügt sie unverändert über etwa 1.700 Mitglieder (Baden-Württemberg 85) sowie über mehrere tausend in "Sympathisantenplena" fest eingebundene Anhänger. Die MG ist auch weiterhin intensiv bemüht, den Einblick in Interna der Vereinigung zu verhindern. So werden Informationen über örtliche Gliederungen, die gesamte Organisationsstruktur und die Zusammensetzung der Führungsgremien selbst Sympathisanten gegenüber strikt zurückgehalten. Die Gruppe finanziert sich über sehr hohe Mitgliedsbeiträge und durch den Verkauf von Publikationen. Zentrale Organe sind die monatlich erscheinende "Marxistische Streitund Zeitschrift" (MSZ), die vom Verlag der MG "Verein zur Förderung des studentischen Pressewesens e.V." in München vertrieben wird, sowie die "Marxistische Arbeiterzeitung" (MAZ). Daneben erscheint eine Vielzahl örtlicher Hochschulund Schulzeitungen sowie Betriebs-, Branchenund Regionalausgaben der MAZ. Mit der Herausgabe der MAZ, die immer häufiger vor Großbetrieben verteilt wird, versucht die MG, aus dem universitären Betätigungsfeld herauszukommen und in den Arbeitnehmerbereich vorzudringen. Die MG führte auch 1986 wieder eine Vielzahl von öffentlichen Veranstaltungen durch, die ihren Bekanntheitsgrad weiter erhöhen sollten und in denen sie tagespolitische Themen ("Krieg im Mittelmeer - Bombenterror gegen Libyen", "Die Gewerkschafter demonstrieren zum SS 116 AFG", "Wegen und nach Tschernobyl! Vom Nutzen der Wissenschaft im .Atomzeitalter'") behandelte und agitatorisch in ihrem Sinne auszuschlachten versuchte. Die MG bemüht sich in Baden-Württemberg weiter darum, den Aufbau ihrer Organisation voranzutreiben. Jedoch ist auch hier eine gewisse Stagnation unübersehbar. So konnte die Vereinigung ihren Mitgliederbestand von 85 Personen zunächst nicht ausbauen. Hinzu kommt allerdings ein Sympathisantenkreis von annähernd 100 Personen. Die zahlenmäßig größten Gruppen bestehen in Tübingen und Stuttgart; in beiden Städten befinden sich auch MGBuchläden. Aktivitäten, die auf Stützpunkte schließen lassen, sind in Heidelberg, Mannheim und Sindelfingen erkennbar. 3.3 Trotzkistische Vereinigungen Die zahlenmäßig kleinen trotzkistischen Zusammenschlüsse wie die "Trotzkistische Liga Deutschlands" (TLD), der "Bund Sozialistischer Arbeiter" (BSA), die "Internationale Sozialistische Arbeitergruppe" (ISA) sowie die "Sozialistische Liga" konnten in Baden-Württemberg keine nennenswerten Aktivitäten mehr entfalten. 47 4. Organisationen der "Alten Linken" 4.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 4.1.1 Ideologisch-politischer Standort Die 1968 konstituierte "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) sieht sich in der Bundesrepublik Deutschland in der Tradition der historischen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) stehend, als die Partei, die "das Erbe Ernst THÄLMANNs hochhält". Sie versteht sich als "die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse der Bundesrepublik Deutschland", deren "politischer Kompaß" und "wissenschaftliches Fundament" durch die "Lehren von MARX, ENGELS und LENIN" begründet wird. Als "untrennbarer Bestandteil der kommunistischen Weltbewegung" vertritt die DKP ohne jede Abweichung die von der "Kommunistischen Partei der Sowjetunion" (KPdSU) und der "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED) vorgegebene politische Linie. Diese immer wieder hervorgehobene "brüderliche Verbundenheit" mit der kommunistischen Weltmacht unterstrich sie erneut auf ihrem 8. Parteitag, der vom 2. bis 4. Mai 1986 in Hamburg stattfand. Die Chance nutzen! DKP-Plakat 48 Das im Jahre 1978 in Mannheim beschlossene Parteiprogramm, in dem die DKP ihre Vorstellungen von einer "sozialistischen Bundesrepublik" dargelegt hatte, bildet weiterhin die "strategische Orientierung" für diese moskautreuen Kommunisten. Indes will die DKP mit den auf dem letzten Parteitag einstimmig verabschiedeten "Thesen" zu den Veränderungen seit 1978 Stellung beziehen. Mit dieser aktuellen Ergänzung des Programms soll die Partei in die Lage versetzt werden, "das Kräfteverhältnis zugunsten der Arbeiterklasse und der anderen demokratischen Kräfte zu verändern und eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt herbeizuführen." Auch in diesem Dokument erneuert die DKP ihr verfassungsfeindliches Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als Anleitung für ihr Handeln und ihre Forderung nach einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik Deutschland. 4.1.2 Organisation, Mitgliederentwicklung und Finanzierung Die DKP bleibt unangefochten die mitgliederstärkste linksextremistische Organisation in der Bundesrepublik Deutschland. Allerdings ist sie trotz erheblicher Anstrengungen ihrem erklärten Ziel, den "Massencharakter einer Arbeiterpartei" zu erreichen, nicht nähergekommen. Dennoch hält die Führung unbeirrt daran fest, den Einfluß der Partei auf direktem und indirektem Wege zu vergrößern: "Die DKP hat in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre viel geleistet. Der Kampf um Frieden und Arbeit stellt heute jedoch neue noch größere Anforderungen. Sie zu bewältigen erfordert die Stärkung der DKP in neuen Maßstäben: durch die Erweiterung ihres Masseneinflusses, durch die Weiterentwicklung der Aktionseinheitsund Bündnispolitik, durch Festigung und Ausbau kommunistischer Positionen in den Betrieben. Das alles macht die Gewinnung neuer Mitglieder für die Partei so wie die noch bessere politische und ideologische Befähigung aller Kommunisten zu einer vorrangigen Aufgabe." Freilich zeigt die seit Jahren andauernde tatsächliche Stagnation der Mitgliederzahlen, daß die DKP zumindest in diesem Bereich mit ihrer derzeitigen Politik an ihren Grenzen angelangt ist. So waren Mitte 1986 knapp 42.000 Personen in der DKP organisiert, eine Zahl, die dann gegen Jahresende wieder auf etwa 40.000 abflachte. Aus taktischen Gründen bleibt die Partei allerdings dabei, unverändert deutlich überhöhte Zahlen zu veröffentlichen. So behauptete der Vorsitzende MIES in seinem Rechenschaftsbericht an den 8. Parteitag im Mai 1986, der DKP gehörten jetzt 57.802 Mitglieder an. Bei diesen angeblichen Erfolgsmeldungen bleibt offensichtlich die "hohe Fluktuationsrate" völlig unberücksichtigt, die selbst nach internen Äußerungen ein ernstes Problem für die Partei darstellt. Der von der Führung seit Jahren behauptete Mitgliederzuwachs entspricht offenbar dem Bemühen, die Organisation nach außen und nach innen stärker erscheinen zu lassen, als sie es tatsächlich ist. 49 Die Partei hält starr an dogmatischen Positionen fest, so daß den Mitgliedern keinerlei Spielraum bei der Umsetzung neuer Ideen bleibt. So wurde denn auch in Baden-Württemberg auf sogenannten Aktivtagungen nach Abschluß des 8. Parteitags die Forderung erhoben, wenigstens in der Diskussion Kritik üben zu können, "um unsere Partei nach vorne zu bringen". Der DKP-Vorsitzende Herbert MIES stellte auf einer Tagung des Bundesvorstands zwar fest, daß auf dem 8. Parteitag die kritische Stimmung eines Teils der Delegierten "unüberhörbar" gewesen sei, doch bezeichnete er gleichzeitig den kritischen Beitrag eines Hamburger Delegierten zum Kernkraftwerksunglück in Tschernobyl als "verantwortungslos, selbstherrlich und parteischädigend". Es wird vor allem von der weiteren inneren Entwicklung der DKP abhängen, ob sie die Stagnation in der Mitgliederbewegung überwinden kann. In der Gliederung der Partei haben sich nur auf regionaler Ebene geringfügige Änderungen ergeben. Der DKP-Bezirksorganisation Baden-Württemberg mit Sitz in Stuttgart sind unverändert 23 Kreisorganisationen, diesen wiederum insgesamt 176 (1985: 166) Grundeinheiten (Wohngebiets-, Betriebsund Hochschulgruppen) nachgeordnet. Die leichte Zunahme der Zahl der Grundeinheiten ist im wesentlichen auf eine Teilung mehrerer mitgliederstarker örtlicher Gruppen zurückzuführen. In Baden-Württemberg verfügt die DKP unverändert über etwa 2.850 Mitglieder. Zahl der Grundeinheiten der DKP in Baden-Württemberg (Zahlen in Klammern: Stand 1985) Wohngebietsgruppen Betriebsgruppen Hochschulgruppen 118 (116) 51 (44) 8 (6) Die - insbesondere im Verhältnis zu ihrer Größe - überaus vielfältigen Aktivitäten der DKP sowie die Existenz eines umfänglichen hauptamtlichen Funktionärskörpers erfordern seit Jahren beträchtliche Aufwendungen. Der Großteil dieser Kosten wird direkt oder indirekt von der DDR getragen. Die Parteifinanzierung durch einen sozialistischen Staat, die sich in einer Höhe von deutlich über 60 Millionen DM jährlich bewegt, versetzt die relativ kleine DKP in die Lage, - einen aufwendigen und kostenintensiven Parteiapparat zu unterhalten, -zahlreiche hauptamtliche Funktionäre und Bedienstete zu entlohnen, - die Herstellungsund Vertriebskosten der teilweise in hoher Auflage erscheinenden Agitationsschriften zu bestreiten und sie kostenlos zu verteilen sowie - in großem Rahmen Parteitage, Zentralveranstaltungen, Volksund Pressefeste durchzuführen. 50 4.1.3 Publikationswesen und Schulung Die beherrschende Stellung, die sich die DKP im Bereich der linksextremistischen Presse aufgebaut hat, konnte von ihr auch im Jahre 1986 behauptet werden. Die Partei verfolgt mit der Herausgabe einer großen Zahl von Betriebs-, Wohngebietsund Stadtteilzeitungen sowie der stärkeren Verbreitung ihres Zentralorgans "Unsere Zeit" (UZ) den Zweck, der behaupteten "Meinungsmanipulation des Großkapitals" entgegenzuwirken. Die "UZ" erscheint täglich - seit dem 1. Oktober 1986 auch wieder mit einer Montagsausgabe. Allerdings ist es trotz größerer Anstrengungen nicht gelungen, die Auflage zu erhöhen. Sie stagniert seit längerem bei etwa 25.000 (Wochenendausgabe: etwa 48.000) Exemplaren. Vom DKP-Parteivorstand werden ferner herausgegeben: - d i e Zweimonatszeitschrift "Marxistische Blätter", - d i e Zeitschrift "praxis", - d e r "DKP-infodienst" und - d i e "DKP-Iandrevue". Daneben verbreitet in Baden-Württemberg der Bezirksvorstand - d a s "DKP-INFO für Arbeiter und Angestellte", DKP-Zeitungen 51 - den "DKP-Pressedienst" - die Publikation "DKP - das argument" und - d a s Wettbewerbs-Info "Schrittmacher". Außerdem bemühten sich die örtlichen Parteieinheiten auch 1986 um eine weitere Verbesserung der politischen Einflußmöglichkeiten durch die häufigere Herausgabe sogenannter Kleinzeitungen. Diese Flugschriften erscheinen zwar mancherorts nur unregelmäßig, teilweise aber in hoher Auflage. Insgesamt ist indes 1986 die Zahl der angebotenen Zeitungen nahezu gleichgeblieben. Zahl der DKP-Kleinzeitungen in Baden-Württemberg (Zahlen in Klammern: Stand 1985) Ortsund Stadtzeitungen 44 (43) Betriebszeitungen 31 (34) Hochschulzeitungen 5 (4) Die "Intensivierung und Differenzierung" der innerparteilichen Schulung hatte auch 1986 eine besondere Bedeutung. So erklärte ein DKP-Präsidiumsmitglied zur Eröffnung des Parteibildungsjahres 1986/87, aufgrund "beträchtlicher Fortschritte" in der Aktionseinheitsund Bündnispolitik und auch wegen der notwendigen schnellen Eingliederung neuer Parteimitglieder ergäben sich für die ideologische Arbeit "wachsende Anforderungen". Zugleich müßten noch immer bestehende Mängel überwunden werden. Seit Konstituierung der Partei habe es die marxistische Bildungsarbeit ermöglicht, daß "die DKP auch in äußerst komplizierten Situationen, unter starkem gegnerischen Druck als marxistische Arbeiterpartei ihre politische Geschlossenheit bewahrte. Das ist in hohem Maß darauf zurückzuführen, daß die ideologische Arbeit, insbesondere die marxistische Bildungsarbeit, bei uns immer einen gewichtigen Platz eingenommen hat." Neben umfangreicher marxistischer Literatur bietet die DKP insbesondere ihren Neumitgliedern eine Vielzahl von Bildungsund Schulungsmöglichkeiten an. In den örtlichen Grundeinheiten werden diese in regelmäßig stattfindenden Intervallen unter Anleitung von sogenannten Bildungsverantwortlichen ideologisch gefestigt. Zur Heranführung von Nichtmitgliedern an das kommunistische Gedankengut setzt die Partei insbesondere die überregional organisierte "Marxistische Arbeiterbildung" (MAB) ein. Darüber hinaus wird besonders geeigneten Mitgliedern und Funktionären der Besuch folgender Schulungsstätten ermöglicht: - "Institut für Marxistische Studien und Forschungen e.V." (IMSF) in Frankfurt am Main 52 - iTKarl-LIEBKNECHT-Schule" der DKP in Leverkusen - "Friedrich-ENGELS-Zentrum" in Wuppertal -SED-Parteischule "Franz MEHRING" in Ost-Berlin - "Institut für Gesellschaftswissenschaften" beim Zentralkomitee der KPdSU in Moskau. 4.1.4 Verlage und Druckereien Gemeinsam mit einigen von ihr beeinflußten Organisationen unterhält die DKP seit Jahren zum Zweck der Einwirkung auf die politische Meinungsund Willensbildung von Teilen der Bevölkerung eine umfangreiche Verlagsproduktion. Maßgeblichen Anteil daran haben bundesweit mehrere Verlage und verlagsähnliche Einrichtungen sowie etwa 30 "collektiv"-Buchhandlungen. Diese waren bisher in einer "Arbeitsgemeinschaft sozialistischer und demokratischer Verleger und Buchhändler" zusammengeschlossen. Es ist jedoch fraglich, ob diese "Arbeitsgemeinschaft" nach der inzwischen erfolgten Umstrukturierung von Teilen des Verlagswesens auch künftig noch bestehen wird. Die DKP und ihre Vorfeldorganisationen stützen sich vor allem auf die DKP"Hausdruckerei" "PLAMBECK & Co. Druck und Verlag GmbH" in Neuss. Dort werden neben vielen anderen Publikationen das DKP-Zentralorgan "Unsere Zeit" (UZ) und das von den kommunistisch beeinflußten Organisationen "Deutsche Friedens-Union" (DFU) und "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten" (WN-BdA) seit September 1983 gemeinsam herausgegebene Sprachrohr "Deutsche Volkszeitung/die tat" (DVZ/die tat) gedruckt. Von den Verlagen, die vorrangig in die kommunistische Propagandaarbeit einbezogen sind, ist vor allem der "Pahl-Rugenstein-Verlag" in Köln zu nennen. 4.1.5 Parteitag Der vom 2. bis 4. Mai 1986 in Hamburg durchgeführte 8. Parteitag der DKP, der unter dem Leitsatz "Für eine neue Politik - atomwaffenfreie Welt und Arbeit für alle" stand, verdeutlichte einmal mehr die enge politische Bindung an die kommunistischen Parteien des "real existierenden^Sozialismus". Insgesamt hatten 44 sogenannte Bruderparteien und sieben nationale Befreiungsbewegungen offizielle Delegationen entsandt. Als Gäste waren ferner Vertreter von 13 Botschaften sozialistischer Länder anwesend, darunter der Botschafter der UdSSR in der Bundesrepublik Deutschland, der Leiter der Ständigen Vertretung der DDR sowie erstmals ein Vertreter der Botschaft der Volksrepublik China. Wie schon bei früheren Parteitagen nahmen die von Spitzenfunktionären angeführten Delegationen der KPdSU und der SED einen besonderen Rang ein. Die Anwesenheit führender Vertreter dieser beiden Parteien unterstrich erneut deren Bemühen, ihre kleine "Bruderpartei" politisch aufzuwerten. 53 Sie würdigten die DKP zum wiederholten Male als eine Partei, die "unter nicht leichten Bedingungen ihren Kampf für Frieden, Demokratie und Sozialismus" führe. Das Unglück in dem sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl beschäftigte die Delegierten besonders. Dies zeigte sich auch am Ergebnis der Wahlen zum Parteivorstand. Dem wiedergewählten Parteivorsitzenden Herbert MIES verweigerten nicht weniger als 36 Delegierte ihre Stimme. Selbst die neugewählte Stellvertreterin (als Nachfolgerin des nicht mehr kandidierenden Hermann GAUTIER) Ellen WEBER mußte 21 Gegenstimmen oder Enthaltungen hinnehmen. Auch für weitere, überwiegend altgediente Funktionäre gab es Stimmenthaltungen und Gegenstimmen. Das schlechteste Ergebnis erzielte Georg POLIKEIT, der Chefredakteur des Zentralorgans "Unsere Zeit" (UZ), dem 59 Delegierte ihre Stimme versagten. Er war wegen seines UZ-Kommentars zu Tschernobyl offen kritisiert worden. Dieser für eine kommunistische Kaderpartei, die an einstimmige Ergebnisse gewöhnt ist, völlig ungewöhnliche Wahlausgang und die kontroverse Diskussion um Tschernobyl waren die überraschendsten Resultate des 8. Parteitags. Als wesentlichstes Ergebnis des Rechenschaftsberichts des Parteivorstandes ist die Überzeugung von der gewachsenen Bündnisfähigkeit der DKP hervorzuheben. Die DKP sei inzwischen "keine isolierte Kraft mehr", sie sei vielmehr "eine Partei, die sich in die Akzeptanz, in das Ansehen, in das Vertrauen aller demokratischen Kräfte hineingearbeitet" habe. Sie werde geschätzt und anerkannt wegen ihres Engagements in der "Friedensbewegung" und wegen ihres Einsatzes in jedweden "Arbeiterkämpfen". Zudem genieße sie "Hochachtung als aktive Erbin des Antifaschismus". Diese Ausführungen im Rechenschaftsbericht unterstreichen die wachsenden Erfolge in einem der wichtigsten Bereiche der aktuellen Arbeit der DKP, der Bündnisund Aktionseinheitspolitik. 4.1.6 Haltung zur Kernenergie Die zwiespältige, häufig unglaubwürdige politische Haltung der DKP wurde nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl am 26. April 1986 besonders deutlich. Wegen der parteioffiziellen Behandlung des - beim ersten Bekanntwerden lediglich als "Havarie" bezeichneten - Reaktorunfalls durch Parteivorstand und Zentralorgan kam es in der DKP erstmals seit langem zu erheblicher Unruhe und spürbarer Verstimmung, die sich besonders "an der Basis" breitmachte. In weiten Teilen der Organisation regte sich Unverständnis wegen der von der DKP-Führung vorbehaltlos mitgetragenen sowjetischen Entscheidung zur weiteren friedlichen Nutzung der Kernenergie, weil die Partei für die Bundesrepublik Deutschland massiv den sofortigen Ausstieg verlangt. Viele DKPMitglieder sahen durch dieses Taktieren der Funktionäre, das "vor Ort nicht vermittelbar" sei, ihre Bemühungen zur Zusammenarbeit etwa mit Kernkraft54 qegnern ernsthaft gefährdet. So sah sich die Parteiführung genötigt, ihre Position zu variieren, ohne aber den grundsätzlichen Widerspruch lösen zu können. In einer Erklärung des Präsidiums der DKP vom 23. Mai 1986 hieß es, der schwere Unfall" in Tschernobyl sei ein Hinweis auf ein "beträchtliches Risikopotential" auch bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie und eine "weitere schreckliche Warnung" vor dem "Unheil eines Kernwaffenkrieges". Dennoch trete die DKP für die weitere Kernforschung ein und bekräftige ihr "grundsätzliches Ja" zur friedlichen Nutzung dieser Energiequelle. Die Forderung nach einem ,bedingungsund unterschiedslosen .Ausstieg aus der Kerntechnik'" sei angesichts der großen Vorteile - etwa in der Isotopenund Strahlentechnik - nicht vertretbar". Das Verlangen, Kernkraftwerke zur Energieerzeugung einfach abzuschalten, sei "unrealistisch". Die UdSSR sei beim "gegenwärtigen Stand der wissenschaftlich-technischen Entwicklung und . . . (dem) internationalen Kräfteverhältnis" in "einem bestimmten Ausmaß" auf Kernkraft zur Energieerzeugung angewiesen. Ihr Ausstieg hätte schwerwiegende ökonomische Konsequenzen und würde das "für den Erhalt des Weltfriedens unbedingt erforderliche militärisch-strategische Gleichgewicht" gefährden. Im Gegensatz dazu lehnt die DKP das "Bonner Atomprogramm" nach wie vor strikt ab, denn - die "profitorientierte Nutzung" von Kernkraftwerken und anderen Atomanlagen erhöhe die ohnehin vorhandenen Gefahren, - eine "wirksame demokratische Kontrolle" sei nicht gewährleistet, - e s bestehe die "Gefahr eines militärischen Mißbrauchs", - die Energieversorgung sei angesichts der großen Kohlevorkommen und einer leistungsfähigen Industrie auch ohne Kernkraftwerke möglich. Es ist davon auszugehen, daß die DKP versuchen wird, die innerparteiliche Kritik mit Disziplinarmaßnahmen zu zerschlagen. 4.1.7 Beteiligung an Wahlen Die DKP hofft, der angestrebten "grundlegenden Veränderung" unserer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung sowohl durch außerparlamentarischen Kampf als auch durch die "Veränderung des parlamentarischen Kräfteverhältnisses zugunsten der arbeitenden Menschen" näherzukommen. Die Mitarbeit in parlamentarischen Gremien, die freilich die Erlangung von Mandaten voraussetzt, ist für sie damit nur ein Mittel, den Klassenkampf zusätzlich auch auf anderer Ebene zu führen. Da sie bisher bei Wahlen zum Bundestag und zu den Ländervertretungen durchweg vernichtende Ergebnisse hinnehmen mußte, versucht sie seit einiger Zeit neue Wege zu gehen. In realistischer Einschätzung erwartet die Führung der DKP "noch für eine längere Periode einen völlig unbefriedigenden Stimmenanteil" bei Wahlen auf Bundesund Landesebene. Als "Kommunistische Partei allein" - so die taktische Folgerung - könne die DKP auf absehbare Zeit "keinen wesentlichen Zugewinn an Wählerstimmen er55 reichen". Dagegen böten Wahlbündnisse, etwa die seit 1984 mehrfach angetretene "Friedensliste", die Möglichkeit, die "Originalpolitik der DKP" mit größerer Aussicht auf Erfolg zu propagieren. So äußerte sich der DKP-Vorsitzende MIES auf der Bundeswahlkonferenz seiner Partei: "Die Hauptforderungen der .Friedensliste' zur Bundestagswahl sind auch Forderungen der DKP. Sie können im Bündnis wirkungsvoller vertreten werden. Ein mit christlichen, liberalen, linkssozialistischen und unabhängigen Persönlichkeiten gemeinsam geführter Wahlkampf kann politische Ausstrahlung auf mehr Menschen entwickeln, auf Menschen, die wir Kommunisten allein mit unseren Argumenten heute noch nicht erreichen." Wahlbündnisse unter Einschluß der Kommunisten bedeuten nach Auffassung der DKP-Führung "grundsätzlich eine Erhöhung - keine Minderung - unseres Einflusses". Das bewußte Zusammengehen der Bündnispartner mit Kommunisten habe für die Partei "strategischen Wert". Unter dieser Vorgabe standen die Vorbereitungen der DKP auf die Bundestagswahl am 25. Januar 1987. In ihren programmatischen Thesen bekräftigte die DKP ihre Aufforderung, den Wahlkampf des Personenbündnisses "Die Friedensliste" aktiv zu unterstützen, die Erststimme den Kandidaten der "Friedensliste" zu geben und mit der Zweitstimme "der Wende ein Ende zu bereiten". Der Verzicht auf eine eigene Kandidatur der DKP bei der Bundestagswahl 1987 und ihre Wahlempfehlung, die wichtige Zweitstimme den Oppositionsparteien zu geben, haben allerdings an der Parteibasis vielerorts zu Unverständnis geführt. Selbst altgediente Funktionäre waren mit dieser taktisch bedingten Entscheidung der Führung nicht durchweg einverstanden, beugten sich jedoch der traditionellen Parteidisziplin. Die Aussichten der "Friedensliste", deren Kandidaten in Baden-Württemberg zu über 75% der DKP und den von ihr beeinflußten Organisationen angehörten, wurden denn auch von vielen Parteimitgliedern von vornherein als chancenlos beurteilt. Sie mußten sich durch den erzielten Erststimmenanteil von bundesweit 0,5% (Baden-Württemberg: 0,6%) bestätigt sehen. Zwar erreichte die "Friedensliste" damit ein besseres Ergebnis als die DKP bei der letzten Bundestagswahl, doch wurden die Erwartungen der Parteiführung keineswegs erfüllt. Im Vorfeld der Bundestagswahl beteiligte sich die DKP auch 1986 wieder an mehreren Landtags-, Bürgerschaftsund Bürgermeisterwahlen. Dabei kandidierte sie jedoch gelegentlich nicht in allen Wahlkreisen, oder sie unterstützte - ähnlich wie bei der Bundestagswahl - die "Friedensliste": - Landtagswahl in Niedersachsen Bei der Wahl zum Niedersächsischen Landtag am 15. Juni 1986 gab es für die DKP, die nur in 84 der 100 Wahlkreise kandidiert hatte, erhebliche Stimmenverluste. Nach dem amtlichen Endergebnis erhielt sie 5.690 Stimmen = 0,1% (1982: 11.552 = 0,3% bei Kandidatur in 90 Wahlkreisen). 56 _ Landtagswahl in Bayern In Bayern verzichtete die DKP auf eine eigenständige Kandidatur zugunsten der von ihr mitgetragenen "Friedensliste", die sich auf der offenen Liste der GRÜNEN an der Wahl beteiligte. Zwei Bewerber der "Friedensliste" wurden auf diesem Wege in den bayerischen Landtag gewählt. - Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein Bei den Kommunalwahlen am 2. März 1986 in Schleswig-Holstein kandidierte die DKP mit eigenen Listen in zehn von elf Kreisen, in drei der vier kreisfreien Städte und in einigen Gemeinden. Ferner bewarben sich DKP-Mitglieder in der kreisfreien Stadt Neumünster auf der "Friedensliste", in anderen Gemeinden in Wahlbündnissen. Mit 3.179 Stimmen = 0,2% (1982: 3.820 = 0,3%) erlitt die DKP landesweit Einbußen; in der Gemeinde Barmstedt konnte sie jedoch mit 1.571 Stimmen = 17,3% (1982: 1.107 = 11,7%) zu den bisherigen zwei Mandaten noch ein weiteres hinzugewinnen. In einer weiteren Gemeinde erhielt ein DKP-Funktionär über das Wahlbündnis ein Mandat. - Oberbürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg Die DKP nutzt immer wieder die Chance, auch bei Bürgermeisterwahlen Kandidaten zu nominieren, obwohl in keinem Fall eine reelle Erfolgschance besteht. So erhielt ihr Kandidat bei der Oberbürgermeisterwahl am 13. April 1986 in Karlsruhe lediglich 478 Stimmen ( = 0,45%), bei der Oberbürgermeisterwahl in Esslingen am 1. Juni 1986 504 Stimmen (1,5%). In den Gemeinderäten und Kreistagen in Baden-Württemberg verfügt die DKP über folgende Mandate: Vertreter im Gemeinderat Tübingen 2 Mannheim 1 Heidenheim 1 Waiblingen 1 Mandat im Kreistag Tübingen 1 Sonstige Kommunalvertreter der DKP - Ortsbeiräte Tübingen 4 - Mitglied im Regionalverband "Unterer Neckar" Mannheim 1 4.1.8 Bündnisund Aktionseinheitspolitik Um ihre schwache Stellung in den Parlamenten wettzumachen und der angestrebten "Massenbasis" näherzukommen, sucht die DKP im "außerparlamentarischen Kampf" verstärkt die Zusammenarbeit mit nichtkommunistischen Kräften. Obwohl sie dabei in ihrem Bemühen um breite Bündnisse aus taktischen Gründen auch Forderungen formuliert und übernimmt, die von Demokraten vertreten werden, läßt sie keinen Zweifel daran, daß solche Kompromisse nur dazu dienen, die eigentlichen "strategischen Ziele" zu erreichen. Für die DKP ist Bündnispolitik also kein Selbstzweck, sondern taktisches Erforder57 nis "in einer ganz konkreten Etappe des Klassenkampfes unter ganz konkreten Bedingungen". Zur Verwirklichung ihrer Ziele strebt die DKP vor allem zwei Bündnisformen an: - d i e "Aktionseinheit der Arbeiterklasse", das heißt Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten, Gewerkschaftern und parteilosen Arbeitern, sowie - darauf aufbauend - - d a s "breite antimonopolistische Bündnis", das sich gegen den "Hauptfeind in der Klassenauseinandersetzung, das Monopolkapital" richtet und das Intellektuelle und "bürgerliche Kreise" einbezieht. Einfluß in solchen Bündnissen übt die DKP über ihre Mitglieder und durch Bereitstellung ihres eingespielten organisatorischen Apparats, oftmals aber auch durch eigens geschaffene Organisationen und Initiativen aus. Sie behauptet deshalb nicht zu Unrecht, beim Aufschwung vieler "demokratischer Bewegungen" in den letzten Jahren als "Vorkämpfer" gewirkt und "an ihrer Entfaltung keinen geringen Anteil" gehabt zu haben. Allerdings vermeidet es die DKP zumeist, in Bündnissen einen Führungsanspruch offen zu erheben. Trotz dieser taktischen Erwägungen sollen sich aber die Kommunisten bei ihrer Mitarbeit "stets der Notwendigkeit bewußt sein, daß die Kommunistische Partei ihre organisatorische, politische und ideologische Selbständigkeit unter allen Umständen bewahren muß". Die Führung achtet deshalb streng darauf, daß weder die Partei als Ganzes noch das einzelne Mitglied in Bündnissen "aufgehen", sich also über das taktische notwendige Maß hinaus von der Linie der Partei entfernen. Die größtmögliche Breite solcher Bündnisse ist für die DKP ein wichtiger Gesichtspunkt. Damit will sie einerseits dem erklärten Ziel näherkommen, die "Massen" zu erreichen. Andererseits kann dadurch verstärkter politischer Druck ausgeübt werden. Sie handelt dabei nach der Maxime, "die radikalste Form des Widerstands ist jene, welche die Massen ergreift". Zugleich ist sie darauf bedacht, daß die "Kampfformen" stets dazu beitragen, "Bewußtsein und Kampfbereitschaft größerer Teile des Volkes, vor allem der Arbeiterklasse, voranzutreiben". Dabei schließt die DKP auch Gewalt als Mittel ihrer Politik nicht grundsätzlich aus: " . . . Demokratischer Widerstand ist legitim: Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht..." In dem Bemühen, ihr Interesse an einer Verbreiterung der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen zu verdeutlichen, macht sich die DKP immer häufiger zum selbsternannten "Fürsprecher" ihrer potentiellen oder tatsächlichen Bündnispartner. So verurteilte das Parteipräsidium in einer Erklärung vom 10. Juni 1986 mit aller Schärfe die angeblichen Versuche einer "Diffamierung" der an den Demonstrationen in Brokdorf und Wackersdorf beteiligten Organisatio58 nen. Dabei wurden die überaus gewalttätigen, von "Autonomen" inszenierten Aktionen mit keinem Wort erwähnt. Insgesamt bleibt die sogenannte Bündnispolitik ein zentraler Teil der Gesamtpolitik der DKP und ihrer Vorfeldorganisationen. 4.1.9 Schwerpunkte der Agitation Die DKP, die sich selbst als Vertreterin der "sozialen, demokratischen und Friedensinteressen der Arbeiterklasse und der übrigen Werktätigen" versteht, setzte auch im Jahre 1986 ihre Taktik fort, tatsächliche oder vermeintliche Probleme - vor allem aus den Bereichen der Innen-, Verteidigungs-, Wirtschaftsund Sozialpolitik - aufzugreifen und sie häufig in verzerrter oder tendenziös überzeichneter Weise darzustellen. Den Schwerpunkt ihrer Aktionen bildete die mit großem Aufwand betriebene Kampagne gegen die "Weltraumrüstungspläne" der USA und die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am amerikanischen Forschungsprogramm für eine Raketenabwehr im Weltraum (SDI). Mit Nachdruck verurteilte die DKP auch das Engagement deutscher Unternehmen beim SDI-Projekt. Neben der Anti-SDI-Kampagne stand 1986 die Beteiligung an Protestaktionen der "Friedensbewegung" und an solchen von Kernkraftgegnern im Mittelpunkt der Aktivitäten der DKP. So war sie wieder von Anfang an im Rahmen des "Koordinierungsausschusses der Friedensbewegung" an den Vorbereitungen der "Herbstaktionen der Friedensbewegung" maßgeblich beteiligt. Durch geschlossenes Auftreten und ständige Präsenz konnten DKP-nahe Kräfte im "Koordinierungsausschuß" - obwohl formal in der Minderheit - Einfluß auf die Diskussion über Inhalte und "Aktionsformen" nehmen. In seinem Bericht auf dem 8. Parteitag hatte der DKP-Vorsitzende MIES deshalb allen Grund, auf die Erfolge seiner Partei bei der Mitwirkung "in den Bewegungen und Aktionen für den Frieden" hinzuweisen. Erneut sprach er sich für ein noch engeres Zusammenwirken von "Arbeiterund Friedensbewegung" als "unverzichtbare Grundlage" für die "Weiterentwicklung der Friedensbewegung" aus. Nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl verstärkte die DKP mit ihren Nebenorganisationen ihre Anstrengungen, den Anschluß an die Antikernkraft-Bewegung nicht zu verlieren. Trotz parteiinterner Probleme rief sie ihre Mitglieder unter dem Motto "Raus aus dem Atomprogramm! Schluß mit der Atomrüstung!" dazu auf, sich am 7. Juni 1986 an den Protestaktionen gegen die Inbetriebnahme des KKW Brokdorf und gegen den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf (WAA) zu beteiligen. Die DKP hielt es nicht für angebracht, sich von den schweren Gewalttaten militanter Kernkraftgegner zu distanzieren. Vielmehr erhob sie "schärfsten Protest" gegen angebliche Schikanen und Übergriffe der-Polizei. Darüber hinaus bezog die DKP wiederholt Stellung gegen die Verabschiedung 59 der sogenannten "Sicherheitsgesetze" und die Änderung des SS 116 Arbeitsförderungsgesetz. Weitere DKP-Agitationsschwerpunkte des Jahres 1986 waren die Protestaktionen anläßlich des amerikanischen Luftangriffs auf Städte in Libyen sowie nach der Ermordung des Freiburger DKP-Mitglieds Bernd KOBERSTEIN durch die "Contras" in Nicaragua. Den 30. Jahrestag des Verbots der "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) durch das Bundesverfassungsgericht am 17. August 1956 nahm die DKP zum Anlaß, erneut die Aufhebung des "Unrechtsaktes" zu fordern. Am 15. August 1986 veranstalteten der Parteivorstand und der Bezirksvorstand der DKP Baden-Württemberg am Sitz des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe eine Kundgebung unter dem Motto "30 Jahre KPD-Verbot - Verbot aufheben - demokratische Rechte sichern und ausbauen!" 4.2 Nebenorganisationen der DKP Die DKP stützt sich im Bereich der Jugendarbeit auf eine Reihe von Nebenorganisationen. Diese sind formal selbständige Vereinigungen mit eigenen Satzungen und Leitungsorganen, ordnen sich aber politisch strikt den Zielen der DKP unter. Ihre führenden Funktionäre sind fast durchweg Parteimitglieder. Die Nebenorganisationen der DKP sind - die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) - die "Jungen Pioniere - Sozialistische Kinderorganisation" (JP) - der "Marxistische Studentenbund Spartakus" (MSB Spartakus). Sie bilden die eigentliche "Kaderreserve" der Partei. 4.2.1 "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) Die SDAJ - praktisch der Jugendverband der Partei - ist die mitgliederstärkste der drei DKP-Nebenorganisationen. Sie verfügt bundesweit über nahezu 15.000 Mitglieder. In Baden-Württemberg gehören ihr rund 1.000 Jugendliche an. Zur Gewinnung neuer Mitglieder führte die Organisation 1986 eine "Festivalstafette" als achtmonatigen "Mitgliederwettbewerb" durch, die in das "5. Festival der Jugend" einmündete. Diese zweitägige Veranstaltung über Pfingsten 1986 zusammen mit dem MSB Spartakus in der Dortmunder Westfalenhalle sollte dazu dienen, "daß die Kommunisten der Bundesrepublik sich mit ihrer Politik darstellen". Die Organisationen hofften, auf diese Weise "Jugendliche anzusprechen, kennenzulernen und sie als Mitglieder zu gewinnen - nicht nur für die SDAJ, sondern auch in der DKP". 60 DKP-Mitgliederwerbung Mit verschiedenen publizistischen Mitteln versuchte die Jugendorganisation auch 1986 wieder Außenwirkung zu erzielen. Eigentliches Sprachrohr der SDAJ ist die monatlich erscheinende Zeitschrift "elan - das Jugendmagazin", die in einer Auflage von rund 26.000 Exemplaren verbreitet wird. Seit dem 1. April 1986 bietet das Jugendmagazin ein "elan-communications-system" unter der Bezeichnung "Mailbox" zur kostenlosen Nutzung an. Besitzer von Heimcomputem können mittels eines Hilfsgeräts und eines Telefonanschlusses direkt vom SDAJ-Computer in Dortmund "Informationen" abrufen und auch eigene Beiträge eingeben. Mit diesem und anderen "jugendgerechten" Angeboten versucht die SDAJ, Jugendliche anzuziehen und für ihr Verständnis von politischer Arbeit zu interessieren. In Bildungsnachmittagen und -abenden, in Grundund Aufbaukursen sowie in Lehrgängen an der "Jugendbildungsstätte Burg Wahrberg" bei Ansbach werden junge Leute an die SDAJ herangeführt und die Mitglieder mit den Erfordernissen und Perspektiven der sozialistischen Jugendorganisation vertraut gemacht. Seit dem 1. September 1986 führt die SDAJ eine " Kampagne für eine andere Politik im Interesse Jugendlicher" durch, die bis zu den "Pfingstcamps" im Juni 1987 dauern soll. Das Ziel der Kampagne soll sein, durch eine "bessere, umfassende Interessenvertretung mehr Druck für die Forderungen und Interessen Jugendlicher zu machen". Im Rahmen dieser Kampagne veranstaltete der 61 SDAJ-Landesverband Baden-Württemberg am 9. November 1986 in Stuttgart das "1. landesweite Lehrlingsforum". Auch zur Bundestagswahl meldete sich die Organisation erwartungsgemäß zu Wort. So forderte die SDAJ-Bundesvorsitzende dazu auf, mit "eigenen Beiträgen" in den Bundestagswahlkampf einzugreifen und tatkräftig den Wahlkampf der "Friedensliste" zu unterstützen. Die SDAJ bestätigte dabei erneut das "nahtlose Zusammenwirken" von Partei und Nebenorganisation. 4.2.2 "Junge Pioniere - Sozialistische Kinderorganisation" (JP) Die "Jungen Pioniere" betrachten sich als Teil der weltweiten kommunistischen Pionierbewegung. In ihr sind Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren organisiert. Aus der engen Anbindung der JP an die DKP wird kein Hehl gemacht. Der DKP-Vorsitzende MIES bezeichnet sie als "Teil der revolutionären Arbeiterbewegung". Die Aktivitäten der Organisation dienen vorrangig dem Ziel, Grundlagen des "sozialistischen Bewußtseins" zu vermitteln. Hierauf ist das gesamte Programm zugeschnitten, das von Veranstaltungen mit reinem Freizeitcharakter bis zur direkten politischen Beeinflussung reicht. JP-Werbung für Kinderferienreisen in die DDR 62 Im Jahre 1986 führten die JP neben Gruppengründungswochen, Werbeund Aktionsmonaten auch regionale "Kindercamps" über die Pf ingstf eiertage durch und organisierten erneut preisgünstige Kinderferienreisen in die DDR. Auf den "Pfingstcamps", die unter dem Motto "Keinen Krieg der Sterne - den Frieden haben wir gerne" standen, wurden den Kindern und Jugendlichen vielfältige "Aktivitäten zum Frieden, zur Völkerverständigung, Solidarität, zu Sport, Spiel und Spannung" geboten. Mit dieser geschickten Verbindung von Politik und Freizeitgestaltung sollen die Teilnehmer allmählich an die Partei herangeführt werden. Den gleichen Zweck verfolgt seit Jahren die Kinderferienaktion, die die JP zusammen mit der DKP unter Nutzung "ihrer internationalen Beziehungen" in der DDR durchführt. Anmeldungen zu dieser überaus preisgünstigen Veranstaltung nehmen die "örtlichen Ferienausschüsse der Jungen Pioniere, der SDAJ, des MSB Spartakus" und die "Vorstände der DKP" entgegen. Diesen Ferienlagern mißt die Partei einen hohen Stellenwert bei. Die "Friedensarbeit" steht weiterhin im Mittelpunkt der politischen Agitation bei den "Jungen Pionieren". Die Organisation sieht - auch hier deckungsgleich mit der DKP - den "Kampf gegen das Sternenkriegsprogramm" als eine ihrer wichtigsten Aufgaben an. Die Gesamtmitgliederzahl der Organisation blieb - entgegen ihren Verlautbarungen - mit etwa 4.000 nahezu konstant. Auch in Baden-Württemberg war ein nennenswerter Mitgliederzuwachs nicht zu verzeichnen. Unverändert dürften hier knapp 150 Kinder Mitglied der "Jungen Pioniere" sein. 4.2.3 "Marxistischer Studentenbund Spartakus" (MSB Spartakus) Die kommunistische Studentenarbeit der Partei wird vom "Marxistischen Studentenbund Spartakus" und von den DKP-Hochschulgruppen getragen, in denen die an der Hochschule beschäftigten Mitglieder der DKP organisiert sind. Der 1971 gegründete MSB Spartakus ist mit einem seit Jahren kaum veränderten Mitgliederstand von bundesweit rund 6.000 Personen (in Baden-Württemberg ca. 200) die bei weitem stärkste linksextreme Gruppierung an den Hochschulen des Landes. Obwohl der MSB Spartakus formell organisatorisch selbständig ist, sind die ideologischen Übereinstimmungen mit der DKP sowie die engen personellen Verflechtungen zwischen beiden Organisationen offenkundig. Der Studentenverband fühlt sich seit seiner Gründung der "Deutschen Kommunistischen Partei" in Theorie und Praxis verbunden. Umgekehrt unterstreicht auch die DKP ihre enge Bindung zum MSB. Anläßlich des 15jährigen Bestehens des MSB im Jahre 1986 stellte der DKP-Vorsitzende Herbert MIES fest: "Aus den Reihen des MSB Spartakus sind in den letzten 15 Jahren nicht wenige Mitglieder für unsere Partei hervorgegangen . . . sie haben ihr politisches Wissen und Können, das sie im MSB erwarben, zum Nutzen auch der Partei eingesetzt... die Gewinnung junger Marxistinnen und Marxisten aus der Intelligenz bleibt für unsere Partei eine wichtige Aufgabe . . . " 63 Der MSB Spartakus, der zur Durchsetzung seiner Interessen ganz bewußt Bündnisse mit "allen Betroffenen an den Hochschulen und in der Arbeiterbewegung" anstrebt, wertet die seit Jahren bestehende Aktionseinheit mit dem "Sozialistischen Hochschulbund" (SHB) als "entscheidendes Kraftzentrum'. Die enge Zusammenarbeit, die sich auch in häufigen gemeinsamen Kandidaturen bei Wahlen zu Hochschulgremien zeigt, stützt sich auf weitgehend identische Vorstellungen in wesentlichen Positionen beider studentischer Gruppierungen. 4.3 Von der DKP beeinflußte Organisationen Zur Erweiterung ihres Einflusses vorrangig in außerparlamentarischen Bewegungen bedient sich die DKP unverändert einer Reihe von Organisationen, die in der Öffentlichkeit häufig fälschlicherweise als parteiunabhängig angesehen werden. Gerade deswegen nehmen sie im Konzept der kommunistischen Bündnispolitik eine zentrale Funktion ein. Diese Vereinigungen propagieren in erster Linie Ziele, die auch von Demokraten mitgetragen werden können. Da sie über eine gewachsene Akzeptanz auch bei demokratischen Gruppierungen verfügen, sind sie für die DKP von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Nur so ist es der DKP möglich, bei einer Zusammenarbeit mit nichtextremistischen Gruppen selbst in den Hintergrund zu treten und über die von ihr beeinflußten und gelenkten Organisationen DKP-Positionen durchzusetzen. Auf diese Weise ist es den orthodoxen Kommunisten gelungen, ihrem Ziel eines länger währenden "antimonopolistischen Bündnisses" näherzukommen. Zu den bundesweit arbeitenden Organisationen, die von der DKP in unterschiedlichem Ausmaß beeinflußt oder gesteuert werden, gehören unter anderem - die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten" (WN-BdA), - die "Deutsche Friedens-Union" (DFU), - "Die Friedensliste" (FL), - das "Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit" (KFAZ). In diesen formal selbständigen und angeblich unabhängigen Vereinigungen haben Kommunisten führende Funktionen inne. Ein Teil ihrer politischen Forderungen, die für sich genommen zumeist nicht verfassungsfeindlich sind, deckt sich häufig - ohne daß dies sofort erkennbar wird - mit der aktuellen Argumentation der DKP. Durch dieses taktische Vorgehen sollen kommunistischer Beeinflussung nicht unterliegende Gruppen, Komitees und Initiativen für ein gemeinsames Vorgehen gewonnen werden. Bevorzugtes Agitationsfeld der kommunistisch beeinflußten Organisationen war auch 1986 wieder der "Friedenskampf". Im Mittelpunkt der Bündnisbemühungen standen dabei die Mobilisierung für die bundesweite Abrüstungsdemonstration am 10711. Oktober 1986 in Hasselbach/Hunsrück und die Unter64 Stützung der Kandidatur der "Friedensliste" zur Wahl des Deutschen Bundestags am 25. Januar 1987. 4.3.1 " Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten" (WN-BdA) Ein besonders enger und langjährig bewährter Partner der DKP ist die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten" (WNBdA). Mit rund 13.500 Mitgliedern - davon 2.000 in Baden-Württemberg - ist sie der mitgliederstärkste und älteste prokommunistische Verband. Der große Einfluß von DKP-Mitgliedern läßt sich beispielhaft an der Besetzung der Führungsgremien erkennen. Ähnlich wie das Bundespräsidium besteht der Landesvorstand Baden-Württemberg der WN-BdA zu einem großen Teil aus Kommunisten. Sprachrohr der WN-BdA ist die Wochenzeitung "Deutsche Volkszeitung/die tat - Wochenzeitung für Demokratie und Frieden", die gleichzeitig Organ der "Deutschen Friedens-Union" (DFU) ist. Die WN-BdA gibt vor, für "Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung" einzutreten, für die internationale Solidarität ebenso wie für die "Verteidigung demokratischer Rechte". Zugleich wendet sie sich gegen jede "faschistische Aktivität und Propaganda". Mit der Parole "Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!" prangert sie lautstark angeblich stärker werdende faschistische Tendenzen im Lande an. In polemischer Form unterstellt sie dabei den Behörden, nicht mit der gebotenen Schärfe gegen rechtsextreme Organisationen vorzugehen. Im Rahmen ihres "Friedenskampfes" unterstützt sie engagiert die Aktivität der "Friedensbewegung" und ist seit Jahren einflußreiches Mitglied der "Landesberatung baden-württembergischer Friedensinitiativen". Auf der Abschlußkundgebung des landesweiten "Ostermarschs" am 31. März 1986 in Stuttgart stellte sie einen der Hauptredner. Ziel der WN-BdA bei ihren Agitationen "für Frieden - gegen Faschismus und Militarismus" ist das Zusammenfinden von "Sozialdemokraten, Kommunisten, Christen und Anhängern anderer Religionen, Liberalen, Grünen und Parteilosen". 4.3.2 "Deutsche Friedens-Union" (DFU) Der DFU gehören bundesweit etwa 1.000 Personen an (Baden-Württemberg: 200). Sie ist ebenfalls ein "verläßlicher Partner" der DKP. Seit Jahren gilt ein Großteil ihrer öffentlichen und vor allem ihrer publizistischen Aktivitäten der Stärkung und Verbreiterung der "Friedensbewegung". So bemühte sie sich intensiv, Kontakte insbesondere zu christlichen Kreisen herzustellen, um diese in die Arbeit von "Friedensinitiativen" einzubinden. Bei ihrer - eng an die Vorstellungen der DKP angelehnten - "friedenspolitischen Arbeit" hatte 1986 die gegen das amerikanische SDI-Programm gerichtete Propaganda absoluten Vorrang. Die Sowjetunion wurde als "Friedensmacht" dargestellt, deren Abrü65 stungsvorschläge die DFU kritiklos übernahm. Der NATO wurde demgegenüber alleinige Verantwortung an der internationalen Hochrüstung zugewiesen. Ähnlich einseitige Vorwürfe erhob die DFU gegen die Bundesregierung wegen deren angeblicher Verflechtung mit militärindustriellen Interessen. Besonders aktiv bei der Verfolgung ihrer "friedenspolitischen Ziele" ist die DFU in Baden-Württemberg. So stellt sie seit Jahren der DKP-beeinflußten "Landesberatung baden-württembergischer Friedensinitiativen" die Räumlichkeiten ihrer Landesgeschäftsstelle in Stuttgart zur Verfügung. Zudem konnte die "Landesberatung" 1986 einen gewissen Bündniserfolg erzielen: Die nichtextremistischen Gruppen, die sich im Jahre 1984 aus diesem Gremium zurückgezogen hatten, beteiligten sich 1986 wieder an der gemeinsamen Vorbereitung der "Ostermärsche". 66 II. Rechtsextremistische Bestrebungen 1. Allgemeiner Überblick Charakteristisch für rechtsextremistische Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland ist, daß wesentliche Elemente der demokratischen Staatsform abgelehnt werden. Ziel ist statt dessen ein nach dem Führerprinzip organisierter totalitärer Staat. Weitere bestimmende Merkmale des Rechtsextremismus sind vor allem - ein übersteigerter Nationalismus, der den Gedanken der Völkerverständigung mißachtet, - eine Überbetonung der Interessen einer rassistisch verstandenen "Volksgemeinschaft" zu Lasten der Rechte des einzelnen ("völkischer Kollektivismus"), - eine aggressive Fremdenfeindlichkeit, - d i e unkritische Verherrlichung des "Dritten Reiches" und die Verharmlosung der von den Nationalsozialisten begangenen Verbrechen. Allerdings sind diese typischen Merkmale bei den derzeit im Bundesgebiet aktiven rechtsextremen Organisationen in recht unterschiedlicher Ausprägung zu erkennen. Während die militanten neonazistischen Gruppen sich in provozierender Offenheit zur Mehrzahl dieser Grundsätze bekennen, lassen sich bei den nationaldemokratischen und den national-freiheitlichen Organisationen häufig nur einzelne Aspekte nachweisen. Diese Unterschiede bestimmen regelmäßig auch die Intensität und die Mittel ihres Kampfes gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Ende des Jahres 1986 gab es in der Bundesrepublik Deutschland 73 rechtsextremistische Organisationen, denen rund 22.100 Mitglieder angehörten. Dabei handelt es sich unverändert um eine Reihe von mitgliederstarken Organisationen sowie um zahlreiche kleine Vereinigungen und Zirkel, denen oftmals nur wenige Aktivisten zuzurechnen sind. Während bundesweit die Zahl aktiver Neonazis leicht anstieg (1.460 gegenüber 1.420 Ende 1985), ist sie in BadenWürttemberg geringfügig auf 190 (1985: 200) gesunken. Davon waren etwa 1.210 (1985: 1.270) in 23 (1985: 29) neonazistischen Cliquen organisiert. Rund 250 Personen (1985: 150) betätigten sich als Einzelaktivisten ohne feste Gruppenkontakte. Nahezu unverändert sind die Mitgliederpotentiale der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) mit insgesamt etwa 6.100 Per67 sonen (Baden-Württemberg: 1.000) und der "Deutschen Volksunion" (DVU) mit über 12.000 Personen. Bundesweit hat sich zwischenzeitlich ein Teil der Angehörigen der am 7. Dezember 1983 vom Bundesminister des Innern verbotenen neonazistischen "Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten" (ANS/NA) in der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) gesammelt. Diese Neonazis üben in einigen Landesverbänden der FAP einen maßgeblichen Einfluß aus. Lediglich in Baden-Württemberg blieb das Gewicht ehemaliger ANS/NA-Mitglieder in der FAP vergleichsweise gering. Der Gründer und derzeitige Bundesvorsitzende der FAP, Martin PAPE aus Stuttgart, verlor in der Gesamtorganisation weiter an Einfluß. Es gelang ihm nicht einmal in Baden-Württemberg, in den im September 1986 gebildeten FAP-Landesvorstand gewählt zu werden. Neben und teilweise in Übereinstimmung mit der FAP hat sich bundesweit eine "Bewegung" aktiver Neonazis herausgebildet. Diese sich zusehends verfestigende Gruppierung tritt teils unter der Bezeichnung "Gesinnungsgemeinschaft Michael KÜHNEN" (benannt nach dem derzeit eine Haftstrafe verbüßenden ehemaligen "Führer" der ANS/NA), teils als "Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Adolf HITLERS" (KAH) auf. Die Teilnahme der FAP an der Bundestagswahl am 25. Januar 1987 führte für die Partei zu einem Desaster. Lediglich in Bremen gelang es ihr, eine Landesliste aufzustellen. In den übrigen Bundesländern konnte die erforderliche Zahl von Unterstützungsunterschriften nicht erbracht werden. Bundesweit kandidierten in zwei Wahlkreisen FAP-Bewerber. In Baden-Württemberg stellte sich im Wahlkreis Stuttgart I der FAP-Bundesvorsitzende PAPE zur Wahl; er erhielt 164 Erststimmen ( = 0,1%). Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) konnte bei der Bundestagswahl am 25. Januar 1987 ihr seit Jahren bestes Ergebnis erzielen. Dies könnte zu einer weiteren Festigung der Partei beitragen, die in Baden-Württemberg 54.996 Zweitstimmen ( = 1,0%) auf sich vereinigen konnte. Im Bundesdurchschnitt erreichte sie 0,6% der Zweitstimmen; im Vergleich zu 1983 ist dies auf Bundesund Landesebene eine Verdreifachung. Im Wahlkreis Schwäbisch Hall errang die NPD 1,6% der Zweitstimmen, im Wahlkreis Rottweil - Tuttlingen 2,0% (hier war der Bundesvorsitzende MUSSGNUG Direktkandidat der Partei) und im Wahlkreis Schwarzwald - Baar sogar 2,1% der Zweitstimmen (hier kandidierte der NPD-Landesvorsitzende SCHÜTZINGER als Wahlkreisbewerber). Aufgrund ihres bundesweiten Stimmenanteils von 0,6% erhält die NPD voraussichtlich ca. 1,4 Millionen DM als Wahlkampfkostenerstattung, die sie für die angestrebte weitere Stärkung der Partei einsetzen wird. Das zahlenmäßig größte Kontingent innerhalb des organisierten Rechtsextremismus stellt die zur "National-Freiheitlichen Rechten" zählende "Deutsche Volksunion" (DVU) mit ihren sechs "Aktionsgemeinschaften" sowie mit der 68 Ende 1986 als Wahlbündnis initiierten "Deutschen Volksliste"*) (DVL) dar. Diesem Bereich sind bundesweit mehr als 12.000 Personen zuzurechnen, nach Angaben des DVU-Vorsitzenden Dr. Gerhard FREY gar 16.000. Die Vereinigungen führten 1986 nur wenige öffentliche Veranstaltungen durch, die auch in Baden-Württemberg fast durchweg von politisch Andersdenkenden gestört wurden. Die DVU hat inzwischen wieder engere Kontakte zur NPD geknüpft, die in einer Wahlempfehlung bei der Bundestagswahl zugunsten der "Nationaldemokraten" ihren sichtbaren Ausdruck fanden. 2. Neonazistische Bestrebungen Die politischen Vorstellungen von Angehörigen neonazistischer Gruppen orientieren sich kritiklos an der Ideologie des Nationalsozialismus, dessen wesentliche Merkmale (übersteigerter Nationalismus, völkischer Kollektivismus, Antiparlamentarismus und Rassenhaß) die zumeist jugendlichen Neonazis sich mit großem Fanatismus zu eigen machen. Die Repräsentanten des NSRegimes werden verherrlicht, die von der HITLER-Diktatur begangenen Verbrechen verharmlost oder geleugnet. Neben die strikte Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes ist inzwischen eine betont feindselige Haltung gegenüber den im Bundesgebiet lebenden Ausländern getreten. 2.1 Neonazistische Gruppen 2.1.1 " Die Bewegung" Ein Kreis ehemaliger führender Funktionäre der verbotenen "Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten" (ANS/NA) hat im Jahre 1986 seine Bemühungen fortgesetzt, die verzweigten Kontakte zu Gleichgesinnten zu intensivieren. Durch den Zustrom junger Sympathisanten in die im Bundesgebiet agierenden neonazistischen Zirkel, insbesondere in die stark unterwanderte "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP), kam es bis Mitte 1986 zu einer bundesweiten Verfestigung dieser neuen "Bewegung". Diese vorwiegend unter der Bezeichnung "Gesinnungsgemeinschaft Michael KÜHNEN" auftretenden Neonazis vermochten allerdings nicht, eine verfestigte Organisation mit herkömmlich straffer Gliederung aufzubauen. Aus der Haft heraus und mit Hilfe der in Frankreich hergestellten Zeitschrift "Die Neue Front" gelang es KÜHNEN mit seiner bis dahin ungebrochenen Autorität, den Zusammenhalt seiner Gesinnungsfreunde - trotz immer wieder auftretender Querelen - zu bewahren. *) Die DVL wurde umbenannt und am 5. März 1987 in München als Partei mit der Bezeichnung "Deutsche Volksunion - Liste D" gegründet. 69 Im Sommer 1986 begann ein Teil der neonazistischen "Bewegung" um den Neonazi Jürgen Mosler aus Nordrhein-Westfalen eine Kampagne gegen Homosexuelle in den eigenen Reihen und provozierten damit den Austritt Michael KÜHNENs, dem sich sein "Stellvertreter", Thomas BREHL aus Fulda, wenig später anschloß. KÜHNEN vollzog seinen Rückzug aus dem "politischen Kampf" allerdings nicht umfassend. Seine Mitgliedschaften in der neonazistischen "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) und in der "NSDAP/Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP/AO) behielt er bei. Der Widerruf seines Austritts aus der "Bewegung" zu Beginn des Jahres 1987 kam insofern nicht unerwartet. Der Rücktritt Michael KÜHNENs stieß bei seinen Anhängern anfänglich auf Überraschung und Verständnislosigkeit. Unklarheit herrschte über die daraus sich ergebenden Konsequenzen. Ein Kreis ihm treu ergebener Anhänger verbreitete im Oktober 1986 die "Sonderausgabe" einer "Neuen Front" als Gegenschrift zur offiziellen Publikation. In ihr wurde die Kampagne gegen die Homosexualität als "Putsch reaktionärer Kreise in der Bewegung" bezeichnet, die "das gigantische Aufbauwerk Michael KÜHNENs in Gefahr gebracht und sein Opfer verraten" habe. In einer Ende 1986 verbreiteten weiteren Ausgabe dieser Gegenschrift wurde behauptet, ein angeblich "überwältigendes Treuebekenntnis" vieler Kameraden habe KÜHNEN veranlaßt, entgegen seiner ursprünglichen Absicht den Kampf wiederaufzunehmen. Tatsächlich zeichnete sich zusehends ab, daß nicht alle maßgeblichen Neonazis bereit waren, den von der neuen Führung eingeschlagenen Kurs - ohne KÜHNEN - uneingeschränkt mitzutragen. Die Mehrzahl der Aktivisten hält aber derzeit offenbar noch zu MOSLER. Eine Spaltung der "Bewegung", die in jüngster Zeit immer häufiger auch unter der Bezeichnung "Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Adolf HITLERS" (KAH) auftritt, ist für 1987 nicht auszuschließen. 2.1.2 "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) Die bundesweit festzustellende Unterwanderung der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) hat sich fortgesetzt. Inzwischen hat sich die FAP zur mitgliederstärksten Vereinigung im neonazistischen Bereich entwickelt. Durch den Beitritt zahlreicher weiterer Aktivisten wuchs die am 17. März 1979 von ihrem derzeitigen Bundesvorsitzenden Martin PAPE, Stuttgart, gegründete Partei erneut um rund 100 auf nunmehr über 400 Mitglieder an (Baden-Württemberg etwa 45). Dabei ist nicht zu übersehen, daß in einigen Landesverbänden Neonazis mittlerweile in erheblichem Maße die Aktivitäten sowie die ideologisch-politische Entwicklung der FAP bestimmen. Angesichts der fortschreitenden Unterwanderung der Organisation blieben die Versuche von Martin PAPE, sich von nationalsozialistischen Tendenzen zu distanzieren und den Einfluß neonazistischer Aktivisten auf die von ihm gegründete Partei zu begrenzen, unglaubwür70 dig und weitgehend wirkungslos. Seine Position als Vorsitzender der FAP, die er auf dem Bundesparteitag am 7. Juni 1986 in Stuttgart überraschend behaupten konnte, ist durch die Wahl eines neuen Bundesvorstandes, dem überwiegend Neonazis angehören, weiter geschwächt worden. Die Möglichkeiten PAPEs, den Kurs der Partei zu bestimmen, sind nur noch gering. Innerhalb der FAP wachsen die Kräfte, die PAPE in absehbarer Zeit absetzen oder zumindest vollständig entmachten wollen. Ende 1986 gliederte sich die FAP bundesweit in sechs Landesverbände: Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen sowie BadenWürttemberg (gebildet im September 1986). Hinzu kommen eine Reihe von FAP-Gliederungen in solchen Bundesländern, in denen bislang kein Landesverband besteht. Allerdings ist der Grad der öffentlichen Aktivitäten der FAP in den einzelnen Landesverbänden äußerst unterschiedlich. So sind derzeit von FAP-Anhängern provozierte Gewalttätigkeiten weitgehend auf Westund Norddeutschland beschränkt. Das Programm der FAP, das im wesentlichen aus dem Gründungsjahr 1979 stammt, wird von den neonazistischen Mitgliedern abgelehnt. Sie agitieren statt dessen weitgehend auf eigene Faust im neonazistischen Sinne. So bestand im Jahre 1986 eine deutliche Diskrepanz zwischen dem öffentlichen Auftreten der meisten FAP-Mitglieder und dem noch immer gültigen Programm. Größere Veranstaltungen der FAP rufen Protestaktionen politischer Gegner hervor. So löste ihr 1. Parteitag am 7. Juni 1986 in Stuttgart Protestaktionen von aus dem gesamten Bundesgebiet angereisten Gegendemonstranten aus. Ernsthafte Konfrontationen konnten durch den Einsatz starker Polizeikräfte unterbunden werden. Die Militanten innerhalb der FAP sind immer weniger gewillt, die Störungen ihrer öffentlichen Veranstaltungen hinzunehmen. Die sich vermehrt entwickelnden gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und politischen Gegnern sind eine Folge der zunehmenden Bereitschaft neonazistischer Aktivisten, mit Gewalt zu antworten. Dadurch soll der Öffentlichkeit gegenüber Stärke, Geschlossenheit und Einsatzbereitschaft demonstriert werden. - Rund 100 zum Teil vermummte und uniformierte Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet demonstrierten am 8. März 1986 in Hameln auf Initiative der FAP gegen die Einebnung von Gräbern, in denen Deutsche beigesetzt sind, die wegen Kriegsverbrechen hingerichtet worden waren. Nachdem es den Rechtsextremisten nicht gelang, das Friedhofsgelände zu betreten, marschierten sie durch ein Wohnviertel, riefen Parolen wie "Ausländer raus" und "Rotfront verrecke" und sangen "Einst kommt der Tag der Rache". Gegen das FAP-Treffen protestierten rund 700 ebenfalls teilweise vermummte Demonstranten. Die Polizei konnte schwere Zusammenstöße verhindern und nahm 53 Personen aus beiden Lagern vorläufig fest. - A m 12. April 1986 versammelten sich in Lübeck etwa 60 Anhänger der FAP, unter ihnen auch Skinheads, zu einem Marsch durch die Innenstadt. Die FAP-Anhänger versuchten, Informationsstände gegnerischer Gruppen zu 71 stürmen. Beide Seiten bewarfen sich mit Steinen und beschädigten mehrere Kraftfahrzeuge. Die Polizei nahm sieben Personen vorläufig fest. Die FAP ist inzwischen dazu übergegangen, ihre politische Agitation vor allem mittels Schmier-, Klebeund Flugblattaktionen zu betreiben. Im Mittelpunkt steht dabei eine unverhohlen rassistisch geprägte ausländerfeindliche Polemik. Vor allem die vom FAP-Landesverband Nordrhein-Westfalen herausgegebenen "FAP-Nachrichten" schüren eine rücksichtslose, neonazistisch unterlegte Hetze gegen Ausländer, insbesondere gegen Asylanten. Tendenziöse Fragen wie "Bringen Ausländer Bürgerkrieg?" und die unmißverständliche Aufforderung "Ausländer raus, bevor der Volkszorn erwacht" standen in der März-Ausgabe 1986. Im Oktober 1986 stellte das - wie es sich nennt - "Kampfblatt der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" unzweideutig fest: "Deutschland ist kein Urwald - Ausländer raus!" Die ausländerfeindlichen und sonstigen Aktionen der FAP fanden in der breiten Bevölkerung keine Resonanz. Seit 1984 nahm die Splitterpartei ohne nennenswerten Erfolg an mehreren Landtagsund Kommunalwahlen teil. Auch bei der Kommunalwahl im Oktober 1986 in Niedersachsen, der Bürgerschaftswahl im November 1986 in Hamburg und der Bundestagswahl am 25. Januar 1987 blieb der Stimmenanteil verschwindend gering. Maßnahmen der Sicherheitsbehörden in Baden-Württemberg gegen neonazistische Aktivisten und die Verurteilung mehrerer Neonazis zu empfindlichen Freiheitsstrafen blieben nicht ohne Wirkung. So konnte die FAP, die etwa 45 Mitglieder im Land zählt, ihre Anhängerschaft - entgegen der Tendenz im übrigen Bundesgebiet - nicht verstärken. In den ehemaligen Schwerpunkten Nagold und Renchen/Ortenaukreis kamen die neonazistischen Aktivitäten fast ganz zum Erliegen. Mehrere Angehörige der Nagolder Gruppierung befinAufkleber der FAP 72 den sich in Strafhaft, andere wurden zu empfindlichen Geldstrafen verurteilt. Im Kreis Reutlingen, in dem in den Vorjahren Neonazis wiederholt mit Gruppengründungen auf sich aufmerksam gemacht hatten, war eine größere Propagandaaktion der FAP geplant, die allerdings verboten wurde. Von den im Raum Stuttgart aktiven FAP-Anhängern stehen nur noch wenige eindeutig hinter dem Parteivorsitzenden. Spürbare Aktivitäten entwickelte die FAP indes im Raum Heidenheim. Mehrere Flugblattaktionen, zuletzt im Dezember 1986 im Rahmen einer "Anti-Asyl-Woche", lassen erkennen, daß dort ein kleiner Kern junger Neonazis aktiv ist. Im September 1986 wurden weitere Kreisverbände der FAP in Lörrach und in Freiburg gebildet, die bislang keine nennenswerten Aktivitäten entfaltet haben. Der erst im September 1986 gegründete Landesverband Baden-Württemberg der FAP konnte bis zum Jahresende 1986 keine sichtbare Belebung der Organisation in unserem Bundesland bewirken. 2.1.3 "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG) Die seit 1979 tätige "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) behielt auch 1986 ihre Stellung als einflußreiche rechtsextremistische Vereinigung bei. Unter ihrer Vorsitzenden, der ehemaligen ANS/NA-Aktivistin Christa GÖTH aus Bielefeld, blieb die HNG ein Sammelbecken neonazistischer Aktivisten. Im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stand die Betreuung "nationaler politischer Gefangener" im Inund Ausland; darunter befand sich weiterhin Michael KÜHNEN, der frühere Führer der ANS/NA. Die HNG versuchte damit, ihre Klammerfunktion zur Wahrung des Kontakts zwischen aktiven Neonazis und inhaftierten Rechtsextremisten aufrechtzuerhalten. 2.1.4 "Deutsche Frauenfront/Mädelbund" (DFF/MB) Die im Januar 1984 unter der Bezeichnung "Deutsche Frauenfront" (DFF) gegründete neonazistische Frauengruppe wird seit Ende 1984 von der rechtsextremistischen Aktivistin Ursula MÜLLER aus Mainz-Gonsenheim geleitet. Die Vereinigung, die bundesweit nur wenige Mitglieder zählt, will innerhalb der neonazistischen "Bewegung" frauenspezifische Forderungen in den "politischen Kampf" einbringen. Seit Juli 1985 gibt die Gruppe monatlich eine Publikation heraus, die zunächst unter dem Titel "Deutsche Frauenfront informiert" erschien, seit Anfang 1986 den neuen Namen "Die Kampfgefährtin" trägt. Das Impressum enthält Postanschriften in acht Bundesländern, darunter auch eine in Baden-Württemberg. 73 Im September 1986 schlossen sich die DFF und der ebenfalls neonazistische Zirkel "Mädelbund" (MB) zur "Deutschen Frauenfront/Mädelbund" (DFF/MB) zusammen. 2.1.5 "Nationales Zentrum" in Weidenthal/Pfalz Ein von dem NS-Aktivisten Ernst TAG aus Ludwigshafen im Sommer 1985 erworbenes Anwesen in Weidenthal/Pfalz wurde im Laufe des Jahres 1986 von ihm und seinen Anhängern, von denen einige auch aus Baden-Württemberg kommen, in ein "Nationales Zentrum" umgebaut. Die Bauarbeiten waren gegen Jahresende so weit fortgeschritten, daß TAG erstmals "NS-Kameraden" zu einer Wintersonnwendfeier einladen konnte. Nach der endgültigen Fertigstellung des Zentrums will die Gruppe um TAG sich konzentriert der eigentlichen Arbeit widmen, nämlich "eine Elite des deutschen Volkes (zu schaffen), unbeugsam im Kampf, unerschütterlich im Glauben, unanfechtbar gegenüber allen Verlockungen und Widrigkeiten". 2.1.6 NS-Gruppe Curt MÜLLER Auch im Jahre 1986 trafen sich auf dem Anwesen von Curt und Ursula MÜLLER in Mainz-Gonsenheim namhafte NS-Aktivisten aus dem ganzen Bundesgebiet. Nach einem Brandanschlag im Mai 1986 auf die "Walhalla", ein Veranstaltungsgebäude auf dem Grundstück, mußten die Aktivitäten zwangsläufig eingeschränkt werden. Insbesondere die in den vergangenen Jahren regelmäßig durchgeführten Sommerund Wintersonnwendfeiern konnten nach dem Anschlag nicht mehr stattfinden. Kontakte zu neonazistischen Personen hält das Ehepaar unverändert aufrecht. 2.1.7 "Deutsche Bürgerinitiative e.V." (DBI) Der Gründer und langjährige Führer der neonazistischen "Deutschen Bürgerinitiative e.V." (DBI), Manfred ROEDER - im Jahre 1982 als Rädelsführer der terroristischen Vereinigung "Deutsche Aktionsgruppen" zu 13 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt - , setzt auch aus der Haft heraus seine Versuche fort, mit "Rundbriefen" auf seine Anhänger einzuwirken. In seinen "Briefen" polemisiert ROEDER - wie alle Rechtsextremisten - vor allem gegen Ausländer und Asylanten. Der Volkszorn sei entbrannt, "nicht nur über den Massenansturm zwielichtiger Fremder, sondern vor allem wegen der Haltung unserer Politiker". Asylrecht und Asylverfahren müßten "restlos abgeschafft" werden. Seine Frau Gertraud ROEDER führte auch 1986 wieder mehrere "Freundestreffen" auf dem sogenannten Reichshof in Schwarzenborn/Hessen durch. 74 Von diesen Veranstaltungen erhofft sie sich einen Zusammenhalt der Organisation, die seit der Inhaftierung ihres Mannes einen Mitgliederschwund zu verzeichnen hat und in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist. 2.1.8 "Bürgerund Bauerninitiative e. V." (BBI) Die Aktivitäten der "Bürgerund Bauerninitiative e.V." (BBI) sind im Jahre 1986 weiter zurückgegangen. Nachdem 1985 in Baden-Württemberg noch drei "Freundestreffen" stattfanden, wurden seitdem keine Veranstaltungen der BBI mehr durchgeführt. Überregional organisiert und bekannt wurde lediglich ein "Ostertreffen" auf der Insel Helgoland, an dem zahlreiche Anhänger aus verschiedenen Bundesländern und dem Ausland teilnahmen. Der Vorsitzende der BBI, Thies CHRISTOPHERSEN aus Mohrkirch (Schleswig-Holstein), der seit 1976 wiederholt wegen neonazistisch motivierter Straftaten zu Geldund Freiheitsstrafen verurteilt wurde, zählt indes noch immer zu den bekanntesten Propagandisten im rechtsextremen Lager. Auch 1986 wurden gegen ihn im Zusammenhang mit der Herausgabe und Verbreitung der BBI-Publikation "Die Bauernschaft" u. a. wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener von den Justizbehörden in Schleswig-Holstein Ermittlungsverfahren eingeleitet. 2.1.9 "Nationalistische Front" (NF) Mehrere seit 1984 tätige Neonazi-Zirkel haben sich am 16. November 1985 in Steinhagen bei Bielefeld zur "Nationalistischen Front" (NF) zusammengeschlossen. Der Organisation, die bereits wieder von Spaltungstendenzen bedroht ist, gehören bundesweit weniger als 100 Mitglieder an. Sie versteht sich selbst als Partei und grenzt sich ideologisch von den anderen Neonazi-Gruppen ab. So lehnt die NF den von HITLER geprägten Nationalsozialismus ab und setzt statt dessen auf nationalrevolutionäre Ideen, wie sie in der Weimarer Republik besonders von den (vom NS-Regime später verfolgten) Gebrüdern STRASSER entwickelt worden waren. Ein wiederhergestelltes Deutsches Reich soll nach Auffassung der NF national verfaßt, revolutionär geschaffen und im Innern antikapitalistisch ausgestaltet sein. Neben Untergruppen in Bremen, Berlin und Nordrhein-Westfalen hat die NF auch einzelne Aktivisten in Baden-Württemberg. Der seit Jahren in verschiedenen rechtsextremen Gruppen tätig gewesene Bernd PAULI aus Freiburg hat offenbar seinen Vorsitz in der NF an Meinolf SCHÖNBORN aus NordrheinWestfalen abgegeben. Inzwischen richtete die Organisation ein von ihr in Bielefeld gekauftes Gebäude als Zentrale ein. Die öffentlichen Aktivitäten der NF in Baden-Württemberg beschränkten sich im Jahre 1986 auf Klebeund Plakataktionen. In der Zeitschrift "Klartext", die als Sprachrohr der NF fungiert, sowie in Flugschriften polemisiert die Gruppe 75 aggressiv gegen die Asylantenund Ausländerpolitik der Bundesregierung und gegen den angeblich zu laschen Einsatz für eine Wiedervereinigung Deutschlands. In verschiedenen Ausgaben ihrer Flugschriften verdeutlicht die NF ihre rechtsextremistische, auf Gewaltanwendung gerichtete Zielsetzung. 2.2 Einflußnahme auf jugendliche Randgruppen Seit Jahren sind Bemühungen von Rechtsextremisten erkennbar, unter Schülern und Auszubildenden sowie aus relativ verfestigten jugendlichen Randgruppen (Skinheads und Fanclubs) ihren Nachwuchs zu rekrutieren. Obwohl der überwiegende Teil der Jugend sich unverändert nicht mit rechtsextremistischen Ideen identifiziert, gelingt es insbesondere neonazistischen Zirkeln, vereinzelt Jugendliche in ihrer Phase des ersten Suchens nach politischen Standorten "anzupolitisieren". Allerdings sind diese jugendlichen Aktivisten zumeist ideologisch wenig gefestigt. Häufig sind lediglich bestimmte Einzelaspekte rechtsextremen Gedankenguts wie Fremdenfeindlichkeit, nationalistische Haltungen und Führerkult ursächlich für das Engagement. Nicht selten spielen aber auch ein stark emotionaler Hang zum Gruppenerlebnis, zur Kameradschaft und zur Härte sowie ein geradezu irrationaler Männlichkeitswahn eine bedeutsame Rolle. Obwohl die Anziehungskraft nazistischen Gedankenguts und der entsprechenden Symbolik auf jugendliche Randgruppen wie Skinheads und auf An76 hänger von Fanclubs nicht zu übersehen ist, führte die von rechtsextremistischen Kreisen betriebene Infiltration dieser Gruppen, insbesondere gewaltgeneigter Zirkel, bisher nicht zu einer nennenswerten Stärkung des rechtsextremen Potentials. Dies liegt vor allem daran, daß sich die überwiegend undisziplinierten, politisch weitgehend uninteressierten Fans und Skins nicht als Träger rechtsextremer Zielvorstellungen eignen. Militante primitiv-extremistische Provokationen und Vulgärproteste mit ihren nachhaltigen Wirkungen in der Öffentlichkeit sind häufig die eigentliche Brücke zwischen Neonazis und gewaltorientierten Angehörigen etwa der Skinheads. Hier entstehen zunehmend dumpfe Ressentiments, die sich zunächst in Sprühaktionen äußern und bis zu Gewaltakten gegen Ausländer führen. Inzwischen gelingt es Rechtsextremisten in Einzelfällen, Fans und Skins für Hilfsdienste wie Flugblattverteilungen, aber auch für "Schlägertrupps" bei tätlichen Auseinandersetzungen mit dem (linksextremistischen) politischen Gegner zu mobilisieren. 2.3 Gesetzesverletzungen mit rechtsextremem Hintergrund Im Jahre 1986 ging die Zahl der bekanntgewordenen Gesetzesverletzungen mit rechtsextremem Hintergrund von 178 auf 140 zurück. Wie bereits in den Vorjahren entfiel wieder ein Großteil auf Schmierund Klebeaktionen, deren Gesamtzahl sich von 119 (1985) auf 98 verringerte. Die Zahl der Straftaten gegen jüdische Einrichtungen und Mitbürger blieb mit fünf Fällen gleich. So wurden im Oktober 1986 auf dem jüdischen Friedhof in Randegg/Landkreis Konstanz durch Unbekannte zahlreiche Grabsteine umgestürzt, wobei ein Sachschaden von über 70.000 DM entstand. Die am Friedhofseingang geschmierten Hakenkreuze und SS-Runen sowie die nazistisch motivierte Aufschrift "6-Millionen-Lüge" weisen unzweideutig auf den rechtsextremistischen Hintergrund der Tat hin. Darüber hinaus wurden 37 (1985: 50) sonstige Vorkommnisse bekannt, zu denen auch der Versand neonazistischer Schriften und einschlägigen Propagandamaterials zählt. Beispielsweise versandte die "NSDAP/Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP/AO) mit Sitz in Lincoln/Nebraska (USA) an Schülerzeitungen im Bundesgebiet ein bereits vor Jahren verbreitetes "Spiel" mit der Bezeichnung "Jude ärgere Dich nicht". Die Rückseite enthielt unter der Überschrift "Gesammelter Backofenschwindel und Gaskammersongs" ein 48 Doppelzeilen umfassendes Lied volksverhetzenden und antisemitischen Inhalts. Daneben mußten 1986 auch in Baden-Württemberg zunehmend ausländerfeindliche Aktionen vor allem gegen Asylbewerber festgestellt werden, denen in einzelnen Fällen ein rechtsextremistisches Tatmotiv zugrunde lag: - Im April 1986 ging eine mehr als zehn Personen umfassende Gruppe junger Deutscher wiederholt gegen Asylbewerber vor, die in einer Unterkunft in Ra77 dolfzell untergebracht waren. Dabei wurden zur Nachtzeit Fensterscheiben eingeworfen und vereinzelt indische Flüchtlinge körperlich mißhandelt. - A u s rassistisch geprägtem Ausländerhaß schlug im August 1986 ein jugendlicher Skinhead in Ostfildern mit Fußtritten und Faustschlägen einen Asylbewerber aus Bangladesch nieder. - I n den Monaten November und Dezember 1986 kam es im Raum Heidenheim zu Gewaltaktionen bislang unbekannter Täter gegen verschiedene Wohngebäude, in denen Asylbewerber untergebracht sind. Dabei wurden durch Steinwürfe Fenster zertrümmert und durch Brandlegung zum Teil erheblicher Sachschaden verursacht. Zumindest in einem Fall konnte am Tatobjekt ein neonazistischer Aufkleber festgestellt werden. 2.4 Maßnahmen gegen rechtsextreme Aktivisten Die Strafverfolgungsbehörden begegneten auch im Jahre 1986 erkannten Gesetzesverletzungen rechtsextremistischer Aktivisten mit der Einleitung von Ermittlungsverfahren und der konsequenten Verurteilung überführter Straftäter. Der im April 1985 in Frankreich festgenommene, aus Baden-Württemberg stammende, mutmaßliche rechtsextremistische Gewalttäter Odfried HEPP wurde von einem französischen Gericht im Juni 1986 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten sowie im November 1986 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren wegen Handelns mit falschen Pässen verurteilt. Die französischen Behörden haben HEPP am 28. Januar 1987 auf Antrag des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof den deutschen Strafverfolgungsbehörden überstellt. Gegen HEPP richtet sich nach wie vor ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer rechtsterroristischen Vereinigung sowie wegen seiner Beteiligung an drei Mordversuchen an Angehörigen der amerikanischen Streitkräfte und vier bewaffneten Raubüberfällen auf Sparkassen. Am 17. Juli 1986 verurteilte das Amtsgericht Heidenheim einen 19jährigen neonazistischen Aktivisten wegen Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung und einer Geldbuße von 2.500 DM. Das Gericht sah es u. a. als erwiesen an, daß er im November 1985 an verschiedenen Gebäuden in Heidenheim neonazistische Parolen gesprüht und Aufkleber angebracht hatte. Das Landgericht Tübingen verurteilte am 24. November 1986 die Hauptakteure des inzwischen aufgelösten neonazistischen "Stoßtrupps Nagold" zu 26 bzw. 24 Monaten Gesamtfreiheitsstrafe (unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung durch das Landgericht Stuttgart im April 1985). Nach dem zugrunde gelegten Sachverhalt hatten im Frühjahr 1985 ehemalige Mitglieder der verbotenen "Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten" (ANS/NA) im Anwesen eines Aktivisten in Rohrdorf eine Wohngemeinschaft gegründet, was 78 zu einem sprunghaften Anstieg rechtsextremistischer Aktivitäten in diesem Raum führte. Einen Höhepunkt stellte dabei das Anbringen eines Transparents an dem Gebäude anläßlich des 96. Geburtstags von Adolf HITLER am 20. April 1985 dar. Das Landgericht Nürnberg/Fürth verurteilte am 17. November 1986 drei ehemalige Mitglieder (darunter eines aus Baden-Württemberg) der von dem Neonazi Karl-Heinz HOFFMANN gegründeten "Wehrsportgruppe Libanon" (WSG) wegen gefährlicher Körperverletzung und Nötigung zu Freiheitsstrafen zwischen 15 und 33 Monaten. In zwei Fällen wurden die Strafen zur Bewährung ausgesetzt. Die drei Angeklagten waren für schuldig befunden worden, 1980/1981 im Libanon an den Folterungen eines WSG-Mitglieds beteiligt gewesen zu sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu dessen Tod führten. HOFFMANN selbst war bereits am 30. Juni 1986 vom Nürnberger Schwurgericht zu einer Freiheitsstrafe von neuneinhalb Jahren verurteilt worden. Das Gericht hatte ihn der Geldfälschung, Freiheitsberaubung, Körperverletzung, Nötigung und Strafvereitelung sowie eines Vergehens gegen das Waffengesetz für schuldig befunden. Am 14. November 1986 verurteilte die Jugendkammer des Landgerichts Karlsruhe einen 17jährigen Skinhead zu vier Jahren Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Das Gericht sah es als erwiesen an, daß der auch in neonazistischen Kreisen verkehrende Skinhead im April 1986 in Begleitung eines weiteren Skins in Karlsruhe zwei äthiopische Staatsangehörige ohne Grund mit den Worten "Scheißausländer, Scheißasylanten" beleidigte. Nach einem Wortgefecht, das schließlich in Tätlichkeiten ausartete, verletzte der verurteilte Skinhead einen der Äthiopier durch einen Stich mit einem Springmesser. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 2.5 Internationale Verflechtungen des Rechtsextremismus Deutsche und ausländische Neonazis sind unverändert bestrebt, die seit Jahren bestehende grenzüberschreitende Zusammenarbeit weiter zu verstärken. Intensivere Kontakte bestehen zu einschlägigen Gruppen und Einzelpersonen vor allem in Frankreich, Großbritannien und Belgien, in Spanien, Österreich und der Schweiz, aber auch in den USA und in Kanada. Insbesondere durch den Austausch von rechtsextremistischem Schrifttum, in gewissem Umfang aber auch durch gegenseitige Besuche sind bestehende Verbindungen vertieft und neue Kontakte angebahnt worden. Frankreich Besonders enge Beziehungen haben sich in den vergangenen Jahren zwischen deutschen und französischen Neonazis entwickelt. Eine der für nazistisches Gedankengut besonders aufgeschlossenen französischen Gruppierungen ist die "Faisceaux Nationalistes Europeen" (F.N.E.). Ihrem führenden Mit79 glied Michel CAIGNET, der enge Beziehungen zu dem Neonazi KÜHNEN unterhält, ist es in den letzten Jahren gelungen, eine "Europäische Bewegung" (EB) und damit eine Art Dachorganisation verschiedener neonazistischer Gruppierungen in Westeuropa zu schaffen. Wiederkehrende internationale Treffen sowie die Herausgabe entsprechender Publikationen (etwa "Notre Europe" und - vorübergehend - der "Neuen Front" für die "Bewegung" im Bundesgebiet) sind Anzeichen für eine wachsende Kooperation der Neonazis auf internationaler Ebene. Verwirrung entstand Mitte des Jahres 1986, als CAIGNET wegen seiner homosexuellen Neigungen, zu denen er sich - anders als die deutschen Neonazis KÜHNEN und BREHL - ausdrücklich bekannte, seiner Führungsposition in der EB enthoben wurde. Zu seinem Nachfolger als Sekretär wurde zwischenzeitlich der Belgier BOSMANS bestimmt. Nachdem der rechtsextremistische "Rat der Frankreich-Deutschen" in den vergangenen Jahren mehrmals Kundgebungen am Denkmal des französischen Marschalls Henry de TURENNE in Sasbach/Ortenaukreis durchgeführt hatte, mußte die für den 14. Juni 1986 anberaumte Veranstaltung aufgrund massiver Gegenaktionen abgebrochen werden. Die Gruppe ging aus der militanten Untergrundbewegung "Schwarze Wölfe" hervor, die Anfang der achtziger Jahre mit mehreren Sprengstoffanschlägen in Frankreich Aufmerksamkeit erregt hatte. Im September 1986 wurden Anhänger der Organisation aus dem Raum Freiburg wegen Beteiligung an diesen Sprengstoffanschlägen zu Geldund Freiheitsstrafen verurteilt. Ziel des "Rats der Frankreich-Deutschen" ist der Anschluß des Elsaß an ein zu bildendes Deutsches Reich in den Grenzen von vor 1918 und eine größere Berücksichtigung der Interessen der deutschsprachigen Bevölkerung im Elsaß. Organ der Gruppe ist die Zeitschrift "Nouvelle Voix" ("Neue Stimme"), die auch in deutschen rechtsextremen Kreisen verbreitet wird. Großbritannien und Belgien Enge Kontakte bestehen seit langem zu neonazistischen Kreisen in Großbritannien und Belgien. So nahmen deutsche Neonazis vom 28. bis 31. März 1986 in der Nähe von London an einem "Führerthing" teil, das von der britischen neonazistischen Organisation "National Action Party" (NAP) organisiert wurde. Auch bei dem internationalen Rechtsextremistentreffen am Rande der flämischen Volkstumsveranstaltung "Ijzerbedevaart 1986" in Diksmuide/Belgien Ende Juni 1986 waren - wie in den Vorjahren - wieder zahlreiche deutsche Rechtsextremisten vertreten. Österreich Sehr gute persönliche Kontakte deutscher Rechtsextremisten bestehen nach wie vor zu Gesinnungsgenossen in Österreich, das von allen neonazistischen Kreisen als "Ostmark" bezeichnet wird. Eine Reihe von österreichischen 80 Aufkleber der NSDAP-AO Neonazis versteht sich offensichtlich als Teil der in Deutschland aktiven "Bewegung". Dafür sprechen die häufigen Veranstaltungen mit Personen aus beiden Ländern sowie der Austausch von einschlägigem Schrifttum. Vor allem die Publikation des österreichischen Rechtsextremisten Walter OCHENSBERGER, "SIEG Aktuell - Jugend-Presse-Dienst", findet in rechtsextremen Kreisen im Bundesgebiet besondere Beachtung. OCHENSBERGER widmete sich 1986 vor allem dem Asylantenproblem und der sich daraus für ihn ergebenden "Überfremdung von Volk und Heimat". Vereinigte Staaten von Amerika Unter deutschen Neonazis wurden seit Mitte 1986 nach einjähriger Pause wieder Ausgaben des "NS-Kampfrufs", der "Kampfschrift der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei - Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP-AO), verbreitet. Der "NS-Kampfruf" fordert nach wie vor unverblümt zur Gewaltanwendung gegen politische Gegner und Repräsentanten des demokratischen Staates auf. Im Leitartikel der Ausgabe Nr. 62/1986 werden die Anhänger zur Zellenbildung, zum "Widerstand" im Untergrund und zum "Kampf mit allen illegalen Mitteln" aufgefordert. Die Demokratie sei am Ende, sie versage auf allen Gebieten. Den "aufgeblasenen Unrechtsstaat" müsse man "aufstechen wie einen Abszeß", denn er führe zu "totaler Vergiftung". Daneben wurden wiederum 81 zahlreiche Flugblätter, Plakate und Aufkleber mit antisemitischem und ausländerfeindlichem Inhalt ins Bundesgebiet eingeführt. Kanada Der im Jahre 1985 in Toronto wegen der Veröffentlichung einer Schrift, in der die Judenvernichtung im Dritten Reich geleugnet wird, zu 15 Monaten Freiheitsstrafe verurteilte Neonazi Ernst Christof ZÜNDEL aus Wildbad-Calmbach setzte seine publizistische Arbeit unbeirrt fort. Er gibt u. a. die auch ins Bundesgebiet eingeschleusten Rundbriefe "Samisdat" heraus. 3. Nationaldemokratische Organisationen 3.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Mit ihren etwa 6.100 Mitgliedern ist die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) nach wie vor die größte rechtsextremistische Partei in der Bundesrepublik Deutschland. Sie vermochte ihren Mitgliederbestand gegenüber den Vorjahren nicht zu erhöhen. Auch in Baden-Württemberg war - trotz anderslautender parteiinterner Verlautbarungen - kein nennenswerter Zuwachs zu verzeichnen. Die Zahl der Mitglieder im Landesverband beträgt wie im Vorjahr etwa 1.000. Die von der Parteiführung seit Jahren angekündigte Aufwärtsentwicklung ist somit zumindest im Mitgliederbereich bisher ausgeblieben. Enttäuscht zeigte sich die NPD im Vorfeld der Bundestagswahl auch von ihrem Abschneiden bei verschiedenen Wahlen. Nachdem sie bereits bei der Landtagswahl im Saarland (10. März 1985) das von ihr gesteckte Ziel, mindestens 1,5% der abgegebenen Stimmen zu erhalten, nicht erreicht hatte ( = 0,7%), mußte sie im Oktober 1986 bei der bayerischen Landtagswahl mit 0,5% der Stimmen (1982 = 0,6%) eine weitere Schlappe hinnehmen. So richtete sich die Hoffnung der Parteiführung und der aktiven Mitglieder ganz auf die Bundestagswahl am 25. Januar 1987. Ein Großteil der öffentlichen Aktivitäten der NPD war deshalb im abgelaufenen Jahr stark auf den Wahlkampf abgestimmt. Allerdings stieß bereits die Nominierung der Bundestagskandidaten, für deren Zulassung eine bestimmte Zahl von Unterstützungsunterschriften gesammelt werden mußte, auf erhebliche Schwierigkeiten. Zwar gelang es der Partei schließlich, in allen Bundesländern mit Landeslisten antreten zu können; sie war aber nicht in der Lage, ihr Ziel, in allen 248 Wahlkreisen Direktkandidaten zu nominieren, zu verwirklichen. Auch parteiintern war klar, daß die überaus optimistischen Prognosen vieler Funktionäre, die bis zum Überspringen der 5%-Hürde reichten, Illusion bleiben mußten. So reduzierten sich die Erwartungen allgemein darauf, daß ein Zweit82 NPD-Aufkleber Stimmenanteil von 0,5% erreicht werde, um in den Genuß der staatlichen Wahlkampfkostenerstattung zu kommen. Kernstück des Wahlkampfs der NPD war das eigens verabschiedete "Wahlprogramm der Nationaldemokraten". Neben Themen wie Arbeitsplatzsicherung, "Bauernsterben" und Rentensicherung nahm die Ausländerund Asylpolitik einen zentralen Platz in der stark polemisch unterlegten Agitation der Partei ein. Beachtenswert war die in der Vorwahlphase sich immer deutlicher abzeichnende Annäherung zwischen der NPD und dem Vorsitzenden der "Deutschen Volksunion" (DVU), Dr. FREY aus München. So nahm bereits im August 1986 der NPD-Generalsekretär SEETZEN als Ehrengast an einer DVU-Großveranstaltung in Passau teil. Darüber hinaus ließ Dr. FREY mehrfach NPD-Spitzenfunktionäre in seinen Zeitungen zu Wort kommen. Außerdem forderte er die Leser in eindeutiger Weise zur Wahl der NPD auf, ohne daß dies allerdings für die Nationaldemokraten zu dem erhofften Durchbruch bei der Bundestagswahl führte. Die NPD erzielte bundesweit mit 227.054 Zweitstimmen (0,6%) ihr bestes Ergebnis seit Jahren. Gegenüber dem Resultat bei der Bundestagswahl 1983 mit 83 91.095 Zweitstimmen (0,2%) bedeutet dies fast eine Verdreifachung. Selbst gegenüber der Europawahl im Jahre 1984 (198.633 Stimmen = 0,8%) konnte sie ihr Wählerpotential - gemessen an der absoluten Zahl - leicht erhöhen. In Baden-Württemberg erhielt die NPD 54.996 Zweitstimmen (1,0%). NPD-Ergebnis Bundestagswahl 1987 Zweitstimmen Prozent Bund 227 054 0,6 Baden-Württemberg 54 996 1,0 Wahlkreis 170 Neckar-Zaber 1 995 1,4 184 Calw 1 923 1,4 172 Schwäbisch Hall 2 254 1,6 189 Rottweil-Tuttlingen 2 835 2,0 190 Schwarzwald-Baar 2 403 2,1 Das bereits 1973 verabschiedete Parteiprogramm, das sogenannte Düsseldorfer Programm, ist nach wie vor gültig, obwohl die Partei in einer Reihe von Fragen namentlich auf dem Gebiet der Außenpolitik (Austritt aus der NATO) und der Innenpolitik (ablehnende Haltung zur Kernenergie) im Laufe der Jahre deutlich andere Akzente gesetzt hat. Seit 1985 ist die NPD bestrebt, ihre "Gedanken für eine lebenswerte Zukunft" in ein neues Programm zu fassen. Der Entwurf dieses Dokuments, das 1985 auf dem 19. Bundesparteitag in erster Lesung behandelt wurde, wurde auch auf dem 20. Parteitag der NPD im Jahre 1986 - trotz der dringenden Empfehlungen des Parteivorstands - noch nicht verabschiedet. Der Antrag einiger Kreisverbände, die endgültige Beschlußfassung über den Entwurf einem Sonderparteitag zu überlassen, fand eine Mehrheit. Das noch zu beschließende Programm soll u. a. offensichtlich auch die extremistischen Ziele der Partei kaschieren helfen. Der Landesverband Baden-Württemberg der NPD hat mit Wirkung vom 1. Januar 1986 eine neue Organisationsebene geschaffen: es wurden erstmals vier Bezirksverbände eingerichtet und deren Vorstände bestellt. Diese Organisationseinheiten sollen als Bindeglied zwischen dem Landesvorstand und den Kreisverbänden der Partei dienen und eine effektivere Arbeit ermöglichen. Darüber hinaus wurden 1986 weitere NPD-Ortsverbände gegründet, die die organisatorische Basis der Partei weiter stärken sollen. Auf dem 21. ordentlichen NPD-Landesparteitag, der am 23. März 1986 in Tuttlingen stattfand, wählten die Delegierten einen neuen, sichtlich verjüngten Landesvorstand. Der bisherige Landesvorsitzende SCHÜTZINGER wurde wiedergewählt. Bereits im Vorfeld dieses Landesparteitags war von politischen 84 Gegnern der NPD zu einer "machtvollen Gegendemonstration" aufgerufen worden. Etwa 1.000 Demonstranten waren nach Tuttlingen gereist, um gegen, das Auftreten dieser rechtsextremistischen Partei zu demonstrieren. 3.2 "Junge Nationaldemokraten" (JN) Die "Jungen Nationaldemokraten" (JN), die seit 1969 aktive Jugendorganisation der NPD, stehen wieder weitgehend geschlossen zu ihrer "Mutterpartei", nachdem sie in den Vorjahren den Kurs der NPD häufig als zu lasch und wenig kämpferisch kritisiert hatten. Inzwischen haben sich die politischen Forderungen und Erklärungen beider Organisationen wieder stärker angeglichen, wenn auch die Argumentation der JN gelegentlich noch immer deutlich aggressiver ist. Unverändert lassen sich bundesweit in Einzelfällen Annäherungen an neonazistische Positionen erkennen. Ähnlich wie bei der NPD ist auch bei der JN eine organisatorische Konsolidierung eingetreten: JN-Mitgliederbestand 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 Bund 1000 750 500 500 550 550 600 BadenWürttemberg 120 80 80 75 80 80 80 In Baden-Württemberg tut sich die JN allerdings mit dem weiteren Ausbau ihrer Organisation nach wie vor schwer. Zwar sind zu dem in den letzten Jahren nahezu allein aktiven Kreisverband Stuttgart neue Kreisverbände im RemsMurr-Kreis und in Heilbronn dazugekommen. Dafür löste sich aber der im Jahre 1985 im Rhein-Neckar-Kreis gegründete JN-Kreisverband wieder auf. Insgesamt blieb damit die organisatorische Basis der JN in Baden-Württemberg bescheiden. Auffällige Aktivitäten haben die "Jungen Nationaldemokraten" auch im Jahre 1986 nicht entfaltet. Vorrangiges Ziel war die Unterstützung der NPD im Bundestagswahlkampf. Der 15. ordentliche Bundeskongreß der JN fand am 6. und 7. September 1986 in Harsefeld in Niedersachsen statt. Da Neuwahlen nicht anstanden, verlief die Veranstaltung ohne nennenswerte Höhepunkte. Ebenfalls ohne Besonderheiten verlief der 15. ordentliche Landeskongreß der JN Baden-Württemberg am 12. April 1986 in Stuttgart, an dem etwa 60 Anhänger teilnahmen. 85 3.3 "Nationaldemokratischer Hochschulbund" (NHB) Die Studentenorganisation der NPD, der Nationaldemokratische Hochschulbund" (NHB), ist inzwischen fast bedeutungslos. Er zählt bundesweit noch etwa 30 Mitglieder, in Baden-Württemberg sind nur noch wenige Personen aktiv. Das Publikationsorgan "NHB-Report", das noch immer sehr aufwendig gestaltet ist und von der NPD finanziert wird, erscheint unregelmäßig in einer Auflage von etwa 1.500 Exemplaren. Die Zeitschrift wird auch in Baden-Württemberg verbreitet. 4. "National-Freiheitliche Rechte" Zur "National-Freiheitlichen Rechten" zählen all jene rechtsextremen Gruppierungen, die von dem Herausgeber der "Deutschen National-Zeitung" (DNZ), Dr. Gerhard FREY aus München, politisch geführt werden. Sie vereinigen sich in der von ihm bereits 1971 gegründeten "Deutschen Volksunion" (DVU) und in den ihr angeschlossenen sogenannten Aktionsgemeinschaften. Im November 1986 wurde mit dem Wahlbündnis "Deutsche Volksliste" eine weitere Gruppierung initiiert, die der Vorbereitung einer künftigen Wahlbeteiligung der "National-Freiheitlichen" dienen dürfte. Obwohl die DVU - im Gegensatz zur NPD - keine politische Partei ist, über keinen eigentlichen organisatorischen Unterbau und über kein detailliertes Programm verfügt, ist sie seit Jahren die mitgliederstärkste rechtsextreme Vereinigung im Bundesgebiet. Der DVU und ihren "Aktionsgemeinschaften" gehörten 1986 im Bundesgebiet über 12.000 Personen an. Die organisatorisch nur lose zusammengefaßten Anhänger beziehen ihre Informationen im wesentlichen aus den drei von Dr. FREY herausgegebenen Wochenzeitungen "Deutsche National-Zeitung", "Deutscher Anzeiger" und "Deutsche Wochenzeitung". Die Berichterstattung ist in ihrer allgemeinen Tendenz häufig betont ausländerfeindlich und antijüdisch; fortgesetzt werden Repräsentanten der deutschen Politik diffamiert. Zahlreiche Artikel über Vorkommnisse im Dritten Reich und während der Weltkriege sind unkritisch, bewußt einseitig und zum Teil beschönigend abgefaßt. Hier sind Übereinstimmungen mit der politischen Linie der NPD unverkennbar. Deshalb konnte es nicht überraschen, daß der DVU-Vorsitzende Dr. FREY die Kontakte zu führenden Funktionären der NPD 1986 geradezu demonstrativ ausbaute. Die DVU und ihre "Aktionsgemeinschaften" haben in den letzten Jahren innerhalb des rechtsextremen Spektrums allmählich an Bedeutung zugenommen. Dies bewog Dr. FREY offensichtlich zum Jahresende 1986 dazu, mit der "Deutschen Volksliste" eine weitere Gruppierung zur Gewinnung neuer Anhänger ins Leben zu rufen. Im einzelnen agieren mittlerweile folgende, Dr. FREY eng verbundene Vereinigungen: 86 - Als erste "Aktionsgemeinschaft" entstand 1979 die "Volksbewegung für Generalamnestie" (VOGA), die eine Amnestie für "jedwedes behauptete oder tatsächliche Unrecht" im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg fordert. - D i e im November 1980 gegründete "Initiative für Ausländerbegrenzung" (l.f.A.) fordert im Zeichen des Zustroms von Asylsuchenden in häufig überaus polemischer Form die "Eindämmung des Scheinasylantentums" und die Beschränkung des Ausländeranteils in der Bundesrepublik Deutschland. In Verfolgung dieser Ziele wurde im Oktober 1986 sowohl in der "Deutschen National-Zeitung" als auch im "Deutschen Anzeiger" eine Meinungsumfrage der l.f.A. zu der Frage "Deutschland den Deutschen - oder den Scheinasylanten?" veröffentlicht. Wie von gleichartigen "Umfragen" her bereits bekannt, waren die vorgegebenen Antworten angesichts der Vielschichtigkeit des Problems alles andere als ausgewogen. - I m Dezember 1981 initiierte Dr. FREY die "Aktion deutsches Radio und Fernsehen" (ARF), die sich gegen die "systematische Verteufelung der deutschen Geschichte, die Herabwürdigung des deutschen Soldaten, die Minimalisierung der Verbrechen am deutschen V o l k . . . in Rundfunk und Fernsehen" wendet. - Der "Ehrenbund RUDEL - Gemeinschaft zum Schutz der Frontsoldaten" (ER) formierte sich im Januar 1983. Er wendet sich "gegen die Diffamierung untadeliger Soldaten" und will "über Taten und Leiden auch der Besiegten der Wahrheit die Ehre geben". - Der im November 1984 als sechste "Aktionsgemeinschaft" der DVU gegründete "Schutzbund für Leben und Umwelt" wurde von Dr. FREY im Juli 1986 in "Schutzbund für Volk und Kultur" umbenannt. In das neue Programm wurden neben anderen folgende Forderungen aufgenommen: - "Schutz des deutschen Volkstums", - "Schutz der deutschen Kultur", - "Schutz kommender Generationen", - "Schutz der deutschen Sprache", - "Schutz vor Schund", - "Verbesserter Tierschutz" und - "Gesundheitsschutz durch Sport". - Die "Aktion deutsche Einheit" (AKON) nimmt aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte eine gewisse Sonderstellung ein. Sie war bereits 1962 unter der Bezeichnung "Bund für Deutsche Einheit - Aktion Oder-Neiße e.V." (AKON) gegründet worden. Mit der Ernennung Dr. FREYs zum geschäftsführenden Vorsitzenden der AKON geriet diese völlig in dessen Einflußbereich und gliederte sich 1980 der DVU als "Aktionsgemeinschaft" an. Die AKON agitiert vor allem in ostpolitischen Fragen und behauptet, maßgebliche Kräfte der deutschen Politik predigten den Verzicht. 87 - A l s mutmaßliche siebte "Aktionsgemeinschaft" der DVU initiierte Dr. FREY im November 1986 die "Deutsche Volksliste", in der sich alle "nationalbewußten Deutschen", die eine "wahrhafte Wende" in der deutschen Politik erreichen wollen, sammeln sollen. Der angeblich verstärkt gegen die Lebensinteressen des deutschen Volkes gerichteten aktuellen Politik will Dr. FREY so entgegenwirken. Dies soll auf "parlamentarisch-demokratischem Wege" geschehen. Die "Kampfforderungen" der "Volksliste" sind im wesentlichen eine Zusammenfassung der bereits bekannten Positionen der DVU und ihrer "Aktionsgemeinschaften". Die DVU setzte auch 1986 ihre Vortragsreihen mit dem britischen Publizisten David IRVING fort, der bei einer Veranstaltung im August 1986 in Stuttgart über das Thema "Entrechtung des deutschen Volkes" sprach. Weitere Veranstaltungen der DVU mit anderen Referenten am 12. September 1986 in Lörrach und am 13. September 1986 in Karlsruhe wurden gestört oder mußten abgebrochen werden. 5. Sonstige rechtsextreme Vereinigungen Im Bundesgebiet agieren neben neonazistischen, nationaldemokratischen und national-freiheitlichen Gruppierungen noch weitere Vereinigungen mit rechtsextremer Zielsetzung, die aber häufig nur wenige Anhänger zählen: 5.1 "Die Deutsche Freiheitsbewegung" (DDF) Otto Ernst REMER, Kaufbeuren, Vorsitzender der am 1. April 1983 in Eberbach/Neckar gegründeten "Deutschen Freiheitsbewegung" (DDF), hat im Jahre 1986 seine rechtsextremistische Aktivität unbeirrt fortgesetzt. Er strebt unverändert ein nationalistisch-neutralistisches "Großdeutschland" und eine "Allianz mit der Sowjetunion" an, diffamiert die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 und rechtfertigt in wesentlichen Teilen das NS-Regime. REMER wurde deshalb 1986 von bayerischen Gerichten wiederholt verurteilt. Trotz vielfältiger Kontakte zu verschiedenen Organisationen des Inund Auslands konnte REMER nicht zu einer einflußreichen Führungsfigur des rechtsextremen Lagers aufsteigen. Es gelang ihm nicht, der DDF eine größere Bedeutung zu verschaffen. Bundesweit dürften ihr etwa 70 Personen angehören. 5.2 "Wiking-Jugend" (WJ) Die 1952 gegründete "Wiking-Jugend" (WJ) zählt zu den ältesten rechtsextremen Jugendorganisationen der Bundesrepublik Deutschland. Sie versteht sich als "nationalbündische Jugendbewegung", die eine spezifische "Nordland88 Ideologie vertritt, in deren Mittelpunkt die "Artgemeinschaft und das sie tragende "Erbgut" stehen. Bei der WJ ist seit Jahren eine Annäherung an neonazistisches Gedankengut zu beobachten. Dies zeigt sich in direkten persönlichen Kontakten zu Neonazis und kommt vor allem in den beschönigenden Kommentierungen von Vorgängen im "Dritten Reich" wie auch in den Empfehlungen zur Lektüre rechtsextremistischer Schriften anderer Gruppen eindeutig zum Ausdruck. Die von der WJ-Bundesführung geförderte Annäherung an neonazistisches Gedankengut wird indes nicht von allen Mitgliedern vorbehaltlos unterstützt. Vereinzelte Hinweise lassen auf Besorgnisse von Teilen der Organisation über eine zu enge Anlehnung an die neonazistische "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) schließen. Diese Meinungsverschiedenheiten waren offensichtlich auch der Grund für das mehrfache Verschieben des "Bundesthings", auf dem eine neue Bundesführung gewählt werden sollte. Der Fahrtenplan 1986 bot wieder die organisatorische Grundlage für die Veranstaltungen der WJ, für Wanderungen und Lagerleben. So führte der "Gau Schwaben" der "Wiking-Jugend" 1986 eine "Totengedenkfeier" und ein Erntedankfest durch, an denen jeweils etwa 50 Personen teilnahmen, darunter auch Anhänger der FAP. Die Silvesterveranstaltung der WJ, die alljährlich in Form einer Mahnwache mit Mahnfeuer an der innerdeutschen Grenze stattfindet, wurde von den örtlichen Behörden verboten. Trotzdem kamen etwa 150 Anhänger, darunter zahlreiche Neonazis, im Raum Fulda zu Spontandemonstrationen zusammen. Angesichts ihrer Aktivitäten und ihrer unverändert rechtsextremen Grundeinstellung dient der Anspruch der WJ, "wertvollste jugendpflegerische Arbeit" zu leisten, nach wie vor der Tarnung ihrer wahren Absichten. 5.3 "Gesellschaft für Freie Publizistik e.V." (GFP) Die "Gesellschaft für Freie Publizistik" (GFP), die seit ihrer Gründung im Jahre 1960 ein Podium für rechtsextrem orientierte Schriftsteller, Publizisten und Verleger ist, stellt unverändert die größte rechtsextremistische Kulturund Weltanschauungsorganisation in der Bundesrepublik Deutschland mit einigen hundert Mitgliedern dar. Allerdings sind - nicht zuletzt aufgrund der Überalterung der Anhänger - gewisse Verfallserscheinungen nicht zu übersehen. Ihren politischen Standort hat die GFP weiterhin in der Nähe der NPD. Das Organ der GFP, "Das Freie Forum", erscheint vierteljährlich in einer Auflage von 1.500 Exemplaren. 89 IM. Aktivitäten politisch extremer Ausländer 1. Allgemeiner Überblick Die Zahl in Baden-Württemberg wohnender ausländischer Staatsangehöriger hat sich erstmals seit mehreren Jahren wieder um rund 15.000 auf nunmehr etwa 854.000 (Stand: 30. September 1986) erhöht. Die stärkste relative Veränderung war bei den Iranern zu verzeichnen. Ihre Zahl stieg von 2.900 im Vorjahr auf nunmehr ca. 5.600 Personen. Auch 1986 widerstand die große Mehrzahl der im Bundesgebiet lebenden Ausländer den Werbungsversuchen politischer Extremisten. Zwar konnten Ausländervereinigungen mit extremistischer oder terroristischer Zielsetzung ihren Mitgliederbestand geringfügig auf knapp 18.800 steigern. Bei der Bewertung dieser Entwicklung ist jedoch zu berücksichtigen, daß nicht alle Anhänger extremistisch beeinflußter Ausländergruppen deren Zielsetzung vorbehaltlos unterstützen. Häufig sind die Beweggründe für eine Mitgliedschaft (insbesondere bei den mitgliederstarken türkischen, griechischen und italienischen "Betreuungsorganisationen") im zwischenmenschlichen Bereich angesiedelt. Es werden vorrangig landsmannschaftliche Kontakte und Unterstützung bei der Bewältigung von Alltagsproblemen gesucht. Einmal beigetreten, erliegen diese Ausländer nicht selten der indoktrinierenden Kraft geschulter Funktionäre. Auslöser für Aktivitäten extremistischer Ausländergruppierungen sind nach wie vor in erster Linie politische, wirtschaftliche und soziale Konflikte in den jeweiligen Heimatländern. Daneben beteiligen sich insbesondere türkische und griechische Linksextremisten immer häufiger auch an politischen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik Deutschland. Zwar werden vorrangig Fragen aufgegriffen, von denen Ausländer direkt betroffen sind, wie die Ausländerund Asylpolitik und die angeblich wachsende Ausländerfeindlichkeit der deutschen Bevölkerung. Ein zunehmendes Engagement bei allgemeinpolitischen Themen ist aber unübersehbar. So werden verstärkt die deutsche Sozialund Wirtschaftspolitik sowie Fragen der Außenund Sicherheitspolitik aufgegriffen. Anhaltende Erfolglosigkeit und Zerstrittenheit der extremen Lager bewirken eine Zurückhaltung in weiten Anhängerkreisen. Ebenso wirkt sich die Befürchtung aus, eine extremistische Betätigung könne wirtschaftliche oder ausländerrechtliche Nachteile mit sich bringen. Gleichwohl ist bei einigen extremistischen Organisationen weiterhin eine hohe, teils sogar noch gesteigerte Ge91 waltgeneigtheit zu verzeichnen. Diese Organisationen erfordern deshalb auch künftig die volle Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden. Als aktuelle Schwerpunkte des Ausländerextremismus sind hervorzuheben: - Weltweit verübte Anschläge fanatischer palästinensischer Terroristen dokumentieren die anhaltende Bedrohung von dieser Seite. In Westeuropa war 1986 Frankreich besonders hart getroffen. Auch in Berlin (West) forderten zwei Attentate drei Todesopfer und zahlreiche Verletzte. - Militante libanesische Schiiten bewirken mit ihren Aktivitäten eine akute Gefährdung der Sicherheit unseres Landes. - Die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) weitete inzwischen ihren ursprünglich gegen Abtrünnige aus den eigenen Reihen gerichteten Terror auf Wider- . sacher in gegnerischen Organisationen aus. Ihre Aktivität bedarf größter Wachsamkeit. - Von jugoslawischen Regimegegnern geht trotz der im vergangenen Jahr geübten Zurückhaltung eine latente Sicherheitsgefährdung aus. - Linksextreme iranische Oppositionelle, deren Aktivität sich in der Vergangenheit hauptsächlich auf Frankreich konzentriert hatte, weiten ihr Operationsfeld zunehmend auf das Bundesgebiet aus. Reaktionen iranischer staatlicher Stellen können bei einer Fortdauer dieser Entwicklung nicht ausgeschlossen werden. - B e i den türkischen Organisationen der "Neuen Linken" hält die seit Jahren unter Beweis gestellte Gewaltbereitschaft an. Aufmerksamkeit erfordert auch der hetzerische Einfluß fanatischer Muslime, denen die Islamische Revolution im Iran als Vorbild dient. 92 Mitgliederentwicklung bei ausländischen Extremistengruppen 1980-1986 19 ooo - 18 800 Mitgl. insgesamt 18 ooo Mitgl. orthodoxkoamunistischer Gruppen 9 600 Mitgl. rechtsext remi eti scher Gruppen * Mitgl. der "Neuen Linken" -Mitgl. islamisch nationalistischer Gruppen 1980 1981 1982 1983 198^ 1985 93 NationalitätenVerteilung der ausländischen Wohnbevölkerung in Baden-Württemberg PAKISTANER SRI LANKER VIETNAMESEN ÄTHIOPIER IRANER ARABER PORTUGIESEN Stand: 30. September 1986 Quelle: Ausländerzentralregister 2. Türken 2.1 Allgemeines Türkische politische Extremisten aller ideologischen Richtungen verfehlten 1986 mit ihren Agitationsbemühungen ihr erklärtes Ziel, weitere Landsleute zu mobilisieren. So ist die Mitgliederstärke extremistischer Vereinigungen nahezu unverändert geblieben. Die Gruppierungen der islamischen Nationalisten mußten sogar eine leichte Schwächung hinnehmen. Eigentlicher Agitationsschwerpunkt blieb die politische, soziale und wirtschaftliche Lage im Heimatland. Vorwürfe wegen behaupteter Menschenrechtsverletzungen lösten erneut umfangreiche Kampagnen und Solidaritätsaktionen aus. Türkische Linksextremisten wandten sich darüber hinaus auch internationalen Themen und Fragen der deutschen Politik zu. Die in zwei Lager auseinanderdriftenden türkischen Rechtsextremisten und die islamisch-nationalistischen Kräfte entwickelten dagegen nur geringe öffentliche Aktivitäten. Die militante kurdische "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) dehnte ihre gewaltbejahende Agitation weiter aus. Kurden und türkische Extremisten aus Grup94 pen der "Neuen Linken" führten im Jahre 1986 erneut zahlreiche Besetzungen von Parteiund Pressebüros durch. Daneben wurden mehrere Bedrohungen diplomatischer Vertretungen bekannt. Vermutlich hatte die PKK auch ein At tentat auf das türkische Generalkonsulat in Hamburg geplant. Obwohl in Ba den-Württemberg keine ernsteren Ausschreitungen zu verzeichnen waren, be legen die erwähnten Vorkommnisse die anhaltend hohe Gewaltbereitschaft in diesem Bereich des Ausländerextremismus. 2.2 Organisationen der "Neuen Linken" Die anhaltenden ideologischen Streitigkeiten innerhalb der türkischen "Neuen Linken" entzünden sich in erster Linie an der Einschätzung des Charakters der gegenwärtigen Regierung sowie an der Bewertung der sozioökonomischen Verhältnisse in der Türkei. Dementsprechend vertreten diese Gruppen unter schiedliche Auffassungen zum taktischen Vorgehen bei der angestrebten ge waltsamen Zerschlagung des politischen Systems der Türkei. Innerhalb der Organisationen der "Neuen Linken" lassen sich drei Hauptgrup pen unterscheiden, die dem Einfluß entweder der "Türkischen Kommunisti schen Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML), der "Revolutionären Kommu nistischen Partei der Türkei" (TDKP) oder der "Türkischen Volksbefreiungspartei/-Front" (THKP/-C) unterliegen. 2.2.1 Die Organisationen, die der proalbanisch orientierten "Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) verbunden sind, propagieren in aggressiver Weise den gewaltsamen Sturz der türkischen Re gierung. Gegen den Tod von neun Militanten der TKP/ML in der Türkei, die An fang August 1986 von dortigen staatlichen Stellen ermordet worden sein sol len, protestierten am 9. August 1986 im gesamten Bundesgebiet Sympathisan ten mit einer Serie von Bombendrohungen gegen türkische diplomatische Ver tretungen. In Baden-Württemberg wurden zwei Aktionen durchgeführt: - Im Eingangsbereich des türkischen Generalkonsulats in Stuttgart zündeten Unbekannte einen Brandsatz, der nur geringen Sachschaden verursachte. Auf dem Vorplatz des Gebäudes hatten die Täter ein Transparent ange bracht, auf dem die "Rache" der "Türkischen Arbeiterund Bauernbe freiungsarmee" (TIKKO), der Frontorganisation der TKP/ML, angedroht wur de. - Vermutlich derselbe Personenkreis brachte vor dem "Amerikahaus" in Stutt gart ein weiteres derartiges Spruchband an. In der Bundesrepublik Deutschland sind die Sympathisanten der TKP/ML seit Jahren in die - aus ideologischen Flügelkämpfen innerhalb der Partei hervor gegangenen - Fraktionen "PARTIZAN" (P) und "BOLSEVIK PARTIZAN" (BP) gespalten. Die Ziele der mitgliederstärkeren Gruppe "PARTIZAN" vertritt im Bundesgebiet vor allem die "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in 95 Transparent der TIKKO in Stuttgart Deutschland e.V." (ATIF). Sie setzt sich kompromißlos für die "Zerschlagung des imperialistisch-kapitalistischen Weltsystems" und für die weltweite Errich tung der "klassenlosen Gesellschaft" ein. In Baden-Württemberg machte die ATIF auch 1986 vor allem durch zahllose hetzerische Flugschriften auf sich aufmerksam und veranstaltete mehrere Solidaritätsabende zu aktuellen politi schen Themen. Daneben setzte sie sich intensiv für mehrere (bereits im Au gust 1985 in Basel anläßlich einer Massenschlägerei mit Anhängern der "Arbei terpartei Kurdistans" [PKK] verhaftete) Sympathisanten der Partei ein. Aus So lidarität mit ihnen führten Anhänger der Organisation im Januar 1986 in meh reren diplomatischen Vertretungen der Schweiz Protestaktionen durch. Im Rahmen dieser Kampagne drangen am 14. Januar 1986 etwa 30 Türken in die Räume des Schweizer Generalkonsulats in Stuttgart ein. Sie übergaben eine Resolution, mit der sie sich gegen die Eröffnung des Prozesses gegen zehn inhaftierte "Genossen" wandten. Auf Anfang des Jahres 1986 verbreiteten Flugschriften mit Solidaritätsbekundungen für die "gefangenen Revolutionäre" war als Kontaktadresse diejenige des Stuttgarter ATIF-Vereins angegeben. Örtliche Gruppen der von der "PARTIZAN"-Fraktion beeinflußten ATIF beste hen in Baden-Württemberg derzeit in Albstadt-Ebingen, Heidelberg-Walldorf, Heilbronn, Karlsruhe, Lauda, Ludwigsburg, Mannheim, Nürtingen, Pforz heim, Schwäbisch Gmünd, Stuttgart und Ulm. Der Kampf um die "proletarische Weltrevolution" bleibt auch Agitations schwerpunkt der Fraktion "BOLSEVIK PARTIZAN" (BP) der TKP/ML. Obwohl 96 die Vereinigung Anfang 1986 unter konspirativen Bedingungen bereits ihren III. Kongreß zum Aufbau einer Parteiorganisation durchführte, befindet sie sich, eigenen Aussagen zufolge, nach wie vor erst "am Anfang dieser Aufgabe". Die Militanz der Gruppierung ist bestimmendes Element all ihrer Publikationen. In einer deutschsprachigen, mit Londoner Impressum versehenen Veröffentli chung zum 6. Jahrestag der Machtübernahme der Militärs in der Türkei (12. September 1980) schlug "BOLSEVIK PARTIZAN" einen Bogen zum 13. Jahres tag des Militärputsches in Chile (11. September 1973). Nach Ansicht der Verei nigung kann der "heldenhafte Kampf der chilenischen Arbeiter, Bauern und Werktätigen" nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn "alle imperialistischen Mächte und ihre Helfershelfer" Zielscheiben von Befreiungskämpfen werden. Neben der massiven Kritik an der Rolle des "russischen Sozialimperialismus" in Chile "verdammte" BP insbesondere auch den "westdeutschen Imperialis mus" als einen "Ziehvater der chilenischen Faschisten". Die Bundesrepublik Deutschland sei "einer der Hauptunterstützer der faschistischen (türkischen) Militärjunta, einer der Todfeinde der Völker in der Türkei, Chile und der ganzen Welt!" In einer Veröffentlichung der BP zum 1. Mai wurde die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland als "Grundübel der Ausbeutergesellschaft" be zeichnet, die nur durch die "Beseitigung des Systems" überwunden werden könne. Aktivitäten von "BOLSEVIK-PARTIZAN"-Anhängern konnten insbesondere in Albstadt-Ebingen, Böblingen, Konstanz, Nagold, Stuttgart und Tübingen festgestellt werden. 2.2.2 Die zweite Gruppe von Organisationen der türkischen "Neuen Linken" orientiert sich an der ebenfalls proalbanischen "Revolutionären Kommunisti schen Partei der Türkei" (TDKP). Im Bundesgebiet vertritt hauptsächlich die "Föderation der Türkischen Demokratischen Arbeitervereine in Deutschland e.V." (DIDF) die politischen Ziele dieser Vereinigung. Die Aktivitäten der An hänger der DIDF konzentrieren sich neben dem Verbreiten polemischer Schrif ten vornehmlich auf die Ausrichtung von Protestund Folkloreveranstaltun gen. Schwerpunktthemen der Agitation blieben die angeblich wachsende aus länderfeindliche Einstellung der Bundesbürger, die Militärhilfe an die Türkei so wie die Haftbedingungen in den türkischen Gefängnissen. In einer im Mai 1986 in Lörrach verbreiteten Broschüre zum Thema "Die nationale Frage in der Tür kei" vermittelte die DIDF einen Einblick in ihre politischen Vorstellungen. Darin wurde behauptet, daß nur durch "die Beseitigung der Überreste des Feudalis mus durch die Agrarrevolution und die Abschaffung der Abhängigkeitsverhält nisse zum Imperialismus durch eine demokratische Volksrevolution" die türki sche und kurdische nationale Frage gelöst werden könne. In Baden-Württemberg sind Anhänger der DIDF u. a. in Esslingen, Geislingen, Göppingen, Heidelberg, Heilbronn, Karlsruhe, Lörrach, Ludwigsburg, Mann97 heim, Pforzheim, Radolfzell, Stuttgart, Ulm und Villingen-Schwenningen ak tiv. 2.2.3 Die Anhänger der terroristischen "Türkischen Volksbefreiungspartei/ -Front" (THKP/-C) verteilen sich auf eine Vielzahl kleiner unterschiedlich akti ver Zirkel, die überwiegend konspirativ arbeiten und sich meist überaus mili tant gebärden. Unbekannt gebliebene Anhänger der THKP/-C befestigten am 12. September 1986 an der Brücke über der Autobahnauffahrt Heidelberg ein Transparent, das neben einem roten Stern die Parole "Kampf dem faschistischen Terror in der Türkei und Kurdistan; Kampf bis zur Befreiung; es lebe die THKP/-C" trug. Daneben befand sich eine Bombenattrappe, deren Beseitigung eine Sperrung der Autobahn erforderlich machte. Im Berichtsjahr waren neben einigen unbedeutenderen Organisationen vor al lem die Gruppen "DEVRIMCI YOL" (Revolutionärer Weg), die verbotene "DEVRIMCI SOL" (Revolutionäre Linke) und die deren Kurs fortsetzende "AV RUPA 'da DEV GENC" (Revolutionäre Jugend in Europa) sowie die "Befrei ungsorganisation der Türkei und Nordkurdistan" (TKKKÖ) aktiv. Ideologische Auseinandersetzungen in der Organisation "DEVRIMCI YOL" (Revolutionärer Weg) lähmten die öffentlichen Aktivitäten dieser mitglieder starken Gruppe 1986 weitgehend. Anzeichen deuten darauf hin, daß sich die Anhängerschaft der Vereinigung, die mitunter auch unter der Bezeichnung ih res Organs "DEVRIMCI ISCI" auftritt, nach Abspaltung einer Dissidentengrup pe nun wieder neu formiert. Angehörige der "DEVRIMCI YOL" sind in Karlsruhe, Lörrach, Mannheim, Mosbach, Pforzheim, Sigmaringen, Stuttgart und Ulm aktiv. Anhänger der 1983 durch den Bundesminister des Innern verbotenen und auf gelösten "DEVRIMCI SOL" zeigten im vergangenen Jahr nur noch geringe Ak tivitäten. Lediglich in Stuttgart und Ulm kam es zur Verbreitung von Publikatio nen der Organisation. Die in kleinen Zellen organisierten ehemaligen Sympa thisanten, die auch unter der Tarnbezeichnung "AVRUPA 'da DEV GENC" auf treten, waren überwiegend damit befaßt, die nach dem Verbot der "DEVRIMCI SOL" verstreuten Sympathisanten zu reaktivieren und sich organisatorisch zu erneuern und zu festigen. In Baden-Württemberg wurden 1986 Aktivitäten der "AVRUPA 'da DEV GENC" unter anderem in Mannheim, Pforzheim und Stuttgart festgestellt. Durch die Verbreitung ihres Organs "KURTULUS" trat 1986 die gleichfalls dem Spektrum der terroristischen THKP/-C zuzurechnende "Befreiungsorganisa tion der Türkei und Nordkurdistan" (TKKKÖ) in Baden-Württemberg wieder holt in Erscheinung. Anhänger der Vereinigung, die sich massiv für die Zer98 schlagung der "oligarchischen Türkei einsetzen, wurden in Stuttgart und Ulm aktiv. 2.3 Orthodox-kommunistische Organisationen Wichtigste moskautreue türkische Organisation blieb die von der konspirativ arbeitenden "Kommunistischen Partei der Türkei" (TKP) beeinflußte "Födera tion der Arbeitervereine der Türkei in der Bundesrepublik Deutschland e.V." (FIDEF). Die enge Verbundenheit der Vereinigung zur "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) wurde erneut bei deren 8. Parteitag vom 2. bis 4. Mai 1986 in Hamburg deutlich. In einer Grußadresse dankte die FIDEF der DKP für deren Solidarität mit den "Demokraten" in der Türkei und bekräftigte ihre Absicht, die "Bruderpartei" stärken zu wollen. Die FIDEF sieht sich nach Äußerungen ihres langjährigen Bundesvorsitzenden in einem Interview mit dem Zentralorgan der DKP, "Unsere Zeit" (UZ), als "Ein heitsorganisation" der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Immigran ten, die auf einer möglichst breiten Basis zusammengeschlossen werden sol len. Herausragende Themen der politischen Arbeit der FIDEF bildeten 1986 die Un terstützung der "Friedensbewegung" und der "Antifaschismuskampagne" im Bundesgebiet sowie der "Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit". Kritik übte die Organisation auch an der Ausländerpolitik der Bundesregierung. Daneben be teiligte sie sich maßgeblich an der Durchführung bundesweiter Kampagnen gegen behauptete Folterungen in der Türkei und für die Einführung des akti ven und passiven Kommunalwahlrechts für Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland. In Baden-Württemberg sind Unterorganisationen der FIDEF in Freiburg, Göp pingen, Heilbronn, Karlsruhe, Mannheim, Schwäbisch Gmünd, Stuttgart, Ulm und Weinheim aktiv. Das Auftreten der Ende 1984 gegründeten "SOL BIRLIK" (Linke Einheit), einer Aktionsgemeinschaft aus sechs orthodox-kommunistischen Vereinigungen, beschränkte sich im Berichtszeitraum auf die Verbreitung ihres gleichnamigen Organs. 2.4 Linksextreme kurdische Gruppierungen Kurdische Extremisten entfalteten auch im Jahre 1986 im Bundesgebiet starke Aktivitäten. Ihr vorrangiges Ziel bleibt die Errichtung eines autonomen Kurdi stans. Hauptzielscheibe ihres Kampfes ist der türkische Staat. 99 Die weitgehend konspirativ arbeitende, terroristisch vorgehende "Arbeiterpar tei Kurdistans" (PKK) ist die weitaus militanteste und gefährlichste unter den kurdischen Vereinigungen. Mit der erstmals 1986 in deutscher Sprache er schienenen Publikation "Der Weg der Revolution Kurdistans - Manifest" wirbt die orthodox-kommunistische Organisation für ihre Ziele. Darin bekennt sich die PKK ausdrücklich zum "Marxismus-Leninismus" als Handlungsanweisung und propagiert die Anwendung "revolutionärer Gewalt". Die "Revolution Kurdi stans" sei "Teil der mit der Oktoberrevolution begonnenen und mit den natio nalen Befreiungsbewegungen ständig verstärkten Revolution des Weltproleta riats", die zum Sieg des Kommunismus führen werde. Mit den "gesamten so zialistischen Ländern", insbesondere der Sowjetunion, fühlt sich die PKK nach den "Prinzipien des proletarischen Internationalismus" verbunden. Die seit Jahren andauernde Serie von Mordanschlägen der Vereinigung gegen abtrünnige Mitglieder sowie Kritiker aus konkurrierenden kurdischen und tür kischen Organisationen wurde mit der Ermordung einer ihrer heftigsten Kriti ker (eines Führungsfunktionärs der linksextremen "DEVRIMCI ISCI") am 25. Februar 1986 in Hamburg fortgesetzt. Die damit ausgelöste breite Welle der Empörung - bis weit in das deutsche linksextreme Lager hinein - bewegte die Partei offenbar zu vorsichtigerem Taktieren. Seit diesem Zeitpunkt wurde kein vergleichbarer Fall mehr bekannt. Am 15. August 1986 konnte die Polizei einen vermutlich von der PKK geplan ten Sprengstoffanschlag auf den türkischen Generalkonsul in Hamburg verei teln. Hierbei wurden unter anderem etwa ein Kilogramm Sprengstoff sowie mehrere Zünder sichergestellt. Anlaß des Anschlags sollte der sich am 15. Au gust jährende Gründungstag der militärischen Organisation der PKK, der "Be freiungseinheiten Kurdistans" (HRK), sein. In öffentlichen Erklärungen be stritt die Organisation allerdings jegliche Beteiligung an dem Attentatsversuch und bezeichnete ihn als Komplott des türkischen Generalkonsulats mit der Hamburger Polizei. Die PKK organisierte 1986 wieder mehrere bundesweit koordinierte Beset zungsaktionen gegen Parteiund Pressebüros. Im Januar und Februar richte ten sich die Proteste gegen angebliche Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und sollten Solidarität mit dem "kurdischen Freiheitskampf" bekunden. Im August waren türkische Luftangriffe auf kurdische Dörfer im Irak das The ma. Im September wurde die Freilassung des im Zusammenhang mit dem ver hinderten Bombenanschlag in Hamburg vorläufig festgenommenen Kurden gefordert. Allein in Baden-Württemberg kam es zu sechs solcher Besetzungsaktionen: 30. Januar 1986 Mannheimer Außenbüro der "Deutschen Presse-Agen tur" (dpa). 4. Februar 1986 Stuttgarter Büro der "Südwest-Presse". 24. Februar 1986 Rechtsanwaltskammer in Stuttgart. 100 15 AGUSTOS'LA DAYANISMAGEUgSI SOLJDARITÄTSVERANSTALTUNÄIVII DEM 15. A U G U S T / HEZEk RDISTAN KURULUSUNU^ 3. YILINDA DEVRIMCI(NTIKAM EYLEm.agg^Jua00/K^^ 9.8.1986 Um 16.00 Uhr Samstag Plakat der PKK 101 18. August 1986 Anzeigenaufnahme der "Stuttgarter Zeitung" in Stuttgart. 21. August 1986 Büro des Mannheimer Kreisvorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). 18. September 1986 Versuchte Protestaktion in den Büroräumen der "Deutschen Presse-Agentur" (dpa) in Stuttgart. Anschließend Übergabe einer Presseerklärung an das Stuttgarter "Spiegel"-Büro. Zur Unterstützung ihrer Arbeit hat die PKK auch im Bundesgebiet eine Reihe von Organisationen geschaffen: Die 1984 gegründete "Föderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V." (FEYKAKurdistan) ist als Basisorganisation der Vereinigung im Bundesgebiet anzusehen. Sie unterstützt die Mutterpartei in ideologischer und materieller Hinsicht. Der Verband, der sich in seiner Satzung als "Massenorganisation" der Kurden bezeichnet, sieht in der PKK seine "Avantgarde" und die Führerin des "kurdischen Befreiungskampfes". In zahlreichen Schriften rief FEYKA-Kurdistan zur Solidarität mit den kurdischen Freiheitskämpfern auf und bezeichnete die türkische Regierung als "verbrecherische Plünderer" und als "faschistisches Regime". Aufgabe jedes Patrioten sei es, "auf dem Weg des Volkskrieges den faschistischen türkischen Kolonialismus dem Erdboden gleichzumachen". Sie will Kurden für den "Kampf in der Heimat", der "bis zum letzten Blutstropfen geführt" werden müsse, mobilisieren, schulen und organisieren. In Baden-Württemberg gehören der Föderation FEYKA-Kurdistan Vereine in Mannheim und Stuttgart an. Plakatierungen und Flugblattverteilungen wurden jedoch auch in zahlreichen anderen Städten, etwa in Göppingen, Heidelberg, Horb, Karlsruhe, Konstanz, Pforzheim, Tübingen und Ulm, festgestellt. Eine weitere Nebenorganisation der PKK ist die "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK). Ziel der - auf PKK-Initiative zustande gekommenen - Aktionsfront ist es, den "Befreiungskampf" aller kurdischen Widerstandsorganisationen zusammenzufassen. Als deren Organ erscheint europaweit seit Juni 1985 der deutschsprachige "KURDISTAN-REPORT", der bis zu diesem Zeitpunkt der PKK als Sprachrohr diente. In Baden-Württemberg beschränkte sich das Auftreten der ERNK auf die Verbreitung ihrer Zeitung sowie verschiedener Flugschriften, in denen wiederholt auf die Unterstützung des bewaffneten Kampfes "unter der Fahne der ERNK" und "unter der Führung der PKK" hingewiesen wurde. In Baden-Württemberg sind der PKK und ihren Nebenorganisationen etwa 200 Angehörige und Sympathisanten zuzurechnen. Bei regionalen Großveranstaltungen gelang es schon, bis zu 700 Kurden zu mobilisieren. Die Anhänger der von der orthodox-kommunistischen "Sozialistischen Partei 102 Türkisch-Kurdistan" (TKSP) beeinflußten "Föderation der Arbeitervereine aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V." (KOMKAR) waren vorrangig darum bemüht, den durch eine 1985 erfolgte erneute Abspaltung einer Fraktion bewirkten Einflußverlust wieder auszugleichen. In Baden-Württemberg sind Unterorganisationen der KOMKAR in Konstanz, Mannheim und Stuttgart aktiv. 2.5 Islamisch-nationalistische Vereinigungen Etwa 2.600 (Vorjahr 2.700) Türken sind in Baden-Württemberg gegenwärtig in insgesamt mehr als dreißig betont islamisch-nationalistischen Vereinigungen organisiert. Allerdings wurde auch 1986 die Spaltung dieses Bereichs in mehrere miteinander rivalisierende Fraktionen nicht überwunden. Zumeist handelt es sich um Anhänger der in der Türkei seit 1980 verbotenen islamisch-extremistischen "Nationalen Heilspartei" (MSP) bzw. deren Nachfolgeorganisation, der "Wohlfahrtspartei" (RP). Sie fordern fanatisch die rasche Reislamisierung der Türkei. Dazu wollen sie die Laizisierung des Landes rückgängig machen und ein ausschließlich auf Koran und Scharia basierendes Staatswesen nach dem Muster der "Islamischen Republik Iran" errichten. Später sollen alle islamischen Länder in einer Staatengemeinschaft zusammengeführt werden. Im Bundesgebiet konzentrierte sich im Jahre 1986 die Tätigkeit dieser Gruppierungen auf die Durchführung zahlreicher organisationsinterner Versammlungen und Konferenzen. Bei Großveranstaltungen, unter anderem aus Anlaß einer im März/April 1986 durchgeführten Reise des ehemaligen MSP-Parteivorsitzenden Necmettin ERBAKAN ins Bundesgebiet, konnten mehrmals einige tausend Zuhörer mobilisiert werden. Auch in Baden-Württemberg versammelten sich am 6. April 1986 etwa 2.000 Personen aus dem ganzen Land zu einer Kundgebung in Sindelfingen. Die "Islamische Union Europa e.V." und das "Islamische Zentrum Köln e.V." fusionierten zwischenzeitlich mit ihren Schwesterund Hilfsorganisationen in der "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT). Zu diesem Dachverband tendieren derzeit knapp zwanzig in Baden-Württemberg tätige Vereinigungen; einige sind ihr direkt als Zweigstellen angeschlossen. Mit den AMGT-Vereinigungen konkurriert der ebenfalls mit Hauptsitz in Köln residierende "Verband der Islamischen Vereine und Gemeinden e.V.", dem in Baden-Württemberg etwa ebenso viele Vereine zuzurechnen sind. Immer wieder aufkeimende Rivalitäten der miteinander im Wettstreit stehenden Dachverbände lösten bisweilen die Fluktuation von Mitgliedern oder gar den Wechsel ganzer Mitgliedsverbände aus. Ideologisch unterscheidet sich der "Verband der Islamischen Vereine und Gemeinden e.V." von den AMGT-Gruppierungen durch radikalere Anschauungen 103 und Zielsetzungen, was verstärkt in der aggressiven Sprache seiner Veröffentlichungen zum Ausdruck kommt. Zwar fordert auch er die Errichtung einer Theokratie in der Türkei, doch orientiert er sich stärker am iranischen Vorbild. Insbesondere lehnt er, im Gegensatz zu den AMGT-Organisationen, den Weg über eine Partei "als ein von Menschen geschaffenes Werk, das nicht auf der göttlichen Offenbarung basiert", ab. Als Grundlage jeglichen politischen Handelns werden allein der Koran und die übrigen theologischen Rechtsquellen anerkannt. Nach Meinung der fanatischen Ideologen des Verbands sind Islam und Parteiwesen schlechthin unvereinbar, weshalb sie konsequenterweise den laizistisch geprägten Kemalismus der modernen Türkei strikt und kompromißlos ablehnen. Sowohl die der AMGT zuzurechnenden Vereinigungen als auch der "Verband der Islamischen Vereine und Gemeinden e.V." betreiben eine intensive Indoktrination und Propaganda. Dabei konzentrieren sie sich besonders auf den Vertrieb von Videokassetten und die Herausgabe von Periodika. Eine hervorgehobene Stellung nimmt in diesem Zusammenhang die Zeitschrift "TEBLIG" ("Die Verkündigung"), Organ des "Verbands der Islamischen Vereine und Gemeinden e.V.", ein. 2.6 Rechtsextreme Vereinigungen Der extrem nationalistischen "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V." (ADÜTDF) gehören in Baden-Württemberg gegenwärtig etwa 25 Vereinigungen an. Ihr Mitgliederbestand hat sich im Lande gegenüber dem Vorjahr nicht verändert und liegt bei etwa 2.200 Personen. Ideologisch orientiert sich die ADÜTDF mit ihren Mitgliedsverbänden unverändert an der seit 1980 in der Türkei verbotenen und inzwischen aufgelösten rechtsextremen "Partei der Nationalen Bewegung" (MHP) und deren ehemaligem Führer Alparslan TÜRKES. Im Vordergrund der Tätigkeit dieser Vereinigungen steht denn auch die Verbreitung der Ziele der MHP. Vorrangig aus taktischen Gründen bemühen sie sich aber betont um eine ihrer Weltanschauung entsprechende Förderung und Belebung kultureller, sozialer, religiöser, gelegentlich sogar sportlicher Betätigung im Bundesgebiet lebender türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familien. Bundesweit haben 1986 die Aktivitäten der ADÜTDF-Mitgliedsvereine weiter nachgelassen. Dies ist zumindest teilweise eine Folge der Auseinandersetzungen um den wegen seines autoritären Führungsstils von vielen Mitgliedern abgelehnten gegenwärtigen Vorsitzenden des Verbandes. Die anhaltenden internen Streitigkeiten haben die Arbeit der Führung erlahmen lassen und zu einer spürbaren Orientierungslosigkeit unter den Mitgliedern geführt. Inzwischen sind Spaltungstendenzen innerhalb der Föderation unübersehbar. Trotz dieser internen Schwierigkeiten nahmen teilweise bis zu etwa 1.000 Personen an Versammlungen der ADÜTDF-Mitgliedsverbände teil. Diese wurden 104 in gewohnter Weise häufig als "Kulturund Folkloreveranstaltungen" getarnt, dienten in Wirklichkeit aber vorrangig politischen Zwecken. Proteste türki scher Linksextremisten gegen derartige Veranstaltungen, die in den Vorjahren immer wieder in Tätlichkeiten eskalierten, konnten 1986 nur noch vereinzelt festgestellt werden. Die ADÜTDF bemühte sich auch im Jahre 1986, im Rahmen ihrer Öffentlich keitsarbeit einschlägige Videound Tonkassetten unter ihren Sympathisanten zu verbreiten. Einerseits wird dadurch eine Indoktrinierung der Anhänger schaft angestrebt, andererseits sollen die erzielten Gewinne die desolate Kas senlage und anhaltenden Liquiditätsschwierigkeiten beheben sowie die hohe Verschuldung der meisten Vereine abbauen. Daneben vertreibt die ADÜTDF seit Anfang 1986 das türkischsprachige Presseorgan "Yeni Düsünce" ("Das neue Denken"), in welchem überwiegend im ideologischen Sinne der MHP be richtet wird. In den Beiträgen über "Nationalismus, Idealismus und Jugend" spiegelt sich gelegentlich eine dumpfe Atmosphäre des Hasses auf alle An dersdenkenden wider, wie sie in Publikationen der ADÜTDF schon seit Jahren zum Ausdruck kommt. Wegen der alle Bereiche überlagernden organisationsinternen Probleme ent wickelte die ADÜTDF im abgelaufenen Jahr keine neuen Schwerpunkte ihrer politischen Agitation. 3. Araber Die seit Jahren zu beobachtenden tiefgehenden Differenzen zwischen den pa lästinensischen Gruppierungen hielten auch 1986 unverändert an. Hauptursa che für die teilweise erbittert ausgetragenen Streitigkeiten ist die unterschied liche Bewertung der zwischen Diplomatie und terroristischen Aktionen lavie renden Politik des Vorsitzenden der "Palästinensischen Befreiungsorganisa tion" (PLO) und Leiters der AL FATAH, Yassir ARAFAT. Weite Teile der sozialrevolutionären, nationalistischen AL FATAH und - teilweise unter Vorbehalt - die orthodox-kommunistische "Demokratische Front für die Befreiung Palä stinas" (DFLP) sowie einige wenige bedeutende palästinensische Wider standsorganisationen unterstützen die Position ARAFATS. Die in der syrisch orientierten "Nationalen Rettungsfront" zusammengeschlossenen Gruppen, darunter die orthodox-kommunistische "Volksfront für die Befreiung Palästi nas" (PFLP), die "Volksfront für die Befreiung Palästinas - Generalkomman do" (PFLP-GC), die "Palästinensische Volkskampffront" (PPSF), die AL-SAIQA und die AL-FATAH-Dissidentengruppe unter Leitung ABU MUSAs lehnen die Linie ARAFATS entschieden ab. Zwar hat die PFLP in ihrem in Sympathi santenkreisen verbreiteten Presseorgan "AL HADAF" ("Das Ziel") eine Erklä rung ihres Politbüros "zur Wiederherstellung der Einheit der PLO" veröffent licht. Dieser Appell hat jedoch bislang nicht zu einer Annäherung der miteinan der verfeindeten Gruppen, geschweige denn zu einer konkreten Wiederauf nahme der Zusammenarbeit geführt. 105 Palästinensische Zeitung In Baden-Württemberg konkurrieren insbesondere die PFLP, die DFLP sowie die AL FATAH um die Gunst der etwa 650 politisch extrem orientierten Araber. Mangels geeigneter Führungskader einerseits und einer zumindest teilweise nur noch schwach ausgeprägten Bereitschaft zum politischen Engagement andererseits entwickelten die vorwiegend AL-FATAH-orientierten "Palästinensischen Arbeiterbzw. Studentenvereine" (PAV/PSV) nur noch sporadische Aktivitäten. Wiederholt unternommene Versuche, die Mitarbeit in den Vereinigungen wieder zu beleben, waren nur zum Teil erfolgreich. Immerhin fand eine Reihe interner und öffentlicher Versammlungen statt. Straffer geführte Organisationen wie die seit Jahren größtenteils konspirativ wirkende PFLP setzten ihre vorwiegend in kleinen Zirkeln ausgeübte Tätigkeit jedoch mit gleichbleibender Intensität fort. Auch die ARAFAT stützende DFLP bemühte sich in Baden-Württemberg um die Betreuung ihrer Anhänger und versuchte, neue Mitglieder anzuwerben. Selbständige Aktionen der in Baden-Württemberg nur mit einigen Einzelaktivisten vertretenen AL-FATAH-Dissidentengruppe wurden nicht bekannt. Im Gegensatz zur DFLP, die es unverändert ablehnt, außerhalb Israels und der besetzten Gebiete Terrorakte durchzuführen oder sich daran zu beteiligen, bekennt sich die PFLP eindeutig zu terroristischen Gewaltaktionen auch au106 ßerhalb des Nahen Ostens. Unzweideutige Aussagen hierzu sind in einem Gespräch enthalten, das ihr Führer George HABBASH im Juni 1986 mit einem Korrespondenten der Deutschen Presseagentur führte. Darin beanspruchte er für die Palästinenser das Recht, auch "außerhalb Palästinas israelische Ziele anzugreifen, vorausgesetzt, es werden keine Unschuldigen getroffen". Die PFLP werde auch nicht zögern, dies zu tun, wenn amerikanische Militärziele in Europa getroffen werden können. Neben der PFLP hat auch die größtenteils von der AL FATAH getragene PLO erneut reklamiert, Kampforganisation zu sein. Entsprechend äußerte sich der militärische Chef der PLO, ABU JHIHAD, der im Oktober 1986 in einem Interview deutlich machte, daß seine Gruppe einen "offensiven Krieg gegen Israel und Aktionen der Selbstverteidigung im Libanon" führen wolle. Die von terroristischen Anschlägen palästinensischer bzw. arabischer Kommandos ausgehende weltweite Gefahr hält unvermindert an. Sowohl im europäischen Ausland (insbesondere in Frankreich) als auch in anderen Teilen der Welt (Türkei, Pakistan, Libanon) hinterließen zahlreiche Sprengstoffattentate ihre mörderischen Spuren und künden von der unverändert anhaltenden Gewaltbereitschaft nahöstlicher Gruppen und Einzeltäter. Nahezu 100 Personen wurden 1986 bei derartigen Anschlägen getötet, etwa die dreifache Zahl erlitt teilweise schwerste Verletzungen. Auch die Bundesrepublik Deutschland blieb von dieser neuen Terrorwelle nicht verschont. Am 29. März 1986 explodierte in den Räumen der "Deutsch-Arabischen Gesellschaft Berlin e.V." ein etwa fünf Kilogramm schweres Sprengstoffpaket und verletzte neun Personen. Nur wenige Tage später, am 5. April 1986, wurden drei Personen getötet und etwa 230 verletzt, als in der Berliner Diskothek "La Belle" eine Bombe explodierte. In beiden Fällen legen die Umstände der Tat eine Unterstützung der Täter durch arabische bzw. nahöstliche Staaten nahe. In einem Fall räumten die inzwischen zu vierzehn bzw. dreizehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilten Täter eine Beteiligung syrischer Stellen ein. 4. Jugoslawen 4.1 Allgemeine Übersicht Die Hoffnung extremistischer Jugoslawen, die sich im Heimatland insbesondere unter Kroaten und Albanern verstärkenden nationalistischen Tendenzen könnten auch den außerhalb der Heimat operierenden militanten Emigrantenorganisationen Auftrieb geben, hat sich nicht erfüllt. Vielmehr ist ein Rückgang der militanten Aktionen unverkennbar. Gleichwohl beeinträchtigen vorwiegend linksextreme, zumeist konspirativ agierende Kleinstgruppen nach wie vor die innere Sicherheit sowie die außenpolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland. 107 Der organisatorische Zerfall der extrem nationalistischen kroatischen Altemigration setzte sich trotz vielfältiger Wiederbelebungsversuche weiter fort. Diese Situation bei den - der "Ustascha"-ldeologie anhängenden - kroatischen Emigrantenorganisationen ist insbesondere auf die nachlassende Attraktivität der nur noch Routineaktivitäten entfaltenden langjährigen Funktionäre zurückzuführen. Sie beschränken sich im wesentlichen auf die Verbreitung antijugoslawischen Propagandamaterials. Diese zurückgehende Resonanz weniger militant agierender Vereinigungen birgt die Gefahr in sich, daß schwerer kontrollierbare, terroristisches Vorgehen befürwortende Kleingruppen Zulauf erhalten. Die Auslieferung des ehemaligen Innenministers des zwischen 1941 und 1944 existierenden unabhängigen Staates Kroatien, Andrija ARTUKOVIC, durch die USA an Jugoslawien und dessen anschließende Verurteilung zum Tode bildeten lang anhaltende Themen der Emigrantenpresse und führten zu heftigen Unmutsäußerungen. Ein in diesem Zusammenhang erfolgter Drohanruf beim US-Generalkonsulat in Stuttgart führte zur Verurteilung eines kroatischen Extremisten zu 15 Monaten Freiheitsstrafe. Die mit viel Aufmerksamkeit verfolgte Hauptverhandlung gegen drei kroatische Extremisten in Karlsruhe endete am 9. Mai 1986 mit Freisprüchen für die Angeklagten. Sie waren angeklagt, am 7. August 1983 in Karlsruhe einen Landsmann ermordet zu haben. Die beiden Haupttäter waren bereits 1984 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Am 22. Juni 1986 kam es zu einem Brandanschlag - mit geringem Sachschaden - auf das jugoslawische Generalkonsulat in Stuttgart. Die jugoslawischen Medien werteten diesen Vorfall als weiteren Beweis für die "verbrecherische Energie" der Emigration in der Bundesrepublik Deutschland. Im Berichtszeitraum wurden in verstärktem Maße gefälschte Exilpublikationen festgestellt, in denen die "Kroatische Staatsbildende Bewegung" (HDP) und der "Kroatische Nationalrat" (HNV) sowie verschiedene Funktionäre dieser Vereinigungen angegriffen wurden. Jugoslawische Geheimdienste, denen die Emigration diese Fälschungen anlastete, hatten in der Vergangenheit bereits mehrfach mit Desinformationskampagnen versucht, in regimefeindlichen Gruppierungen Verwirrung und Mißtrauen zu stiften, um diese zu spalten und zu schwächen. In Baden-Württemberg blieben die Räume Stuttgart und Karlsruhe sowie der Bodenseeraum Schwerpunkte der Aktivität jugoslawischer Extremisten. 4.2 "Kroatische Staatsbildende Bewegung" (HDP) Die linksextreme, weltweit operierende "Kroatische Staatsbildende Bewegung" (HDP) strebt weiterhin einen selbständigen sozialistischen Staat Kroatien an. Zur Erreichung dieses Ziels befürwortet sie auch Gewalt innerhalb und 108 Kroatische Zeitung außerhalb Jugoslawiens als "legitimes Mittel". Die HDP sieht sich als "disziplinierte Institution der Befreiung um jeden Preis". Die HDP konnte - wie schon im Jahr zuvor - als einzige jugoslawische Emigrantenorganisation einen leichten Mitgliederzuwachs erzielen. Nach Umstrukturierung ihrer europäischen Führung zu Beginn des Jahres 1986 wurde Baden-Württemberg zum bevorzugten Operationsfeld der Vereinigung. Allerdings blieben Impulse, die zu dem erhofften Aufschwung geführt hätten, bislang aus. In ihrem wöchentlich erscheinenden Publikationsorgan "HRVATSKI TJEDNIK" (Kroatisches Wochenblatt) versucht die HDP, dem Leser neben der Berichterstattung aus der Heimat und der Emigration ihren politischen Standort und ihre kämpferischen Ziele zu vermitteln. Die Europaredaktion dieser Zeitung hat in Stuttgart ihren Sitz. 4.3 "Kroatischer Nationalrat" (HNV) Dem "Kroatischen Nationalrat" (HNV) als Dachverband extrem nationalistischer kroatischer Emigrantenvereinigungen (Sitz: New York) gelang es auch 1986 nicht, der Emigration neue Anregungen zu vermitteln. Interne Auseinan109 dersetzungen bis hin zu persönlichen Anfeindungen und fehlendes Interesse an zukunftsweisenden Fragestellungen sind für die rückläufige Tendenz beim HNV verantwortlich. Auch das im Jahre 1985 in Bonn mit hohen Erwartungen eingerichtete "Kroatische Informationsbüro" fand nicht die gewünschte Resonanz. Der HNV beschränkte sich im Berichtszeitraum im wesentlichen auf das Verbreiten von Informationsmaterial über angebliche Menschenrechtsverletzungen und andere Mißstände im Heimatland. Wegen Inaktivitat lösten sich wiederum einige seiner Ortsausschüsse auf, was den Mitgliederbestand weiter sinken ließ. Von den im Bundesgebiet noch aktiven 19 Ortsausschüssen des HNV existieren allein elf in Baden-Württemberg. Zudem hat der "Kroatische Koordinationsausschuß der Vereinigung der Ortsausschüsse des Kroatischen Nationalrats in der Bundesrepublik Deutschland e.V." (HKO) seinen Sitz in Stuttgart. 4.4 Kosovo-albanische Organisationen Die extrem nationalistische, mit dem HNV sympathisierende "Nationaldemokratische Liga der Albanischen Treue" (N.D.Sh.) fordert weiterhin die Loslösung des albanischen Siedlungsgebiets von Jugoslawien sowie das Recht auf Selbständigkeit und Unabhängigkeit im Rahmen eines "ethnischen Albaniens". Die Aktivitäten der N.D.Sh. beschränkten sich auf das Verteilen von Schriftmaterial sowie auf eine Demonstration in Stuttgart gegen die "brutale Unterdrükkung des albanischen Volkes in der Provinz Kosovo durch die jugoslawischen kommunistischen Machthaber". Die linksextreme "Volksbewegung für die Republik Kosovo" (LPRK) fordert dagegen die Aufwertung der Provinz Kosovo zu einer selbständigen Republik innerhalb des jugoslawischen Staatsverbandes. Eine spätere Angliederung an die Volksrepublik Albanien wird nicht ausgeschlossen. Die Organisation entstand Ende 1985 aus der Wiedervereinigung der zuvor in zwei Flügel auseinandergebrochenen "Bewegung für eine albanische sozialistische Republik in Jugoslawien" (LRSSHJ). Die LPRK führte am 18. Januar und am 22. November 1986 Demonstrationen in Stuttgart durch, an denen jeweils über 300 Kosovo-Albaner - auch aus dem benachbarten Ausland - teilnahmen. In Flugblättern wurde das jugoslawische Generalkonsulat in Stuttgart als Drahtzieher von Morden an Gesinnungsgenossen und von Aktionen gegen die Emigration angeprangert. 110 IV. Spionageabwehr 1. Allgemeine Feststellungen Die Bundesrepublik Deutschland blieb auch 1986 bevorzugtes Ausspähungsziel gegnerischer Nachrichtendienste. Die geheimdienstlichen Angriffe richteten sich vorrangig gegen Institutionen und Personen in - Politik, - Wirtschaft und Wissenschaft und - im militärischen Bereich sowie in Zivilund Katastrophenschutzbehörden. Besonders aktiv waren im Jahre 1986 wieder die Nachrichtendienste der DDR, gefolgt von denjenigen Polens, der Tschechoslowakei, Rumäniens und der Sowjetunion. Nachrichtendienstliche Operationen gegen westliche Staaten, also verdeckte ebenso wie offene Beschaffung von wichtigen Informationen, gehören in diesen kommunistischen Staaten zum politischen System. Zu diesem Zweck werden Agenten mit falschen Personalien in Firmen und Behörden der Bundesrepublik Deutschland eingeschleust, Bundesbürger in Spionagehandlungen verstrickt, lukrative Geschäftsabschlüsse über technologisch hochwertige Produkte in Aussicht gestellt und jedermann zugängliche Fachzeitschriften, Prospekte und Jahrbücher ausgewertet, um so an wichtige Informationen und Geschäftsinterna zu gelangen. Die Warschauer-Pakt-Staaten sparen dadurch in erheblichem Umfang Entwicklungsund Forschungskosten ein, was ihnen beträchtliche wirtschaftliche, militärische, aber auch allgemeinpolitische Vorteile verschafft. Dem ideologischen Gegner, dem "imperialistischen Klassenfeind im Westen", soll dadurch auf Dauer empfindlicher Schaden zugefügt werden. Dieser Schaden reicht von der Verzerrung des Wettbewerbs auf dem Weltmarkt über erhebliche Einkommenseinbußen der Industrie bis zur daraus resultierenden Arbeitslosigkeit des einzelnen. Völlig unberücksichtigt ist in diesem Zusammenhang der materiell nicht bezifferbare Schaden, der etwa durch verdeckte Einflußnahme auf politische Entscheidungen und militärische Planungen entsteht. Vor diesem Hintergrund wird es verständlich, daß die Spionageorganisationen der kommunistisch regierten Länder weiter ausgebaut und ihre Arbeitsmethoden ständig verfeinert werden. Immer mehr Wissenschaftler werden einge111 stellt, um die Spionageaufträge am Bedarf der verschiedenen Fachbereiche wie - elektronische Datenverarbeitung, - Mikroelektronik oder - chemische Industrie auszurichten. Die Aufträge werden an die Beschaffungsabteilung des Spionageapparats zur Erledigung weitergegeben. Diese prüft dann, aufweichen bereits bestehenden illegalen Wegen die geforderten Informationen beigebracht werden können. In diese Prüfung wird auch eine mögliche Ausspähung durch nachrichtendienstliche Mitarbeiter in den diplomatischen und sonstigen Einrichtungen der DDR in der Bundesrepublik Deutschland einbezogen. Daneben wird auf sogenannte Reisekader (DDR-Bürger auf Dienstund Geschäftsreisen im westlichen Ausland) zurückgegriffen, die bei ihren Westbesuchen gelegentlich auch nachrichtendienstlich tätig werden. Ist der Beschaffungsauftrag über vorhandene Spionagekanäle nicht durchzuführen, wird versucht, einen neuen Informanten mit dem gewünschten Zugang zu gewinnen. Kontaktanlässe, die durch gegnerische Nachrichtendienste für Anbahnungen genutzt werden, gibt es viele. Neuen Praktiken dieser - nahezu ohne gesetzliche Schranken arbeitenden - Spionageorgane sind kaum Grenzen gesetzt. Unverändert werden erste Werbungsversuche zumeist im kommunistischen Machtbereich durchgeführt. Das bedeutet, daß private und geschäftliche Reisen von Bundesbürgern sich hierfür besonders anbieten. Die Visa-Anträge mit den detaillierten Angaben zu Person, Beruf und Arbeitsplatz sowie die EDVgestützte Überwachung aller Reisenden ermöglichen eine lückenlose Erfassung und die Auswahl interessanter Personen für eine nachrichtendienstliche Ansprache. Die Kontaktaufnahme im kommunistischen Machtbereich erfolgt grundsätzlich durch ein persönliches Gespräch, in welchem die wirkliche Absicht häufig zunächst nicht offengelegt wird. Werbungsversuchen wird gelegentlich auch dadurch besonderer Nachdruck verliehen, daß - charakterliche Schwächen einer Zielperson oder -zwischenmenschliche Beziehungen schonungslos ausgenutzt werden. Oft werden Vorteile der verschiedensten Art in Aussicht gestellt, wobei der Angesprochene über den wahren Auftraggeber und den nachrichtendienstlichen Hintergrund der ihm zugedachten Tätigkeit im unklaren gelassen wird. Bei Reisen in den kommunistischen Machtbereich sollten Bundesbürger deshalb immer mit der Möglichkeit der Überwachung rechnen und sich dementsprechend verhalten. 112 Q m Plakat zum Geheimschutz 113 2. Nachrichtendienstliche Aktivitäten der Ostblockstaaten 2.1 Die Bemühungen der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) sind ungebrochen, durch intensive nachrichtendienstliche Ausspähung den Anschluß der DDR-Wirtschaft an die Technologieentwicklung der Bundesrepublik Deutschland zu halten. Der dafür innerhalb der HVA geschaffene "Sektor Wissenschaft und Technik" ist Träger einer umfangreichen Spionagetätigkeit. Neben den bereits erwähnten Möglichkeiten werden in diesem Zusammenhang insbesondere die Dienstund Geschäftsreisen von DDR-Bürgern ins Bundesgebiet und in andere westliche Staaten genutzt. Seit Jahren stellen die Verfassungsschutzbehörden immer wieder fest, daß das MfS private und dienstliche Reisen von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik Deutschland für seine nachrichtendienstlichen Aktivitäten mißbraucht. Dies gilt in erster Linie für die sogenannten DDR-Reisekader, die im staatlichen Auftrag die Bundesrepublik Deutschland besuchen. In Baden-Württemberg wurde von solchen Personen in jüngster Zeit mehrfach versucht, einerseits offene Unterlagen vor allem auf dem Gebiet der Computer-Technik zu beschaffen, andererseits aber auch interne Informationen über Firmenstrukturen und leitende Angestellte zu sammeln. Vor dem Hintergrund der engen Zusammenarbeit des Ministeriums für Staatssicherheit mit den Bildungsund Forschungseinrichtungen wird verständlich, daß sich offizielle DDR-Reisekader etwa bei den Universitäten in Baden-Württemberg um Forschungsberichte, Studien und Vorlesungsverzeichnisse bemühen. Einen Schwerpunkt der Informationsbeschaffung bildet gegenwärtig die Ausspähung von Technologieparks sowie des Technologieund Wissenschaftstransfers zwischen Universitäten und der Privatwirtschaft. 2.2 Neben der DDR entwickeln auch die übrigen Warschauer-Pakt-Staaten eine starke nachrichtendienstliche Aktivität gegen die Bundesrepublik Deutschland. Ihre Ziele decken sich weithin mit denen der DDR. Erkennbar konzentrieren sich auch hier die Bemühungen vorrangig darauf, den Technologierückstand zu verringern. Merkbar zugenommen haben deswegen Bestrebungen, die westlichen Embargobestimmungen zu umgehen. Den für nachrichtendienstliche Ansprachen geeigneten Personenkreis finden die Nachrichtendienste der Warschauer-Pakt-Staaten ebenfalls in den Geschäftsund Privatreisenden. Durch Zusagen von Geschäftsabschlüssen oder durch das Ausnutzen verwandtschaftlicher Bindungen wird eine geheimdienstliche Tätigkeit vorbereitet. Im Bundesgebiet gehen entsprechende Aktivitäten häufig von dem für diesen Zweck eingesetzten Personal der sogenannten legalen Residenturen aus, also den Botschaften, Konsulaten und Handelsvertretungen dieser Länder. Dorthin verfolgen die Abwehrbehörden immer wieder Geschäftsbeziehungen meist zu 114 kleineren deutschen Firmen, über welche die Handelsvertretungen in den begehrten Besitz von Technologien der Hochfrequenz, der Mikroelektronik und der Datenverarbeitung zu gelangen versuchen. Hinsichtlich ihrer Aufklärungsfahrten verdienen die bei den Oberbefehlshabern der Stationierungsstreitkräfte akkreditierten sowjetischen Militärmissionen (SMM) als legale Residenturen eine besondere Beachtung. In den für BadenWürttemberg zuständigen und in Baden-Baden und Frankfurt am Main stationierten sowjetischen Militärmissionen arbeiten derzeit ca. 30 Personen. Sie sind mit Kraftfahrzeugen, auch Geländewagen, und technischem Spionagegerät ausgestattet. Alle Missionsmitglieder sind Angehörige des sowjetischen militärischen Nachrichtendienstes "RSWEDKA UPRAWLENIE" (RU). Dieser Dienst ist in erster Linie für den militärischen Bereich zuständig. Zu seinen Aufgaben gehört die Aufklärung mobiler und stationärer Einrichtungen der Alliierten einschließlich der Bundeswehr. Geführt werden die SMM von der "Gruppe sowjetischer Truppen in Deutschland" (GSTD) mit Sitz in Potsdam. Eine der Hauptaufgaben der SMM ist die möglichst kontinuierliche Beschaffung von aktuellen militärischen Erkenntnissen. So werden in Baden-Württemberg regelmäßig operative Einsatzfahrten der Missionsmitglieder festgestellt, bei denen Informationen über die im Lande stationierten Nato-Truppen und die Bundeswehr beschafft werden. Ein weiteres nachrichtendienstliches Aufgabengebiet ist die Erfassung und Ausspähung von strategisch interessanten Objekten, wie für die Verteidigung wichtige Industrieanlagen, Energieversorgungszentren, technische Einrichtungen, Anlagen zur Nachrichtenübermittlung sowie die periodische Kontrolle des Straßenund Schienennetzes. Vermehrt wurden dabei in letzter Zeit ausgedehnte Beschaffungsfahrten auch bei Dunkelheit durchgeführt. Damit soll offensichtlich die Gefahr der Entdeckung und Observation durch die Spionageabwehr vermindert werden. 3. Einzelfälle 3.1 Ein 34jähriger Ingenieur aus dem süddeutschen Raum lernte während eines Urlaubs in der CSSR eine Frau aus der DDR kennen. Nach mehreren Einladungen in die DDR verlobte er sich dort mit ihr. Bei den Heiratsvorbereitungen stellte die Frau einen Antrag auf Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland, wobei beide Kontakte zum MfS erhielten, die darauf abzielten, die Verlobten für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit zu gewinnen. Zunächst wurde die Übersiedlung abgelehnt und die Verlobte aufgefordert, auf ihren künftigen Ehemann einzuwirken, seinen Wohnsitz in der DDR zu nehmen. Nachdem beide dies ablehnten, verlor die Frau ihren Arbeitsplatz. Ferner wurde angedroht, daß der Verlobte in Zukunft keine Einreisegenehmigung mehr erhalten würde. Diese bewußt herbeigeführte Zwangslage nutzte das MfS, indem eine Heirat in der DDR mit anschließender Übersiedlungsgenehmigung in 115 die Bundesrepublik Deutschland für den Fall in Aussicht gestellt wurde, daß sich der künftige Ehemann schriftlich bereit erkläre, im Bundesgebiet nachrichtendienstliche Aufträge zu erledigen. Angeblich sollte es sich dabei um einfache Aufträge handeln, die mit Spionage nichts zu tun hätten, sondern der Friedensforschung dienten. Der Bundesbürger ging zum Schein auf das Angebot ein, offenbarte jedoch seine nachrichtendienstlichen Kontakte dem Verfassungsschutz. 3.2 Ein mit den Lebensverhältnissen in der DDR unzufriedener 27jähriger Werkzeugmacher, dessen Antrag auf Übersiedlung in das Bundesgebiet von den DDR-Behörden abgelehnt wurde, demonstrierte daraufhin mit anderen Übersiedlungswilligen öffentlich für mehr Freizügigkeit in der DDR gemäß der Schlußakte von Helsinki (KSZE-Konferenz). Noch während der Demonstration wurde er verhaftet und später zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Haftzeit nutzte das MfS zu einem nachrichtendienstlichen Werbungsversuch. Für den Fall, daß er sich schriftlich verpflichte, künftig für das MfS tätig zu sein, wurde ihm Hafterleichterung versprochen. Der 27jährige erklärte sich daraufhin bereit, nach erfolgter Ausreise dem MfS den präzisen Ablauf des Bundesaufnahmeverfahrens sowie Stimmungsberichte und politische Meinungen mitzuteilen. Für die künftige Verbindung wurde ihm eine Deckadresse in der DDR genannt. Nach seiner Abschiebung ins Bundesgebiet ignorierte er allerdings die Vereinbarungen. Daraufhin übersandte ihm das MfS die Aufforderung, sich an seine schriftliche Mitarbeitsverpflichtung zu halten. Er hatte aber inzwischen dem Verfassungsschutz seinen MfS-Kontakt offengelegt, der ihn hinsichtlich seines weiteren Verhaltens beraten konnte. 3.3 In einer ähnlichen Notlage befand sich eine 25jährige Kosmetikerin aus der DDR, die bei einem Fluchtversuch über die tschechoslowakisch-bayerische Grenze festgenommen und nach Auslieferung in die DDR zu einer eineinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Ein MfS-Angehöriger versprach ihr Hafterleichterung und vorzeitige Entlassung ins Bundesgebiet, wenn sie sich schriftlich verpflichte, dort für das MfS tätig zu werden. Als sie sich schließlich bereit erklärte, erhielt sie den Auftrag, sich beim Aufnahmeverfahren in Gießen nach Baden-Württemberg einweisen zu lassen, und zwar an einen Standort von US-Streitkräften. Sie sollte Verhältnisse mit amerikanischen Soldaten knüpfen, um so an militärische Geheimnisse heranzukommen. 3.4 Reiner A. ist seit Jahren bei einer Spedition als Kraftfahrer tätig, die auch Umzüge von Angehörigen westlicher diplomatischer Vertretungen im Ostblock durchführt. Mehrere Jahre war er in der Warschauer Niederlassung der Spedition beschäftigt. Die Tatsache, daß dort auch polnische Schwarzarbeiter eingesetzt wurden, nutzte der polnische Nachrichtendienst, um Reiner A. zur nachrichtendienstlichen Mitarbeit zu erpressen. 116 Nach einer schriftlichen Verpflichtung sollte er Angehörige englischsprechender Vertretungen ausforschen und darüber unter Decknamen berichten. In der Folgezeit kam es zu drei Treffs, bis Reiner A. im September 1984 in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehrte. Obwohl Reiner A. keine Transporte in Warschauer-Pakt-Staaten mehr ausführen wollte, zwangen ihn geschäftliche Notwendigkeiten Ende Juli 1985, einen Umzug für US-Diplomaten von Siegburg nach Moskau auszuführen. Um Polen zu meiden, wählte er einen Umweg, was den sowjetischen Grenzbeamten auffiel und sie zu einer mehrstündigen Kontrolle veranlaßte. In Moskau wurde Reiner A. am vierten Aufenthaltstag von einem deutschsprechenden Sowjetbürger mit seinem polnischen Decknamen angesprochen und an seine in Warschau eingegangene Verpflichtung erinnert. Mit den Nerven völlig am Ende, kehrte er sofort zurück und offenbarte sich dem Verfassungsschutz. 117 V. Geheimund Sabotageschutz - präventive Abwehr 1. Allgemeiner Überblick Die anhaltenden und methodisch zunehmend verfeinerten Bemühungen gegnerischer Nachrichtendienste, weite Bereiche der Behörden und der gewerblichen Wirtschaft systematisch auszuforschen, erfordern umfassende, an die aktuellen Erscheinungsformen illegaler Informationsbeschaffung angepaßte Abwehrmaßnahmen. Dabei genügt es nicht, lediglich auf erkannte nachrichtendienstliche Angriffe zu reagieren. Die Erfahrungen der Sicherheitsbehörden machen vielmehr deutlich, daß eine spürbare Verminderung gegnerischer Spionageerfolge nur zu erreichen ist, wenn dem Ausspähungsdruck bereits im Vorfeld entschlossen begegnet wird. Ein regelmäßiger Kontakt mit Angehörigen potentieller Zielobjekte und deren intensive Beratung in Sicherheitsfragen sowie eine psychologisch aufbereitete Geheimschutzaufklärung sind notwendig, um die Sensibilität gegenüber den Gefahren nachrichtendienstlicher Ausspähung sowie die Einsicht in die Notwendigkeit mitunter unbequemer Schutzvorkehrungen zu stärken. Diese Maßnahmen bedürfen der Ergänzung durch eine wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, um in breiten Kreisen der Bevölkerung Verständnis für die hier relevanten Sicherheitsfragen zu wecken. 2. Vorbeugender Geheimschutz 2.1 Unter vorbeugendem Geheimschutz - einem wesentlichen Element der "präventiven Spionageabwehr" - versteht man alle Maßnahmen personeller, technischer oder organisatorischer Art zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimzuhaltenden Tatsachen, Gegenständen oder Informationen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. Er dient nicht nur nationalen Interessen, sondern entspricht auch den Pflichten der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedsstaat der NATO. Die Verantwortung für die Belange des Geheimschutzes liegt in erster Linie bei den Behörden und den Wirtschaftsunternehmen selbst. Intern zuständig für die Planung, Durchführung und Überwachung einschlägiger Maßnahmen ist der jeweilige Geheimschutzbeauftragte bzw. Sicherheitsbevollmächtigte, 119 der bei der Bewältigung seiner Aufgaben auf die Unterstützung staatlicher Stellen, etwa der Verfassungsschutzbehörden, zurückgreifen kann. Besondere Bedeutung im Hinblick auf eine wirkungsvolle Verbesserung des personellen und materiellen Geheimschutzes kommt der Erstellung einer Schwachstellenanalyse zu, in die auch die sogenannten offenen Bereiche einbezogen werden sollten. Eine konsequente Beseitigung erkannter Risiken sowie regelmäßige Kontrollmaßnahmen gewährleisten die optimale Wirksamkeit interner Sicherheitsvorkehrungen. 2.2 Der personelle Geheimschutz umfaßt sämtliche Sicherheitsmaßnahmen, denen Beschäftigte der gewerblichen Wirtschaft und des öffentlichen Dienstes im Hinblick auf eine von ihnen ausgeübte sicherheitsempfindliche Tätigkeit unterworfen sind. Die Sicherheitsüberprüfung soll in erster Linie verhindern, daß geheimhaltungsbedürftiges Material solchen Personen zugänglich gemacht wird, die ihrem Charakter, ihren Gewohnheiten und ihrem Umgang nach Anlaß zu Zweifeln an ihrer Vertrauenswürdigkeit geben oder bei denen Umstände vorliegen, die eine nachrichtendienstliche Anwerbung erleichtern. Diese wichtigste Maßnahme des personellen Geheimschutzes wird grundsätzlich von der jeweiligen Beschäftigungsdienststelle oder vom Bundesminister der Wirtschaft veranlaßt. Die Verfassungsschutzbehörden wirken bei der Durchführung der Sicherheitsüberprüfungen mit (SS 3 Absatz 2 Nummer 1 LVSG). Die Frage, ob ein Sicherheitsrisiko vorliegt, kann naturgemäß nur im Einzelfall in einem "Akt wertender Erkenntnis" beurteilt werden. Dabei sind insbesondere Verbindungen zu gegnerischen Nachrichtendiensten oder in Straftaten zum Ausdruck kommende Charakterschwächen zu berücksichtigen. Aber auch sogenannte unverschuldete Sicherheitsrisiken - wie etwa enge persönliche Beziehungen in den kommunistischen Machtbereich - können zur Geltendmachung von Sicherheitsbedenken führen. Sofern im Überprüfungsverfahren keine entsprechenden Erkenntnisse angefallen sind, kann dem Betroffenen der Zugang zu Verschlußsachen erlaubt werden. Daraus ergeben sich allerdings auch Verpflichtungen. So hat der Ermächtigte Reisen in oder durch den kommunistischen Machtbereich beim zuständigen Geheimschutzbeauftragten bzw. Sicherheitsbevollmächtigten anzuzeigen. In bestimmten Ausnahmefällen können Ostreisen sogar untersagt werden. 2.3 Unter materiellem Geheimschutz werden alle Maßnahmen technischer und organisatorischer Art verstanden, die gewährleisten sollen, daß lediglich solche Personen Einblick in geheimhaltungsbedürftige Vorgänge erhalten, die zum Umgang mit Verschlußsachen ermächtigt sind. Ferner geht es um die si120 Plakat zum Geheimschutz 121 chere Aufbewahrung, Verwaltung und Beförderung sowie die ordnungsgemäße Vernichtung geschützter Unterlagen (einschließlich Entwürfe, Skizzen, Kohlepapier, Schreibmaschinenfarbbänder u. ä.). Gegenwärtig werden intensive Anstrengungen unternommen, um die Entwicklung geeigneter Sicherheitsvorkehrungen bei der elektronischen Informationsverarbeitung voranzutreiben. Die ständig wachsende Zahl moderner Massenkommunikationsmittel eröffnet gegnerischen Nachrichtendiensten völlig neue Möglichkeiten der Informationsbeschaffung. Die Hauptgefahr in diesem Bereich geht ohne Zweifel von der Computerspionage aus. Immer mehr Terminals mit Anschluß an das behördenoder firmeninterne Hauptrechenzentrum, die zunehmende Verarbeitung von Teilprogrammen auf arbeitsplatznahen Personal-Computern und der Informationsaustausch über leicht anzapfbare Datenfernübertragungsleitungen versetzen gegnerische Aufklärungsdienste in die Lage, sensible Daten oder vollständige Programme bestimmter Zielobjekte für eigene Zwecke zu verwerten. Angriffe auf Datenverarbeitungsanlagen zielen vorrangig darauf ab, Zugriffskontrollen zu umgehen. Es ist aber auch damit zu rechnen, daß die von Terminals, Floppy-Laufwerken oder Druckern ausgehende "kompromittierende Abstrahlung" nachrichtendienstlich genutzt wird. Mit einigem technischen Aufwand ist es beispielsweise bis zu einer Entfernung von mehreren hundert Metern möglich, die von Datensichtgeräten ausgesandten elektromagnetischen Wellen aufzufangen und auf einem modifizierten Fernsehgerät sichtbar zu machen. Ferner besteht die Möglichkeit, die abgegriffenen Daten mit Hilfe eines Videorecorders aufzuzeichnen. Dieser Form der unbefugten Kenntnisnahme geheimhaltungsbedürftiger Daten kann durch die Verwendung abstrahlarmer/ -freier Geräte oder durch die Bildung eines "Faradayschen Käfigs" (abstrahlsicheres Gehäuse oder Raumschirmung) entgegengewirkt werden. Besonderes Gewicht legen die Verfassungsschutzbehörden darauf, ihre Kenntnisse über die Arbeitsmethoden gegnerischer Nachrichtendienste sowie über die nachrichtendienstliche Technik in die Entwicklung, Planung und Durchführung wirksamer Gegenmaßnahmen einzubringen (SS 3 Absatz 2 Nummer 3 LVSG). In enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen Herstellern werden beispielsweise Außenüberwachungsanlagen, Zugangskontrollsysteme, Stahlschränke sowie Aktenund Farbbandkassettenvernichter den ständig wachsenden Sicherheitsanforderungen angepaßt. 2.4 Im Wege der Geheimschutzaufklärung soll bei potentiellen Zielpersonen oder bei bereits nachrichtendienstlich verstrickten Personen die Überzeugung geweckt werden, daß Spionage sich in keinem Falle lohnt. Ganz abgesehen davon, daß Agenten unter Berücksichtigung des in beruflicher und privater Hinsicht eingegangenen Risikos nur unangemessen entlohnt und zudem in Gefahrensituationen nicht selten von ihren Auftraggebern rücksichtslos im Stich gelassen werden, führt die ständige Furcht vor Enttarnung häufig zu schweren psychischen Konflikten. Betroffenen sollte folgende Aussage eines 122 ehemaligen geheimen Mitarbeiters des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR zu denken geben: "Es ist ein psychologischer Kraftakt, wenn man über zwanzig Jahre mit der Last dieses Problems leben muß. Es kann unter Umständen das Familienleben vergiften, es kann die eigene Persönlichkeit derart deformieren, daß man an sich selbst zu zweifeln beginnt. Ich möchte hier ganz eindringlich wiederholen: Ganz abgesehen von den strafrechtlichen Relevanzen, ganz abgesehen von der Verhaftung, von der Dauer der Untersuchung, von der Eindringlichkeit der Untersuchungen, dann von der Haft selbst, die schwer genug ist, jeder, der sich in der gleichen Situation befindet, sollte gründlich sein Gewissen überprüfen, ob das in Einklang zu bringen ist mit der ideologisch vorgesehenen Prämisse, .Kundschafter des Friedens' zu sein!" Während die illegale Zusammenarbeit mit einem Nachrichtendienst nahezu zwangsläufig in die Ausweglosigkeit führt, kann jeder aufgrund der bestehenden strafrechtlichen und strafprozessualen Vorschriften mit Milde rechnen, der sich innerlich von der Agententätigkeit abkehrt und sein Wissen offenbart. So wurde im Berichtszeitraum von der Anklageerhebung gegen einen Bundesbürger abgesehen, weil er sich aus freien Stücken einer Sicherheitsbehörde anvertraut und umfassende Auskünfte über Art und Umfang seiner naehrichtendienstlichen Tätigkeit erteilt hatte. 3. Vorbeugender Sabotageschutz Ein technisch hochentwickelter Industriestaat wie die Bundesrepublik Deutschland bietet vielfältige Ansatzpunkte für Sabotageakte gegnerischer Nachrichtendienste. Dies erschwert die Möglichkeiten für eine frühzeitige Erkennung entsprechender Vorbereitungshandlungen beträchtlich. Im Rahmen des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes ist dem Verfassungsschutz die Mitwirkung bei der Überprüfung solcher Personen zugewiesen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen lebensund verteidigungswichtiger Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen (SS 3 Absatz 2 Nummer 2 LVSG). Weiter wirkt er im Rahmen der gesetzlich vorgegebenen Grenzen aufklärend und beratend, indem exponierte Schwachstellen aufgezeigt und Empfehlungen in organisatorischer und technischer Hinsicht zum Schutz vor Sabotageakten gegeben werden. 123 4. Reisen in Länder des kommunistischen Machtbereichs 4.1 Die Mehrzahl aller bekanntgewordenen Anbahnungsversuche gegenüber Bundesbürgern findet im kommunistischen Machtbereich statt. Dort haben die gegnerischen Nachrichtendienste freie Hand, brauchen keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen und können sich auf zahlreiche Vertrauensleute in allen wichtigen Bereichen stützen. Bei der Suche nach geeigneten Zielpersonen schöpfen kommunistisch regierte Länder die in totalitären Staaten vorhandenen Möglichkeiten voll aus. Es empfiehlt sich daher, bei privaten und geschäftlichen Aufenthalten im Ostblock die dort geltenden Bestimmungen peinlich genau zu beachten. Scheinbar lukrativen Geschäftsofferten sowie Gesprächen mit Personen, die sich als Journalisten, Meinungsforscher oder Berufskollegen ausgeben, sollte mit der gebotenen Zurückhaltung begegnet werden. Ferner muß ausdrücklich vor Handlungen gewarnt werden, die als Bestechungsversuch oder Fluchthilfe ausgelegt werden könnten. 4.2 Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden aus Werbungen oder Werbungsversuchen der letzten Jahre legen die Beachtung folgender Verhaltensregeln nahe: - Machen Sie auf allen Einreiseund sonstigen Formularen zutreffende und vollständige Angaben. - Unterrichten Sie sich gründlich über die jeweils geltenden Einund Ausfuhrbestimmungen. Einfuhrverbote gelten häufig auch für Gegenstände, die nach unseren Vorstellungen zum täglichen Gebrauch bestimmt sind, wie Zeitungen, Musikkassetten und Bücher. Ausfuhrverbote bestehen u. a. für Kunstgegenstände, Antiquitäten, optische Geräte und Porzellan. - Die meisten kommunistisch regierten Länder verbieten die Einfuhr der jeweiligen Landeswährung. Lassen Sie sich ferner nicht von günstigen Wechselkursen verleiten, Zahlungsmittel des Gastlandes illegal einzutauschen. Bewahren Sie Bankbelege über Ihren Geldumtausch auf. -Verhalten Sie sich vorsichtig beim Filmen oder Fotografieren und vermeiden Sie mißverständliche Situationen. Fertigen Sie insbesondere keine Aufnahmen von Grenzsicherungsanlagen, militärischen Einrichtungen, Industrieanlagen, Brücken, Bahnhöfen und Bahnanlagen. -Vermeiden Sie kompromittierende Situationen durch korrektes Verhalten. Vor allem persönliche Neigungen und Schwächen des Reisenden bieten den Nachrichtendiensten ideale Angriffsflächen. - Lehnen Sie die Mitnahme von Briefen, Paketen oder sonstigen Gegenständen für eine Person im Westen ab. 124 - Begegnen Sie "Zufallsbekanntschaften" mit Zurückhaltung. Es besteht die Gefahr einer nachrichtendienstlichen Abklärung. -Weisen Sie Anbahnungsversuche bestimmt und höflich zurück. Ein deutliches Nein wird erfahrungsgemäß akzeptiert, während hinhaltendes Taktieren zu einer schwer lösbaren Verstrickung führen kann. Unterschreiben Sie keine Verpflichtungs-, Bereitschaftsoder Schweigeerklärung. - Führen Sie in ihren Reiseunterlagen die Anschriften sowie die Telefonnummern der diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland in Ihrem Gastland mit. Bestehen Sie im Konfliktfall auf einem Kontakt mit diesen Stellen. 5. Verhalten bei nachrichtendienstlichen Kontakten 5.1 Haben sich bei Aufenthalten im kommunistischen Machtbereich Auffälligkeiten ergeben, dann scheuen Sie sich speziell in Zweifelsfällen nicht, nach Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland mit dem Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, - Geheimschutzbeauftragten Ihrer Behörde, - Sicherheitsbevollmächtigten Ihres Betriebes in Verbindung zu treten. Dort werden Informationen sowie Hinweise auf nachrichtendienstlich bedeutsame Sachverhalte vertraulich behandelt. Sie können davon ausgehen, daß die Genannten Ihnen weitreichende Unterstützung bei der Bewältigung privater oder beruflicher Konfliktsituationen gewähren. 5.2 Personen, die bereits von einem Nachrichtendienst angesprochen bzw. angeworben worden sind oder mit einem entsprechenden Auftrag in das Bundesgebiet übersiedeln durften, wird dringend empfohlen, ihre Verstrickung offenzulegen. Mit dem Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg Taubenheimstraße 85A 7000 Stuttgart-Bad Cannstatt Telefon 0711/56 61 01 kann zu jeder Tagesoder Nachtstunde Kontakt aufgenommen werden. Die Verfassungsschutzbehörden sind nicht dem Legalitätsprinzip unterworfen und können - eine umfassende und freiwillige Offenbarung vorausgesetzt - aus übergeordneten Sicherheitsinteressen von der Erstattung einer Strafanzeige absehen. 125 VI. Anhang Übersicht der Mitgliederentwicklung der wichtigsten extremistischen Gruppierungen Mitgliederentwicklung der wichtigsten Gruppierungen der dogmatischen "Neuen Linken" im Bundesgebiet 1981 1982 1983 1984 1985 1986 KPD (früher KPD/ ML) 500 500 400 400 400 * BWK (vom KBW abgespalten) 570 500 450 400 400 400 KB 600 500 500 400 400 400 MLPD (früher KABD) 900 900 1000 1100 1300 1300 MG 700 1000 1300 1500 1700 1700 GIM 250 200 250 250 250 * VSP (Vereinigung von KPD und GIM - - - - - 600 Insgesamt 3520 3600 3900 4050 4450 4400 * 1986 erfolgte die Vereinigung von KPD und GIM zur VSP; Mitgliederzahlen siehe dort. 127 Mitgliederentwicklung der wichtigsten Gruppierungen der dogmatischen "Neuen Linken" in Baden-Württemberg 1981 1982 1983 1984 1985 1986 KPD (früher KPD/ ML) 80 80 60 50 50 * BWK (vom KBW abgespalten) 150 130 100 100 100 100 KB 30 30 20 20 20 20 MLPD (früher KABD) 250 350 500 550 650 650 MG - - 30 60 85 85 GIM 70 50 50 50 50 * VSP (Vereinigung von KPD und GIM - - -- - - 50-60 Insgesamt 580 640 760 830 955 905 (915) * 1986 erfolgte die Vereinigung von KPD und GIM zur VSP; Mitgliederzahlen siehe dort. Mitgliederentwicklung der DKP im Bundesgebiet und in Baden-Württemberg 1981 1982 1983 1984 1985 1986 DKP bundesweit 40 000 40 000 40 000 40 000 40 000 40 000 DKP BadenWürttemberg 2 750 2 750 2 750 2 850 2 850 2 850 128 Gesamtzahl aller rechtsextremistischen (neonazistischen, nationaldemokratischen und national-freiheitlichen) Organisationen und deren Mitglieder im Bundesgebiet 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 Anzahl 75 73 74 68 89 78 73 Mitglieder 19 800 20 300 19 000 20 300 22 100 22100 22100 Zahl der neonazistischen Einzelaktivisten und organisierten Mitglieder im Bundesgebiet und in Baden-Württemberg 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 bundesweit 1800 1850 1300 1400 1350 1420 1460 BadenWürttemberg 150 150 170 190 190 200 190 Zahl der Mitglieder der "NATIONALDEMOKRATISCHEN PARTEI Deutschlands" (NPD) im Bundesgebiet und in Baden-Württemberg 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 bundesweit 7300 6500 5900 6000 6100 6100 6100 BadenWürttemberg 900 900 950 950 950 1000 1000 Zahl der Mitglieder der "JUNGEN NATIONALDEMOKRATEN" (JN) im Bundesgebiet und In Baden-Württemberg 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 bundesweit 1000 750 500 500 550 550 600 BadenWürttemberg 120 80 80 75 80 80 80 129 Gruppen-, Organisationsund Publikationsregister Seite Action Directe (AD) 17, 22ff., 27 Aktion deutsche Einheit (AKON) 87 Aktion deutsches Radio und Fernsehen (ARF) 87 Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA) 68f., 73 ALFATAH 105 ff. ALSAIQA 105 Arbeiterjugendverband (Marxisten-Leninisten) - AJV/ML 44 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 92, 94, 100ff. Autonome Gruppen 35ff. Autonome Sozialistische Jugendgruppen (ASJG) 45 AVRUPA 'da DEV GENC (Revolutionäre Jugend in Europa) 98 Befreiungseinheit Kurdistans (HRK) 100 Befreiungsorganisation der Türkei und Nordkurdistan (TKKKÖ) 98 Bewegung für eine albanische sozialistische Republik in Jugoslawien (LRSSJH) 110 BOLSEVIK PARTIZAN (BP) 95ff. Bürgerund Bauerninitiative e.V. (BBI) 75 Bund Sozialistischer Arbeiter (BSA) 47 Bund Westdeutscher Kommunisten (BWK) 19, 45f. collektiv-Buchhandlungen 53 Das Freie Forum 89 Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) 105f. Deutsche Bürgerinitiative e.V. (DBI) 74f. Deutsche Frauenfront/Mädelbund (DFF/MB) 73f. Deutsche Friedens-Union (DFU) 53, 64ff. Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 48ff., 99 Deutsche National-Zeitung (DNZ) 86 Deutscher Anzeiger 86 Deutsche Volksliste 68, 86, 88 Deutsche Volksunion (DVU) 68, 86ff. Deutsche Volkszeitung/die tat (DVZ/die tat) 53 Deutsche Wochenzeitung 86 131 DEVRÄdegMCÄdeg ISCI 98 DEVRIMCI SOL (Revolutionäre Linke) 98 DEVRIMCI YOL (Revolutionärer Weg) 98 Die Bauernschaft 75 Die Deutsche Freiheitsbewegung (DDF) 88 DKP-das argument 52 DKP - infodienst 51 DKP-INFO für Arbeiter und Angestellte 51 DKP-Landrevue 51 DKP-Pressedienst 52 Ehrenbund RUDEL - Gemeinschaft zum Schutz der Frontsoldaten (ER) , 87 elan-das Jugendmagazin 61 Ernst-Thälmann-Buchhandlungen 42 Europäische Bewegung (EB) 80 Faisceaux Nationalistes Europeens (F.N.E.) 79f. Fanal 39 FAUST 39 Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. (ATIF) 95ff. Föderation der Arbeitervereine aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (KOMKAR) 102f. Föderation der Arbeitervereine der Türkei in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (FIDEF) 99 Föderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (FEYKA-Kurdistan) 102 Föderation der Türkisch-Demokratischen Arbeitervereine in Deutschland e.V. (DIDF) 97f. Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V. (ADÜTDF) 104f. Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen (FöGA) 40 Forum für libertäre Information (FLI) 39 Freie Arbeiter-Union (FAU) 39 Freie Arbeiter Union - Heidelberg (Anarchisten) - FAU-HD (A) 39 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) 67ff. Friedensliste 19, 56ff., 64f. Gesinnungsgemeinschaft Michael KÜHNEN 69 Gesellschaft für Freie Publizistik e.V. (GFP) 89f. Graswurzelbewegung 39 Gruppe Internationale Marxisten (GIM) 19, 44f. 132 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) 73 Illegale Militante 17, 25ff. Initiative für Ausländerbegrenzung (l.f.A.) 87 Internationale Sozialistische Arbeitergruppe (ISA) 47 Islamische Union Europa e.V. 103 Islamisches Zentrum Köln e.V. 103 Junge Nationaldemokraten (JN) 85 Junge Pioniere - Sozialistische Kinderorganisation (JP) 60, 62f. Kämpfende Einheiten 17, 25ff. Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit (KFAZ) 64 Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Adolf HITLERs (KAH) 68, 70 Kommunistische Jugend Deutschlands (KJD) 45 Kommunistische Partei Chinas (KPCh) 44 Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) 19, 41, 48 Kommunistische Partei der Türkei (TKP) 99 Kommunistische Partei Deutschlands (Marxisten-Leninisten) - KPD 19, 44 Kommunistischer Arbeiterbund Deutschlands (KABD) 40 Kommunistischer Bund (KB) 19 Kommunistischer Bund Westdeutschland (KBW) 45 Kroatischer Koordinationsausschuß der Vereinigung der Ortsausschüsse des Kroatischen Nationalrats in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (HKO) 110 Kroatischer Nationalrat (HNV) 109f. Kroatische Staatsbildende Bewegung (HDP) 108f. Landesberatung baden-württembergischer Friedensinitiativen 65 Lernen und kämpfen 43 Marxistische Arbeiterbildung (MAB) 52 Marxistische Arbeiterzeitung (MAZ) 47 Marxistische Blätter 47 Marxistische Gruppe (MG) 19, 46f. Marxistische Streitund Zeitschrift (MSZ) 47 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 19, 40ff. Marxistisch-Leninistischer Bund Intellektueller (MLBI) 44 Marxistisch-Leninistischer Schülerund Studentenverband (MLSV) 44 Marxistischer Studentenbund Spartakus (MSB Spartakus) 60, 63 133 Militante Autonome 17ff., 35ff. Militante der RAF 17, 25ff. National Action Party (NAP) 80 Nationaldemokratische Liga der Albanischen Treue (N.D.Sh.) 110 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 67f., 82ff. Nationaldemokratischer Hochschulbund (NHB) 86 Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) 102 Nationale Heilspartei (MSP) 103 Nationale Rettungsfront 105 National-Freiheitliche Rechte 67ff., 86ff. Nationalistische Front (NF) 75f. Neuer Weg GmbH 42 NHB-Report 86 NSDAP/Auslandsund Aufbauorganisation (NSDAP/AO) 81 f. NS-Kampfruf 81 Pahl-Rugenstein-Verlag 53 Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) 105ff. Palästinensischer Arbeiterund Studentenverein (PAV/PSV) 106 Palästinensische Volkskampffront (PPSF) 105 Partei der Nationalen Bewegung (MHP) 104 PARTÄdegZAN (P) 95f. PLAMBECK & Co., Druck und Verlag GmbH 53 praxis 51 Rat der Frankreich-Deutschen 80 Revolutionäre Kommunistische Partei der Türkei (TDKP) 95, 97f. Revolutionär Sozialistische Jugend - Roter Maulwurf (RSJ - Roter Maulwurf) 45 Revolutionärer Jugendverband Deutschlands (RJVD) 44 Revolutionärer Weg 98 Revolutionäre Zellen (RZ) 17, 32ff. Rote Armee Fraktion (RAF) 17, 20ff. Rote Brigaden (BR) 23 Rote Fahne 42 Rote Zora 33 Rotfüchse 44 Schrittmacher 52 Schutzbund für Leben und Umwelt 87 134 Schutzbund für Volk und Kultur 87 Schwarze Wölfe 80 SIEG Aktuell - Jugend-Presse-Dienst 81 SOL BÄdegRLÄdegK (Linke Einheit) 99 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 60ff. Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) 19 Sozialistische Liga 47 Sozialistische Partei Türkisch-Kurdistan (TKSP) 102f. Sozialistischer Hochschulbund (SHB) 64 Stoßtrupp Nagold 78 TEBLIG (Die Verkündigung) 104 Trotzkistische Liga Deutschlands (TLD) 47 Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (TIKKO) 95 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) 95ff. Türkische Volksbefreiungspartei/-Front (THKP/-C) 98f. Unsere Zeit (UZ) 51,53 Verband der Islamischen Vereine und Gemeinden e.V. 103 f. Vereinigte Sozialistische Partei (VSP) 19, 44f. Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V. (AMGT) 103 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (WN-BdA) 64f. Volksbewegung für die Republik Kosovo (LPRK) 110 Volksbewegung für Generalamnestie (VOGA) 87 Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) 105ff. Volksfront für die Befreiung Palästinas - Generalkommando (PFLP-GC) 105ff. Volksfront gegen Reaktion, Faschismus und Krieg (VOLKSFRONT) 45 Wehrsportgruppe Libanon (WSG) 79 Wiking-Jugend (WJ) 88f. Wohlfahrtspartei (RP) 103 135 Diese Informationsschrift wird von der Landesregierung von Baden-Württemberg im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Verpflichtung zur Unterrichtung der Öffentlichkeit herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von deren Kandidaten oder Helfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für alle Wahlen. 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